OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.12.2004 - 24 U 201/03
Fundstelle
openJur 2012, 25732
  • Rkr:
Tenor

Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 18.07.2003 werden zurückgewiesen.

Die Beklagten haben gesamtschuldnerisch die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten sind mit weniger als 20.000,00 € beschwert.

Gründe

1.

Die Klägerin verlangt Schadensersatz in Geld aus einem Verkehrsunfall.

Dieser Unfall ereignete sich am 25.12.1997 zwischen 16.40 Uhr und 16.45 Uhr auf gerade verlaufender Landstraße; zum Straßenverlauf im Einzelnen wird auf die Lichtbilder Bl. 95 der Ermittlungsakte Bezug genommen.

Der Beklagte A und hinter ihm fahrend der Beklagte B befuhren die Landstraße auf der rechten Fahrbahnseite mit ihren Rennrädern; die Rennräder waren nicht mit Beleuchtungseinrichtungen versehen. Von hinten her näherte sich die Klägerin mit ihrem Automobil; ihre Geschwindigkeit betrug zwischen 80 und 95 km/h. Sie überholte die Radfahrer und kam ins Schleudern; in der Folge stieß sie frontal mit einem entgegenkommenden Pkw zusammen. Die in ihrem Fahrzeug sitzende Mutter wurde getötet, die Klägerin selbst verletzt.

Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Geld verurteilt; dabei ist es dem Grunde nach von einer Mitverantwortlichkeit der Klägerin zu 40 % ausgegangen.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Einzelnen wird auf das Urteil vom 18.07.2003 Bezug genommen.

Mit der Berufung tragen die Beklagten vor, der Beklagte B - hinter dem Beklagten A fahrend - habe eine Batterieleuchte am Rückenteil seiner Jacke befestigt gehabt, und die Leuchte sei eingeschaltet gewesen. Beide seien unmittelbar hintereinander - mit einem Abstand von etwa 2 Metern - gefahren. Die Klägerin sei erst nach dem Überholen ins Schleudern geraten.

Der Beklagte zu 2) - Herr B - beantragt,

das am 18.07.2003 verkündete Urteil des Landgerichts Darmstadt - Az. 8 O 13/99 - aufzuheben und die Klage gegen den Beklagten zu 2) abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) - Herr A - beantragt,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

Sie trägt vor, sie habe die beiden Radfahrer zu spät gesehen, weil diese in der bereits hereingebrochenen Dunkelheit ohne Beleuchtung gefahren seien. Nach einer ruckartigen Ausweichbewegung um den Beklagten B herum habe sie ihr Fahrzeug wieder nach rechts gezogen, und als sie den Beklagten A erkannt habe, erneut ruckartig ausweichen müssen; dadurch sei sie ins Schleudern geraten.

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die vor dem Oberlandesgericht gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

2.

Die Berufungen der Beklagten sind unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die beiden Beklagten dem Grunde nach für schadensersatzpflichtig erachtet, und es ist ebenso zu Recht von einem überwiegenden Verschulden der Beklagten ausgegangen.

Das Berufungsgericht sieht nichts, was die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zum Unfallverlauf in ihrer Richtigkeit in Frage stellen könnte. Insbesondere folgt das Berufungsgericht der Auffassung des Landgerichts, dass es den Beklagten oblegen hätte, nachzuweisen, dass wenigstens die behauptete „Notbeleuchtung“ - und eine andere Bezeichnung verdiente eine an der Jacke befestigte Batterieleuchte angesichts der eindeutigen Regelungen des § 67 StVZO nicht - leuchtete.

Die Beweiswürdigung, wie das Landgericht sie zu diesem tatsächlichen Aspekt gefunden hat, wird vom Berufungsgericht vollen Umfanges mitvollzogen. Es sieht keinen Anhaltspunkt dafür, den Aussagen der am Unfallort erschienenen Zeugen mehr an Kenntnis beizumessen, als diese Zeugen zu haben erklärten; erklärtermaßen wussten sie aber nicht zu sagen, ob an der Kleidung des Beklagten zu 2) eine Batterieleuchte in Funktion war.

Zu Recht hat das Landgericht auch hervorgehoben, dass kein Anscheinsbeweis dafür spricht, dass eine mitgeführte „Notbeleuchtung“ auch verwendet wurde; einen dahin gehenden Erfahrungssatz gibt es nicht. Gerade angesichts dessen, dass die Beklagten behaupten, es sei zur Unfallzeit noch nicht ganz dunkel gewesen, weiter angesichts dessen, dass sie schon längere Zeit auf ihren Fahrrädern unterwegs waren, erscheint im Gegenteil durchaus denkbar, dass der Beklagte zu 2) die Leuchte - noch - nicht in Funktion gesetzt hatte, hätte er doch nach der von ihm behaupteten Befestigungsart zu diesem Zweck absteigen und seine Jacke ausziehen müssen. Zu Recht weist das Landgericht im übrigen darauf hin, dass eine an die Kleidung gesteckte Leuchte wegen der Flexibilität des Materials der Kleidung auch in eine ganz andere Richtung als nach hinten leuchten könnte, und dass es u.a. diese Gefahr ist, der die StVZO durch die Vorschrift fester Beleuchtungseinrichtungen begegnen will.

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht auch zu Recht von einer Parteivernehmung der Beklagten abgesehen. Ist eine solche Parteivernehmung nämlich nur dort eröffnet, wo bereits „einiger Beweis“ für die Wahrheit einer Behauptung erbracht ist (§ 448 ZPO), gibt es aber keinen ausreichend tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass die Leuchte in der Tat eingeschaltet und nach hinten sichtbar war, dann würde eine Parteivernehmung der Einführung eines im Gesetz nicht vorgesehenen Beweismittels gleichkommen und die u.a. durch die eingrenzenden Voraussetzungen des § 448 ZPO zu sichernde „Waffengleichheit“ im Zivilprozess verletzen.

Die Beklagten mussten die vorgeschriebenen Beleuchtungseinrichtungen nicht nur an ihren Rädern führen, sondern sie auch benutzen; das war nämlich angesichts einbrechender Dunkelheit erforderlich (§ 17 Abs. 1 StVO). Wie das Landgericht - ebenfalls - zutreffend hervorgehoben hat, kann es dabei dahingestellt bleiben, ob der Unfall sich erst um 16.55 Uhr oder schon um 16.45 Uhr ereignete. Aus von ihm den eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen des deutschen Wetterdienstes und des Sachverständigen SV 1 ergibt sich nämlich, dass auch bereits um 16.45 Uhr nur noch derart schwaches Tageslicht vorhanden war, dass die Benutzung von Beleuchtungseinrichtungen zwingend erforderlich war, um die Erkennbarkeit der Beklagten zu sichern.

Mit dem Landgericht nimmt auch das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung und Literatur einen Anscheinsbeweis für die Unfallursächlichkeit des Verstoßes gegen die Vorschriften zur Beleuchtung von Fahrzeugen an: Es gehört zu den ganz typischen Folgen der Nichtbenutzung notwendiger Beleuchtungseinrichtungen, dass ein Verkehrsteilnehmer zu spät gesehen wird; eine typische „Verlaufsvariante“ ist die, die die Klägerin - übrigens ausweislich der polizeilichen Verkehrsunfallanzeige noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Unfalles, ohne dass sie Gelegenheit gehabt hätte, sich etwas „zurecht zu legen“ - beschrieben hat, dass sie nämlich wegen des für sie plötzlichen Auftauchens der Radfahrer zu ruckartigen Ausweichbewegungen gezwungen war und dabei die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlor. Es ist der ganz offensichtliche Zweck der Vorschriften über die Ausrüstung mit und die Benutzung von Beleuchtungseinrichtungen, die Sichtbarkeit von Fahrzeugen in der Dämmerung und Dunkelheit zu gewährleisten.

Der Anscheinsbeweis ist nicht erschüttert. Für die Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei erst nach dem Überholen ins Schleudern geraten, finden sich keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte. Gerade dann, wenn - wie die Beklagten es vorausgesetzt sehen wollen - es sich um einen ganz gewöhnlichen Überholvorgang gehandelt hätte, wäre überhaupt kein Grund dafür ersichtlich, wieso die Klägerin auf über weite Strecke völlig gerade verlaufender Landstraße hätte ins Schleudern kommen sollen.

Nicht ernstlich kann sich das Berufungsgericht dem Hinweis der Beklagten darauf annähern, die Klägerin sei wegen „überhöhter Geschwindigkeit“ ins Schleudern geraten - auf gerade verlaufender Fahrbahn stellte eine Fahrgeschwindigkeit von 80 - 95 km/h sicherlich keine „unangemessene Geschwindigkeit“ dar; hierbei bedarf es noch nicht einmal des Hinweises darauf, dass außer tageszeitbedingten keine wesentlichen Einschränkungen der Sicht gegeben waren (nach Auskunft des deutschen Wetterdienstes betrug die Sichtweite bei - eventuell - leichtem Regen ca. 20 km).

Was die Schadenshöhe angeht, sind die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht angegriffen.

3.

Die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung der Revision sieht das Berufungsgericht nicht als gegeben an.