VG Gießen, Beschluss vom 16.04.2010 - 9 L 867/10.GI
Fundstelle
openJur 2012, 32979
  • Rkr:

Versammlungsrechtliche Auflagen sollen nicht verhindern, dass die Teilnehmer einer Versammlung sich als Rechtsextremisten bekennen können

Tenor

Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster InstanzProzesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadtzur Hälfte bewilligt. Darüber hinaus wird eine Bewilligung vonProzesskostenhilfe abgelehnt.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellersgegen die versammlungsbehördliche Verfügung des Landrats desLandkreises Marburg-Biedenkopf vom 12. April 2010 wird hinsichtlichder Auflage Nr. 05 wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antragabgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens haben die Beteiligten jeweils zurHälfte zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen zwei versammlungsbehördliche Auflagen.

Am 2. April 2010 meldete der Antragsteller für ein „Volkstreues Komitee für gute Ratschläge“ bei der örtlichen Ordnungsbehörde der Gemeinde Lahntal für Sonnabend, den 17. April 2010, eine Versammlung mit circa 30 Teilnehmern unter dem Motto „Stoppt linke Hetze gegen Nationalisten!“ an, bei der „schwarze, schwarz-weiß-rote, Landesflaggen, NPD- und JN-Parteifahnen“ mitgeführt werden sollten. Der Bürgermeister der Gemeinde Lahntal leitete die Anmeldung zuständigkeitshalber an den Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf weiter, der am 8. April 2010 ein Kooperationsgespräch durchführte, bei dem der Antragsteller unter anderem erklärte, zu den mitgeführten Fahnen solle auch eine Reichskriegsflagge nach der Verordnung über die Hoheitszeichen der Deutschen Wehrmacht vom 14. März 1933 (RGBl. I S. 133) zählen. Durch ordnungsbehördliche Verfügung vom 12. April 2010 machte der Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf dem Antragsteller diverse versammlungsbehördliche Auflagen, darunter auch:

„01. Die Kundgebung findet in Goßfelden, jedoch nicht auf dem angemeldeten Platz vor der "Alten Lahnbrücke" sondern im Einmündungsbereich der Straße Floss in die Kaffeestraße (neben dem Viehwaagengebäude) unter Freilassung der Kaffeestraße statt. … 05. Die Benutzung von Fahnen mit Gestaltungen bzw. Symbolen, die als Ersatzsymbolen für nationalsozialistische Symbole bzw. als Identifikationsmerkmale der rechtsextremistischen Szene gelten, insbesondere das Mitführen der Reichskriegsflagge, von Keltenkreuzfahnen und Fahnen mit dem Symbol der "Schwarzen Sonne" sowie das Tragen von Transparenten strafbarer Organisationen ist untersagt, gleiches gilt für Druckschriften oder sonstige Darstellungen.“

Zugleich wurde die sofortige Vollziehung sämtlicher Auflagen angeordnet.

Zur Begründung der Auflage Nr. 01 führte der Antragsgegner im Wesentlichen an, zeitgleich sei bereits eine andere Versammlung angemeldet, die als Aufzug den vorgesehenen Ort passieren wolle, sodass die vom Antragsteller angemeldete Kundgebung dort nicht möglich sei und an einen anderen geeigneten Ort verlegt werden müsse. Die Auflage Nr. 05 sei erforderlich, da das Mitführen von Fahnen mit den bezeichneten Symbolen, die als Ersatzsymbole und Identifikationsmerkmale der rechtsextremistischen Szene dienten, unter den örtlichen und zeitlichen Verhältnissen die öffentliche Ordnung unmittelbar gefährdeten.

Am 12. April 2010 hat der Antragsteller beim Landrat des Landkreises Marburg-Biedenkopf Widerspruch eingelegt und zugleich beim Verwaltungsgericht Gießen eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt sowie vorläufigen Rechtsschutz begehrt. Das Begehren ist durch Schriftsätze seines Bevollmächtigten vom 13. April 2010 präzisiert worden.

Der Antragsgegner tritt den Anträgen entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie den der per Telefax übermittelten Behördenakten des Antragsgegners (Bl. 1 bis 33) Bezug genommen. Die Kammer hat sich nähere Kenntnisse von der Örtlichkeit im Internet über Google Maps verschafft.

II.

1. Dem Antragsteller ist auf seinen formgerecht gestellten Antrag Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. aus B-Stadt zu bewilligen, soweit er sich gegen die Auflage Nr. 05 in der angegriffenen Verfügung wendet, denn er hat nachgewiesen, nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen zu können und insoweit verspricht die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig. Soweit der Antragsteller sich dagegen gegen die Auflage Nr. 01 wendet, ist eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe abzulehnen, denn insoweit hat die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 ZPO i.V.m. § 166 VwGO).

2. Auf den Antrag des Antragstellers ist die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO insoweit wiederherzustellen, als er sich gegen die Auflage Nr. 05 in der versammlungsbehördlichen Verfügung wendet, während der Antrag hinsichtlich der Auflage Nr. 01 abzulehnen ist (a.). Deshalb sind die Kosten des Verfahrens hälftig zu teilen (b.), wobei der Streitwert insgesamt auf den gesetzlichen Auffangstreitwert festzusetzen ist (c.).

a. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat nur teilweise Erfolg:

(1) Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein möglichen, summarischen Betrachtung ist davon auszugehen, dass die Auflage zur Benutzung von Fahnen und Symbolen unter der Nr. 05 offensichtlich rechtswidrig ist. Unklar bleibt zunächst, was als „Ersatzsymbole für nationalsozialistische Symbole“ gemeint ist. Soweit es um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen geht, ergibt sich deren Verbot bereits unmittelbar aus § 86a StGB; dass solche Kennzeichen vorliegend gebraucht werden sollen, ist indes gar nicht ersichtlich. Dunkel bleibt darüber hinaus, an welche Symbole einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation angeknüpft werden soll. Soweit es um „Identifikationsmerkmale der rechtsextremistischen Szene“ geht, die hinsichtlich der Reichskriegsflagge, von Keltenkreuzfahnen und Fahnen mit dem Symbol der „Schwarzen Sonne“ konkretisiert werden, bleibt unberücksichtigt, dass die Bürger rechtlich nicht gehalten sind, die Wertsetzungen der Verfassung persönlich zu teilen. Das Grundgesetz baut zwar auf der Erwartung auf, dass die Bürger die allgemeinen Werte der Verfassung akzeptieren und verwirklichen, erzwingt die Werteloyalität aber nicht. Die Bürger sind grundsätzlich auch frei, selbst grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder die Änderung auch tragender Prinzipien zu fordern, denn die plurale Demokratie des Grundgesetzes vertraut auf die Fähigkeit der Gesamtheit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinanderzusetzen und sie dadurch abzuwehren (vgl. nur Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. Februar 2010 - 1 BvR 369, 370 und 371/04 -, Absatz Nr. 24, abrufbar über www.bverfg.de/entscheidungen/rk20100204_1bvr036904.html, m.w.N.). Mithin soll gerade nicht verhindert werden, dass die Teilnehmer der vom Antragsteller angemeldeten Versammlung sich als Rechtsextremisten bekennen können. Das Grundgesetz rechtfertigt kein allgemeines Verbot der Verbreitung rechtsradikalen oder auch nationalsozialistischen Gedankenguts schon in Bezug auf die geistige Wirkung seines Inhalts (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss des Ersten Senats vom 4. November 2009 - 1 BvR 2150/08 - zu § 130 Abs. 4 StGB, abrufbar über www.bverfg.de/entscheidungen/rs20091104_1bvr215008.html). Soweit es um das beispielhaft angeführte „Mitführen der Reichskriegsflagge“ geht, ist die Verfügung schon nicht nach § 37 Abs. 1 HVwVfG hinreichend bestimmt, denn es wird nicht konkret benannt, welche der ihrer Gestaltung nach verschiedenen Reichskriegsflaggen nun unter dieser singulären Bezeichnung angesprochen werden soll; aufgrund des Kooperationsgesprächs steht fest, dass es jedenfalls die nach dem Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 (RGBl. I S. 1145) in Verbindung mit der Verordnung über die Reichskriegsflagge, die Gösch der Kriegsschiffe, die Handelsflagge mit dem Eisernen Kreuz und die Flagge des Reichskriegsministers und Oberbefehlshabers der Wehrmacht vom 5. Oktober 1935 (RGBl. I S. 1285) - die zwar keine Parteifahne der NSDAP war, jedoch wegen der verfolgten Einheit von Partei und Staat von deren Symbolik derart geprägt, dass sie unter das strafrechtliche Verbot des § 86a Abs. 1 Nr. 1 StGB fiele - nicht sein soll. Soweit es um das „Keltenkreuz“ geht, war dieses zwar Teil des Organisationssymbols der durch bestandskräftige Verfügung des Bundesministeriums des Innern vom 24. Januar 1982 verbotenen Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit (VSBD/PdA), doch kann dahingestellt bleiben, ob allein hieraus in jedem Fall ein Verbot des Zeigens jedweder Form von „Keltenkreuzen“ folgt (möglicherweise zu weitgehend: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 3 StR 164/08 -, BGHSt 52, 364), denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller derartiges beabsichtigt. Schließlich handelt es sich bei der „Schwarzen Sonne“ um kein Kennzeichen einer nationalsozialistischen Organisation, mag sie sich auch als Marmorinkrustation im „Obergruppenführersaal“ der Wewelsburg finden, wobei auch hier darauf hinzuweisen ist, dass keine Erkenntnisse angeführt werden, die darauf schließen lassen, dass diese Symbolik hier gebraucht werden soll.

(2) Nicht zu beanstanden ist dagegen die Auflage, dass die Versammlung nicht an dem vom Antragsteller vorgesehenen Ort, dem Platz vor der „Alten Brücke“ in Goßfelden, durchgeführt werden darf, sondern entfernt davon im Einmündungsbereich der Straße Floß in die Kaffeestraße. Insoweit muss sich der Antragsteller entgegenhalten, dass die von ihm angemeldete Versammlung eine Reaktion auf eine andere Versammlung ist, nämlich den vom „Bündnis gegen Rechts A-Stadt“ bereits zuvor angemeldeten Aufzug, der von der Lindenstraße über die Alte Lahnbrücke zur Marburger Straße und weiter zu ziehen beabsichtigt. Die Regelung dahin, dass der zuerst angemeldete Aufzug den von ihm bestimmten Weg nehmen kann, während die später vom Antragsteller angemeldete Versammlung davon räumlich entfernt stattzufinden hat, verletzt nicht das verfassungsrechtlich geschützte Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters über Zeitpunkt und Ort der Veranstaltung und über Vorkehrungen zur Erreichung der beabsichtigten Wirkung (vgl. hierzu beispielhaft Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2007 - 1 BvR 1423/07 -, Absatz Nr. 23, m.w.N.), sondern bringt widerstreitende Grundrechtsausübungen in eine praktische Konkordanz. Es ist prinzipiell nicht zu beanstanden, wenn Versammlungen, deren Verlauf ihrer unterschiedlichen politischen Ausrichtung nach bei einem Aufeinandertreffen eskalieren kann, räumlich derart voneinander getrennt werden, dass das Risiko hierbei auf ein vertretbares Maß zurückgeführt wird.

b. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO. Danach sind, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, die Kosten verhältnismäßig zu teilen. Das Gericht gewichtet hier das Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten gleich.

c. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1, 2 GKG. Innerhalb seines Ermessens berücksichtigt das Gericht, dass seine Entscheidung eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache enthält.

Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte