Hessisches LAG, Urteil vom 28.08.2009 - 19/3 Sa 1636/08
Fundstelle
openJur 2012, 31989
  • Rkr:
Tenor

Die Berufungen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 21. August 2008 – 12 Ca 215/08 – werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3 zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte an den Kläger eine Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund Behinderung zu zahlen hat.

Die Beklagte ist eine Gebietskörperschaft. Bei ihr waren im Jahr 2007 12,07% der Arbeitsplätze mit behinderten Menschen besetzt. Eine Schwerbehindertenvertretung besteht bei der Beklagten nicht. Am 12. Januar 2008 schrieb sie eine auf zwei Jahre befristete Stelle für eine/n Verwaltungsfachangestellte/n für den Geschäftsbereich Einwohnerservice aus (Bl. 6 d. A.). Die monatliche Vergütung für diese Stelle sollte 1.984,68 Euro betragen.

Als Einstellungsvoraussetzungen sind u. a. genannt:

- Abgeschlossene Ausbildung als Verwaltungsfachangestellte/r oder vergleichbare Verwaltungsausbildung

- Gute EDV-Kenntnisse (MS-Office)

Weiter wird in der Stellenausschreibung darauf hingewiesen, dass Erfahrungen im Bereich Einwohnerwesen von Vorteil wären. Am 10. Januar 2007 hatte die Beklagte die Stellenausschreibung bereits der Agentur für Arbeit gemeldet und sie um Aufnahme der Stellenausschreibung in die Stellenangebote gebeten.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2008, wegen dessen Wortlaut auf Bl. 8 d. A. verwiesen wird, bewarb sich der am 25. März 1962 geborene, verheiratete und mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehinderte Kläger auf diese Stellenanzeige und wies auf seine Schwerbehinderung hin. Vor der Bewerbung hatte der Kläger, der ausgebildeter Krankenpfleger ist und aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr als Krankenpfleger einsetzbar war, eine vom Rentenversicherungsträger geförderte Umschulung zum Verwaltungsfachangestellten absolviert und am 28. September 2006 erfolgreich abgeschlossen. Nach seiner Umschulung bewarb sich der Kläger auf ca. 120 Stellen im Rhein-Main-Gebiet, darunter auch auf Teilzeitstellen mit einem deutlich niedrigeren Gehalt und einer Entfernung von bis zu 50 km zu seinem Wohnort. Nachdem das Integrationsamt einem Antrag des früheren Arbeitgebers auf Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung im Jahr 2006 nicht entsprochen hatte, weil der Kläger ordentlich unkündbar war, erteilte das Integrationsamt am 25. Oktober 2007 die Zustimmung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Am 25. Februar 2008 schloss der Kläger mit seinem früheren Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 2009 und im Fall der vorzeitigen Beendigung eine Abfindung in Höhe des eingesparten Gehalts vorsah. Zum 1. Mai 2008 trat der Kläger eine neue Stelle an und stellte seine Bewerbungstätigkeit ein.

Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Bewerbungsgespräch ein. Mit Schreiben vom 12. März 2008 lehnte die Beklagte die Bewerbung des Klägers ohne nähere Begründung mit dem Hinweis ab, die Entscheidung sei auf eine andere Bewerberin gefallen. Dabei handelte es sich um eine Bewerberin, die über Erfahrungen im Bereich des Einwohnerwesens verfügte. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19. März 2008 (Bl. 10 d. A.) rügte der Kläger die Verletzung von § 82 SGB Satz 2 SGB IX und weiterer Verfahrensregeln nach § 81 SGB IX und machte eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsvergütungen geltend. Nachdem die Haftpflichtversicherung der Beklagten die Zahlung mit Schreiben vom 16. April 2008 abgelehnt hatte, hat der Kläger am 05. Mai 2008 die vorliegende Klage erhoben, die der Beklagten am 15. Mai 2008 zugestellt worden ist. Bei dieser Klage handelt es sich um eine von ca. 40 Entschädigungsklagen des Klägers.

Der Kläger hat behauptet, von der Beklagten im Bewerbungsverfahren wegen seiner Behinderung diskriminiert worden zu sein. Das beweise der Umstand, dass die Beklagte ihn trotz seiner Eignung für die Stelle nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Für die Diskriminierung spreche des Weiteren die Verletzung der Anhörung- und Unterrichtungspflicht gemäß § 81 Abs. 1 Satz 8 und 9 SGB IX.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 3 Bruttomonatsgehälter nicht unterschreiten sollte, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2008 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat bestritten, den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt zu haben. Sie hat die Ansicht vertreten, nicht zur Einladung des Klägers zum Vorstellungsgespräch verpflichtet gewesen zu sein. Dazu hat sie behauptet, der Kläger verfüge nicht über gute EDV-Kenntnisse und keine Kenntnisse bürgerspezifischer EDV-Programme. Ferner habe schon vor dem Auswahlverfahren festgestanden, dass Erfahrungen im Bereich des Einwohnerwesens eine zwingende Einstellungsvoraussetzung sei. Jedenfalls könne – so die Ansicht der Beklagten – ein einzelner Verfahrensverstoß nicht die Vermutung der Benachteiligung wegen Behinderung begründen; das gelte jedenfalls bei Berücksichtigung der Einhaltung der übrigen Verfahrensvorschriften und der Erfüllung der Beschäftigungspflicht. Die Beklagte hat behauptet, die Schwerbehinderung des Klägers habe bei der Entscheidung keine Rolle gespielt; die Stelle sei nach objektiven Kriterien und den Grundsätzen der Bestenauslese besetzt worden. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, das Verhalten des Klägers sei rechtsmissbräuchlich und dazu behauptet, dass der Kläger sich nicht ernsthaft beworben habe. Es sei anzunehmen, dass es dem Kläger nur um die Erlangung von Entschädigungen gegangen sei. Dafür spräche die Vielzahl der Bewerbungen und Entschädigungsklagen, in denen er Verfahrensverstöße "ins Blaue hinein" behaupte.

Das Arbeitsgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 21. August 2008 die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 1.984 Euro verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Vermutung der Benachteiligung dadurch begründet sei, dass die Beklagte den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen habe. Der Kläger sei nicht offensichtlich ungeeignet. Der Einwand der Beklagten, die EDV-Kenntnisse des Klägers seien nicht gut, stelle seine prinzipielle Eignung nicht in Frage stelle. Da laut Stellenausschreibung Erfahrungen im Einwohnerwesen nicht vorausgesetzt gewesen seien und die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen habe, wann sie sie entschieden haben, Erfahrungen im Einwohnerwesen als unerlässliche Einstellungsvoraussetzung anzusehen, könne eine offensichtlich fehlende fachliche Eignung des Klägers nicht mit dem Fehlen von Erfahrungen im Einwohnerwesen begründet werden. Die Vermutung der Benachteiligung wegen Behinderung sei auch deshalb begründet, weil die Beklagte die Ablehnung der klägerischen Bewerbung nicht begründet habe. Aufgrund der fehlenden Begründung der Ablehnung sei es der Beklagten verwehrt, sich auf sachliche Ablehnungsgründe zu berufen. Für die Annahme, die Bewerbung des Klägers sei nicht ernsthaft, lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. Die Höhe der Entschädigung sei unter Berücksichtigung der Pflichtverletzungen einerseits und der erfolgten Meldung an die Agentur für Arbeit, der Erfüllung der Beschäftigungsquote und des Umstands, dass der Kläger eine neue Arbeitsstelle gefunden habe, andererseits mit einem Bruttomonatsgehalt ausreichend hoch bemessen.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 19. September 2008 und der Beklagten am 22. September 2008 zugestellt worden ist, haben beide Parteien Berufung eingelegt, der Kläger mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2007, eingegangen beim Hessischen Landesarbeitsgericht am selben Tag, und die Beklagte mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2008, eingegangen beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 17. Oktober 2008. Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 11. November 2008, der am selben Tag beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingegangen ist, begründet. Die Beklagte hat ihre Berufung – nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 22. Dezember 2008 – mit Schriftsatz vom 28. November 2008, eingegangen beim Hessischen Landesarbeitsgericht am 01. Dezember 2008, begründet.

Die Beklagte wiederholt und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie behauptet, dass der Kläger ausweislich seines Abschlusszeugnisses nicht die vorausgesetzten guten EDV-Kenntnisse habe. Das verzögere die Einarbeitung und sei wegen der Befristung der Stelle ein erheblicher Nachteil für die Beklagte. Bereits vor dem Erscheinen der Stellenanzeige habe für die Mitglieder des Kompetenzteams, welches die Vor- und Endauswahl vorgenommen habe, festgestanden, dass Erfahrungen im Einwohnerbereich ein wichtiges und zentrales Auswahlkriterium sei. Die Beklagte vertritt die Ansicht, dass eine Pflicht zur Begründung der Absage aufgrund der Erfüllung der Beschäftigungsquote nicht bestanden habe. Schon deshalb sei die Beklagte nicht mit der Geltendmachung sachlicher Gründe für die Ablehnung des Klägers ausgeschlossen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 21. August 2008 – 12 Ca 215/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

1. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 21. August 2008 – 12 Ca 215/08 – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 5.952,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16. Mai 2008 zu zahlen.

Der Kläger hält die Bemessung der Entschädigung für zu gering. Die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten und die Erlangung einer Arbeitsstelle könne sich nicht mindernd auf die Entschädigung auswirken. Aufgrund der Schwere des Verstoßes durch Verletzung von zwei Pflichten, der schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers, des Ausmaßes des Verschuldens und der fehlenden Einsicht der Beklagten erscheine eine Entschädigung von 3 Bruttomonatsgehältern angemessen. Im Übrigen verteidigt er das Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens

Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung des Klägers.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze sowie auf die Niederschrift über die Berufungsverhandlung am 28. August 2009 (Bl. 191 f. d. A.) Bezug genommen.

Gründe

A. Die Berufungen der Parteien sind zulässig. Sie sind gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, 2 b ArbGG nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthaft. Ferner sind sie gemäß §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet worden.

B. Die Berufungen beider Parteien sind unbegründet. Die Klage ist zulässig und in dem Umfang, in dem das Arbeitsgericht Darmstadt ihr stattgegeben hat, begründet. Ein höherer Entschädigungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.

I. Die Klage ist zulässig. Nachdem der Kläger im ersten Rechtszug einen – zulässigen – unbezifferten Zahlungsantrag gestellt hatte, hat er im Berufungsrechtszug den Antrag beziffert. Darin liegt keine Klageänderung (§ 264 Nr. 2 ZPO). Mit seiner Berufung begehrt der Kläger die Zahlung einer Entschädigung von insgesamt 5.952 Euro und damit die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils dahingehend, dass die Beklagte zur Zahlung von weiteren 3.968 Euro verurteilt wird.

II. Die Klage ist in dem Umfang, in dem das Arbeitsgericht ihr stattgegeben hat, begründet. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Diesen hat das Arbeitsgericht in angemessener Höhe mit dem Betrag von 1.984 Euro, der etwa einem Bruttomonatsgehalt entspricht, festgesetzt.

1. Dem Kläger steht nach § 15 Abs. 2 AGG ein Entschädigungsanspruch zu, den er fristgerecht geltend gemacht hat.

a) Der Kläger hat die für Entschädigung einzuhaltenden Ausschlussfristen der §§ 15 Abs. 4, 61 b Abs. 1 ArbGG beachtet.

aa) Nach § 15 Abs. 4 AGG muss der Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden. Der Fristbeginn ist im Falle der Bewerbung der Zugang der Absage. Nach § 61 b Abs. 1 ArbGG muss eine Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden.

bb) Diese Fristen sind eingehalten. Nachdem die Beklagte die Bewerbung des Klägers mit Schreiben vom 12. März 2008 abschlägig beschieden hatte, hat der Kläger mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 19. März 2008 den auf § 15 Abs. 2 AGG gestützten Entschädigungsanspruch geltend gemacht. Unschädlich ist das Fehlen eines bezifferten Entschädigungsanspruch im Geltendmachungsschreiben (BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 43, NZA 2009, 729; BAG 16. September 2008 – 9 AZR 791/07 –, Rn. 62, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, Rn. 16, BAGE 119, 262 = AP SGB IX § 81 Nr. 13 = EzA SGB IX § 81 Nr. 14; BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 –, BAGE 113, 361 = AP SGB IX § 81 Nr. 7 = EzA SGB IX § 81 Nr. 6 zu B III der Gründe). Wie sich aus dem Antwortschreiben der Versicherung der Beklagten vom 16. April 2008 ergibt, ist die schriftliche Geltendmachung der Beklagten innerhalb von zwei Monaten nach der Absage zugegangen. Die Klage ist am 05. Mai 2008 eingereicht und der Beklagten am 15. Mai 2008 zugestellt und damit innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung erhoben worden.

b) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 AGG sind erfüllt. Der Kläger ist als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG Beschäftigter im Sinne der Norm. Er ist unstreitig schwerbehindert im Sinne des SGB IX und damit behindert im Sinne des AGG. Nach dem Vorbringen der Parteien ist davon auszugehen, dass die Beklagte den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt hat. Die Entschädigungsklage ist nicht rechtsmissbräuchlich.

aa) Die Beklagte hat den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt hat. Die durch die Verletzung der Pflicht nach § 82 Satz 2 SGB IX begründete Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung hat die Beklagte nicht entkräftet.

(1) Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes – und damit u. a. wegen ihrer Behinderung – benachteiligt werden. Das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter regelt zudem § 81 Abs. 2 SGB IX. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen der Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln muss der schwerbehinderte Bewerber, der eine Entschädigungszahlung wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot geltend macht, darlegen, dass er beim Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren wegen seiner Behinderung benachteiligt worden ist. Seiner Darlegungs- und Beweispflicht genügt der schwerbehinderte Bewerber nach § 22 AGG, wenn er im Streitfall Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Solche Indiztatsachen, die eine Benachteiligung wegen des u. a. in § 1 AGG genannten Grunds der Behinderung eines Menschen vermuten lassen, können auch Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften des §§ 81 Abs. 1, 82 SGB IX sein. Das Gericht muss die Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen der Behinderung und dem Nachteil gewinnen (BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 –, Rn. 35, a. a. O.; BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03BAGE 109, 265 = AP BGB § 611 a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611 a Nr. 3; Düwell, BB 2006, 1741, 1743; Grobys NZA 2006, 898, 900; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 645 f.). In diesem Fall trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Hierzu hat sie Umstände darzulegen, welche den Schluss zulassen, dass die Behinderung in dem Motivbündel, das die Entscheidung beeinflusst hat, nicht als negatives Merkmal enthalten ist (BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 43, a. a. O.; BAG 16. September 2008 – 9 AZR 791/07 –, Rn. 62, a. a. O.; BVerfG 16. November 1993, 1 BvR 258/86BVerfGE 89, 276).

(2) Nach diesen Grundsätzen ist von einer Benachteiligung wegen Behinderung auszugehen. Die Beklagte hat entgegen ihrer Verpflichtung aus § 82 Satz 2 SGB IX den Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Das begründet die Vermutung, dass die Beklagte den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt hat. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht entkräftet.

(a) Die Beklagte hat die Pflicht, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), verletzt. Eine Verletzung der Pflichten nach § 81 Abs. 1 Satz 8 und 9 SGB IX ist hingegen nicht festzustellen.

(aa) Die Beklagte hat die Pflicht, den schwerbehinderten Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), verletzt.

(aaa) Die Verletzung der Pflicht, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), ist geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung zu begründen (BAG 12. September 2006 – 9 AZR 791/07 –, Rn. 23, a. a. O.).

Nach § 82 Satz 2 SGB IX haben öffentliche Arbeitgeber, zu denen die Beklagte als Gebietskörperschaft zählt (§ 71 Abs. 3 Nr. 3 SGB IX), sich bewerbende schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht besteht nur dann nicht, wenn dem schwerbehinderten Menschen die fachliche Eignung offensichtlich fehlt (§ 82 Satz 3 SGB IX). Ein schwerbehinderter Bewerber muss bei einem öffentlichen Arbeitgeber die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Selbst wenn sich der öffentliche Arbeitgeber aufgrund der Bewerbungsunterlagen schon die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl kommt, muss er den Bewerber nach dem Gesetzesziel einladen. Der schwerbehinderte Bewerber soll den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können. Wird ihm diese Möglichkeit genommen, liegt darin eine weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen nichtbehinderten Bewerber für erforderlich hält. Der zugleich damit verbundene Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren stellt sich als eine Benachteiligung dar, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung steht (BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, Rn. 24, a. a. O.; BAG 16. September 2008 – 9 AZR 791/05 –, Rn. 44, a. a. O.).

Ob ein Bewerber offensichtlich nicht die notwendige fachliche Eignung hat, ist anhand eines Vergleichs des für die zu besetzende Stelle bestehenden Anforderungs- mit dem Leistungsprofil des behinderten Bewerbers zu ermitteln. Die fachliche Eignung fehlt, wenn der Bewerber über die für die zu besetzende Stelle bestehenden Ausbildungs- oder Prüfungsvoraussetzungen oder sonstige Voraussetzungen, wie z. B. die nach der Stelle geforderten ausreichenden praktischen Erfahrungen nicht verfügt (vgl. BAG vom 16. September 2008 – 9 AZR 791/07 –, Rn. 45, 48, a. a. O.; BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, Rn. 25, a. a. O.; Neumann in Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 10. Aufl, § 82 Rn 6). Im Hinblick auf das geforderte Anforderungsprofil ist der öffentliche Arbeitgeber gehalten, dieses ausschließlich nach objektiven Kriterien, d. h. unter Berücksichtigung der Anforderungen der auszuübenden Tätigkeit, festzulegen. Ansonsten würde der Arbeitgeber des Öffentlichen Dienstes das durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährleistete Recht auf Zugang zu einem öffentlichen Amt einschränken, ohne dass dies durch Gründe in der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung des Bewerbers gerechtfertigt wäre. Daher ist es unzulässig, einen für die Art der auszuübenden Tätigkeit nicht erforderlichen Ausbildungsabschluss zu verlangen (BAG vom 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, Rn. 31 – 33, a. a. O.; BAG 16. September 2008 – 9 AZR 791/07, Rn. 48, a. a. O.). Gleiches muss in Bezug auf geforderte praktische Fähigkeiten und Kenntnisse gelten, sofern sie für die auszuübende Tätigkeit nicht notwendig sind. Zwar muss der schwerbehinderte Bewerber bei der angestrebten Einstellung nicht bereits alle geforderten Kenntnisse und Erfahrungen besitzen, um sofort den Arbeitsplatz ausfüllen zu können. Allerdings muss der Stellenbewerber in der Lage sein, sich fehlende Kenntnisse und Erfahrungen in einer zumutbaren Einarbeitungszeit anzueignen. Dies kann in der Regel nicht angenommen werden, wenn er über überhaupt keine praktischen Berufserfahrungen verfügt und das nach den Anforderungen der ausgeübten Tätigkeit ein zulässiges Kriterium im Anforderungsprofil der Stelle ist.

(bbb) Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze bestand eine Pflicht, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dem Kläger fehlte nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle.

Nach der Stellenausschreibung ist eine abgeschlossene Ausbildung als Verwaltungsfachangestellter oder eine vergleichbare Verwaltungsausbildung vorausgesetzt. Die Qualifikation hat der Kläger im Rahmen seiner Umschulung erworben.

Des Weiteren sind nach der Stellenausschreibung gute EDV-Kenntnisse erforderlich. Dass der Kläger EDV-Kenntnisse hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass die EDV-Kenntnisse ausweislich des Abschlusszeugnisses des Kläger mit "befriedigend" bewertet worden sind. Das stellt die grundsätzliche Eignung des Klägers für die Stelle nicht in Frage. Aufgrund der Unterschiedlichkeit von Bewertungen belegt die Note im Abschlusszeugnis schon nicht, dass die EDV-Kenntnisse des Klägers nicht "gut" im Sinne der Stellenausschreibung sind. Jedenfalls kann auf diese Bewertung nicht die Annahme gestützt werden, der Kläger sei offensichtlich nicht geeignet. Selbst wenn der Kläger nicht alle geforderten EDV-Kenntnisse besessen hätte, um sofort den Arbeitsplatz ausfüllen zu können, kann das nicht die Annahme einer fehlenden Eignung rechtfertigen. Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen wäre, sich fehlende Kenntnisse und Erfahrungen in einer zumutbaren Einarbeitungszeit anzueignen.

Die Beklagte kann sich nicht darauf berufen, der Kläger habe keine Erfahrungen im Einwohnerwesen und in der Kommunalverwaltung aufweisen können. Sie hat das Anforderungsprofil in der Stellenausschreibung dokumentiert. Nach der Stellenausschreibung waren die Erfahrungen nicht vorausgesetzt, sondern nur "von Vorteil". An dem Wortlaut der Stellenausschreibung muss sich die Beklagte festhalten lassen. Sie hat insbesondere nicht substantiiert dargelegt, ein anderes Anforderungsprofil vor Durchführung des Stellenbesetzungsverfahrens festgelegt und dokumentiert zu haben. Ihre Behauptung, bereits vor dem Erscheinen der Stellenanzeige habe für die Mitglieder des Kompetenzteams, welches die Vor- und Endauswahl vorgenommen habe, festgestanden, dass Erfahrungen im Einwohnerbereich ein wichtiges und zentrales Auswahlkriterium seien, ist schon hinsichtlich des Vorliegen einer Entscheidung zur Änderung des Stellenprofils unsubstantiiert. Sie enthält zudem keine Behauptung zur Dokumentation. Da die Erfahrungen im Einwohnerwesen keine zwingende Einstellungsvoraussetzung war, kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob diese Anforderung für die auszuübende Tätigkeit notwendig war.

Die Beklagte hat schließlich nicht behauptet, dass dem Kläger eine der anderen Einstellungsvoraussetzungen fehlte.

(bb) Der Kläger kann sich zur Darlegung eines Verfahrensfehlers, der die Vermutung einer Benachteiligung indiziert, dagegen nicht auf den Umstand berufen, dass die Beklagte ihn nicht angehört und ihm im Ablehnungsschreiben oder unverzüglich danach nicht die Gründe für die von ihm getroffen Entscheidung mitgeteilt hat.

(aaa) Die Regelungen zur Anhörung und Unterrichtung in § 81 Abs. 1 Satz 8 und 9 SGB IX beziehen sich – was sowohl aus ihrem Wortlaut als auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt – nur auf den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX und betreffen damit nur Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 95 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist. Denn nur dann kommt es nach dieser Regelung zu einer Erörterung mit den Vertretungen unter Darlegung der Gründe, bei der der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört wird(BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – a. a. O., zu B IV 1 b bb (2) der Gründe; offen gelassen in BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 59, a. a. O.).

Vorliegend bestand aufgrund des Umstands, dass die Beklagte bereits die Beschäftigungsquote erfüllte, keine Veranlassung zur Durchführung des Erörterungsverfahrens und damit auch nicht zu einer Anhörung und zur Unterrichtung über Darlegung der Gründe der Entscheidung.

(bbb) Selbst wenn man davon ausginge, dass die Unterrichtungspflicht in jedem Fall – also unabhängig von dem Verfahren nach § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX – bestände, lässt die fehlende Begründung der Ablehnung nicht auf eine Benachteiligung wegen Behinderung schließen. Die Beklagte hat den Kläger zwar nicht über die Gründe der Entscheidung unterrichtet. Es ist aber zu berücksichtigen, dass das Verhalten der Beklagten insoweit mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Einklang steht. In der Entscheidung vom 15. Februar 2005 (BAG 15. Februar 2005 – 9 AZR 635/03 – a. a. O., zu B IV 1 b bb (2) der Gründe) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Regelung des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX sich auf den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX bezieht und damit nur Fälle betrifft, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt. Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht bisher nicht aufgegeben(die Frage ist offen gelassen in BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 59, a. a. O).

(b) Aufgrund der Verletzung der Pflicht, den schwerbehinderten Bewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen (§ 82 Satz 2 SGB IX), ist die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung begründet.

Die Verletzung dieser Pflicht ist grundsätzlich geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung zu begründen (BAG 12. September 2006 – 9 AZR 791/07 –, Rn. 23, a. a. O.). Entgegen der Ansicht der Beklagten bedarf es nicht stets des Vorliegens von mindestens zwei Indiztatsachen bzw. Verfahrensverstößen, um die Vermutung einer Benachteiligung anzunehmen zu können. Die Beurteilung, ob von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit einer Benachteiligung auszugehen ist, ist vielmehr eine Frage des Einzelfalls, die nicht schematisch vorzunehmen ist(Schleusener/Suckow/Voigt AGG § 22 Rn. 27). Etwas anderes folgt auch nicht der Verwendung der Pluralform "Indizien" in § 22 AGG. Das BAG hatte zuvor in seiner Rechtsprechung zu § 611 a BGB a. F. die Begriffe "Hilfstatsachen" und "Indizien" verwendet und auch das Vorliegen eines Indizes für die Vermutung einer Diskriminierung ausreichen lassen (vgl. BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03BAGE 109, 265 = AP BGB § 611 a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611 a Nr. 3 zu II 2 b bb (2) der Gründe). Eine inhaltliche Änderung hat sich durch die Verwendung des Begriffs Indizien in § 22 AGG nicht ergeben(Schleusener/Suckow/Voigt AGG § 22 Rn. 26). Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an.

Der Verstoß gegen die Pflicht aus § 82 Satz 2 SGB IX begründet im vorliegenden Fall die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Das gilt insbesondere deshalb, weil diese Verfahrensvorschrift eine zentrale Rolle für die Chancen des schwerbehinderten Bewerbers spielt. Der schwerbehinderte Bewerber soll den Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von seiner Eignung überzeugen können.

Der Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und Nachteil steht weder die Erfüllung der Schwerbehindertenquote noch die Einhaltung der Verfahrensvorschrift nach § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entgegen. Da die Feststellung einer Behinderung vielfach im Laufe eines Arbeitsverhältnisses erfolgt, besagt allein die Erfüllung der Beschäftigungsquote nicht, dass die Beklagte eine Behinderung in einem Bewerbungsverfahren nicht negativ berücksichtigt. Die Meldung einer freien Stelle an die Agentur für Arbeit hat für die Berücksichtigung einer Schwerbehinderung bei Bewerbungen keinen Aussagewert.

(c) Die Beklagte hat die Vermutung einer Benachteiligung des Klägers wegen Behinderung nicht entkräftet.

(aa) Die Beklagte kann sich auf alle geeigneten objektiven Tatsachen berufen, um eine Benachteiligungsvermutung zu widerlegen. Daran ist sie nicht dadurch gehindert, dass sie ihre Ablehnung nicht begründet hat (BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 52, a. a. O.). Allerdings sind die Besonderheiten des Bewerbungsverfahrens für ein öffentliches Amt im Sinne von Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Aus Art. 19 Abs. 4 GG folgt, dass der öffentliche Arbeitgeber das Anforderungsprofil und auch die Auswahlentscheidung so schriftlich dokumentieren muss, dass die Auswahlentscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG überprüft werden kann. Der öffentliche Arbeitgeber kann sich nur auf dokumentierte Auswahlgründe stützen. Im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens ist zwar die Ergänzung, nicht aber die Nachholung der Dokumentation zulässig (BAG 18. November 2008 – 9 AZR 643/07 –, Rn. 49, 58, a. a. O.; BVerfG 9. Juli 2007 – 2 BvR 206/07ZTR 2007, 707).

(bb) Die Beklagte hat zwar behauptet, dass die Schwerbehinderung des Klägers bei der Auswahlentscheidung keine Rolle gespielt habe und dass sie die Entscheidung nach den Grundsätzen der Bestenauslese allein anhand der Qualifikationsmerkmale, zu denen die Erfahrungen im Einwohnerwesen bzw. der Kommunalverwaltung und der EDV-Kenntnisse gezählt hätte, getroffen habe. Dieser Vortrag ist jedoch unerheblich, da die Beklagte sich damit nicht auf eine dokumentierte Auswahlentscheidung stützt. Die Beklagte hat eine schriftliche Dokumentation der Auswahlgründe nicht behauptet. Der Prozessbevollmächtigte hat auf Frage in der mündlichen Verhandlung angegeben, nicht zu wissen, ob es eine dokumentierte Auswahlentscheidung gebe.

bb) Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klage nicht rechtsmissbräuchlich.

(a) Einer Entschädigungsklage kann der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen gehalten werden, wenn die Bewerbung nicht subjektiv ernsthaft, sondern nur zum Zweck des Erwerbs von Entschädigungsansprüchen erfolgt ist (Däubler/Bertzbach-Deinert AGG § 15 Rn. 53; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 15 Rn. 10; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 529; Schleusener/Suckow/Voigt AGG § 15 Rn. 33; LAG Schleswig-Holstein 29. Januar 2009 – 4 Sa 346/08, zitiert nach Juris; LAG Rheinland-Pfalz 10. Januar 2008 – 6 Sa 522/07 –, zitiert nach Juris; vgl. auch BAG 12. November 1998 – 8 AZR 365/97 – AP BGB § 611 a Nr. 18). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs ist ein anerkannter Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (EuGH 9. März 1999 – Rs. C-212/97 (Centros) – EuZW 1999, 216, Rn. 24). Ob ein Fall des Rechtsmissbrauchs vorliegt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.

(b) Vorliegend besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger sich nicht subjektiv ernsthaft beworben hat. Der Kläger ist – wie oben dargelegt – für die Stelle nicht objektiv ungeeignet. In seiner auf die Stellenausschreibung zugeschnittenen Bewerbung schildert der Kläger seine Situation und hebt seine für die ausgeschriebene Position wesentlichen Qualifikationen hervor. Da der Kläger aufgrund der Kündigung seines früheren Arbeitgebers mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes rechnen musste, spricht die Zahl von 120 Bewerbungen innerhalb von zwei Jahren nicht gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbung. Der Kläger hat nach Abschluss seiner Umschulung mit der Bewerbungstätigkeit begonnen. Zu diesem Zeitpunkt musste er damit rechnen, dass er seinen bisherigen Arbeitsplatz als Krankenpfleger wegen fehlender Einsetzbarkeit verlieren und nicht so schnell einen neuen Arbeitsplatz finden würde. Die Erwägung, dass der Arbeitsplatzwechsel nach Abschluss der Umschulung möglichst rasch, ggfs. auch auf eine Teilzeitstelle, erfolgen sollte, um die erlernten Fähigkeiten bald einzusetzen, Berufserfahrungen zu sammeln und "den Fuß in die Tür zu bekommen", ist nachvollziehbar. Dass der Kläger sich in einem Fall auf eine Stelle beworben hat, für die er nach dem Vortrag der Parteien im Prozess nicht geeignet war, spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen. Das Gleiche gilt für die Bewerbung des Klägers auf eine Teilzeitstelle, die bis zu 50 km von seinem Wohnort entfernt war. Bewerbungen in einem größeren Radius um den Wohnort sind üblich und werden von der Agentur für Arbeit gefordert. Es spricht vielmehr für die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen, dass der Kläger seine Bewerbungen auf das Rhein-Main-Gebiet beschränkt hat und seine Bewerbungstätigkeit eingestellt hat, als er eine neue Stelle gefunden hat. Das wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger bald nach Abschluss des Aufhebungsvertrags mit seinem früheren Arbeitgeber eine neue Stelle gefunden hat. Gegen die Ernsthaftigkeit spricht schließlich nicht die Zahl der vom Kläger erhobenen Entschädigungsklagen. Es kann dem Kläger nicht verwehrt werden, Entschädigungsklagen zu erheben, wenn zahlreiche potentielle Arbeitgeber ihre Pflichten nach dem SGB IX verletzen. Neben dem Schadensausgleich verfolgt das Gesetz auch eine generalpräventive Zielsetzung (LAG Schleswig-Holstein 9. Dezember 2008 – 5 Sa 286/98 –, Rn. 42, zitiert nach Juris).

2. Eine Entschädigung von einem Bruttomonatsgehalt ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen.

a) Nach § 15 Abs. 2 AGG muss die Entschädigung angemessen sein. Das bestimmt sich nach Art und Schwere der Benachteiligung, der Dauer und ihren Folgen, dem Anlass und dem Beweggrund des Handelns, dem Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und dem Vorliegen eines Wiederholungsfalls(BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 –, Rn. 82, EzA-SD 2009, Nr. 18, 7 – 12; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 15 Rn. 39 ff.; Däubler/Bertzbach-Deinert 2. Aufl. § 15 Rn. 66 ff.; HWK/Annuß/Rupp 3. Aufl. § 15 AGG Rn. 8). Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen. Die Entschädigung muss geeignet sein, eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben, und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen(so auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 16/1760 S. 38; vgl. auch BAG 5. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 – zu § 611 a BGB, BAGE 109, 265 = AP BGB § 611 a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611 a Nr. 3; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 36; Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 15 Rn. 51; Wendeling-Schröder/Stein AGG § 15 Rn. 39). Es ist zu berücksichtigen, ob der Kläger bei der Zugrundelegung der Grundsätze der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 hätte eingestellt werden müssen (BAG 12. September 2006 – 9 AZR 807/05 –, Rn. 46 f., a. a. O.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Entschädigung von einem Bruttomonatsgehalt angemessen. Dabei sind zunächst die Zahl und die Art der Verstöße zu berücksichtigen. Die Beklagte hat gegen die Pflicht, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, verstoßen. Dadurch hat sie dem Kläger trotz seiner offensichtlichen Eignung die Gelegenheit genommen, seine Fähigkeiten in einem Bewerbungsgespräch darzulegen. Es ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht eingestellt worden wäre, da eine besser qualifizierte Bewerberin mit Erfahrungen im Einwohnerwesen eingestellt worden ist. Da es um die Entschädigung den immateriellen Schaden ausgleichen soll, ist es für die Bemessung des Entschädigungsanspruchs nicht von Bedeutung, dass der Kläger inzwischen eine Stelle gefunden hat. Dagegen ist bei der Bemessung der Entschädigung zugunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass sie die Verfahrensvorschrift des § 81 Abs. 1 Satz 2 SGB IX eingehalten hat und die Beschäftigungspflicht erfüllt. Schließlich ist zu beachten, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beklagte in der Vergangenheit schon gegen Diskriminierungsverbote verletzt hat. Angesichts dessen erscheint eine Entschädigung von einem Bruttomonatsgehalt als ausreichend, auch im Hinblick auf die abschreckende Wirkung für die Zukunft.

C. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92 ZPO.

Für die Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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