OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10.06.2011 - 1 W 32/11
Fundstelle
openJur 2012, 34733
  • Rkr:

Als Schadensersatz geltend gemachte anderweitig entgangene Anlagezinsen nach Wertpapieranlage aufgrund fehlerhafter Anlageberatung stellen keine Zinsen, jedenfalls aber keine Nebenforderung i. S. d. §§ 4 Abs. 1 S. 2 ZPO, 43 Abs. 1 GKG dar; sie sind als eingenständige Schadenspositionen dem übrigen Streitwert hinzuzurechnen.

Tenor

Auf die Beschwerde des Bevollmächtigten der Beklagten wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 18.02.2011 über die Festsetzung des Streitwerts 1. Instanz abgeändert.

Der Streitwert wird auf insgesamt 233.859,13 € festgesetzt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Kläger begehrten von den Beklagten Schadensersatz in Gestalt der Rückabwicklung einer Reihe von Wertpapiertransaktionen wegen fehlerhafter Anlageberatung. Zusätzlich machten sie einen Betrag in Höhe 19.883,93 € als entgangenen Gewinn geltend unter dem Gesichtspunkt, dass ihnen das im Rahmen dieser Wertpapierkäufe aufgewendete Kapital nicht für eine anderweitige Geldanlage - jedenfalls mit einem Mindestzinssatz - zur Verfügung gestanden habe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beklagten ihre Beratungspflicht nicht verletzt hätten; das Urteil ist rechtskräftig.

Mit Beschluss vom 18.02.2011 hat das Landgericht den Streitwert für den vorliegenden Rechtsstreit auf 213.975,20 € festgesetzt und dabei für den genannten Klageantrag wegen des entgangenen Gewinns keinen eigenständigen Wert angesetzt. Hiergegen wendet sich der Bevollmächtigte der Beklagten ausdrücklich aus eigenem Recht mit dem Ziel einer um 19.883,93 € höheren Festsetzung des Streitwerts. Er ist der Auffassung, der Betrag der entgangenen Anlagezinsen müsse dem Streitwert hinzugerechnet werden. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde des Bevollmächtigten der Beklagten ist gem. § 68 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch begründet und führt unter Abänderung des Streitwertbeschlusses zu einer um 19.883,93 € höheren Festsetzung.

1. Die Beschwerde hat Erfolg, weil die als entgangen geltend gemachten anderweitigen Anlagezinsen nicht als Nebenforderung im Sinne der in der Regelung identischen Vorschriften des § 43 Abs. 1 GKG und des § 4 Abs. 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen sind. Vielmehr machen die Kläger insoweit eine eigenständige Schadensposition geltend.

Der Senat hält auch in Kenntnis der abweichenden Rechtsprechung des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (vgl. Beschl. v. 03.09.2011 - 19 W 46/10 -, juris) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des 9. Zivilsenats (Beschl. v. 01.09.2010 - 9 W 21/10 -, juris) und des 17. Zivilsenats (u.a. Beschl. v. 25.02.2011 - 17 U 140/10) an seiner bisherigen Rechtsauffassung (Beschl. v. 07.06.2010 - 1 W 30/10 -, juris) fest.

Ist auf dem Kapitalmarkt ein Anlageinteressent durch unrichtige Prospekte oder Verletzung von Anlageberatungs- oder Aufklärungspflichten bewogen worden, eine bestimmte Kapitalanlage zu tätigen, kann er - als eine denkbare Möglichkeit des Schadensausgleichs - verlangen, so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wie er gestanden hätte, wenn er die Anlage nicht getätigt hätte. In einem solchen Fall sind dem Geschädigten seine Einlage und die Vorteile zu ersetzen, die er durch deren anderweitige Anlage hätte erzielen können (BGH, Urt. v. 02.12.1991, NJW 1992, 1223 [juris Rn. 11]). Dies entspricht dem Begehren der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit. Sie verlangen Rückzahlung des eingesetzten Kapitals Zug-um-Zug gegen Rückübertragung der erworbenen Wertpapiere und Ausgleich für die entgangenen Zinsvorteile; denn ein solcher Zinsschaden ergibt sich typischerweise daraus, dass das vorhandene Kapital in solcher Höhe erfahrungsgemäß nicht ungenutzt geblieben, sondern zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt worden wäre (BGH, a.a.O., Rn. 14).

Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Gegebenheiten ist es bereits erheblich zweifelhaft, ob es sich bei dem geltend gemachten Schaden in Gestalt anderweitig entgangener Anlagezinsen um „Zinsen“ im Sinne der §§ 43 Abs. 1 GKG, 4 Abs. 1 Satz 2 ZPO handelt. Denn Zinsen im Sinne dieser Vorschriften sind typischerweise das vom Schuldner zu entrichtende Entgelt für die Überlassung von Kapital (vgl. nur Zöller-Herget, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 4 Rn. 11). Die Kläger begehren aber nicht Zinsen dafür, dass sie die Einlage der Rechtsvorgängerin Beklagten zu 1) überlassen haben, sondern ihre Klage ist auf Ausgleich des Nachteils gerichtet, dass ihnen der Anlagebetrag nicht für eine anderweitige, für sie vorteilhafte Anlagemöglichkeit zur Verfügung gestanden hat. Entscheidend für die Abgrenzung ist, wer das Kapital hätte nutzen können. Nur soweit dies derjenige ist, dem das Kapital überlassen wurde oder sonst - etwa aufgrund eines vereinbarten Zahlungsziels - weiterhin zur Verfügung stand (vgl. BGH, Beschl. v. 25.03.1998, NJW 1998, 2060 [juris Rn. 9]), handelt es sich um „Zinsen" im Sinne eines Nutzungsentgelts für das überlassene oder noch belassene Kapital.

Jedenfalls aber ist der geltend gemachte Anspruch auf Ausgleich anderweitig entgangener Anlagezinsen nicht als Nebenforderung neben der Rückforderung der Einlage anzusehen. Das Wesen einer Nebenforderung besteht darin, dass sie sachlich-rechtlich vom Bestehen einer Hauptforderung abhängig ist; sind die Forderungen dagegen nach materiellem Recht gleichrangig, so ist keine von ihnen eine Nebenforderung (OLG München, Beschl. v. 16.11.1993, NJW-RR 1994, 153 [juris Rn. 3]); OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.03.2007, OLGR 2007, 424 [juris Rn. 2]; KG, Beschl. v. 18.02.2008 - 2 AR 7/08 - NJW-RR 2008, 879 [juris Rn. 9, 11]). So liegt es hier. Denn die Forderung auf Rückzahlung des Anlagekapitals und ebenso die Forderung auf Ausgleich des anderweitig entgangenen Anlagezinses sind gleichwertige Berechnungsposten des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs (ebenso OLG Frankfurt, 9. Zivilsenat, a.a.O. juris Rn. 2; OLG Stuttgart, Urt. v. 16.03.2011, WM 2011, 976 [juris Rn. 34]); letztere hängt nicht vom Bestand der ersteren ab, sondern beide haben ihren gemeinsamen Grund in dem von den Klägern geltend gemachten fehlsamen Verhalten bei der Anlageberatung. Für die Höhe des Zinsschadens ist vorliegend nicht entscheidend, in welcher Höhe den Klägern ein Rückforderungsanspruch bezüglich des angelegten Kapitals zusteht - dann wäre eine Nebenforderung anzunehmen -, sondern welche Beträge die Kläger bei den Wertpapiertransaktionen investiert haben mit der Folge, dass ihnen diese Beträge nicht für eine anderweitige Anlage zur Verfügung standen (a.A. OLG Frankfurt, 19. Zivilsenat, a.a.O. juris Rn. 6). Aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2010 - III ZR 145/09 - juris Rn. 1, 3) ergibt sich nichts Gegenteiliges; die Entscheidung betrifft allein den Streitwert des dort geltend gemachten Feststellungsanspruchs in Abgrenzung zum Gegenstand der gleichzeitig erhobenen Zahlungsklage.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.

4. Eine Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 ZPO) ist gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, eine weitere Beschwerde ist gem. § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 4 GKG nicht statthaft.