StGH des Landes Hessen, Urteil vom 16.11.2011 - P.St. 2323
Fundstelle
openJur 2012, 35264
  • Rkr:

1. Im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags darf die Mehrheit einen Beweisantrag der einsetzungsberechtigten Minderheit nur zurückweisen, wenn die Beweiserhebung außerhalb des Untersuchungsauftrags liegt oder aus anderen Gründen rechtswidrig ist, ferner wenn sie lediglich der Verzögerung dient oder offensichtlich missbräuchlich ist. Die Vorschriften der Strafprozessordnung sind im Einzelfall entsprechend anzuwenden.

2. In einem Untersuchungsausschuss ist eine Beweiserhebung über Bestand und Auslegung auch des inländischen Rechts durch ein Rechtsgutachten grundsätzlich zulässig.

3. Im Untersuchungsausschussverfahren ist eine Beweisbehauptung im strafprozessualen Sinne nicht Voraussetzung einer Beweiserhebung. Die Grenze zulässiger Ausforschung ist aber dort erreicht, wo Beweisanträge ohne jegliche tatsächliche Grundlage "völlig ins Blaue hinein" gestellt werden.

4. Das Recht der Einsetzungsminderheit aus Art. 92 Abs. 1 Satz 2 HV umfasst auch den Anspruch auf Fortsetzung einer noch nicht abgeschlossenen Zeugenvernehmung.

5. Im Untersuchungsausschussverfahren ist ein Zeuge erst dann endgültig entlassen, wenn dies förmlich beschlossen worden ist. Unterbleibt ein solcher Beschluss, endet die Vernehmung erst mit dem Beschluss über den Abschlussbericht, spätestens mit dem Ende des Untersuchungsverfahrens.

6. Der Staatsgerichtshof ist befugt, Bundesrecht auszulegen, wenn die Auslegung einer bun-desrechtlichen Bestimmung Vorfrage der Auslegung einer Vorschrift der Hessischen Verfas-sung ist.

7. Die Vereidigung eines Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss des Landes Hessen ist unzulässig, da an die Eidesleistung vor einem Untersuchungsausschuss keine besondere Strafdrohung mehr anknüpft (Aufgabe von StGH, Urteil vom 09.12.1998 - P.St. 1297 -, NVwZ-RR 1999, 483 [484 f.]).

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner durch dieBeschlüsse des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses 18/2 vom24. Novem-ber 2010 sowie vom 17. Februar 2011, mit denen dieBeweisanträge Nr. 19 und Nr. 24 der Fraktionen der SPD und vonBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Einholung eines juristischenSachverständigengutachtens abgelehnt wurden, das Recht derAntragsteller als Einsetzungsminderheit auf effektive Erfüllung desUntersuchungsauftrags durch den Untersuchungsausschuss aus Art. 92der Verfassung des Landes Hessen verletzt hat.

2. Es wird ferner festgestellt, dass der Antragsgegner durch dieBeschlüsse des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses 18/2 vom18. Januar 2011 sowie vom 17. Februar 2011, mit denen dieBeweisanträge Nr. 20 und Nr. 25 der Fraktionen der SPD und vonBÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf erneute Vernehmung des Zeugen WolframRitter abgelehnt wurden, das Recht der Antragsteller alsEinsetzungsminderheit auf effektive Erfüllung desUntersuchungsauftrags durch den Untersuchungsausschuss aus Art. 92der Verfassung des Landes Hessen verletzt hat.

3. Der Antrag zu 3 wird zurückgewiesen.

4. Das Land Hessen hat den Antragstellern zwei Drittel ihrernotwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.