Hessisches LAG, Urteil vom 18.07.2006 - 1 Sa 361/06
Fundstelle
openJur 2012, 27718
  • Rkr:

§ 174 S. 1 BGB ist auch auf eine Kündigungserklärung nicht anwendbar, die ein Vorgesetzter auf Grund der ihm durch eine satzungsgemäß erlassene Geschäftsordnung eingeräumten Vertretungsmacht für eine Körperschaft des öffentlichen Rechts als Arbeitgeberin ausspricht (in Anschluss an BAG vom 18.01.1990 - 2 AZR 358/89 - AP Nr. 1 zu § 30 BGB).

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtsin Frankfurt am Main vom 18. Januar 2006 - 17 Ca 7024/05 - wird aufKosten des Berufungsführers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen verhaltensbedingten Kündigung des Beklagten gegenüber dem Kläger.

Der am ... April 1941 geborene Kläger ist unverheiratet und keinem Kind zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Er ist Diplom-Pädagoge mit gruppenanalytischer Zusatzausbildung (Zeugnisse Universität ... vom 17. März und 13. Oktober 1987, Bl. 114 - 117 d.A.). Aufgrund des Arbeitsvertrages vom 23. November 1987 war er seit dem 05. November 1987 bei dem Beklagten, zuletzt im Umfang von 78 v.H. eines in Vollzeit beschäftigten Angestellten, tätig. Bis zum 31. Dezember 2004 war er im Rahmen des „... Trennungstelefons„ der „B„ in der Beratung von Familien oder Paaren, seit dem 01. Januar 2005 im „C„ eingesetzt. Die Vergütung erfolgte zuletzt nach Vergütungsgruppe I b Bundes-Angestelltentarifvertrag und betrug € 3.723,50 brutto im Monat. Gegen Ende des Jahres 2004 beriet er in fünf Einzelterminen eine Frau K. Unter dem 23. Juni 2005 richtete er an diese ein Schreiben (Bl. 28 d.A.). Frau K. wandte sich daraufhin in einem Gespräch mit der stellvertretenden Fachbereichsleiterin des Fachbereichs III des Beklagten, zu dem das „C„ gehört, zu dem sie ein Schreiben ohne Datum, Anrede und Unterschrift (Bl. 25 - 27 d.A.), mitbrachte und der stellvertretenden Fachbereichsleiterin übergab,4 an den Beklagten. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat mit dem Stand Herbst 2004 einen Leitfaden über „Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie, Psychiatrie und psychologischer Beratung„ herausgegeben (Bl. 85 - 110 d.A.). In „Gemeinsamen ethischen Standards„ des Deutschen Arbeitskreises für Ehe-, Jugend- und Familienberatung, die am 31. Mai 2003 in Kraft getreten sind, heißt es u.a.:

„Beziehung zu den RatsuchendenDie Beziehung von Beraterinnen und Beratern zu den Ratsuchenden ist eine professionelle Beziehung. Beraterinnen und Berater sind daher für die Gestaltung dieser Beziehung verantwortlich. Aus fachlicher Sicht darf diese Beratungsbeziehung durch den Berater oder die Beraterin nicht für eigene private Zwecke ausgenutzt werden.

…Außerhalb der Beratung soll grundsätzlich eine persönliche über den üblichen Sozialkontakt hinausgehende Beziehung zwischen Beraterinnen und Beratern und Ratsuchenden vermieden werden. Die beschriebene Verantwortung aus der Beratungsbeziehung besteht auch nach Abschluss der Beratung fort.

…„ (Bl. 111 - 113 d.A.)Der Beklagte hat durch seinen Vorstand eine Geschäftsordnung für den Fachbereich III erlassen, die am 01. Januar 2004 in Kraft getreten ist. Diese lautet, soweit hier von Bedeutung, wie folgt:

„…§ 3 Leitung des Fachbereichs

(1) Die Leitung des Fachbereichs nimmt der/die vom Vorstand des D bestellte Leiter/Leiterin wahr.

…(3) Ihm/Ihr obliegen insbesondere … die Einstellung und Kündigung von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen …„ (Bl. 9 - 15 d.A.)

Die Geschäftsordnung vom 04. Oktober 2000, die am 05. Oktober 2000 in Kraft getreten war, enthielt insofern eine gleich lautende Regelung (Bl. 61 - 67 d.A.). Diese hatte der Fachbereich an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Post gegeben. In einer Antwort des Klägers vom 16. Oktober 2001 auf eine schriftliche Rüge der Leiterin der „B„ vom 10. Oktober 2001 (Bl. 79 d.A.) nahm der Kläger auf diese Geschäftsordnung Bezug (Bl. 80 u. 81 d.A.).

Der Beklagte hörte durch die Leiterin des Zentrums den Kläger am 20. Juli 2005 zu seinem Schreiben an. Nachdem Verhandlungen über den Abschluss eines Auflösungsvertrages am 21. Juli 2005 gescheitert waren, hörte der Beklagte mit Schreiben vom 22. Juli 2005, eingegangen an diesem Tag (Bl. 34 d.A.), die bei ihm gewählte Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung dem Kläger gegenüber an (Bl. 32 u. 33 d.A.). Mit einem von dem Leiter des Fachbereichs III, E , unterzeichneten Schreiben vom 27. Juli 2005, das dem Kläger am 28. Juli 2005 zuging, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit ihm mit sofortiger Wirkung (Bl. 4 d.A.). Diese Kündigung wies der Kläger durch Schreiben seiner nachmaligen Prozessbevollmächtigten vom 02. August 2005, dem Beklagten zugegangen am 05. August 2005, gem. § 174 BGB zurück, weil dem Schreiben eine Vollmacht für Herrn E nicht beigefügt war (Bl. 5 d.A.). Das Arbeitsverhältnis endete ohne Ausspruch einer Kündigung wegen Erreichens der Altersgrenze durch den Kläger mit dem 30. April 2006.

Der Kläger hat die außerordentliche Kündigung des Beklagten für unwirksam gehalten. Der Beklagte habe keine Vollmacht für Herrn E vorgelegt und ihn auch nicht anderweitig von dessen Vollmacht in Kenntnis gesetzt. Seine Kenntnis der einschlägigen Vorschrift der Geschäftsordnung ergebe sich auch nicht aus seinem Schreiben vom 16. Oktober 2001 und aus einem weiteren Schreiben aus dem Jahr 2003. Das Beteiligungsverfahren sei fehlerhaft, weil es nicht vom Fachbereichsleiter eingeleitet worden sei. Der Beklagte habe die 2-Wochen-Frist zum Ausspruch der Kündigung nicht eingehalten, weil davon auszugehen sei, dass sein Vorstand bereits zuvor Kenntnis von dem Schreiben der Frau K. gehabt habe. Das von dem Beklagten angeführte Abstinenzgebot habe für seine Arbeit nicht gegolten, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei für den Beklagten nicht unzumutbar gewesen.

Der Kläger hat unter Zurücknahme des angekündigten allgemeinen Feststellungsantrags zuletzt beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 27. Juli 2005 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt.

Er hat behauptet, die Tätigkeit des Klägers sei therapeutischer Art gewesen. Frau K. habe die stellvertretende Leiterin des Fachbereichs III am 14. Juli 2005 aufgesucht. Er ist der Ansicht gewesen, der Kläger habe durch das Schreiben vom 23. Juni 2005 gegen das für Therapeuten geltende Abstinenzverbot verstoßen, das einen Missbrauch des im Rahmen einer Therapie entstehenden Abhängigkeitsverhältnisses des Klienten zum Therapeuten verhindern solle. Dabei handele es sich um eine standesübliche ethische Verhaltensanforderung, deren Einhaltung zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers gehört habe und durch deren Missachtung er in schwerwiegender Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen habe. Wegen der Außenwirkung der Tätigkeit des Klägers für ihn, den Beklagten, sei ihm keine andere Wahl als eine fristlose Kündigung geblieben.

Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit einem am 18. Januar 2006 verkündeten, dem Beklagten am 09. Februar 2006 zugestellten Urteil - 17 Ca 7024/05 (Bl. 148 - 156 d.A.) - der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 24. Februar 2006 Berufung eingelegt und diese am Montag, dem 10. April 2006, begründet. Der Beklagte wendet sich gegen die von dem Arbeitsgericht vertretene Ansicht zum Erfordernis der Vorlage der schriftlichen Vollmacht (Bl. 170 - 173 d.A.).

Er beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Januar 2006 - 17 Ca 7024/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bittet darum, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen, indem er das angefochtene Urteil verteidigt (Bl. 180 - 182 d.A.).

Zu dem Inhalt des angefochtenen Urteils und der genannten Schriftstücke im Übrigen und im Einzelnen wird auf die angegebenen Blätter der Akte Bezug genommen.

Gründe

I.

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 18. Januar 2006 - 17 Ca 7024/05 - ist gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. c ArbGG als Berufung in einem Rechtsstreit über die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Abs. 1, 3 und 5 ZPO.

II.

In der Sache kann sie keinen Erfolg haben, weil sie unbegründet ist. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, weil sie in dem zuletzt verfolgten Umfang begründet ist. Das Berufungsgericht folgt letztlich dem angefochtenen Urteil, wenn auch aus anderen Erwägungen.

Die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 27. Juli 2005 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit ihrem Zugang bei dem Kläger am 28. Juli 2005 gem. § 130 Abs. 1 BGB mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Diese Rechtsfolge ergibt sich allerdings nicht aus der Anwendung des § 174 S. 1 BGB, sondern daraus, dass der Beklagte keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien hatte, § 626 Abs. 1 BGB.

1. Entgegen der von dem Kläger und ihm folgend dem Arbeitsgericht vertretenen Ansicht hat die Zurückweisung der Kündigungserklärung des Leiters des Fachbereichs III des Beklagten, E , durch den Kläger gem. § 174 S. 1 BGB wegen nicht vorgelegter Vollmachtsurkunde nicht die Wirkung, dass die von dem Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung unwirksam wäre. Auf den umfangreichen Streit der Beklagten darüber, ob der Beklagte den Kläger im Sinn des § 174 S. 2 BGB von der Vertretungsmacht des Leiters des Fachbereichs III in Bezug auf den Ausspruch von Kündigungen von Arbeitsverhältnissen in Kenntnis gesetzt hat, kommt es nicht an.

Das Arbeitsgericht wie die Parteien haben übersehen, dass § 174 BGB, wie sich aus dem Zusammenhang mit §§ 167 und 172 BGB ergibt, nur für rechtsgeschäftlich erteilte Vollmachten gilt, nicht für gesetzliche oder ihnen gleich zu stellende Vertreter, die nicht Bevollmächtigte, sondern zusätzliche Organe der juristischen Person sind. Das sind auch solche, denen durch oder aufgrund der Satzung die Vertretung bei allen Rechtsgeschäften übertragen ist, die der ihnen zugewiesene Rechtskreis gewöhnlich mit sich bringt, wie das Bundesarbeitsgericht hinsichtlich des besonderen satzungsmäßigen Vertreters eines privatrechtlichen, eingetragenen Vereins gem. § 30 BGB entschieden hat (BAG, Urteil vom 18. Januar 1990 - 2 AZR 358/89 - NZA 1990, 520, 521). Bei solchen Vertretern besteht die Möglichkeit der Unklarheit bezüglich des Vorliegens oder des Umfangs ihrer Vertretungsmacht, wie sie bei einer rechtsgeschäftlich erteilten Vollmacht entstehen können, nicht. Der Bundesgerichtshof hat § 30 BGB sogar auf Personen angewandt, denen ohne ausdrückliche satzungsmäßige Bestellung aufgrund allgemeiner Betriebsregelungen und Handhabung wesensmäßige Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen waren (BGH, Urteil vom 12.07.1977 - VI ZR 159/75 - NJW 1977, 2259, unter III. 2. a)). Dass das richtig ist, folgt auch daraus, dass es in diesen Fällen keine Vollmachtsurkunde gibt, die der Vertreter vorlegen könnte, weil ihm keine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt worden ist. Die Rechtsordnung verlangt aber nichts Unmögliches.

Nichts anderes gilt für juristische Personen des öffentlichen Rechts wie den Beklagten. Auch bei diesem sind besondere satzungsmäßige Vertreter keine Bevollmächtigten, sondern zusätzliche Organe. Das trifft auch auf den Leiter des Fachbereichs III des Beklagten zu, der u.a. in § 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung in der jeweiligen Fassung seit dem 05. Oktober 2000 von dem nach der Satzung zuständigen Vorstand des Beklagten u.a. die Befugnis zum Ausspruch von Kündigungen gegenüber Arbeitnehmern des Beklagten im Fachbereich III übertragen worden war und ist. Soweit der Kläger dagegen eine angebliche Schwierigkeit ins Feld führt, von dieser Stellung des Fachbereichsleiters Kenntnis zu erhalten, ist das ohne Belang. Abgesehen davon, dass der Kläger von der Geschäftsordnung spätestens seit dem 16. Oktober 2001 Kenntnis hatte - wenn er den hier einschlägigen § 3 Abs. 3 der Geschäftsordnung tatsächlich nicht zur Kenntnis genommen hat, geht das zu seinen Lasten -, würde das zum einen auch für alle gesetzlichen Vertreter von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts gelten, weil es insoweit, anders als bei eingetragenen Vereinen, kein Register gibt, durch das man sich die entsprechende Kenntnis verschaffen kann, ohne dass deshalb deren Vertretungsmacht in Zweifel stünde. Zum anderen handelt es sich um staatsnahe Institutionen, die gem. Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind und bei denen zunächst von einem rechtmäßigen Handeln auszugehen ist. Schließlich hätte sich der Kläger, wenn es ihn denn interessiert hätte und er die Kenntnis von der Vertretungsmacht des Fachbereichsleiters nicht hatte, unschwer diese durch Einblick in die Geschäftsordnung verschaffen können.

2. Es kann dahinstehen, ob der Beklagte die Frist zum Ausspruch der Kündigung gem. § 626 Abs. 2 BGB von 2 Wochen eingehalten und das Verfahren zur Beteiligung der Mitarbeitervertretung ordnungsgemäß eingeleitet hat. Die fristlose Kündigung vom 27./28. Juli 2005 ist unwirksam, weil es dem Beklagten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zuzumuten war, die im Hinblick auf eine eventuelle ordentliche Unkündbarkeit des Klägers gem. § 53 Abs. 3 BAT sowohl fiktive Kündigungsfrist gem. § 53 Abs. 2 BAT von 6 Monaten zum Quartalsende, also zum 31. März 2006, oder von 6 Monaten zum Monatsende gem. § 622 Abs. 2 Nr. 6 BGB, also zum 31. Januar 2006, als auch das Vertragsende am 30. April 2006 abzuwarten (BAG, Urteil vom 14.11.1984 - 7 AZR 474/83 - NZA 1985, 426; KR-Fischermeier, 7. Aufl., § 626 BGB Rn 302).

a) Eine außerordentliche Kündigung ist auf ihre Wirksamkeit in zwei Stufen zu prüfen. Zunächst ist festzustellen, ob ein Grund vorliegt, der grundsätzlich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Alsdann ist zu prüfen, ob das auch im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen so ist (BAG, Urteil vom 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, unter II. 1. b), ständige Rechtsprechung; vom 11.03.1999 - 2 AZR 507/98 - NZA 1999, 587, 589).

b) Bereits nach dem Tatsachenvortrag des Beklagten fehlt es an einer Vertragsverletzung des Klägers.

Auch wenn man davon ausgeht, der Leitfaden des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der sich an Personen richtet, die psychologische Beratung, Psychotherapie oder Psychiatrie in Anspruch nehmen, enthalte im Umkehrschluss Berufspflichten der diese Beratung oder Behandlung durchführenden Personen, betreffen schon inhaltlich diese nicht die von dem Kläger für den Beklagten gegenüber Frau K. ausgeführten Tätigkeiten. Der Kläger ist nicht Psychologe, Psychiater oder Psychotherapeut, sondern Diplom-Pädagoge. Dem Schreiben vom 23. Juni 2005 ist ein sexueller Übergriff nicht zu entnehmen, sodass auch der Hinweis des Beklagten auf § 174 c StGB fehl geht, abgesehen davon, dass dem Kläger Frau K. nicht zu den dort genannten Bemühungen oder überhaupt nicht mehr „anvertraut„ war. Der Leitfaden sagt auch nichts über Pflichten der Beratenden oder Behandelnden nach Abschluss ihrer Bemühungen.

Die „Ethischen Standards„ beziehen sich zwar auch auf Ehe- und Familienberatung. Sie enthalten aber nur die Aussage, dass eine persönliche über den üblichen Sozialkontakt hinausgehende Beratung „grundsätzlich„ „vermieden werden soll„, halten solche Beziehungen also nicht für uneingeschränkt unzulässig. Darüber hinaus besagen sie, dass diese eingeschränkte „beschriebene Verantwortung … auch nach Abschluss der Beratung fort„ bestehe; doch kann das nicht ohne jede zeitliche Beschränkung gelten.

Der Kläger hat sich etwa ein halbes Jahr nach Ende der Beratung privat schriftlich in sehr zurückhaltenden Formulierungen an Frau K. gewandt. Aus den zuvor besprochenen Quellen lässt sich eine Verletzung der dort genannten Standards durch den Kläger nicht entnehmen und damit auch dann nicht eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers, wenn diese eindeutig innerhalb seiner arbeitsvertraglichen Pflichten gewesen wären.

c) Selbst wenn man insoweit anderer Meinung sein wollte, war es dem Beklagten zuzumuten, die in Betracht kommenden fiktiven Kündigungsfristen einzuhalten oder das Ende des Arbeitsverhältnisses am 30. April 2006 abzuwarten. Angesichts des dann nur als geringfügig anzusehenden Verstoßes des Klägers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten einer-, seines Alters, der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seiner bisher inhaltlich von dem Beklagten nicht beanstandeten Arbeit andererseits war es dem Beklagten anzusinnen, das Ende des Arbeitsverhältnisses abzuwarten. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass der Beklagte durch die Beschwerde der Frau K. von dem Brief des Klägers Kenntnis erlangt hat, weil es sich bei dem Verhalten von Frau K. bei dem gegebenen Sachverhalt um eine völlig unangemessene Überreaktion handelte. Der Kläger durfte von dem Beklagten erwarten, dass dieser das ggf. auch der Öffentlichkeit gegenüber entsprechend dargestellt und sich schützend vor den Kläger gestellt hätte.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, da die Berufung des Beklagten erfolglos bleibt.

Für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG ist kein gesetzlicher Grund ersichtlich.