Hessischer VGH, Beschluss vom 11.10.2004 - 10 UE 2731/03
Fundstelle
openJur 2012, 25584
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. August 2003 - 10 E 5407/01 (1) - aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Kostenfestsetzung abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Leistungen aus Mitteln der Sozialhilfe für die Beschaffung des Medikamentes "Viagra" zu gewähren.

Der 1949 geborene Kläger bezieht seit einigen Jahren zusammen mit seiner Ehefrau vom Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Er ist nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 26. Oktober 2000 beantragte er die Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra in einer Dosierung von einer Tablette pro Tag. Er fügte dem Antrag das Attest eines Facharztes für Urologie bei, in dem ihm eine erektile Dysfunktion attestiert und eine weitere Behandlung für erforderlich gehalten wird. Außerdem war eine Verordnung über das Medikament Viagra beigefügt. Zur Begründung berief er sich auf bereits ergangene Rechtsprechung zur Übernahmefähigkeit der Kosten für das Medikament Viagra.

Mit Bescheid vom 8. Dezember 2000 lehnte das Sozialamt des Beklagten die Übernahme der Kosten für das Präparat ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, nach von ihm - dem Beklagten - eingeholten Auskünften verschiedener gesetzlicher Krankenversicherungen würden entsprechend der Richtlinien des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen (Arzneimittelrichtlinien - AMRl. -) Verordnungen von Viagra zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht anerkannt. Da Sozialhilfeempfänger nicht besser gestellt werden dürften als Kassenpatienten, könne auch dem Kläger keine Leistung für das Medikament Viagra gewährt werden. Den vom Kläger daraufhin erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2001 als unbegründet zurück. Zur Ergänzung seiner Ablehnungsbegründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, für die Behandlung der beim Kläger diagnostizierten erektilen Dysfunktion stünden preisgünstigere Behandlungsmethoden zur Verfügung wie etwa Vakuumpumpen, Spritzen und dergleichen. Zudem habe sein - des Beklagten - Gesundheitsamt Bedenken geäußert, ob Viagra für den Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Vorschädigungen wegen seiner Alkoholkrankheit und der dadurch bedingten Leberinsuffizienz überhaupt geeignet sei. Es sei Sache des Klägers, diese Fragen einer Klärung zuzuführen und den konkreten Bedarf des Medikamentes nachzuweisen. Ohne eine solche Abklärung über die Häufigkeit der Anwendung des Medikaments seien schwere gesundheitliche Schäden zu befürchten, aber auch Missbrauch, indem nicht gebrauchte Tabletten auf dem Schwarzmarkt veräußert werden könnten.

Nach am 14. November 2001 erfolgter Zustellung des Widerspruchsbescheides erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2001 - beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main am gleichen Tag per Telefax eingegangen - Klage mit dem Ziel, den Beklagten zur Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra zu verpflichten. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, das von der Behörde zur Verfügung gestellte Alternativmedikament sei umständlich zu handhaben und schmerzhaft, da dieses Produkt in den Penis gespritzt werden müsse. Das Produkt Viagra, das in Tablettenform verabreicht werde, sei das einzig geeignete Medikament zur effektiven Behandlung seiner erektilen Dysfunktion.

Der Kläger beantragte,

unter Aufhebung der Bescheide vom 8. Dezember 2000 und vom 12. November 2001 den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die beantragte Leistung, nämlich Kostenübernahme für das Medikament Viagra entsprechend der ärztlichen Verordnung, zu gewähren.

Der Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung und Wiederholung vertiefte er im Wesentlichen seine Argumentation aus dem Verwaltungsverfahren und trug ergänzend vor, das streitgegenständliche Mittel werde von der Bevölkerung allgemein als "Lifestyle-Medikament" angesehen und in diesem Sinne verwandt, weshalb die Missbrauchsgefahr durch Weitergabe an andere Personen erheblich sei ("Schwarzmarktpotenzial").

Mit Urteil vom 12. August 2003 verpflichtete das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main aufgrund der am selben Tag durchgeführten mündlichen Verhandlung unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide den Beklagten dazu, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Gleichzeitig ließ es die Berufung gegen das Urteil zu. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dem Kläger stehe Hilfe bei Krankheit zu, weil die aufgrund ärztlichen Attestes bei ihm bestehende erektile Dysfunktion in Form einer Durchblutungsstörung der Penisschwellkörper eine Krankheit im Sinne des § 37 Abs. 1 BSHG darstelle. Die in der genannten Vorschrift enthaltene Einschränkung, dass die zur Heilung, Verhütung oder Linderung einer Krankheit zu gewährenden Hilfen entsprechend den Leistungen der Krankenbehandlung nach dem Dritten Kapitel, Fünfter Abschnitt, Erster Titel des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches gewährt werden, stehe der Leistungsgewährung im vorliegenden Fall nicht entgegen. Zwar werde vielfach von gesetzlichen Krankenkassen die Verordnungsfähigkeit des Medikaments Viagra verneint, weil nach Nr. 17.1f AMRl. vom 3. August 1998 (BAnz. Nr. 182 vom 29. September 1998, S. 14491) Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und Mittel, die der Anreizung und Steigerung der Potenz dienen, nicht verordnet werden dürfen, jedoch entspreche es der Rechtsprechung der Sozialgerichte aller Instanzen, dass die Arzneimittelrichtlinie des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V nicht selbst Inhalt und Grenzen des Arzneimittelbegriffs nach dem SGB V festlegen bzw. eingrenzen könne, so dass die dort vorgenommene Einschränkung der Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. Zudem beziehe sich die Regelung in Nr. 17.1f AMRl. nur auf Medikamente zur Anreizung und Steigerung der Potenz, was das Vorhandensein derselben voraussetze, so dass sie nicht einschlägig sei, wenn es - wie im vorliegenden Fall - um die Behandlung einer Krankheit, nämlich der erektilen Dysfunktion gehe. Da danach das Medikament Viagra im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sei, seien die Kosten hierfür auch im Rahmen der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz übernahmefähig. Dies habe der Beklagte verkannt und daher von dem ihm eingeräumten Ermessen über Bestimmung von Art und Maß der Hilfe keinen Gebrauch gemacht. Da andererseits das Verwaltungsgericht die Ermessensausübung durch den Beklagten nicht ersetzen könne, sei dieser zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Bei der zu treffenden Ermessensentscheidung werde der Beklagte die von ihm angesprochenen Aspekte zu klären und ggf. zu berücksichtigen haben, also die Frage, ob das Medikament Viagra aufgrund der sonstigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers für diesen verträglich sei und in welchem Umfang die Hilfe ggf. zu gewähren sei, um die Gefahr eines Schwarzmarkthandels auszuschließen oder zumindest zu minimieren. Die Berufung sei nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Das Urteil wurde dem Beklagten am 29. August 2003 zugestellt.

Mit am 26. September 2003 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag hat der Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt und diese mit am 28. Oktober 2003 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eingegangenem Schriftsatz vom 24. Oktober 2003 begründet. Er ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe den Tatsachenvortrag beider Parteien nicht ausreichend festgestellt und gewürdigt. So sei die Wirksamkeit eines Alternativpräparates nicht hinreichend aufgeklärt worden. Zu Unrecht gehe das Verwaltungsgericht davon aus, er - der Beklagte - habe keine Ermessensentscheidung getroffen. Zudem habe das Verwaltungsgericht die Frage eines möglichen Tablettenhandels durch den Kläger nicht richtig gewürdigt. Die Frage, ob das Medikament Viagra für den Kläger aufgrund seiner übrigen Erkrankungen nicht kontraindiziert sei, sei vom Verwaltungsgericht nicht hinreichend aufgeklärt worden. Zudem habe sich durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung eine für den vorliegenden Fall beachtliche Rechtsänderung ergeben. Das Gesetz selbst sehe nunmehr im neu geschaffenen § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V vor, dass im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung von der Arzneimittelversorgung u. a. Arzneimittel ausgeschlossen seien, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienten. Zudem sehe der neu geschaffene § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V vor, dass die Regelungen zur Krankenbehandlung von Empfängern laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz nach dem neu geschaffenen § 264 Abs. 2 bis 7 SGB V den Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz vorgingen. Der Kläger erhalte seit dem 1. Januar 2004 nach § 264 Abs. 2 Satz 1 SGB V Krankenbehandlung von einer gesetzlichen Krankenkasse.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. August 2003 - 10 E 5407/01 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und tritt insbesondere der Behauptung des Beklagten entgegen, er - der Kläger - betreibe einen Tablettenhandel auf dem Hauptbahnhof. Zudem sei auch das vom Beklagten als Alternativprodukt angeführte Präparat nicht risikofrei anzuwenden. Die Anwendung sei zudem schmerzhaft und mit einer zeitlichen Verzögerung von einer halben Stunde verbunden. Die vom Kläger angestrebte Dosierung von einer Tablette pro Tag sei ärztlicherseits verordnet.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die einschlägige Behördenakte des Sozialamts des Beklagten, die Gegenstand der Beratung gewesen ist.

Die Beteiligten sind zu einer Entscheidung nach § 130a Satz 1 VwGO angehört worden.

II.

Der Senat ist einstimmig der Ansicht, dass die Berufung begründet ist, und hält eine mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich, so dass er nach § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss über die Berufung entscheiden kann. Die Beteiligten hatten zuvor Gelegenheit, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen.

Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft, nachdem das Verwaltungsgericht mit für den Senat bindender Wirkung (§ 124a Abs. 1 Satz 2 VwGO) in seinem Urteil unter Anwendung von § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dieses Rechtsmittel zugelassen hat. Die Berufung ist auch ansonsten zulässig, insbesondere innerhalb der gesetzlichen Frist eingelegt und begründet worden (§ 124a Abs. 2 Satz 1 bzw. Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Begründung genügt den formalen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO.

Die Berufung ist auch begründet.

Aufgrund der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Rechtslage muss der Klage des Klägers der Erfolg versagt bleiben. Wegen dieser Änderung der Rechtslage, auf die sogleich einzugehen sein wird, sieht der Senat keine Veranlassung, abschließend die Frage zu klären, ob die erstinstanzliche Entscheidung unter Zugrundelegung des seinerzeit bekannten Sachverhaltes und der seinerzeit geltenden Rechtslage als richtig anzusehen wäre.

Allerdings spricht viel für die Richtigkeit jedenfalls des rechtlichen Ausgangspunktes des Verwaltungsgerichts, die Annahme des Beklagten im Verwaltungsverfahren, eine Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra im Rahmen der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz scheitere bereits daran, dass das fragliche Medikament im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht verordnungsfähig sei, sei unzutreffend. Bereits das Verwaltungsgericht hat eine Reihe sozialgerichtlicher Entscheidungen angeführt, mit denen den Klagen von Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung stattgegeben wurden und in denen die Auffassung vertreten wird, das Medikament Viagra sei bei Vorliegen einer als Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung anzusehenden erektilen Dysfunktion verordnungsfähig. So hat auch das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 20. August 2003, das dem Verwaltungsgericht bei seinem Urteil vom 12. August 2003 noch nicht vorgelegen haben kann, die Auffassung vertreten, die erektile Dysfunktion sei eine Krankheit im Sinne von § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, für die die Verordnung des Medikaments Viagra in Betracht komme, weil dies kein

Bagatell-Arzneimittel darstelle, das von Gesetzes wegen oder durch Rechtsverordnung von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossen sei, und die Regelung in Nr. 17.1f AMRl. insofern nichtig sei, als sie generell "Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion" von der Verordnungsfähigkeit innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließe (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 20. August 2003 - L 4 KR 24/02 - Juris-Ausdruck, nach dortiger Angabe ist die Revision anhängig beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 1 KR 25/03 R). Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 30. Oktober 2003 (- 2 C 26.02 - NJW 2004, 1339 = DÖV 2004, 482) entschieden, dass die Aufwendungen für die Beschaffung des Medikamentes Viagra im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfe für Krankheitskosten beihilfefähig sein können, wenn das Mittel nach ärztlicher Feststellung der Linderung eines durch Krankheit verursachten behandlungsbedürftigen Leidens dient. Zwar beruht dieses Urteil auf der Auslegung anderer Rechtsgrundlagen als im vorliegenden Fall einschlägig, jedoch hat das Bundesverwaltungsgericht dort ebenfalls ausgeführt, der fürsorgepflichtige Dienstherr, der seine Fürsorgepflicht in Krankheitsfällen durch Gewährung ergänzender Beihilfen zu den Krankheitskosten gewähre, könne nicht ein einzelnes ärztlich verschriebenes, wirksames und nicht kostengünstiger erhältliches Medikament generell und ohne Rücksicht auf den Grund der Verschreibung von der Beihilfefähigkeit ausnehmen. Ebenso wie die verschiedenen Sozialgerichte zu der Regelung in der Arzneimittelrichtlinie im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hat somit auch das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfe die Auffassung vertreten, durch einen Rechtssatz oder eine Einzelentscheidung im Range unter dem Gesetz könne ein gesetzlich eingeräumter Anspruch auf Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra nicht beseitigt werden. Zwar mag die Praxis vieler oder gar aller gesetzlichen Krankenversicherungen - ebenso wie der für die Gewährung der beamtenrechtlichen Beihilfe zuständigen Verwaltungsbehörden - dahin gehen, dem Medikament Viagra die Verordnungsfähigkeit abzusprechen, jedoch ist das Verwaltungsgericht erkennbar davon ausgegangen, dass hiergegen gerichtete Klagen von hiervon betroffenen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung bei den Sozialgerichten erfolgreich wären, so dass wegen der in § 37 Abs. 1 BSHG (seinerzeitige Fassung, seit 1. Januar 2004 § 37 Abs. 1 Satz 1 BSHG - s.u.) vorgesehenen Akzessorietät zwischen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung und den Leistungen der Hilfe bei Krankheit im Rahmen des Bundessozialhilfegesetzes einem Sozialhilfeempfänger nicht verwehrt werden kann, was ein Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung zumindest im Klageweg erstreiten kann. Es kann daher keinesfalls davon die Rede sein, das Verwaltungsgericht habe mit seiner Entscheidung dem klagenden Sozialhilfeempfänger etwas gewährt, was im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gewährt werden könnte, so dass diese in den Medien bei der Berichterstattung über die erstinstanzliche Entscheidung zumindest teilweise geäußerte Ansicht unzutreffend ist und offenbar auf Unkenntnis der ausführlichen Begründung des Verwaltungsgerichts beruht.

Der Senat sieht indessen keine Veranlassung, die Frage einer abschließenden Entscheidung zuzuführen, ob dem soeben skizzierten rechtlichen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts sowie der Anwendung dieser rechtlichen Erwägungen auf den vorliegenden Fall zu folgen wäre oder den hiergegen gerichteten Einwendungen der Berufung. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats kann der Kläger schon deshalb keinen Anspruch gegen den Beklagten mehr haben, weil aufgrund der seit dem 1. Januar 2004 geltenden Rechtslage nunmehr Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion von Gesetzes wegen aus der Arzneimittelversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ausgenommen sind, so dass nach der "Gleichklangregelung" in § 37 Abs. 1 Satz 1 BSHG auch im Rahmen der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz kein Anspruch hierauf bestehen kann.

Durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz - GMG -) vom 14. November 2003 (BGBl. I S. 2190) ist § 34 Abs. 1 SGB V mit der Überschrift "Ausgeschlossene Arznei-, Heil- und Hilfsmittel", neu gefasst worden. Dem bisherigen Satz 1 (nunmehr Satz 6) sind dabei folgende Sätze angefügt worden:

"Von der Versorgung sind außerdem Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund steht. Ausgeschlossen sind insbesondere Arzneimittel, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung sowie Steigerung der sexuellen Potenz, zur Raucherentwöhnung, zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts oder zur Verbesserung des Haarwuchses dienen. Das Nähere regeln die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6."

Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber von ihm als sog. "Lifestyle-Präparate" angesehene Arzneimittel von der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen. Als Arzneimittel, das zumindest überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dient, ist auch das streitgegenständliche Medikament Viagra anzusehen. Der Gesetzgeber hat durch die Neufassung des § 34 SGB V die Bestimmung in Nr. 17.1f AMRl. nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V, die sie durch die Änderung vom 3. August 1998 (BAnz. Nr. 182 vom 29. September 1998, S. 14491) erhalten hatte, wonach von der Verordnungsfähigkeit ausgenommen waren "Mittel zur Behandlung der erektilen Dysfunktion und Mittel, die der Anreizung und Steigerung der sexuellen Potenz dienen" unter Erweiterung um weitere als sog. "Lifestyle-Präparate" eingestufte Arzneimittel in den Gesetzesrang gehoben. Da diese Bestimmung nunmehr auf der gleichen Normstufe steht wie die allgemeine Regelung über den Anspruch auf Krankenbehandlung in § 27 Abs. 1 Satz 1, 2 SGB V, kann letztgenannte Vorschrift nicht mehr wegen Höherrangigkeit der Ausschlussregelung vorgehen. Während die Bestimmung in Nr. 17.1f AMRl. gegenüber der gesetzlichen Regelung in § 27 Abs. 1 SGB V als niederrangig anzusehen war, ist das Verhältnis zwischen der Regelung in § 27 SGB V zu dem nunmehr ebenfalls im Gesetz, nämlich in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V enthaltenen Ausschluss von Arzneimitteln zur Behandlung der erektilen Dysfunktion wegen der Ranggleichheit dieser Normen aufgrund der "lex-specialis-Regel" zu bestimmen, wonach das spezielle Gesetz dem allgemeinen vorgeht. Danach enthält nunmehr § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V die speziellere Regelung, der gegenüber der allgemeinen Bestimmung über den Anspruch auf Krankenbehandlung in § 27 Abs. 1 Satz 1 und hierbei speziell der in Satz 2 Nr. 3 der Bestimmung enthaltenen Versorgung mit Arzneimitteln Vorrang hat.

Ein Verstoß dieser Regelung gegen höherrangiges Recht ist nicht ersichtlich. Die Bestimmung verstößt insbesondere nicht gegen das Sozialstaatsgebot in Art. 20 Abs. 1 GG oder gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Willkürverbot. Wie sich aus § 34 Abs. 1 Satz 7 SGB V in der Fassung, die er durch das GKV-Modernisierungsgesetz erhalten hat, entnehmen lässt, liegt der gesetzgeberischen Entscheidung offensichtlich die Erwägung zu Grunde, dass Arzneimittel von der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werden sollen, bei deren Anwendung zwar die Behandlung einer Krankheit erfolgt, jedoch gleichzeitig eine Erhöhung der Lebensqualität eintritt und diese im Vordergrund steht. Der Gesetzgeber geht dabei offensichtlich davon aus, dass diese Voraussetzung insbesondere etwa bei Arzneimitteln, die überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion, der Anreizung oder Steigerung der sexuellen Potenz dienen, gegeben ist, so dass er zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten und Auslegungs- und Anwendungsproblemen im Einzelfall diese Mittel generell von der Verordnungsfähigkeit im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ausgenommen hat. Er hat damit der Auffassung Ausdruck verliehen, dass diese sog. "Lifestyle-Präparate" vornehmlich nicht der als Aufgabe der staatlichen Gemeinschaft aufgefassten Krankenbehandlung des Einzelnen zuzuordnen sind, sondern ganz überwiegend der persönlichen Lebensführung und Lebensgestaltung dienen, wofür nicht Mittel der Allgemeinheit aufgewandt, sondern die finanziellen Aufwendungen hierfür der jeweiligen Individualsphäre zugerechnet werden sollen. Nach Ansicht des Senats sind diese Erwägungen sachgerecht und im Rahmen der eingangs genannten verfassungsrechtlichen Prinzipien nicht zu beanstanden.

Die nunmehr im Sozialgesetzbuch Fünftes Buch selbst vorgesehene Ausschließung von überwiegend zur Behandlung der erektilen Dysfunktion dienenden Arzneimitteln von der Versorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hat auch Auswirkungen auf den Umfang der Krankenhilfe im Sinne von § 37 BSHG. Nach Satz 1 der Vorschrift werden Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel, Fünften Abschnitt, 1. Titel des Fünften Buches Sozialgesetzbuch gewährt, wobei die hier interessierenden Regelungen in §§ 27 und 34 SGB V in dem genannten Teil des Fünften Buches Sozialgesetzbuch enthalten sind. Hieraus folgt, dass Arzneimittel, die im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht verordnet werden können, auch nicht Gegenstand der Leistungen zur Krankenbehandlung im Sinne von § 37 Abs. 1 Satz 1 BSHG sein können. Gleiches ist der Regelung in § 38 Abs. 1 Satz 1 BSHG zu entnehmen, wonach die Hilfen nach diesem Unterabschnitt den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechen, wobei der bisher dort enthaltene Halbsatz "soweit in diesem Gesetz keine andere Regelung getroffen ist" durch Art. 28 Nr. 4b GMG gestrichen worden ist. Der Gesetzgeber hat mit dieser Neufassung eine noch strengere Akzessorietät der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz gegenüber den Bestimmungen des Fünften Buches Sozialgesetzbuch über die gesetzliche Krankenversicherung vorgeschrieben, als dies bisher der Fall war. Es entspricht somit offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers, dass die Ausschlussregelung in § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V auch für die Gewährung von Krankenhilfe im Rahmen der §§ 37 f. BSHG gelten soll. Damit wird gleichzeitig erreicht, dass Bezieher von Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz gegenüber gesetzlich krankenversicherten Personen nicht besser gestellt werden.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Kläger gegenüber dem Beklagten keinen Anspruch mehr auf Übernahme der Kosten für das Medikament Viagra hat, weil es sich hierbei um ein Präparat handelt, das der Ausschlussregelung des § 34 Abs. 1 Satz 8 SGB V unterfällt, die gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1, § 38 Abs. 1 BSHG auch im Rahmen der Krankenhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz zu beachten ist. Es bedarf daher nach Auffassung des Senats keines abschließenden Eingehens mehr darauf, ob sich ein Anspruch des Klägers nunmehr überhaupt noch gegen den Beklagten richten könnte, nachdem für den Kläger nach dem Vortrag des Beklagten im Schriftsatz vom 27. August 2004 Leistungen zur Krankenbehandlung unter Anwendung des durch das GKV-Modernisierungsgesetz neu geschaffenen § 264 Abs. 2 SGB V von einer bestimmten gesetzlichen Krankenversicherung erbracht werden, so dass sich möglicherweise ein Anspruch auf Krankenbehandlung auch nicht mehr gegen den Beklagten richten könnte, sondern nur noch gegen die leistende Krankenkasse. Für etwaige Streitigkeiten wäre dann wohl der Rechtsweg zu den Sozialgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet (so auch Zeitler, NDV 2004, 45, 46; offenbar auch Thüringer LSG, Beschluss vom 22. April 2004 - L 6 KR 212/04 ER - Juris-Ausdruck, das zwar im Tatbestand den Einwand der beklagten gesetzlichen Krankenversicherung erwähnt, nicht sie, sondern der Sozialhilfeträger sei zuständiger Antragsgegner, jedoch in den Entscheidungsgründen hierauf nicht eingeht und die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Beschwerde der Sache nach entscheidet).

Die soeben dargestellte Rechtslage, die nach In-Kraft-Treten des GKV-Modernisierungsgesetzes zum 1. Januar 2004 gilt, ist auch für das vorliegende Klageverfahren zu beachten mit der Folge, dass die Klage des Klägers abzuweisen ist. Die verklagte Verwaltungsbehörde kann nämlich nur dann zur Vornahme eines Verwaltungsaktes oder einer sonstigen Amtshandlung verurteilt werden, wenn nach dem zum Zeitpunkt der Verurteilung geltenden Recht der Beklagte zur Vornahme der Amtshandlung rechtlich verpflichtet ist (so BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1954 - 5 C 97.54 - BVerwGE 1, 291 [295]; Urteil vom 11. Februar 1999 - 2 C 4/98 -, Buchholz 239.2 § 28 SVG Nr. 2). Da zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats eine Verpflichtung des Beklagten auf Übernahme der begehrten Leistung wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderung ebenso wenig bestehen kann wie eine Verpflichtung, den Kläger neu zu bescheiden, weil nach derzeitiger Rechtslage eine Ermessensentscheidung des Beklagten nicht in Betracht kommt, kann die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung nicht aufrechterhalten werden mit der Folge, dass der Berufung stattzugeben und die Klage des Klägers abzuweisen ist.

Dem steht die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entgegen, wonach es bei Verpflichtungsklagen auf Gewährung von Sozialhilfe für die rechtliche Beurteilung regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung - also des Widerspruchsbescheides - ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. November 1966 - 5 C 29.66 - BVerwGE 25, 307; seither st. Rspr. vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 30. April 1992 - 5 C 26.88 - BVerwGE 90, 160 [162]; Urteil vom 23. Juni 1994 - 5 C 26.92 - BVerwGE 96, 162 [154]; Urteil vom 31. August 1995 - 5 C 9.94 - BVerwGE 99, 149). Diese zeitliche Fixierung gilt nämlich nicht uneingeschränkt. Eine Ausnahme ist zu machen, wenn der Sozialhilfeträger Hilfeleistungen für einen in die Zukunft hineinreichenden, über den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung hinausgehenden Zeitraum abgelehnt hat. Unter diesen Umständen ist die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nicht auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage beschränkt, wie sie bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides bestanden hat (BVerwG, Urteil vom 31. August 1995, a. a. O., unter Hinweis auf Urteil vom 8. Juni 1995 - 5 C 30.93 -; Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 - DVBl. 1998, 1135 = FEVS 48, 535). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Beklagte hat mit seinen streitgegenständlichen Verwaltungsentscheidungen offensichtlich nicht nur eine Regelung für den Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides getroffen, sondern wollte auch für den Zukunft die vom Kläger begehrte Hilfeleistung verweigern. Dies entspricht dem Begehren des Klägers, der offensichtlich erst nach einer für ihn günstigen Entscheidung in der Zukunft das begehrte Medikament beschaffen und einnehmen möchte.

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die begehrte Krankenhilfe schon deswegen nicht für vergangene Zeiträume gewährt werden kann, weil der Kläger das von ihm erstrebte Präparat naturgemäß nicht nachträglich für zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vergangene Zeiträume anwenden kann. Bei der Krankenhilfe kann daher eine nachträgliche Gewährung für zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits vergangene Zeiträume nur dann in Betracht gezogen werden, wenn eine konkrete Krankenbehandlung tatsächlich durchgeführt worden ist und die Übernahme allein der Kosten in Frage steht. Unter diesen Umständen kann sich die Pflicht zur Ausübung des Auswahlermessens bezüglich der Hilfeart (§ 4 Abs. 2 BSHG) auf Seiten des Sozialhilfeträgers dahingehend verdichten, dass die entstandenen Kosten zu übernehmen sind. Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller jedoch offensichtlich das Medikament Viagra in der Vergangenheit nicht verwandt. Vielmehr begehrt der Kläger selbst offensichtlich die Verpflichtung des Beklagten zur Gewährung von Krankenhilfe für die Beschaffung des Medikamentes Viagra allein für die Zukunft. Kann und soll aber die erstrebte Leistung nur für die Zukunft erbracht werden, so kann eine Verpflichtung des Beklagten auch nur dann ausgesprochen werden, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sich eine solche Verpflichtung aus den einschlägigen Vorschriften (noch) ableiten lässt. Da dies nach den obigen Darlegungen jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht (mehr) der Fall ist, muss diese neue Gesetzeslage im vorliegenden Fall Berücksichtigung finden mit der Folge, dass der Berufung stattzugeben und die Klage abzuweisen ist.

Da der Kläger unterlegen ist, hat er nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen. Nach § 188 Satz 2 VwGO werden Gerichtskosten nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision sind nicht erfüllt. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil die entscheidungserhebliche Rechtslage unmittelbar aus dem Gesetz zu entnehmen ist.