FG Kassel, Beschluss vom 03.12.2004 - 6 V 1483/04
Fundstelle
openJur 2012, 25779
  • Rkr:
Tatbestand

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Streitig ist, ob der Antragsgegner (das Finanzamt - FA -) der Antragstellerin den Vorsteuerabzug aus Rechnungen italienischer Firmen über die Lieferung von Hähnchenfleisch zu Recht versagt hat.

Die Antragstellerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, ihr Zweck der Import und Export sowie der Transithandel von Geflügel, Geflügelprodukten und Lebensmitteln aller Art. Im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärungen für 1995 und 1996 machte sie u.a. Vorsteuern aus Rechnungen italienischer Firmen für den Kauf von Hähnchenfleisch in Höhe von DM (1995) sowie DM (1996) geltend. Die Erklärung für 1995 führte nach Zustimmung des FA zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, die Umsatzsteuererklärung für 1996 wurde wegen einer anstehenden Betriebsprüfung zunächst nicht bearbeitet.

Das ihr in Rechnung gestellte Hähnchenfleisch hatte die Antragstellerin zunächst direkt aus Nicht-EU-Staaten wie China, Thailand oder Ungarn oder indirekt über die Firma K/Liechtenstein erworben. Um die Ware zollfrei nach Deutschland einführen zu können, bedurfte es entsprechender Einfuhrlizenzen, über die o.g. italienische Firmen verfügten. Die Antragstellerin verkaufte daher das Hähnchenfleisch bereits im Drittland an italienische Firmen wie die Firma B/Mailand, welche die in Deutschland eingetroffenen Waren zum freien Verkehr anmeldeten, die Einfuhrumsatzsteuer entrichteten und die Ware schließlich mit einem Aufschlag an die Antragstellerin zurück veräußerten. Anschließend verkaufte die Antragstellerin das Hähnchenfleisch an im Inland ansässige Firmen wie z.B. C und -import (Bl. 68ff Gerichtsakte).

Eine die Streitjahre betreffende Außenprüfung kam zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständlichen Rechnungen der italienischen Firmen den Vorsteuerabzug nicht ermöglichten, weil die Leistungsbeschreibung unzutreffend sei. Es würden Lieferungen abgerechnet, tatsächlich aber - durch Zurverfügungstellen von Einfuhrlizenzen - sonstige Leistungen erbracht (Tz 33 des Bp-Berichtes vom 14.11.2003, Bl. 26 Gerichtsakte). Das FA schloss sich den Feststellungen der Betriebsprüfung an und erließ am 19.12.2003 einen Änderungsbescheid zur Umsatzsteuer 1995 sowie erstmalig einen Umsatzsteuerbescheid 1996. Die Antragstellerin legte Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung, die das FA ablehnte. Mit ihrem gerichtlichen Aussetzungsantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter und trägt zur Begründung vor:

a) Das FA gehe zu Unrecht davon aus, dass die Leistungen der italienischen Firmen in der Zurverfügungstellung von Einfuhrlizenzen bestanden hätten und damit als sonstige Leistungen zu werten seien. Bei dieser rechtlichen Bewertung werde das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30.03.2000 (Bl. 66/67 Gerichtsakte) außer Acht gelassen. Darin sei die lizenzrechtliche Würdigung von Einfuhrvorgängen - wie im Streitfall - nach den Vorgaben der Europäischen Kommission angeordnet worden. Für die rechtliche Würdigung sei insbesondere von Bedeutung, dass das Finanzministerium den mit dem Streitfall identischen Sachverhalt als Kaufgeschäft einordne und ausdrücklich für zulässig erkläre. Demnach sei Gegenstand der Verträge die körperliche Ware "Hähnchenfleisch" und nicht der Kauf von Rechten gewesen. Der Verkauf von Rechten (Lizenzen) sei schon aufgrund der lizenzrechtlichen Bestimmungen ausgeschlossen, da die Lizenzen der italienischen Firmen weder veräußerbar noch übertragbar seien.

b) Den jeweiligen Lizenznehmern sei auch die tatsächliche Verfügungsmacht über die Ware verschafft worden. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Lizenznehmer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die Ware zum freien Verkehr in Deutschland angemeldet und die entsprechenden Zollabgaben und die Einfuhrumsatzsteuer entrichtet hätten. Darüber hinaus sei die Ware von der Antragstellerin im Drittland an die italienischen Firmen verkauft worden, ohne dass sie sich ein wie auch immer geartetes Recht hinsichtlich einer Veräußerungsbeschränkung, Rückübertragungsverpflichtung o.ä. vorbehalten hätte. Dem jeweiligen Lizenznehmer habe es folglich freigestanden, nach seinem Ermessen beliebig über sein Eigentum zu verfügen.

c) Aufgrund der Höhe der festgesetzten Umsatzsteuer stelle die Vollziehung des Bescheides auch eine unbillige Härte dar, da bei einer Vollziehung Insolvenz angemeldet werden müsse. Ein solcher Insolvenzantrag bedeute einen nicht mehr ersetzbaren Schaden für die Antragstellerin. Außerdem sei das FA selbst von einer grundsätzlichen Abziehbarkeit der Vorsteuern ausgegangen. Der Betriebsprüfer habe auf die Möglichkeit einer Rechnungskorrektur hingewiesen, die dazu führen würde, dass die entsprechenden Vorsteuern abziehbar blieben. Auch unter diesem Gesichtspunkt sei eine Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, um eine unbillige Härte für die Antragstellerin zu vermeiden.

d) Schließlich werde darauf hingewiesen, dass in der Europäischen Union ca. 600 Firmen mit dem Geschäftsmodell der Lizenzbündelung tätig seien und die Finanzverwaltungen (insbesondere das FA München) bislang den Vorsteuerabzug aus den Kaufverträgen anerkannt hätten.

e) Da die geltend gemachten Vorsteuern in der einen oder anderen Form definitiv abziehbar seien, könne eine Gefährdung des Steueranspruchs nicht zum Tragen kommen, sodass die Gestellung einer Sicherheitsleistung entbehrlich sei.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung des Umsatzsteuer-Änderungsbescheides 1995 und des Umsatzsteuerbescheides 1996 vom 19.12.2003 auszusetzen und die bis zum Ergehen einer gerichtlichen Entscheidung verwirkten Säumniszuschläge aufzuheben.

Das FA beantragt,

den Abtrag abzuweisen,

hilfsweise,

Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.

a) Der Verkauf und Rückkauf der Ware an die bzw. von den italienischen Lizenzinhabern stellten keine Lieferungen im Sinne von § 3 Abs. 1 UStG dar. Die dafür erforderliche Verschaffung der Verfügungsmacht beinhalte einen von den Beteiligten endgültig gewollten Übergang der wirtschaftlichen Substanz des Gegenstandes vom Leistenden auf den Leistungsempfänger. Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung sei die Antragstellerin lediglich vermittelnd zwischen den Produzenten, den Lizenzinhabern und den inländischen Abnehmern tätig geworden, indem sie die Kontakte hergestellt habe. Für eine sonstige Leistung spreche auch, dass die Antragstellerin - nach Aussage des Betriebsprüfers - im Rahmen der Betriebsprüfung vorgetragen habe, sie nehme in dem gesamten Geschäftsmodell nur eine "Clearing-Funktion" ein und im Schreiben vom 28.1.2003 (Bl. 25ff Rechtsbehelfsakte) u.a. ausführe, dass ein Import der Waren mit eigenen Mitteln überhaupt nicht denkbar und realisierbar gewesen sei.

Die italienischen Lizenzinhaber hätten keinerlei eigenes Interesse an dem Kauf des Hähnchenfleisches gehabt, sondern nur ihre Einfuhrlizenzen zur Verfügung gestellt. Auch von Seiten der Antragstellerin sei ein endgültig gewollter Übergang der Waren auf die italienischen Lizenzinhaber nicht beabsichtigt gewesen, da sie ihre Verpflichtungen gegenüber ihren inländischen Abnehmern habe erfüllen müssen. Dabei sei von vornherein vorgesehen gewesen, dass die Ware an die Antragstellerin zurückverkauft werde, damit diese sie an die inländischen Abnehmer weiter vermittele. Hierzu führe die Antragsstellerin in dem o.g. Schreiben vom 28.1.2003 (Bl. 25ff Rechtsbehelfsakte) aus: "Wie sich bereits aus den Darstellungen ergibt, hat die "Antragstellerin" die Geschäftsvorfälle nicht organisiert und abgewickelt, sondern lediglich die Importe abgewickelt. Die Warentransaktionen wurden von der "Antragstellerin" gerade nicht organisiert" (S. 10 Absatz 3).

Die Geschäftsparteien hätten zu keinem Zeitpunkt die Verschaffung der Verfügungsmacht an der Ware "Geflügel" bzw. den endgültigen Übergang der wirtschaftlichen Substanz der Ware gewollt. Hierfür spreche insbesondere die schnelle Abfolge der Rechnungsstellung wie z.B. in folgender Rechnungskette (Bl. 34ff Rechtsbehelfsakte): Rechnung der Firma A vom 8.1.1996 an die Antragstellerin, verschiedene Rechnungen der Antragstellerin an italienische Lizenzinhaber vom 12.1.1996, Rechnungen der italienischen Lizenzinhaber an die Antragstellerin jeweils vom 16.1.1996; Rechnungen der Firma X (Internationale Kühlspedition) an die italienischen Firmen jeweils vom 19.1.1996. Das Datum der Rechnungsstellung bei allen Lieferungen zwischen der Antragstellerin und den italienischen Lizenzinhabern zeige, dass sofort nach der Einfuhr in das Inland die Ware wieder an die Antragstellerin zurückverkauft worden sei. Dies lasse die Schlussfolgerung zu, dass sowohl die Antragstellerin als auch die italienischen Lizenzinhaber zu keinem Zeitpunkt den endgültigen Übergang der Ware an die Lizenzinhaber gewollt hätten.

b) Dass die Leistung nicht in der Verschaffung der Ware "Geflügel", sondern in der Zurverfügungstellung von Einfuhrlizenzen bestehe, stehe auch nicht im Widerspruch zu dem Schreiben des BMF vom 30.3.2000. Darin werde lediglich eine Aussage über die lizenzrechtliche bzw. zollrechtliche Zulässigkeit von Einfuhrvorgängen dieser Art und über die Frage, ob ein "Scheingeschäft" vorliege, getroffen. Da es im angeführten Schreiben heiße "Die Kaufverträge ... dienen dem Zweck der Ausnutzung von Kontingenten bzw. Lizenzen" und .... "Die Firma hat im Ergebnis an die Lizenzinhaber eine Gebühr für die Nutzung der Lizenz gezahlt", werde die eigene Auffassung bestätigt.

c) Eine Aussetzung wegen unbilliger Härte scheide aus, weil keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide bestünden. Im Übrigen habe die Antragstellerin in keiner Weise glaubhaft gemacht, dass sie bei Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide tatsächlich Insolvenz anmelden müsse.

d) Da nach dem Vortrag der Antragstellerin ihre wirtschaftliche Lage die Steuerforderung als gefährdet erscheinen lasse, werde im Falle der Anordnung einer Aussetzung der Vollziehung beantragt, diese gegen Sicherheitsleistung auszusprechen.

Auf die gerichtliche Verfügung vom 4.5.2004, mit der die Antragstellerin aufgefordert worden war, einen in deutscher Sprache abgefassten Vertrag über den Verkauf und Rückkauf von Hähnchenfleisch mit der Firma B vorzulegen, teilte diese mit, dass ein schriftlicher Vertrag mit ihr nicht geschlossen worden sei, diese Geschäfte vielmehr wie in einer Vielzahl von anderen gleich gelagerten Fällen aufgrund mündlicher Abreden durchgeführt worden seien.

Gründe

Der Antrag ist unbegründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheides auf Antrag aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn seine Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides ist ernstlich zweifelhaft, wenn die Prüfung der Sach- und Rechtslage auf Grund der präsenten Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhaltes in entscheidungserheblicher Weise zu Unsicherheiten in der Beurteilung der Rechtslage oder zu Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen führt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BFHE 125, 423, BStBl II 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 69 Anm. 86 ff. m.w.N.). Eine unbillige Härte im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO ist anzunehmen, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Steuerzahlung hinausgehen und die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind (vgl. BFH-Beschluss vom 24. 11.1988 IV S 1/86, BFH/NV 1990, 295). Da im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung wie im Hauptsacheverfahren die Regeln über die objektive Feststellungslast gelten, muss der Antragsteller die entscheidungserheblichen Tatsachen darlegen und glaubhaft machen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24.05.1993 V B 33/93, BFH/NV 1994, 133; vom 4.6.1996

VIII B 64/95, BFH/NV 1996, 895).

1. Aufgrund der im summarischen Verfahren gebotenen überschlägigen Prüfung anhand des Vorbringens der Beteiligten und des Akteninhalts hat der Senat keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide. Die Antragstellerin hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass überhaupt und gegebenenfalls auf welche Weise ihr die Verfügungsmacht an dem Hähnchenfleisch verschafft wurde. Selbst wenn ihr Verfügungsmacht an der ihr in Rechnung gestellten Ware (Hähnchenfleisch) verschafft worden wäre, scheiterte der Vorsteuerabzug - aus formalen Gründen - an der unzutreffenden Leistungsbeschreibung.

a) § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt für den Vorsteuerabzug u.a. voraus, dass entgeltliche Lieferungen oder sonstige Leistungen für das Unternehmen des vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmers ausgeführt wurden. Lieferungen sind nach § 3 Abs. 1 UStG Leistungen, durch die ein Unternehmer den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Die Verschaffung der Verfügungsmacht an dem Liefergegenstand bedeutet den Wechsel der tatsächlichen Sachherrschaft von einem Inhaber auf einen anderen (Leonard in Bunjes/Geist, UStG, § 3 Rz 16). Verfügungsmacht wird dem Abnehmer im Regelfall durch die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums verschafft, wegen der Anknüpfung der Umsatzsteuer an wirtschaftliche Vorgänge ist die Verschaffung wirtschaftlichen Eigentums (§ 39 Abs. 2 AO) jedoch ausreichend. Zivilrechtliches Eigentum wird durch Einigung und Übergabe übertragen (§§ 929ff BGB), wobei die körperliche Übergabe des Liefergegenstandes durch die Übergabe eines sog. Traditionspapiers (Orderlagerschein, Ladeschein oder Konnossement §§ 363, 444, 475, 475c, 642ff HGB) ersetzt werden kann, sofern sich der Liefergegenstand bei einem Lagerhalter, einem Frachtführer oder Verfrachter befindet.

Aus dem an die Betriebsprüfung gerichteten Schriftsatz der Antragstellerin vom 28.1.2003 ergibt sich, dass die Verladung der Ware nach Kontraktabschluss im Drittland regelmäßig innerhalb von drei Monaten erfolgte, die Verschiffungszeiten von Südamerika oder Asien nach Europa im Durchschnitt vier Wochen betrugen und die Ware nach Ankunft im Bestimmungshafen verzollt und sodann entweder eingelagert oder weiterveräußert wurde. Im Schriftsatz vom 30.4.2004 (Bl. 9ff Gerichtsakte) sowie dem Anlagenkonvolut A 7 (Bl. 68ff Gerichtsakte) hat die Antragstellerin den Ablauf eines Geschäfts über 8000kg Hähnchenbrust wie folgt dargestellt: Kauf von Hähnchenfleisch im Drittland mit anschließendem Verkauf vom 22.11.1995 an den italienischen Lizenzinhaber B für 6,20 DM/kg (Bl. 69 Gerichtsakte), Anmeldung der Ware zum freien Verkehr beim Zollamt durch die Spedition X für die Firma Y (mit dem handschriftlichen Vermerk auf der Aufschubbescheinigung: "Ware überlassen am 23.11.1995"), Rückkauf von der Firma B vom 22.11.1995 für 7,06 DM/kg (Bl. 71 Gerichtsakte) und Weiterverkauf an die Firma B. C/ vom 22.11.1995 für 7,98 DM/kg (Bl. 68 Gerichtsakte).

Da die Ware auf dem Schiffsweg vom Drittland nach Deutschland gelangte und dort eingelagert wurde, wäre die Übertragung des zivilrechtlichen Eigentums der auf dem Transport befindlichen oder eingelagerten Ware durch Übertragung des Besitzes an handelsrechtlichen Traditionspapieren möglich gewesen. Die Antragstellerin hat jedoch weder Traditionspapiere vorgelegt, die eine Eigentumsübertragung und damit auch eine Übertragung der Verfügungsmacht dokumentieren, noch andere Tatsachen vorgetragen, aus denen eine Übertragung der Verfügungsmacht gefolgert werden könnte. Entgegen ihrer Ansicht ergibt sich die Verfügungsmacht der italienischen Firmen auch nicht aus der in ihrem Namen erfolgten Verzollung der eingeführten Waren. Denn die Verzollung der Ware im Namen der italienischen Firmen beruhte lediglich darauf, dass die Antragstellerin Rechnungen über den Verkauf von Hähnchenfleisch an die jeweiligen italienischen Firmen ausstellte. Abgesehen davon, dass durch die bloße Vereinbarung eines Kaufs bei gleichzeitigem Rückkauf ohne Besitzerwechsel die Verfügungsmacht an einer Ware grundsätzlich nicht übertragen werden kann (BFH-Urteil vom 26.10.1967 V 230/64, BStBl II 1968, 110), erfolgte in dem von der Antragstellerin beispielhaft angeführten Fall die zollrechtliche Überlassung der Ware am 23.11.1995 und damit zu einem Zeitpunkt, als die Ware bereits von der Antragstellerin zurückgekauft und überdies an den deutschen Abnehmer (Firma C) weiterverkauft worden war.

b) Selbst wenn - entsprechend dem Vorbringen der Antragstellerin - davon ausgegangen würde, dass sie den italienischen Lizenznehmern und diese im Anschluss wiederum der Antragstellerin Verfügungsmacht an dem Hähnchenfleisch verschafft hätte, scheitert der Vorsteuerabzug daran, dass die in den Rechnungen erfolgte Leistungsbeschreibung unzutreffend ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, erfordert der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG u.a., dass das Abrechnungspapier Angaben tatsächlicher Art enthält, die - ggf. unter Heranziehung weiterer Erkenntnismittel - die Identifizierung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet wird (BFH-Urteil vom 08.09.1994 V R 70/91, BStBl II 1995, 32; BFH-Urteil vom 21.01.1993 V R 30/88, BStBl II 1993, 384). So genügt beispielsweise eine Abrechnung über hergestelltes Mauerwerk diesen Anforderungen nicht, wenn die tatsächlich erbrachte Leistung in der Überlassung eines Kranführers bestand (BFH-Beschluss vom 9.12.1987 V B 54/85, BStBl II 1988, 700). Entsprechendes gilt für die im Streitfall erteilten Abrechnungen. Sie erhalten keine Angaben tatsächlicher Art, die eine Identifizierung der von den italienischen Firmen wirklich erbrachten Leistung (Zurverfügungstellung von Einfuhrlizenzen) ermöglichen. Vielmehr weisen sie eine andere Leistung (Lieferung von Hähnchenfleisch) aus, die nach dem wirtschaftlichen Gehalt des Rechtsgeschäftes nicht ausgeführt worden ist.

Da eine ausgeführte Leistung nach ihrem maßgeblichen wirtschaftlichen Gehalt zu bestimmen ist, darf die Verschaffung der tatsächlichen Verfügungsmacht an einem Gegenstand nur dann als Lieferung beurteilt werden, wenn der wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs (überwiegend) auf eine Gegenstandsübertragung und nicht auf eine bloße Rechts- oder Nutzungsüberlassung gerichtet ist (Birkenfeld, Umsatzsteuer-Handbuch, Band I Rz 632 m.w.N.)

Die Verschaffung der Verfügungsmacht an einem Gegenstand (§ 3 Abs. 1 UStG) zugunsten eines Abnehmers führt somit nur dann zu einer Lieferung, wenn nach den Intentionen der Vertragspartner, dem objektiven wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs und nach der Verkehrsauffassung die endgültige Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag eines Gegenstandes im Vordergrund der Leistung steht (BFH-Urteil vom 12.05.1993 XI R 56/90, BStBl II 1993, 847). Insbesondere bei Leistungsvorgängen, die sowohl Elemente einer Lieferung als auch solche einer sonstigen Leistung einschließen, muss die endgültige Übertragung von Substanz, Wert und Ertrag an dem Gegenstand den wirtschaftlichen Gehalt des Geschäfts ausmachen (Nieskens in Rau/Dürrwächter, UStG § 3 Anm. 523).

Die Rechtsprechung hat daher eine Lieferung verneint, wenn ein Pflanzenzüchter anderen Unternehmern (sog. Kostnehmern) fertige Pflanzen übergibt und diese nach Ablauf der Pflegezeit dem Pflanzenzüchter dieselben Pflanzen zurückgeben. Die zwischen dem Pflanzenzüchter und den Kostnehmern abgeschlossenen Verträge haben dann - wirtschaftlich gesehen - die Übernahme von Pflegemaßnahmen, mithin sonstige Leistungen und keine Lieferungen, zum Gegenstand (BFH-Urteil vom 19.07.1962 V 145/59 U, BStBl III 1962, 543). Auch liegen keine Lieferungen und kein Rückkauf von Schweinen, sondern eine als sonstige Leistung anzusehende Lohnmast vor, wenn ein Viehhändler Schweine an Landwirte verkauft mit der vertraglichen Verpflichtung, diese nach Ende der Mastdauer an ihn zurückzuverkaufen, und den Landwirten hierfür einen fester Betrag pro Tier als Gewinn garantiert wird (Urteil des FG Niedersachsen vom 19.03.1992 V 482/91 n.v., bestätigt durch BFH-Beschluss vom 18.08.1995 V R 11/93, BFH/NV 1996, 86). Schließlich ist nach dem BFH-Urteil vom 12.05.1993 XI R 56/90 (BStBl II 1993, 847) die Zuleitung von sog. Pumpstrom an Pumpspeicherkraftwerke als sonstige Leistung zu qualifizieren, weil der wirtschaftliche Gehalt des Vorgangs nicht auf eine (endgültige) Stromlieferung gerichtet ist, sondern auf vorübergehende Speicherung (sog. "Verwahrung von Strom").

Nach Ansicht des Senates lag der wirtschaftliche Gehalt des Ver- und Rückkaufs von Hähnchenfleisch im Streitfall nicht in der Übertragung der Verfügungsmacht, sondern in der Nutzung von Einfuhrlizenzen, die italienische Firmen der Antragstellerin gegen Entgelt zur Verfügung stellten. Die nicht endgültige, sondern - allenfalls - vorübergehende Übertragung der Verfügungsmacht zeigt sich insbesondere darin, dass in dem von der Antragstellerin angeführten Beispiel der Verkauf an die italienische Firma B, der Rückkauf und darüber hinaus auch der Weiterverkauf der Ware an die Firma B. C am selben Tag (dem 22.11.1995) erfolgten. Im Übrigen waren - auch wenn keine Rückübertragungsverpflichtung o.ä. vereinbart wurde - sich die Beteiligten von vornherein darin einig, dass die verkaufte Ware unverzüglich zurückgekauft wird. Denn das Geschäftsmodell der Antragstellerin beruht nach eigenem Vorbringen gerade auf einer zollrechtlich zulässigen Bündelung von Einfuhrlizenzen und setzt auch zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Weiterverkauf der Ware die Beibehaltung oder Wiedererlangung der Verfügungsmacht voraus, während die italienischen Firmen keinerlei Interesse an der - endgültigen - Verschaffung der Verfügungsmacht haben.

Etwas anderes ergibt sich nach Ansicht des Senates auch nicht aus dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30. März 2000 (III B 3 M 0500 - 2/00), wonach die Firma - im Streitfall also die Antragstellerin - im Ergebnis an die Lizenzinhaber eine Gebühr für die Nutzung der Lizenz gezahlt hat. Selbst wenn - woran wie unter 1) ausgeführt wurde, bereits Zweifel bestehen - die Antragstellerin ihr Eigentum an der Ware übertragen und wiedererlangt hätte, kam es den Beteiligten doch nicht auf die Übertragung des Eigentums an der Ware an. Sofern dieses übertragen worden sein sollte, bildete diese Übertragung nicht den spezifischen wirtschaftlichen Gehalt des Vorgangs, sondern lediglich das "Vehikel", um die Ware zollfrei nach Deutschland einführen zu können.

2. Der Senat hält auch die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung wegen einer unbilligen Härte im Streitfall für nicht gegeben.

a) Die Antragstellerin hat weder substantiiert vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass die für eine unbillige Härte erforderliche Existenzgefährdung durch die angegriffene Maßnahme drohe. Ob die Vollziehung für den Steuerpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat, kann der Senat nur beurteilen, wenn ihm die wirtschaftliche Lage des Steuerpflichtigen nach Einkommen, Liquidität, leicht verwertbaren Vermögensteilen, Beleihungsgrenzen usw. im Einzelnen bekannt ist. Es ist Sache des Steuerpflichtigen, diese Umstände dem Gericht vorzutragen und glaubhaft zu machen (BFH-Beschluss vom 9.1.1990 VII B 127/89, BFH/NV 1990, 473 sowie BFH-Beschluss VI S 9/66 vom 31.1.1967, BStBl III 1967,255). Dies hat die Antragstellerin im Streitfall unterlassen. Sie hat sich auf die pauschale Behauptung einer drohenden Insolvenz beschränkt.

b) Eine zur Aussetzung führende Unbilligkeit kann auch nicht damit begründet werden, dass der Vorsteuerabzug nach einer Rechnungskorrektur möglich wäre. Abgesehen davon, dass ein Vorsteuerabzug ordnungsgemäße Rechnungen erfordert und solche Rechnungen jedenfalls derzeit nicht vorliegen, wäre die Bemessungsgrundlage und damit der Vorsteuerabzug bei Abrechnungen über die Zurverfügungstellung von Einfuhrlizenzen erheblich geringer als bei der Abrechnung über die Lieferung von Hähnchenfleisch.

3. Im Rahmen des Aussetzungsverfahrens kann das Finanzgericht zwar gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO die Vollziehung eines Steuerbescheides mit der Maßgabe aussetzen, dass in der Vergangenheit entstandene Säumniszuschläge entfallen (BFH-Beschluss vom 10.12.1986 I B 121/86, BStBl II 1987, 389). Dies setzt jedoch - im Streitfall nicht vorhandene - ernstliche Zweifel ab Fälligkeit des Steueranspruchs voraus.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde wurde im Hinblick auf die Vielzahl der betroffenen Firmen nach § 128 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

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