Hessischer VGH, Beschluss vom 30.04.2009 - 7 B 675/09
Fundstelle
openJur 2012, 31632
  • Rkr:

1. Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 769 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist die Beschwerde nicht statthaft.

2. Der Rechtsmittelausschluss analog § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt auch für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen nach § 769 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Tenor

Die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluss desVerwaltungsgerichts Gießen vom 12. Februar 2009 - 10 L 4644/08.GI -wird als unzulässig verworfen.

Die Schuldnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zutragen.

Gründe

I.

Die Schuldnerin begehrt eine einstweilige Anordnung, nach der die Vollstreckung des Gläubigers aus einem gerichtlichen Vergleich bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die von der Schuldnerin erhobene Vollstreckungsgegenklage einzustellen ist.

Die Schuldnerin und der Gläubiger schlossen in dem unter der Geschäftsnummer 10 E 1381/01 beim Verwaltungsgericht Gießen geführten Verwaltungsstreitverfahren am 26. Mai 2003 einen gerichtlichen Vergleich. Zentraler Gegenstand dieses Vergleichs ist die Verpflichtung der Schuldnerin, auf ihrem Grundstück in Marburg einen Sanierungsbrunnen zu errichten und unter begleitender gutachterlicher Kontrolle Grundwasser zu reinigen, das mit leichtflüchtigen halogenierten Kohlenwasserstoffen (LHKW) kontaminiert ist.

In Nr. 7 des gerichtlichen Vergleichs vom 26. Mai 2003 sind folgende Regelungen zur Dauer der von der Schuldnerin vorzunehmenden Sanierungsmaßnahmen getroffen:

"7. Das mit LHKW kontaminierte Grundwasser ist mit dem Sanierungsbrunnen mindestens sechs Monate, jedoch nur solange abzupumpen und zu reinigen, bis in dem abgepumpten Grundwasser die LHKW-Konzentration entweder a) mehr als drei Monate eine Konzentration von 10 µg pro Liter je Einzelparameter nicht überschreite oder b) dauerhaft, d.h. über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg, trotz ordnungsgemäßer Reinigung des Wassers im entnommenen Grundwasser keine deutlich abnehmende Schadstoffkonzentration mehr zu verzeichnen ist und die Gesamtkonzentration insgesamt 75 µg Summe LHKW je Liter nicht überschreitet oder c) der für einen 12-Monats-Zeitraum festgestellte Mittelwert der Gesamtschadstoffkonzentration bei optimaler Fördermenge den entsprechenden Mittelwert für den vorausgegangenen 12-Monats-Zeitraum nicht um mehr als 15 % unterschreitet. Der erste 12-Monats-Zeitraum beginnt mit der Aufnahme des Sanierungsbetriebes. Zur Feststellung des Mittelwertes der Gesamtschadschadstoffkonzentration ist das Grundwasser in jedem Monat des 12-Monats-Zeitraums auf die jeweils in Ziffer 3 genannten LHKW-Einzelparameter durch den Gutachter zu analysieren."

Im Oktober 2004 begann die Schuldnerin den kontinuierlichen Sanierungsbetrieb, nachdem Untersuchungen der MikroChemGmbH eine LHKW-Belastung des Grundwassers von mehr als 900 µg pro Liter ergeben hatten. Im 12-Monats-Zeitraum von Oktober 2004 bis einschließlich September 2005 betrug der Mittelwert der LHKW-Konzentration 926 µg pro Liter, im anschließenden 12-Monats-Zeitraum 969 µg pro Liter. Ende Januar 2007 stellte die Schuldnerin den Sanierungsbetrieb ein. Die Sanierungsanlage baute die Schuldnerin Mitte des Jahres 2008 ab.

Der über die Einstellung des Sanierungsbetriebs mit Schreiben der Schuldnerin vom 20. Februar 2007 unterrichtete Gläubiger forderte die Schuldnerin mit Schreiben vom 25. September 2008 zur Fortsetzung der Sanierung auf. Nachdem die Schuldnerin dies ablehnte, beantragte der Gläubiger mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 beim Präsidenten des Verwaltungsgerichts Gießen in dessen Eigenschaft als Vorsitzender der 10. Kammer, der Schuldnerin ein Zwangsgeld anzudrohen. Mit Beschluss vom 11. Februar 2009 - 10 N 4568/08.GI - wurde der Schuldnerin ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 € angedroht. Dieser Beschluss ist Gegenstand des beim Hessischen Verwaltungsgerichtshofs unter dem Aktenzeichen 7 E 790/09 geführten Beschwerdeverfahrens.

Am 29. Dezember 2008 hat die Schuldnerin beim Verwaltungsgericht Gießen Vollstreckungsgegenklage erhoben (Geschäfts-Nr.: 10 K 4645/08.GI), über die noch nicht entschieden ist. Zugleich hat die Schuldnerin die vorläufige Einstellung der Vollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 26. Mai 2003 beantragt.

Das Verwaltungsgericht Gießen hat diesen Antrag mit Beschluss vom 12. Februar 2009 - 10 L 4644/08.GI - abgelehnt. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass nach dem Sach- und Streitstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung nicht davon auszugehen sei, dass der Schuldnerin rechtshindernde oder -vernichtende Einwendungen gegen ihre Verpflichtung aus dem Vergleich zustünden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts Gießen Bezug genommen.

Am 2. März 2009 hat die Schuldnerin Beschwerde gegen den ihr am 16. Februar 2009 zugestellten Beschluss vom 12. Februar 2009 erhoben, der das Verwaltungsgericht Gießen mit Beschluss vom 3. März 2009 nicht abgeholfen hat.

Die Schuldnerin vertritt die Auffassung, ihre im Vergleich titulierte Sanierungsverpflichtung sei erloschen, da der Tatbestand der Nr. 7 c) des gerichtlichen Vergleichs erfüllt sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung der Schuldnerin vom 2. März 2009 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde, über die der Berichterstatter analog § 87a Abs. 2 und 3 VwGO im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann, bleibt ohne Erfolg.

Die Beschwerde, die die verwaltungsgerichtliche Ablehnung eines nach §§ 167 Abs. 1 Satz 1, 168 Abs. 1 Nr. 3 VwGO, §§ 795 Satz 1, 769 ZPO statthaften Antrags auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung aus einem Prozessvergleich betrifft, ist aufgrund einer Analogie zu § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO, die auch im Verwaltungsprozess Geltung beansprucht, unstatthaft und damit bereits unzulässig.

Für den Zivilprozess wird der Rechtsmittelausschluss analog § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO gegen Entscheidungen des Prozessgerichts, die vorläufigen Rechtsschutz nach § 769 Abs. 1 ZPO gewähren oder ablehnen, daraus hergeleitet, dass bei Entscheidungen nach § 769 Abs. 1 ZPO eine vergleichbare Interessenlage besteht wie bei Entscheidungen nach § 707 ZPO und § 719 ZPO, für die der Rechtsmittelausschluss ausdrücklich angeordnet ist. In sämtlichen Fällen geht es um eine einstweilige Einstellung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung aus vollstreckbaren zivilgerichtlichen Titeln. Für Entscheidungen nach § 769 Abs. 1 ZPO gilt demgemäß in gleicher Weise wie für Entscheidungen nach §§ 707, 719 ZPO die - auch vom Gesetzgeber geteilte - Wertung, wonach die Entscheidung in der zugehörigen Hauptsache nicht durch die Einlegung von Rechtsmitteln im Nebenverfahren verzögert werden soll. Es entspricht überdies der Einschätzung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 10/3054 S. 14), dass das mit der Hauptsache befasste erstinstanzliche Gericht am besten beurteilen kann, ob und gegebenenfalls welche einstweilige Regelung nach § 769 Abs. 1 ZPO erforderlich ist. Hinzu tritt, dass vorläufige Entscheidungen sowohl nach §§ 707, 719 ZPO als auch nach § 769 Abs. 1 ZPO jeweils Ermessensentscheidungen sind, bei denen das Prozessgericht die Schutzbedürfnisse von Gläubiger und Schuldner gegeneinander abzuwägen hat und getroffene Entscheidungen frei abändern kann, um der jeweiligen Prozesslage gerecht zu werden (vgl. zu Vorstehendem: BGH, Beschlüsse vom 21. April 2004 - XII ZB 279/03 - BGHZ 159, 14 und vom 20. Dezember 2005 - VII ZB 52/05 - InVO 2006, 146; MünchKommZPO/Schmidt, 3. Aufl. 2007, § 769 Rdnr. 33; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 769 Rdnr. 17; jeweils m. w. N.).

Der Rechtsmittelausschluss analog § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO gilt auch für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen nach § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 769 Abs. 1 ZPO zur vorläufigen Einstellung bzw. Beschränkung der Vollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Titeln. § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO ordnet für die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel die entsprechende Geltung des Achten Buchs der Zivilprozessordnung an, soweit sich aus der Verwaltungsgerichtsordnung nichts anderes ergibt. Diese - aufgrund des fragmentarischen Charakters der §§ 167ff. VwGO für die Vollstreckung aus verwaltungsgerichtlichen Titeln bedeutsame - dynamische Verweisung auf die Zivilprozessordnung belegt, dass der Gesetzgeber deren ausführliche Regelungen zur Vollstreckung zivilgerichtlicher Titel im Grundsatz als auch auf die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel für anwendbar erachtet. Durch die Anordnung einer entsprechenden Geltung der zivilprozessualen Regelungen hat der Gesetzgeber zugleich sichergestellt, dass Besonderheiten des Verwaltungsprozesses bei der Anwendung der Vorschriften des Achten Buchs der Zivilprozessordnung zu berücksichtigen sind. Dies hat beispielsweise zur Folge, dass anstelle der sofortigen Beschwerde nach § 793 ZPO die Beschwerde nach §§ 146ff. VwGO tritt.

Vor dem Hintergrund dieses Regelungsgefüges folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht nur die entsprechende Geltung des § 769 Abs. 1 ZPO im Verwaltungsprozess, sondern auch die Unanfechtbarkeit verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen über Anträge auf einstweilige Anordnungen nach dieser Vorschrift. Die Argumente, die im Zivilprozess für einen auf eine Analogie zu § 707 Abs. 2 Satz 2 gestützten Rechtsmittelausschluss im Hinblick auf erstinstanzliche Entscheidungen über Anträge nach § 769 ZPO streiten, gelten in gleicher Weise im Verwaltungsprozess. Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, die im Fall verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen nach § 769 Abs. 1 ZPO der analogen Anwendung des § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO entgegen stehen und so eine Abweichung von der zivilprozessualen Rechtslage rechtfertigen, auf die § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO prinzipiell verweist, bestehen nicht. Der Zweck der effektiven Vollstreckung gerichtlicher Titel, der ohne Unterschied für zivil- und verwaltungsgerichtliche Titel gilt, legt es im Gegenteil nahe, im Geltungsbereich beider Verfahrensordnungen Entscheidungen über die einstweilige Beschränkung der zwangsweisen Durchsetzung vollstreckbarer gerichtlicher Titel bei der ersten Instanz zu monopolisieren.

Soweit in der Verwaltungsrechtsprechung, deren veröffentlichte Entscheidungen zu dieser Rechtsfrage allerdings - soweit ersichtlich - aus der Zeit vor Erlass des grundlegenden Beschlusses des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2004, a. a. O., stammen (vgl. insbesondere OVG Hamburg, Beschluss vom 12. März 1970 - OVG Bs 101/69 -, VerwRspr. 22, 127; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. Februar 1987 - 11 B 43/87 -, NJW 1987, 3029), demgegenüber die Beschwerde nach § 146 Abs. 1 VwGO für statthaft gehalten und die erstinstanzliche Entscheidung über einen Antrag nach § 769 Abs. 1 ZPO überprüft wird, folgt das Beschwerdegericht aus den dargelegten Gründen dieser Rechtsauffassung nicht. Zu diesen Gründen tritt hinzu, dass (auch) § 146 Abs. 1 VwGO die Beschwerde nur eröffnet, soweit nicht in der Verwaltungsgerichtsordnung etwas anderes bestimmt ist. Etwas anderes im Sinne des § 146 Abs. 1 VwGO wird hier dadurch bestimmt, dass § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO auf das Achte Buch der Zivilprozessordnung und damit auch auf den Rechtsmittelausschluss analog § 707 Abs. 2 Satz 2 ZPO verweist.

Soweit es um die Frage der vorläufigen Einstellung der Vollstreckung aus dem gerichtlichen Vergleich vom 26. Mai 2003 im Hinblick auf die von der Schuldnerin erhobene Vollstreckungsgegenklage geht, obliegt es sonach ausschließlich der Beurteilung des Verwaltungsgerichts, ob - wie der Gläubiger meint - der Erlöschenstatbestand der Nr. 7 c) des Vergleichs nur die Situation meint, in der der Mittelwert der Gesamtschadstoffkonzentration den des vorangegangenen Vergleichszeitraums unterschreitet, sich die Unterschreitung aber in einem Rahmen von 15 % bewegt, oder - wie es die Schuldnerin sieht - auch den Fall, dass der Mittelwert des vorangegangenen Vergleichszeitraums nicht unterschritten, sondern überschritten wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Eine Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG ist nicht veranlasst, da für diese Beschwerde in Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz eine Festgebühr von 50,00 € vorgesehen ist.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).