Hessisches LSG, Urteil vom 15.02.2006 - L 4 VG 14/04
Fundstelle
openJur 2012, 27195
  • Rkr:

Dem Opfer einer unter Verwendung eines Messers beigebrachten gefährlichen Körperverletzung ist die Opferentschädigung nicht wegen leichtfertiger Selbstgefährdung (unmittelbares Tatgeschehen - § 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative OEG) zu versagen, wenn es, ohne selbst einen objektiven Straftatbestand erfüllt zu haben, zu später Stunde an den Ort einer vor ca. einer halben Stunde abgeschlossenen, ohne Waffen oder gefährliche Gegenstände ausgetragenen Wirtshausschlägerei, an der es selbst straflos beteiligt war, zurückkehrt, ohne die Schlägerei fortsetzen zu wollen oder die Gefährlichkeit des unverhofft mit einem Messer auftretenden Schädigers zu kennen. Die objektive Beweislast dafür, dass das Opfer trotz einer Blutalkoholkonzentration von 2,32 Promille noch die Gefährlichkeit seines Tuns richtig einschätzen und dementsprechend auch grob fahrlässig verkennen kann, trägt die Versorgungsverwaltung. Sofern zwischen Opfer und Täter keine, über das unmittelbare Tatgeschehen hinausgehenden, Beziehungen bestanden, aus denen sich typischerweise Gefährdungen der eingetretenen Art ergeben, ist die Gewährung der Entschädigung auch nicht aus im Verhalten des Opfers liegenden anderen Gründen unbillig (mittelbare Tatumstände - § 2 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative OEG)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. August 2004 aufgehoben und der Beklagte unter Aufhebung seines Bescheides vom 28. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2001 verurteilt, dem Kläger wegen der Folgen der Gewalttat vom 7. September 1998 eine Versorgung nach einer MdE in Höhe von 40 v.H. ab 1. September 1998 zu gewähren.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

Der Kläger, von Beruf Automatenaufsteller, wurde am 7. September 1998 um 1:45 Uhr Opfer einer Gewalttat, bei der ihm von dem Schädiger G. M. mit einem Taschenmesser eine Stichverletzung in der linken unteren Halsseite beigebracht wurde. Die Tat ereignete sich auf dem Parkplatz der Gaststätte „X. X." in A-Stadt. Dem Geschehen war folgendes vorausgegangen: Der Kläger hielt sich am Abend des 6. September 1998 in der Gaststätte „X. X." auf, in der neben dem Wirt, dem Zeugen H. W. (W) als weitere Gäste die Zeugen T. S. (S), S. K. (K) und M. A. (A) anwesend waren und gemeinsam Bier und Jägermeister zu sich nahmen. Der Kläger und die Zeugen waren untereinander gut bekannt, der Zeuge A war mit dem Kläger befreundet. Kurz nach Mitternacht betrat der Schädiger die Gaststätte und setzte sich etwas abseits an die Theke, um dort alkoholhaltige Getränke zu sich zu nehmen. Im Laufe der nächsten 30 Minuten gab der Kläger eine Runde Jägermeister aus und wollte auch den Schädiger mit einbeziehen. Dieser lehnte das Angebot mit den Worten, dass er nicht mit jedem trinke, ab. In der Folgezeit wurde der Schädiger vom Kläger mehrfach darauf angesprochen, warum er „so böse gucke". Dieser fühlte sich hierdurch provoziert, begab sich zum Kläger und versetzte ihm ohne weitere Vorwarnung einen Schlag ins Gesicht. Anschließend schlugen der Kläger und der Schädiger wechselseitig aufeinander ein, wobei der Zeuge A, der den Schädiger aus früherer Bekanntschaft nicht leiden konnte, dem Kläger beistand und ebenfalls auf den Schädiger einschlug. Kurz darauf wurden die Streitparteien von den Zeugen W und S getrennt. Der Schädiger hatte sich bei dieser Auseinandersetzung verschiedene Hämatome zugezogen. Um weiteren Streitigkeiten vorzubeugen, forderte der Gastwirt den Kläger und den Zeugen A zum Gehen auf und schloss hinter diesen die Gaststätte ab. Der Schädiger blieb noch etwa 20 Minuten und wurde dann durch die Hintertür hinausgelassen. Auf dem Parkplatz vor der Gaststätte traf er erneut mit dem Kläger zusammen. Der Schädiger zog sofort sein Taschenmesser heraus, klappte dies auf und stach, mit der Befürchtung einer weiteren körperlichen Auseinandersetzung, dem Kläger die Klinge in die linke untere Halsseite. Anschließend drehte er sich ohne ein weiteres Wort um, stieg in sein Auto und fuhr weg. Der stark blutende Kläger begab sich in die Gaststätte, von wo aus man den Notarzt verständigte, und wurde sodann in die Unfallchirurgische Klinik nach B-Stadt eingeliefert. Wie sich später herausstellte, wurden durch die Stichverletzung Teile der Spinalnerven C5 und C6 durchtrennt, was eine Teillähmung des linken Armes und der linken Hand zur Folge hatte. Am 24. November 1998 beantragte der Kläger die Gewährung von Versorgungsleistungen nach dem OEG. Mit dem am 15. Februar 2001 rechtskräftig gewordenen Urteil vom 14. November 2000 verurteilte das Amtsgericht B. (Az.: X.) den Täter wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Klägers zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Bei der Strafbemessung berücksichtigte das Amtsgericht zu Gunsten des Täters, dass - nach seiner Überzeugung – der geschädigte Kläger die zweite Auseinandersetzung auf dem Parkplatz seinerseits gesucht habe und deshalb ein gewisses Mitverschulden an dem Vorfall trage. Dem amtsgerichtlichen Urteil lagen u.a. die uneidlichen Aussagen der Zeugen W und S sowie des als Zeugen vernommenen Klägers zugrunde. Der Zeuge A konnte nicht vernommen werden, weil er inzwischen auf die kanarischen Inseln ausgewandert war. Eine Vernehmung der Zeugin K, die in ihrer polizeilichen Vernehmung vom 28. September 1998 Angaben zum Tatgeschehen gemacht hatte, unterblieb ebenfalls. In seiner Zeugenaussage hat der Kläger im Wesentlichen bekundet, mit den Zeugen S und W den ganzen Abend „Dart" gespielt zu haben, wobei Runden ausgespielt worden seien. Da er gerade eine Runde verloren habe, habe er sich zur Theke begeben und für den dort sitzenden Schädiger ein Getränk mit ausgegeben. Der Schädiger, den er vom Sehen gekannt habe, habe gesagt, er trinke nicht mit jedem. Er habe gedacht, dann solle er es eben bleiben lassen, wobei es sein könne, dass er ihm zugerufen habe, „nicht so böse zu gucken". Es sei eine lustige Runde gewesen und es habe eine gute Stimmung geherrscht. Er habe den Täter nicht provozieren wollen, aber irgendwie habe sich die Situation durch Blickkontakt hochgeschaukelt, worauf ihm der Täter auf den Mund geschlagen habe. Bei dem anschließenden Handgemenge, an dem auch der Zeuge A auf seiner Seite beteiligt gewesen sei, sei mit Fäusten geschlagen worden. Es könne sein, dass er zusammen mit dem Zeugen A den Schädiger in die Mangel genommen habe, er habe ihn aber nicht weiter bedroht. Die Zeugen S und W hätten dann die Streitparteien getrennt und ihn und den Zeugen A nach Hause geschickt. Er wohne nur 400 bis 500 Meter von der Gaststätte entfernt und sei zusammen mit dem Zeugen A nach Hause gegangen. Er sei dann aber wieder zurückgekehrt, weil er noch etwas habe trinken wollen. Die zunächst von ihm getragenen Schuhe habe er gegen Turnschuhe aus dem Auto getauscht, weil diese beschädigt worden seien und er in ihnen deshalb schlecht habe laufen können. Das Auto seiner Frau (aus dem er nach seinen Angaben bei der polizeilichen Vernehmung am 7. September 1998 die Turnschuhe entnommen hatte) habe zu Hause gestanden, während sein Mercedes vor der Gaststätte geparkt gewesen sei. Im Boxverein sei er nur passives Mitglied und bisher sei er auch nicht wegen Körperverletzung in Erscheinung getreten. Auf dem Nachhauseweg sei er in Begleitung des Zeugen A gewesen, mit dem er sich auch unterhalten habe. Nachdem er die Schuhe gewechselt habe, sei er zur Gaststätte zurückgekehrt, um wieder etwas zu trinken. Ursprünglich habe er nach Hause gehen wollen, aber dann gedacht, „…der Abend war o.k. und du gehst noch was trinken". Als er gerade die Gaststätte habe betreten wollen, sei der Schädiger aus der Einfahrt herausgetreten. Er habe gefragt, ob wieder „alles klar" sei. Der Schädiger habe nichts gesagt und sei mit normalen Schritten auf ihn zugelaufen. Plötzlich habe er den Schmerz gespürt, was der Stich gewesen sei. Er habe auch keine Abwehrbewegung gemacht. Der Schädiger habe ihm die Stichverletzung ohne seinerseitige Provokation beigebracht. Er habe nicht mit einem Angriff gerechnet. Er sei der Meinung gewesen, der Schädiger habe ihm die Hand geben wollen. Wenn er mit einem Angriff gerechnet hätte, hätte er sich verteidigt.

Der Zeuge W hat ausgesagt, den Schädiger gekannt zu haben, weil er schon öfters in der Gaststätte gewesen sei. Der Kläger habe bei guter Stimmung eine Runde aus sechs Jägermeistern ausgegeben. Der Schädiger habe sein Getränk mit den Worten abgelehnt, nicht mit jedem zu trinken. Zunächst habe der Kläger mit seinen Bekannten auf der einen Seite und der Schädiger auf der anderen Seite der Theke gestanden. Als er sich umgedreht habe, habe der Schädiger plötzlich auf der Seite, an der sich der Kläger mit seinen Bekannten befunden habe, gestanden. Der Kläger habe zum Schädiger gesagt, er solle „nicht so böse gucken", wobei er nicht das Gefühl gehabt habe, dass dies mit einer bösen Absicht verbunden gewesen sei. Dann habe es eine Auseinandersetzung gegeben. Er habe gesehen wie der Kläger die Brille habe absetzen wollen und schon an den Türrahmen geflogen sei. Bei der anschließenden handfesten Auseinandersetzung hätten der Kläger und der Schädiger wechselseitig aufeinander eingeschlagen, wobei sich der Zeuge A auf der Seite des Klägers in die Schlägerei eingemischt habe. Dass dem Schädiger ein Barhocker auf den Kopf geschlagen worden sei, habe er nicht gesehen. Der Zeuge A habe eine große Abneigung gegen den Schädiger besessen, den er schon vorher gekannt habe. Der Zeuge A sei selbst Gastwirt und habe erklärt, den Schädiger nicht leiden zu können. Zusammen mit dem Zeugen S habe er schließlich die Streitparteien getrennt, wobei er von dem Kläger den Eindruck hatte, „schon etwas Gas gehabt" zu haben. Den Kläger und den Zeugen A habe er sodann zur Vordertür hinausgelassen und diese anschließend verschlossen. Der Zeuge S und der Schädiger seien noch für etwa 20 Minuten in der Gaststätte geblieben, anschließend habe er den Schädiger zum Hinterausgang herausgelassen. Die Zeugin K sei ebenfalls noch in der Gaststätte anwesend gewesen. Etwa zwei Minuten nachdem der Schädiger die Gaststätte verlassen habe, habe der Zeuge S nochmals nachgesehen, ob die Streitparteien wirklich gegangen seien und den Kläger mit blutendem Hals auf dem Parkplatz vor der Gaststätte vorgefunden. Der Schädiger sei nicht mehr anwesend gewesen. Das ganze sei die erste und bis dahin auch die letzte Schlägerei in seiner Gaststätte gewesen.

Der Zeuge S hat im Wesentlichen ausgesagt, es sei an dem Abend „Dart" gespielt worden. Zum Teil hätten sie sich auch an der Theke aufgehalten. Er habe nicht mitbekommen, wie sich der Streit entwickelt habe. In dieser Zeit sei er nämlich mit der Zeugin K im Nebenraum gewesen. Er habe dann zusammen mit dem Zeugen W die Streitparteien getrennt. Den Schädiger habe er hinter sich gestellt. Nach seiner Einschätzung seien der Kläger und der Zeuge A zu zweit auf den Täter losgegangen. Der Zeuge W habe die anderen beiden in Schach gehalten und gebeten zu gehen, was diese auch getan hätten. Der Schädiger sei noch geblieben, habe sein Getränk getrunken und bezahlt. Verletzungen seien ihm nicht aufgefallen. Etwa 20 bis 30 Minuten später habe der Zeuge W den Schädiger zum Hinterausgang hinausgelassen. Als er später aus der Gaststätte hinausgesehen habe, habe der Kläger draußen gestanden und sich den Hals gehalten. Den Schädiger habe er nicht mehr gesehen. Ein Lokalverbot sei dem Kläger nicht erteilt worden.

In den Strafakten befindet sich außerdem ein Protokoll über die polizeiliche Vernehmung der Zeugin M. Z. (Z) vom 9. September 1998, bei der es sich um die Lebensgefährtin des Zeugen W handelt. Diese hat bekundet, zur Tatzeit bereits im oberen Stockwerk des Gaststättengebäudes im Bett gelegen zu haben. Das Schlafzimmer befinde sich direkt oberhalb der Gaststätte, weshalb sie gewöhnlich höre, wenn es draußen ruhig sei und in der Gaststätte etwas lauter zugehe. Sie habe das Fenster immer gekippt und den Rollladen nur zur Hälfte runtergelassen. Sie sei etwa gegen 0:10 Uhr zu Bett gegangen und habe später Lärm von unten gehört. Sie sei deshalb aufgeschreckt und habe auf die Uhr gesehen, auf der es 1:06 Uhr gewesen sei. Danach sei wieder weitgehend Ruhe eingekehrt und sie habe nur noch ein paar Stimmen und nichts Außergewöhnliches gehört. Nach einer Weile habe sie vom Parkplatz vor dem Lokal Stimmen gehört und hierbei den Kläger erkannt, der gesagt habe „alles klar". Offensichtlich habe er dort jemanden getroffen, den er angesprochen habe. Sie habe hierauf jemand anderen sprechen hören, der zwei drei Worte gesagt habe, die sie aber nicht habe verstehen können. Unmittelbar hierauf habe sie gehört, wie der Kläger gesagt habe „du Sau". Mehr habe sie dann nicht gehört. Sie habe sich hierauf angezogen und sei zum Fenster gegangen, wo schon die Personen aus der Gaststätte beim Kläger gewesen seien. Was im Einzelnen vor dem Lokal vorgefallen sei, habe sie nicht sehen und auch nicht weiter deuten können. Unmittelbar nachdem der Kläger „du Sau" gesagt habe, habe sie eine Autotür schlagen hören und ein Motor sei gestartet worden. Das Auto sei anschließend weggefahren. Wegen der Angaben der Zeugin K wird auf das Protokoll ihrer polizeilichen Vernehmung vom 28. September 1998 Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 28. August 2001 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, weil dieser durch sein „in hohem Maße vernunftwidriges Verhalten" die Gewalttat regelrecht herausgefordert habe, denn er sei zur Gaststätte zurückgekehrt, um die körperliche Auseinandersetzung mit dem Täter fortzusetzen. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit dem durch einfachen Brief abgesandten Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2001 zurück. Bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers ist der Widerspruchsbescheid nach deren Bekunden am 5. November 2001 eingegangen.

Die hiergegen am 5. Dezember 2001 beim Sozialgericht Darmstadt erhobene Klage hat dieses nach Einholung von Befundberichten mit Urteil vom 30. August 2004 als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei zwar zulässig, insbesondere fristgemäß, denn es bleibe jedenfalls zu Lasten des Beklagten unbewiesen, dass die Monatsfrist zur Klageerhebung gemäß § 87 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bereits vor dem 5. November 2001 abgelaufen sei. In der Sache aber könne der Beklagte einem Entschädigungsanspruch des Klägers den Ausschlusstatbestand nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG entgegenhalten. Zwar sei eine Mitverursachung durch den Kläger nicht nachzuweisen, wobei sich das Gericht auf die Aussagen der Zeugen im Strafverfahren stütze. Hieraus aber gehe hervor, dass der Kläger den Schädiger nicht erneut habe stellen wollen. Es lägen aber hinreichende Gründe vor, die gleichwohl nach § 2 Abs. 1 Satz 1 2. Fall OEG eine Entschädigung als unbillig erscheinen lassen würden. Solche Gründe seien anzunehmen, wenn sie einer Mitverursachung annähernd gleichzustellen seien, weil sie dem gesetzlichen Zweck, eine staatliche Entschädigung zu gewähren, nicht entsprächen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung entspreche es dem Gesetzeszweck nicht, eine Schädigung auszugleichen, die das Opfer durch eine leichtfertige Selbstgefährdung begünstigt habe. Eine solche liege vor, wenn das Opfer sich durch eigenes Verhalten, welches nicht sozial nützlich oder sogar von der Rechtsordnung erwünscht sei, der Gefahr einer Gewalttat leichtfertig ausgesetzt habe. Der Gewalttat sei eine heftige körperliche Auseinandersetzung vorausgegangen, die jederzeit wieder habe aufleben können. Dafür habe auch der hohe Alkoholisierungsgrad gesprochen, dem beide Streitparteien ausgesetzt gewesen seien. Der Kläger habe nicht davon ausgehen können, dass sich der Täter nicht mehr in der Gaststätte oder in deren Nähe aufgehalten habe, weil er vor ihm die Gaststätte verlassen habe. Er habe daher bei seiner Rückkehr zur Gaststätte leichtfertig, d.h. mit einem erhöhten Maß der Fahrlässigkeit, das dem der groben Fahrlässigkeit im Zivilrecht entspreche, gehandelt. Er habe sich mit dem Wissen um den vorangegangenen Streit nicht mehr zu solch später Stunde, nachdem er bereits zu Hause angekommen gewesen sei, erneut in die Gaststätte begeben dürfen. Der durch den Sachverständigen Prof. Dr. med. B. in seinem Gutachten vom 11. September 1998 beim Kläger festgestellte Blutalkoholgehalt von maximal 2,32 Promille habe der subjektiven Einsichtsfähigkeit nicht entgegengestanden. Er habe nicht den Grad erreicht, der nach § 20 Strafgesetzbuch (StGB) Schuldunfähigkeit begründen könne. Ihm komme auch nicht der Umstand zugute, Art und Ausmaß des tätlichen Angriffs nicht vorhergesehen zu haben. Jedenfalls ein körperlicher Angriff mit zur Verfügung stehenden Mitteln unterhalb einer Tötungsabsicht sei nach dem vorherigen Vorfall nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen gewesen. Den konkreten Geschehensablauf habe der Kläger nicht voraussehen können.

Gegen das ihm am 5. November 2004 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. November 2004 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingelegt. Zur Begründung trägt er u.a. vor, er habe entweder aus dem Haus oder aus dem Auto, das vor seinem Haus geparkt gewesen sei, ein paar Turnschuhe entnommen, die er anstelle der Clogs angezogen habe, die bei der körperlichen Auseinandersetzung in der Gaststätte beschädigt worden seien. Der Zeuge W habe als Gastwirt den Kläger gebeten, mindestens eine halbe Stunde zu warten, bevor er oder der Zeuge A zur Gaststätte zurückkehren würden, bis er den Täter vor die Tür gesetzt habe. Der Kläger habe sich von dem Zeugen A, der zu seiner Wohnung gelaufen sei, verabschiedet. Nachdem die verabredete halbe Stunde vergangen sei, sei er zurückgekehrt, weil man im kleinen Kreise habe weiterfeiern wollen, weil an dem Abend eine gute Stimmung gewesen sei. Bei der Rückkehr habe ihm der Täter aufgelauert. Er habe nur noch sagen können, ob alles wieder in Ordnung sei und sei selbst davon überrascht gewesen, den Täter im Außenbereich der Gaststätte anzutreffen. Der Täter habe dann unvermittelt zugestochen. Generell müsse man auch nach einer vorangegangenen Wirtshausschlägerei nicht damit rechnen, vor einer Kneipe mit einem Messer gezielt verletzt zu werden. Man müsse in ein Gasthaus gehen können, ohne damit zu rechnen, Kriminellen zu begegnen. Salopp gesagt, sei eine Wirtshausschlägerei im Odenwald immer mal drin, nicht aber der Umgang mit Waffen.

Der Senat hat über die Höhe der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Beweis erhoben durch Beiziehung eines orthopädischen Gutachtens von dem Sachverständigen Prof. Dr. med. C. vom 9. März 2005, das in einer Schwerbehindertenstreitsache des Klägers vor dem erkennenden Senat eingeholt worden war, sowie eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von Dr. F. vom 30. August 2001, das für eine private Versicherung erstattet worden ist. Ferner hat der Senat hierzu weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von dem Sachverständigen Prof. Dr. med. C. vom 24. August 2005, der den Kläger ambulant untersucht und eine MdE von 40 v.H. für die Schädigungsfolgen seit dem 7. September 1998 festgestellt hat.

Ferner hat der Senat die Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt bezüglich der hier zugrunde liegenden Straftat beigezogen, auf die insbesondere auch wegen der Auskunft des Bundeszentralregisters über die dort vorhandenen zehn Eintragungen über rechtskräftige Verurteilungen des Schädigers wegen verschiedener Straftaten sowie des Gutachtens von Prof. B. zur tatzeitlichen Blutalkoholkonzentration beim Kläger Bezug genommen wird.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. August 2004 und den Bescheid des Beklagten vom 28. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2001 aufzuheben und diesen zu verurteilen, ihm wegen der Folgen der Gewalttat vom 7. September 1998 eine Versorgung nach einer MdE in Höhe von 40 v.H. ab 1. September 1998 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er folgt zwar der Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. med. C. hinsichtlich der Höhe der MdE von 40 v.H., hält aber unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Urteils an seiner Auffassung fest, eine Entschädigung des Klägers nach dem OEG sei unbillig, weil dieser durch leichtfertiges Verhalten die Schädigung mitverursacht habe.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten einschließlich der beigezogenen Strafakte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und auch sachlich begründet.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 30. August 2004 und der Bescheid des Beklagten vom 28. August 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2001 waren aufzuheben, denn der Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger ab 1. September 1998 wegen der durch den tätlichen Angriff vom 7. September 1998 verursachten gesundheitlichen Schädigung (obere Armplexuslähmung linksseitig) Versorgung nach einer MdE in Höhe von 40 v.H. zu gewähren.

Der Anspruch des Klägers beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) in der Fassung vom 7. Januar 1985 (BGBl. I, S. 1), zuletzt geändert durch Artikel 30 des Gesetzes zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch vom 7. August 1996 (BGBl. I, S. 1254). Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer, u.a., im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Diese Voraussetzungen sind aufgrund des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs vom 7. September 1998 durch den Schädiger erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und zur Überzeugung des Senats durch das Ergebnis der Ermittlungen bewiesen, die dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts B. vom 14. November 2000 zugrunde liegen, mit dem der Schädiger wegen des tätlichen Angriffs gegen den Kläger vom 7. September 1998 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist. Den Inhalt der Strafakten einschließlich der schriftlich dokumentierten Zeugenaussagen konnte der Senat mit dem bereits im ersten Rechtszug erklärten Einverständnis der Beteiligten im Wege des Urkundsbeweises verwerten.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegen danach Versagungsgründe gemäß § 2 OEG, für die grundsätzlich der Beklagte die objektive Beweislast trägt, nicht vor. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG sind Leistungen u.a. dann zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung (selbst) verursacht hat. Bei dem Tatbestand der Mitverursachung – 1. Alternative der Vorschrift – handelt es sich um einen Sonderfall der Unbilligkeit – 2. Alternative –, der abschließend regelt, wann die unmittelbare Tatbeteiligung des Geschädigten Leistungen ausschließt. Diese Alternative ist stets zuerst zu prüfen. Eine Mitverursachung kann nur angenommen werden, wenn das Verhalten des Opfers nach der auch im Opferentschädigungsrecht anwendbaren versorgungsrechtlichen Kausalitätsnorm nicht nur einen nicht hinweg zu denkenden Teil der Ursachenkette, sondern eine wesentliche, d.h. annähernd gleichwertige Bedingung neben dem Beitrag des rechtswidrig handelnden Angreifers darstellt. Ein Leistungsausschluss ist insbesondere dann gerechtfertigt, wenn das Opfer in der konkreten Situation in ähnlicher Weise wie der Täter gegen die Rechtsordnung verstoßen hat (so: Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 18. April 2001, Az.: 5/9 VG 3/00 R m.w.N.). Diese Voraussetzungen einer Mitverursachung liegen beim Kläger im Zusammenhang mit der Tat vom 7. September 1998 unzweifelhaft nicht vor, denn das ihm nachzuweisende Verhalten hat keineswegs gegen die Rechtsordnung verstoßen. Dass er sich nach den tätlichen Auseinandersetzungen in der Gastwirtschaft nach etwa 20 bis 30 Minuten dorthin zurückbegeben hätte, um die tätliche Auseinandersetzung mit dem Schädiger fortzusetzen oder gar auf dem Parkplatz vor der Gaststätte zu diesem Zweck gewartet hätte, was als vorbereitende Handlung zu einer Straftat (einfache Körperverletzung) gegen die Rechtsordnung hätte verstoßen können, kann ihm nach den Aussagen sämtlicher Tatzeugen im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, mit deren Verwertung sich die Beteiligten einverstanden erklärt haben, nicht nachgewiesen werden. Zwar hat das Amtsgericht diese Auffassung im Rahmen seiner Erwägungen zur Strafbemessung geäußert, diese Auffassung wird jedoch weder durch die Aussagen der uneidlich vernommenen Zeugen W und S noch durch die Angaben der polizeilich vernommenen Zeugen Z, K und A gestützt. Die Zeugen W, K und S konnten lediglich bestätigen, dass der Kläger gemeinsam mit dem Zeugen A, der ihn bei der vorausgegangenen tätlichen Auseinandersetzung in der Gaststätte unterstützt hatte, die Gaststätte auf Anweisung des Gastwirts (des Zeugen W), etwa 20 bis 30 Minuten bevor der Schädiger aus der Gaststätte wegging, verlassen hatten. Der Zeuge A stand bei seiner polizeilichen Vernehmung am 7. September 1998 gegen 3:00 Uhr unter deutlicher Alkoholeinwirkung und hat zum weiteren Verlauf der Ereignisse nach dem Verlassen der Gaststätte keine Angaben gemacht. Seine weitere Vernehmung als Zeuge in der Hauptverhandlung ist unterblieben, weil er sich inzwischen dauerhaft im Ausland aufhält. Allerdings liegt die schriftliche Aussage der polizeilich vernommenen Zeugin Z vom 9. September 1998 vor, die die Version des Klägers bestätigt, er habe bei seiner Rückkehr zur Gaststätte nicht beabsichtigt, die tätliche Auseinandersetzung mit dem Schädiger fortzusetzen und sei auf dem Parkplatz arglos auf diesen getroffen. Die Zeugin hat nämlich nach ihren Angaben durch das geöffnete Fenster im Obergeschoss der Gaststätte gehört, wie der Kläger „alles klar", sagte und, nachdem wenige Worte gewechselt worden waren, den Schädiger mit einem Schimpfwort belegte, was offenbar bereits die Reaktion auf die Messerstichverletzung war. Dies deckt sich mit den Angaben des Klägers über die Geschehnisse nach dem Verlassen der Gaststätte, die für den Senat auch glaubwürdig sind. Danach hat sich der Kläger, zunächst gemeinsam mit dem Zeugen A, von der Gaststätte zurück zu seiner Wohnung begeben und dort oder wahrscheinlich an dem dort abgestellten Fahrzeug seiner Ehefrau, das beschädigte Schuhwerk gegen Turnschuhe ausgetauscht und ist dann wieder zur Gaststätte zurückgegangen, um dort weiter zu trinken. Dass er hierbei die Absicht hatte, die Schlägerei fortzusetzen, erscheint schon deshalb unwahrscheinlich, weil er auf dem Rückweg zur Gaststätte nicht mehr in Begleitung seines Freundes, des Zeugen A, war und er nach der vorausgegangenen Auseinandersetzung in der Gaststätte nicht ohne weiteres damit rechnen konnte, den Schädiger ohne Unterstützung weiterer Personen „verprügeln" zu können. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Kläger im Strafverfahren keine Möglichkeit hatte, sich mit Rechtsmitteln gegen die vom Amtsgericht bei der Strafbemessung geäußerte Auffassung zu den Absichten des Klägers zur Wehr zu setzen. Die entgegenstehende Einlassung des Schädigers im Strafverfahren, wonach ihm der Kläger auf dem Parkplatz vor der Gaststätte aufgelauert habe, ist durch die Aussagen der Zeugen nicht bestätigt worden und steht auch im Gegensatz zu den Angaben der Zeugin Z bei ihrer polizeilichen Vernehmung. Der Senat schließt sich daher insoweit der Einschätzung des Sozialgerichts an, dass es sich hierbei nur um bloße Schutzbehauptungen handelt, die nicht glaubhaft sind. Die der eigentlichen Tat nur etwa 20 bis 30 Minuten vorausgehende Schlägerei in der Gaststätte gehört bei natürlicher Betrachtungsweise zwar noch zum unmittelbaren Tatgeschehen, aber auch insoweit war das nachweisbare Verhalten des Klägers nicht zumindest gleichwertige Mitursache für die Schädigung. Der Zeuge W hat mit seiner glaubhaften Aussage die Einlassung des Klägers bestätigt, wonach er die tätliche Auseinandersetzung mit dem Schädiger nicht provoziert hat sondern dieser vielmehr selbst durch sein provozierendes Verhalten (z. B. Ablehnung eines Getränks mit abschätziger Bemerkung) für eine angespannte Situation gesorgt und schließlich mit einem Fausthieb in das Gesicht des Klägers auch die Schlägerei begonnen hat. Damit lag für den Kläger ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vor, den er mit geeigneten und erforderlichen Mitteln abwehren durfte (Notwehr - § 32 StGB). Hierbei ist noch nicht einmal ein Notwehrexzess seitens des Klägers nachweisbar, denn keiner der Zeugen konnte die Einlassung des Schädigers bestätigen, der Kläger habe mit einem Barhocker oder einem anderen Gegenstand auf ihn eingeschlagen oder ihn nach Beendigung der Schlägerei mit dem Tode bedroht. Damit verstößt auch dieses der Tat vorausgegangene Verhalten des Klägers, dem noch nicht einmal die Straftat der einfachen Körperverletzung nachzuweisen ist, keinesfalls in vergleichbarer Weise gegen die Rechtsordnung, wie die gefährliche Körperverletzung durch den Schädiger. Nach allem ist kein Verhalten des Klägers nachweisbar, das im Zusammenhang mit der Tat stünde und mit dem er auch nur annähernd ähnlich schwer gegen die Rechtsordnung verstoßen hätte, wie der Schädiger.

Aber auch wenn das Opfer zwar keinen Straftatbestand erfüllt hat, sich aber leichtfertig durch eine unmittelbare, mit dem eigentlichen Tatgeschehen insbesondere zeitlich eng zusammenhängende Förderung der Tat, z.B. eine Provokation des Klägers, der Gefahr einer Gewalttat ausgesetzt und dadurch selbst gefährdet hat, kann eine Mitverursachung vorliegen. Gleiches gilt, wenn sich das Opfer einer konkret erkannten Gefahr leichtfertig nicht entzogen hat, obwohl es ihm zumutbar und möglich gewesen wäre. Der Tatbestand der leichtfertigen Selbstgefährdung setzt einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit, der etwa der groben Fahrlässigkeit im Sinne des Bürgerlichen Rechts entspricht, voraus. Allerdings gilt im Gegensatz zum Bürgerlichen Recht nicht der objektive Sorgfaltsmaßstab des § 276 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), sondern ein individueller, der auf die persönlichen Fähigkeiten des Opfers abstellt. Zu prüfen ist danach, ob sich das Opfer auch anders hätte verhalten können oder müssen, weiter, ob es sich der erkannten oder grob fahrlässigen nicht erkannten Gefahr nicht entzogen hat, obwohl ihm dies zumutbar gewesen wäre. Dafür ist die gesamte tatnahe Situation, wie sie sich nach natürlicher Betrachtungsweise darstellt, zu würdigen. Ergänzend sind die individuellen Beziehungen zwischen Täter und Opfer zu berücksichtigen, etwa ob sie seit langem miteinander Umgang hatten und welcher Art der Umgang war, ferner das frühere Verhalten von Täter und Opfer in vergleichbaren Situationen (BSG, Urteil vom 18. April 2001, a.a.O.). Der eigentlichen Tat ist zwar erst 20 oder 30 Minuten vorher eine tätliche Auseinandersetzung vorausgegangen, bei der aber nach übereinstimmender Aussage aller Zeugen im Gegensatz zur Einlassung des Schädigers keine gefährlichen Gegenstände als Waffen eingesetzt worden waren. Damit mag es zwar fahrlässig erscheinen, wenn der Kläger bereits nach 20 bis 30 Minuten zu dem Ort des Geschehens zurückgekehrt ist, ohne sicher davon ausgehen zu können, dass die an der vorausgegangenen Schlägerei auf der Gegenseite beteiligte Person den Ort des Geschehens bereits verlassen hatte. Unter Berücksichtigung seiner konkreten individuellen Einsichtsfähigkeit in der Situation kann ihm hierbei aber keine Leichtfertigkeit im Sinne grober Fahrlässigkeit in eigenen Angelegenheiten nachgewiesen werden. Denn weder war ihm die Gefährlichkeit der Person des Schädigers bekannt, der bereits mehrfach einschlägig vorbestraft war, weshalb es schon nicht auf der Hand lag, dass es auch bei Anwesenheit des Schädigers zu einer Fortsetzung der Schlägerei und schon gar nicht unter Einsatz eines Messers kommen würde. Darüber hinaus konnte der Kläger ohne grobe Fahrlässigkeit davon ausgehen, dass mit der Beendigung der Schlägerei die Angelegenheit bereinigt war und keine Fortsetzung der tätlichen Auseinandersetzung erfolgen würde. Denn nach der glaubhaften Aussage der Zeugin K anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung am 28. September 1998 war „…die Sache ausgestanden…" als die Zeugen W und S die Streitparteien getrennt hatten. Der Kläger und der Zeuge A hatten sogar (innerhalb von zwei Minuten) noch ihre Gläser ausgetrunken, bevor sie die Gaststätte verließen, und der Zeuge W gab dem Schädiger die Gelegenheit, sich noch innerhalb der Gaststätte zu beruhigen, bevor er ihn zur Hintertür hinaus ließ. Zum anderen ist aber auch nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass dem Kläger aufgrund des Grades seiner Alkoholisierung zur Tatzeit die notwendige Einsichtsfähigkeit fehlte, um die Gefährlichkeit der Situation richtig einschätzen zu können. Da zur Beurteilung der groben Fahrlässigkeit ähnlich wie im Strafrecht ein subjektiver Maßstab anzulegen ist, muss auch geprüft werden, ob der Kläger angesichts der zur Tatzeit festgestellten Blutalkoholkonzentration noch in der Lage war, die durch die Umstände gegebene Selbstgefährdung zu erkennen und – falls ja - entsprechend der Erkenntnis zu handeln. Sind auch hierzu Feststellungen mit der notwendigen Sicherheit nicht möglich, geht dies nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beklagten (so: BSG, Urteil vom 1. September 1999, Az.: B 9 VG 3/97 R). Nach den Feststellungen im Gutachten des Prof. Dr. med. B. vom 11. September 1998 hatte der Kläger zum Zeitpunkt der Tat eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,32 Promille, womit grundsätzlich die Voraussetzungen eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorliegen können. Dass der Kläger gleichwohl – etwa aufgrund von Gewöhnung – in der Lage gewesen wäre, die Gefährlichkeit seines Tuns in der konkreten Situation zu erkennen, ist zumindest nicht nachzuweisen. Nach allem scheidet eine Mitverursachung des schädigenden Ereignisses durch leichtfertige Selbstgefährdung aus, weil der Kläger sowohl bei subjektiv unverminderter Einsichtsfähigkeit die Gefährlichkeit der Situation jedenfalls nicht leichtfertig falsch eingeschätzt hat und darüber hinaus auch seine subjektive Einsichtsfähigkeit durch Alkoholgenuss erheblich beeinträchtigt war. Die im Urteil des BSG vom 10. September 1997 (Az.: 9 RVg 9/95 – in: SozR 3-3800, Nr. 7 zu § 2 OEG) zur Frage der Mitverursachung durch schuldhafte Selbstberauschung gemäß § 323a StGB aufgestellten Grundsätze führen hier entgegen der Annahme des Sozialgerichts zu keinem anderen Ergebnis, denn der Kläger hat im Zusammenhang mit dem schädigenden Ereignis selbst keinen objektiven Straftatbestand (rechtswidrige Tat) erfüllt, weshalb auch der Straftatbestand des Vollrausches gemäß § 323a StGB nicht vorliegen kann. Die Selbstberauschung als solche mag zwar ebenso wenig als sozial nützlich zu erscheinen wie das Aufsuchen einer Gaststätte um 1:45 Uhr mit dem Ziel, die Selbstberauschung fortzusetzen, stellt aber keinesfalls eine annähernd gleichwertige Bedingung zu der vom Schädiger begangenen gefährlichen Körperverletzung dar.

Die Gewährung einer Versorgung an den Kläger erscheint auch nicht aus sonstigen Gründen im Sinne des § 2 Abs. 1 – 2. Alternative - OEG unbillig. Hierbei müssen die zur Prüfung der Mitverursachung im Sinne der 1. Alternative nach § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG herangezogenen Umstände außer Betracht bleiben, denn was als Verursachung im Sinne der 1. Alternative nicht zur Leistungsversagung führt, kann nicht allein, sondern nur aus sonstigen zusätzlichen Gründen zur Bejahung der Unbilligkeit führen. Die Mitverursachung stellt nämlich gegenüber dem Ausschlussgrund der Unbilligkeit (2. Alternative) einen Sonderfall dar. Zum Bereich der Mitursächlichkeit gehören alle unmittelbaren, nach natürlicher Betrachtungsweise mit dem eigentlichen schädigenden Tatgeschehen, insbesondere auch zeitlich, eng verbundenen Umstände, während alle nicht unmittelbaren, lediglich erfolgsfördernden Umstände, d.h. typischerweise die Vorgeschichte der eigentlichen Gewalttat, im Rahmen der Unbilligkeit zu prüfen sind (so: BSG, Urteil vom 1. September 1999, a.a.O.). Solche erfolgsfördernden zusätzlichen Umstände, die die Gewährung einer Entschädigung aus sonstigen Gründen als unbillig erscheinen lassen könnte, sind nicht vorhanden. Das der Gewalttat unmittelbar vorangegangene Verhalten des Klägers muss hierbei außer Betracht bleiben, weil es bereits im Rahmen der Mitverursachung gewürdigt wurde. Weitere – sozialwidrige – Beziehungen zwischen Kläger und Schädiger, aus denen heraus sich die Gefahr einer Schädigung hätte realisieren können, bestanden nicht. Über die konkreten Tatumstände hinaus hat sich der Kläger auch nicht in einem Milieu chronisch Alkoholabhängiger in sozialwidriger Weise bewegt, das die spezifische Gefahr einer Gewalttat der vorliegenden Art in sich bergen könnte. Selbst wenn der Kläger regelmäßig zu später Stunde Gaststätten zur Einnahme alkoholischer Getränke aufgesucht haben sollte, so handelt es sich hierbei noch um kein sozialwidriges Verhalten, das die spezifische Gefahr einer tätlichen Auseinandersetzung mit Waffen oder anderen gefährlichen Gegenständen mit sich bringen würde. Auch verliert ein Bürger nicht schon deshalb den ihm zustehenden Schutz des Staates vor Gewalttaten, weil er „nicht mit hinreichender Sicherheit" einen körperlichen Angriff durch einen Straftäter ausschließen kann. Nur wenn sich jemand bewusst außerhalb der staatlichen Gemeinschaft stellt und sich eine damit verbundene Gefahr in Schädigungen durch eine Gewalttat realisiert, widerspricht es dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung, zum Ausgleich der Schädigungsfolgen staatliche Leistungen zu verlangen. Davon aber kann im vorliegenden Falle keine Rede sein.

Infolge der Gewalttat hat der Kläger eine obere Armplexuslähmung linksseitig (so genannte Erbsche Lähmung) erlitten, die seither eine MdE in Höhe von 40 v.H. verursacht. Insoweit stützt sich der Senat auf das ausführliche und überzeugende schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. C. vom 20. August 2005, der den Kläger auf nervenärztlichem Fachgebiet unter Würdigung der bereits vorliegenden Gutachten nochmals eingehend ambulant untersucht und die zuvor genannten Feststellungen nachvollziehbar aus den von ihm erhobenen Befunden unter Berücksichtigung des Akteninhalts hergeleitet hat. Über die Höhe der MdE besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Da der Kläger seinen Entschädigungsantrag bereits am 24. November 1998 gestellt hat, stehen ihm dem Grunde nach Versorgungsleistungen ab 1. September 1998 zu (§ 60 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 160, 193 SGG.