LG Köln, Urteil vom 06.02.2008 - 25 O 179/07
Fundstelle
openJur 2009, 388
  • Rkr:
Tenor

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Der am 17.4.1959 geborene Kläger nimmt den Beklagten im Zusammenhang mit einer von diesem als Chirurg durchgeführten Operation am 12.8.1977, bei der dem Kläger weibliche Geschlechtsorgane, u.a. Uterus, Tube und Ovar entfernt wurden, wegen des Vorwurfs einer unzureichenden präoperativen Aufklärung über Art und Umfang des Eingriffs sowie fehlender Indikation auf Schmerzensgeld in Anspruch.

Der Kläger, bei dem eine ausgeprägte Hypospadie vorlag, wuchs als Junge auf. Bei Heranreifen stellte sich eine maskuline Behaarung einschließlich Bartwuchs ein. Am 25.2.1976 unterzog er sich einer Appendektomie. Dabei ergaben sich Hinweise auf das Vorliegen weiblicher intraabdomineller Geschlechtsorgane. Zur Abklärung und wegen der (Verdachts-) Diagnose beidseitigen Kryptorchismus wurde er am 8.4.1976 im St. Antonius-Hospital L aufgenommen. Bei Eröffnung der Leistengegend und des Bauchraums bis zur Blase und Freilegung des rechten Leistenkanals konnten weder Hoden noch ein Samenstrang aufgefunden werden. Daraufhin wurde die Bauchhöhle rechtsseitig eröffnet. Dabei fand sich ein ovarförmiges Gebilde mit Fimbrien, makroskopisch jedoch kein Hinweis auf Hoden. Es wurde eine Gewebeprobe entnommen, deren histologische Untersuchung zu der Diagnose von Tube, Ovar und Nebenhoden führte. Hodengewebe ließ sich nicht nachweisen. Unter dem 10.4.1976 wurde der histologische Befund weiter dahin spezifiziert, dass neben dem Ovar ein Kanälchensystem aufgefunden worden sei, das einem Nebenhoden entspreche. Dies wurde jedoch nicht als ausreichend erachtet für die Diagnose eines Hermaphroditismus. Jedenfalls der Befund der Eierstöcke wurde dem Kläger mitgeteilt.

Mit Schreiben vom 22.10.1976 wandte sich die Schwester des Klägers, Frau T2, an Prof. X, Oberarzt an der Medizinischen Klinik des Krankenhauses N, und teilte mit, dass sich der Kläger auf Grund der Mitteilung, zu 60% Frau zu sein, mit konkreten Selbstmordgedanken trage, und bat um Hilfe.

Am 1.12.1976 holte die Medizinische Klinik ein urologisches Konsil bezüglich der Behandlung der Hypospadie ein. Darin wurde festgehalten, dass sich der Kläger seinerzeit weder männlich noch weiblich fühle, und für den Fall einer Tendenz zum einen oder anderen Geschlecht aus urologischer Sicht eine entsprechende Operation als Möglichkeit vorgeschlagen.

Am 15.12.1976 wurde eine Chromosomenanalyse durchgeführt, die eine normale weibliche Chromosomenkonstitution 46,XX ergab, was dem Kläger zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt wurde. Mit Schreiben vom 28.3.1977 teilte die Schwester des Klägers Prof. X mit, dass der Kläger sehr verunsichert sei. Weiterhin fragte sie an, ob es möglich sei, aus dem Kläger entweder einen Mann "zu machen" oder auch eine Frau. Am 21.7.1977 überwies der Hausarzt des Klägers diesen in das Krankenhaus L3-N mit der Diagnose "Hermaphroditismus" zur "hormonellen Untersuchung und op. Beseitigung".

Der Kläger wurde aufgenommen und u.a. die Diagnosen "Verdacht auf Pseudohermaphroditismus feminismus bei NNR-Überfunktion" und "Hypospadie III. Grades" gestellt. Mit Schreiben vom 2.8.1977 wandte sich Prof. X an Dr. W/Psychosomatische Abteilung des Universitätsklinikums L3. In diesem Schreiben wurde mitgeteilt, dass eine normale weibliche chromosomale Konstitution von 46,XX vorliege und "der Patient 1976 über die vorliegende Störung partiell informiert worden" sei. Zu klären sei, ob sich der Kläger vollständig mit seiner übernommenen männlichen Rolle identifiziert habe. Weiterhin wurde mitgeteilt, dass die Angaben der Schwester Hinweise auf zwischenzeitlich entstandene Zweifel bezüglich der subjektiven Geschlechtsidentifikation enthielten. Dr. W teilte als Ergebnis der Exploration mit Schreiben vom 3.8.1977 mit, dass der Kläger in psychischer Sicht wieder weitgehend stabilisiert sei, was auf die vorangegangenen sachlich-ärztlichen Beratungen und die in Aussicht gestellten operativen Korrekturen zurückzuführen sei. Belangvolle Zweifel an seinem männlichen Geschlechtsbewusstsein, seiner männlichen Geschlechtsrolle und seiner männlichen sexuellen Orientierung seien nicht festzustellen gewesen. Über die mit dem Schreiben vom 2.8.1977 mitgeteilte normale weibliche Chromosomenkonstitution sei mit dem Kläger nicht gesprochen worden, weil ihn dieses nur eingeschränkt interpretierbare Ergebnis möglicherweise erneut verwirren könnte.

Die streitgegenständliche Operation erfolgte am 12.8.1977. Hiervon liegt nur ein Anästhesiebericht vor, der als Gegenstand des Eingriffs eine "Testovarektomie" ausweist und aus dem sich ergibt, dass der Beklagte an dem Eingriff beteiligt war. Ausweislich des Eintrags des Oberarztes der Medizinischen Klinik Dr. I vom 14.8.1977 wurde bei Eröffnung des Bauchraums "eine normale weibliche Anatomie mit präpuberalem Uterus, normal großen Ovarien, Vagina endet blind ..." aufgefunden. Alle intraabdominellen Genitalorgane wurden entfernt. Der Eintrag schließt mit der Diagnose, dass kein Hermaphroditismus vorliege. Ursache der Virilisierung sei entweder ein Adrenogenitales Syndrom (AGS) oder ein Nebennierentumor (NNR-Tumor).

Der histologische Befund des Exstirpats vom 16.8.1977 endet mit der Beurteilung: "Rudimentärer atrophischer Uterus mit flachem regelrechtem Myometrium und spärlichen Anteilen eines Portioepithels. Ovarialgewebe mit zystischen Follikeln, Primär- und Sekundärfollikeln sowie einzelnen Corpora albicantia. Männliches Keimdrüsengewebe in Form eines Testovars kann nicht nachgewiesen werden".

Am 24.8.1978 erfolgte auf massives Drängen des Klägers eine Operation zur Penisaufrichtung in den städtischen Krankenanstalten M am Rhein. Im Mai 1979 legte der Kläger das Abitur ab. Er ergriff den Beruf des Krankenpflegers.

Der Kläger wirft dem Beklagten vor, dass ihm die weiblichen Geschlechtsorgane ohne Grund entfernt worden seien. Er behauptet, diese seien normal ausgebildet und voll funktionsfähig gewesen und dies sei bereits intraoperativ zu erkennen gewesen. Weiter behauptet er, bei angemessener therapeutischer Behandlung des androgenitalen Syndroms hätte er das Leben einer Frau einschließlich einer erfüllten weiblichen Sexualität führen und sich fortpflanzen können. Der Beklagte habe als Chirurg für den Eingriff einzustehen. Über das Ergebnis der Operation sei er, der Kläger, niemals unterrichtet worden, sondern in dem Glauben gelassen worden, es sei entartetes gonadales Gewebe oder eine Art Tumor entfernt worden.

Zu den Folgen behauptet der Kläger – neben dem Leben im "falschen Geschlecht" –, dass er infolge der Harnröhrenrekonstruktion unter einer chronischen, nahezu antibiotikaresistenten Harnwegsinfektion mit Nierenbeteiligung gelitten habe sowie chronischen, krampfhaften Blasenentleerungstörungen mit Restharnbildung. Weiterhin habe sich am Körper "Kastratenfett" gebildet, der Körper habe sich durch die Gabe von Testosteron vermännlicht.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an ihn für die ihm zugefügte Verletzung vom 12.8.1977 ein Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch € 100.000 nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins seit dem 8.5.2007 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er weist die erhobenen Vorwürfe zurück. Er beruft sich darauf, dass er sich als Chirurg auf die Diagnose der vorbehandelnden Fachärzte der Medizinischen Klinik habe verlassen dürfen. Dies gelte insbesondere für die Frage der Indikation, weil diese ausschließlich in deren Fachbereich gelegen habe. Der Eingriff sei im Beisein des Oberarztes der internistischen Abteilung, Herrn Dr. I, erfolgt, dem der intraoperative Befund demonstriert worden sei. Auf dessen konkrete Anweisung sei die Organentfernung erfolgt. Seine, des Beklagten, Aufgabe sei allein auf die Ausführung beschränkt gewesen.

Im Übrigen habe kein "von Natur aus weiblicher Körper" vorgelegen, was sich bereits aus der dokumentierten Behaarung ergebe. Die bei dem Kläger vorgefundenen Organe seien "hochgradig verkümmert" gewesen. Damit habe sich intraoperativ bereits der von dem vorbehandelnden Krankenhaus in L vermutete Befund bestätigt. Der Eingriff habe dem dringenden und umfassend überprüften Wunsch des Klägers entsprochen. Eine Angleichung an das weibliche Geschlecht sei in Anbetracht der eindeutig maskulinen Identifikation des Klägers nicht in Betracht gekommen. Die Mitteilung des genotypischen Erscheinungsbildes sei in nicht zu beanstandender Weise aus therapeutischen Gründen im Hinblick auf die Suizidgedanken und die psychische Betroffenheit des Klägers unterblieben. Zudem sei dieser Aspekt im Rahmen der Aufklärung zu vernachlässigen gewesen.

Es sei davon auszugehen, jedoch wegen der Lückenhaftigkeit der Behandlungsunterlagen nach Ablauf der Aufbewahrungsfristen nicht mehr belegbar, dass mit dem Kläger die medizinische Ausgangssituation des pseudohermaphroditismus femininus bei kongenitalem adrenogenitalem Syndrom sowie die bestehenden Behandlungsmöglichkeiten eingehend erörtert worden seien. Hilfsweise beruft sich der Beklagte auf eine hypothetische Einwilligung des Klägers bei zutreffender Aufklärung über seine Chromosomenkonstitution.

Schließlich erhebt der Beklagte die Einrede der Verjährung. Er macht geltend, der Kläger habe von seiner Disposition für das weibliche Geschlecht bereits gewusst, als er 1976 Kenntnis von dem Vorliegen weiblicher Geschlechtsorgane erlangt habe.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und die zur Gerichtsakte gereichten Behandlungsunterlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist dem Grunde nach begründet.

Der Kläger kann von dem Beklagten gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB in der gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB bis zum 31.7.2002 geltenden Fassung den Ersatz der ihm durch den Eingriff vom 12.8.1977 entstandenen immateriellen Schäden verlangen, weil der Beklagte den Kläger rechtswidrig in vorsätzlicher und schuldhafter Weise in seiner Gesundheit verletzt hat, indem er ihm weibliche Geschlechtsorgane entnommen hat.

Der Kläger hat in die Operation durch den Beklagten nicht wirksam eingewilligt. Bereits nach dem Vortrag des Beklagten ergibt sich nicht, dass der Kläger über Art, Inhalt und Umfang des sodann am 12.8.1977 durchgeführten chirurgischen Eingriffs zutreffend aufgeklärt war.

Der Beklagte hat in der Klageerwiderung vortragen lassen, dass dem Kläger die medizinische Situation hinreichend bekannt gewesen sei. Denn er habe ausweislich eines Schreibens seiner Schwester gewusst, dass er medizinisch zu 60% eine Frau sei und damit eine organische Disposition für das weibliche Geschlecht bestanden habe. Ergänzend hat sich der Beklagte darauf berufen, dass sich intraoperativ der Befund bestätigt habe, der bereits im vorbehandelnden Krankenhaus L vermutet worden sei, nämlich dass intraabdominell lediglich hochgradig verkümmerte weibliche Geschlechtsorgane vorlagen. Deshalb habe es nach Eröffnung des Bauchraums am 12.8.1977 keiner weiteren Information des Klägers bedurft.

Aus beiden Gesichtspunkten lässt sich nicht schlussfolgern, dass der Kläger zutreffend aufgeklärt war. Nach dem in der Behandlungsdokumentation enthaltenen, von dem Oberarzt Dr. I gefertigten Verlaufsbericht betreffend den intraoperativen Befund sowie nach dem pathologischen Befund vom 16.8.1977 bestand nicht lediglich eine organische "Disposition" für das weibliche Geschlecht, sondern es lagen ausschließlich weibliche Geschlechtsorgane vor. Damit entsprach der Befund vom 12.8.1977 gerade nicht der von dem vorbehandelnden Krankenhaus L auf Grund der histologischen Untersuchung entnommener Gewebeproben aufgestellten Vermutung, dass Anzeichen für Tube, Ovar und Nebenhoden bestanden, also sowohl für weibliche als auch für männliche Geschlechtsorgane.

Es gibt danach keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger vor dem Eingriff Kenntnis davon hatte, dass ihm – wie es im Verlaufsbericht heißt – eine "normale weibliche Anatomie mit präpuberalem Uterus, normal großen Ovarien" und Vagina entfernt werden würde.

Dafür dass dies gerade nicht der Fall war, spricht vielmehr die Dokumentation der behandelnden Ärzte im Übrigen. Der streitgegenständliche Eingriff ist im Anästhesieprotokoll nämlich als "Testovarektomie", also als Entfernung eines Testovars, der Keimdrüse eines Zwitters, die männliches und weibliches Keimdrüsengewebe enthält, beschrieben. Dies impliziert, dass die an dem Eingriff beteiligten Ärzte selbst davon ausgingen, es handele sich um einen Eingriff zur Entfernung gemischtgeschlechtlicher Organe und nicht zur Entfernung rein weiblicher Geschlechtsorgane. Dass den Operateuren, insbesondere also auch dem Beklagten die Fehlerhaftigkeit dieser Annahme im Verlauf der Operation klar wurde, ergibt sich aus dem Verlaufsbericht vom 14.8.1977. Hier wird auf Grund des intraoperativen Befunds die Schlussfolgerung gezogen, dass "damit kein Hermaphroditismus" vorliege, sondern die Virilisierung des Klägers auf ein adrenogenitales Syndrom oder einen Nebennierentumor zurückzuführen sein müsse. Dem ist zu entnehmen, dass der präoperative diagnostische Ausgangspunkt des Eingriffs, nämlich eine organische Gemischtgeschlechtlichkeit, erst auf Grund des intraoperativen Befunds revidiert wurde. Die veränderte Tatsachenlage wurde dem Kläger jedoch nicht mitgeteilt, sondern der Eingriff fortgesetzt. Dafür dass dieses Handeln von einer zuvor erklärten Einwilligung gedeckt war, gibt es keinen Anhaltspunkt. Denn der Beklagte behauptet selbst nicht, dass die Möglichkeit eines solchen Verlaufs bereits vor dem Eingriff in Betracht gezogen und mit dem Kläger besprochen worden sei.

Dabei besteht kein Anlass zu der Annahme, dass intraoperativ nicht wie im Verlaufsbericht beschrieben eine "normale weibliche Anatomie" vorlag, mögen die einzelnen Geschlechtsorgane auch nicht voll entwickelt gewesen sein. Denn die Beschreibung des intraoperativen Befundes im Verlaufsbogen ist am 14.8.1997 gerade auf Grund des Eindrucks während des zwei Tage zuvor vorgenommenen Eingriffs erstellt worden und nicht auf der Grundlage der Erkenntnisse aus dem Befundbericht der Pathologie. Letzterer, der ebenfalls ausschließlich weibliche Geschlechtsorgane beschreibt, datiert erst vom 16.8.1997 und kann deshalb bei Abfassung der Beschreibung im Verlaufsbogen nicht vorgelegen haben.

Wie sich aus dem Vortrag des Beklagten, wonach der intraoperative Befund Herrn Dr. I demonstriert worden sei, sowie aus dem bereits zitierten Verlaufsbericht vom 14.8.1977 ergibt, wurde dieser Befund vom Beklagten intraoperativ auch konkret wahrgenommen. Auf Grund dessen hätte der Beklagte den Eingriff nicht weiter fortsetzen dürfen, sondern abbrechen müssen. Dass er schuldlos davon ausging, auch die Entfernung einer "normalen weiblichen Anatomie" sei von einer etwaigen präoperativen Einwilligung des Kläger gedeckt, hat der Beklagte, wie bereits ausgeführt, so schon nicht vorgetragen und ist angesichts des dargestellten diagnostischen Ausgangspunkts für den Eingriff ("Testovarektomie") auch nicht anzunehmen.

Der Umstand, dass nunmehr eindeutig weibliche und nicht gemischtgeschlechtliche Organe entfernt werden sollten, war vor dem Hintergrund der unstreitigen psychischen Irritation des Klägers schon wegen der Vorstellung, "organische weibliche Anteile" zu haben, von ganz wesentlicher Bedeutung und damit aufklärungspflichtig. Hierdurch erlangte der Eingriff nämlich eine andere Qualität, weil es sich nicht mehr um eine korrigierende Angleichung zur Erhaltung eines von zwei angelegten Geschlechtern handelte, sondern um eine vollständige Entfernung der Organe des einzigen organisch angelegten Geschlechts.

Die Aufklärungspflichtigkeit entfiel auch nicht aus therapeutischen Gründen. Dies macht der Beklagte im Hinblick auf die Aufklärung betreffend die Art und den Umfang des chirurgischen Eingriffs zum einen konkret selbst nicht geltend, sondern lediglich bezogen auf das Verschweigen der eindeutig weiblichen Chromosomenkonstitution des Klägers. Zum anderen hat er schon nicht substantiiert eine ernste und nicht behebbare Gesundheitsbeschädigung dargelegt, die bei dem Kläger im Fall einer vollständigen Aufklärung über die genetische Disposition zu besorgen gewesen wäre. Für die Aufklärung über die Entfernung einer rein weiblichen Anatomie gilt dies erst recht. Dessen bedarf es jedoch, will der Beklagte nunmehr für sich in Anspruch nehmen, dass eine medizinische Kontraindikation für die Aufklärung bestand und diese deshalb entbehrlich war (BGH, NJW 1959, 814, Rdn. 20; 811, Rdn. 26; BGHZ 90, 103 ff. Rdn. 24; Rdn. jeweils zitiert nach JURIS). Es war danach Sache des Beklagten, triftige Gründe für das Unterlassen der Aufklärung darzulegen. Dies ist ihm schon im Hinblick auf die chromosomale Konstitution nicht gelungen. Die vom Beklagten behauptete, nicht näher konkretisierte "Gefahr einer erneuten Verwirrung" reicht nicht aus. Dies gilt erst recht im Hinblick auf die Aufklärung bezüglich der weiblichen genitalen Anatomie. Ebenso ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen kein Anhaltspunkt, dass eine Gesundheitsgefährdung bestand, die derart erheblich und akut war, dass sie das Selbstbestimmungsrecht des Klägers bezogen auf den anstehenden weitreichenden und vor allem irreversiblen Eingriff überwog.

Der Beklagte kann sich auch nicht erfolgreich darauf berufen, dass er nur ausführender Chirurg gewesen sei. Denn der aufzuklärende Umstand betraf gerade den Kernbereich seiner Tätigkeit, in dem er eigenverantwortlich handelte, nämlich den Umfang des Eingriffs und die Art des zu Resezierenden. Dass sich dies intraoperativ gegenüber dem präoperativen Ausgangspunkt erheblich anders darstellte, konnte er ohne weiteres und insbesondere ohne den Behandlungsverlauf und die Indikationsstellung nachzuvollziehen, beurteilen.

Gleichfalls lässt sich aus dem Einwand einer hypothetischen Einwilligung des Klägers bei zutreffender Aufklärung nichts zu Gunsten des Beklagten herleiten. Schon auf Grund der unstreitigen äußeren Umstände vermag die Kammer mit Sicherheit davon auszugehen, dass sich der Kläger bei zutreffender Information, dass bei ihm eine ausschließliche und normale weibliche intraabdominelle Anatomie vorlag, jedenfalls in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte. Angesichts der sich hierdurch grundlegend ändernden Qualität des Eingriffs liegt dies auf der Hand. Zudem ergibt sich aus dem Konsilsbericht der Psychosomatischen Klinik des Universitätsklinikums L3, dass der Kläger angegeben habe, er sei sehr erleichtert gewesen, als man ihm gesagt habe, dass er keine "richtigen" Eierstöcke habe. Dies belegt, dass die nach Vorstellung des Klägers zumindest nicht eindeutig weibliche organische Disposition ihn in dem Wunsch bestärkt hat, die weiblichen "Anteile" entfernen zu lassen. Hieraus ergibt sich gleichzeitig, dass der intraoperativ erhobene gegenteilige Befund seine Meinungsbildung ebenfalls maßgeblich beeinflusst hätte.

Hinzu kommt, dass nach Feststellung der weiblichen genitalen Anatomie erst recht Anlass zur Mitteilung der weiblichen Chromosomenkonstitution bestanden hätte, weil nunmehr bekannt war, dass der Kläger sowohl genetisch als auch organisch weiblich war.

Nach dem Vorgesagten kommt es nicht mehr darauf an, ob sich der Eingriff auch deshalb als unerlaubte Handlung des Beklagten darstellte, weil der Kläger unstreitig nicht über seine Chromosomenkonstellation aufgeklärt wurde. Wie bereits ausgeführt, ist die Entbehrlichkeit der Aufklärung hierüber aus therapeutischen Gründen nicht ansatzweise dargelegt. Auch insofern überwiegt die Tragweite und Irreversibilität des Eingriffs. Allein fraglich ist, inwieweit dem Beklagten als Operateur insoweit ein Vorwurf zu machen ist. Denn das Verschweigen der Chromosomenkonstellation erfolgte unstreitig aus therapeutischen Erwägungen, wobei die Indikationsstellung und Therapieplanung Aufgabe der Medizinischen Klink war. Dafür dass der Beklagte als Operateur die Aufklärung aber zumindest im Wesentlichen nachvollziehen und überprüfen musste, spricht einiges. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Klärung.

Der Einwand der Verjährung ist unbegründet. Der Kläger hat von den anspruchsbegründenden Tatsachen der Beteiligung des Beklagten an dem Eingriff, der Entfernung ausschließlich weiblicher Geschlechtsorgane entgegen der diagnostischen Ausgangssituation sowie dem absichtlichen Verschweigen seiner tatsächlichen Chromosomenkonstitution nach seinem unwiderlegten Vortrag erst durch Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen im Jahr 2006 erfahren. Zur Geltendmachung der nunmehr streitgegenständlichen Ansprüche reichte die Kenntnis der "überwiegend weiblichen Anatomie der Geschlechtsorgane" ebenso wenig aus wie der jahrelang gehegte Wunsch, ein Leben als Frau zu führen.

Der Rechtsstreit ist bezüglich der Höhe noch nicht zur Entscheidung reif.

Hierzu bedarf es noch einer umfassenden Beweisaufnahme zu den Folgen des Eingriffs, weshalb es angezeigt erscheint, gem. § 304 Abs.1 ZPO über den Grund des mit der Klage geltend gemachten Schmerzensgeldanspruchs vorab zu entscheiden.