Hessischer VGH, Beschluss vom 09.11.2000 - 2 TG 3571/00
Fundstelle
openJur 2012, 22676
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Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte seinem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis durch Bescheid der Oberbürgermeisterin der Antragsgegnerin vom 9. Februar 2000 stattgeben müssen. Das Interesse des Antragstellers, einstweilen weiterhin am Straßenverkehr teilnehmen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, weil der Bescheid über die Entziehung der Fahrerlaubnis ganz offensichtlich rechtswidrig ist.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis lässt sich nicht mit Erfolg auf §§ 46 Abs. 3 i.V.m. 11 Abs. 8 der Fahrerlaubnis-Verordnung -- FeV -- (vom 18. August 1998, BGBl. I S. 2214) stützen. Nach diesen Bestimmungen kann auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen werden, wenn der Kraftfahrer ein von ihm zu Recht gefordertes Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde der Antragsgegnerin zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens hält einer rechtlichen Prüfung aus mehreren Gründen nicht stand:

Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob eine Anordnung im Sinne des § 11 Abs. 8 FeV hier überhaupt gegenüber dem Antragsteller erlassen worden ist. Die ursprüngliche Anordnung vom 16. Juni 1998, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen, hat die Fahrerlaubnisbehörde mit Schreiben vom 31. August 1999 für erledigt erklärt, indem sie darauf hingewiesen hat, die durch das In-Kraft-Treten der FeV am 1. Januar 1999 veränderte Rechtslage wirke sich auch auf das Verfahren des Antragstellers aus. Im Übrigen ist in dem Schreiben vom 31. August 1999 nur noch von einer ärztlichen Begutachtung, aber nicht mehr von einer medizinisch-psychologischen Untersuchung die Rede.

Hinsichtlich des Schreibens vom 31. August 1999 bestehen erhebliche Bedenken, ob darin eine Anordnung im Sinne des § 11 FeV erblickt werden kann. Auch wenn Anordnungen in diesem Sinne keine selbständig anfechtbaren Verwaltungsakte darstellen, müssen sie dennoch wegen der einschneidenden Rechtsfolge für den Fall der Nichtbeachtung aus rechtsstaatlichen Gründen inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Der betroffene Kraftfahrer muss einer Anordnung im Sinne des § 11 FeV unmissverständlich entnehmen können, welche bestimmte Verhaltensweise von ihm innerhalb einer bestimmten Frist erwartet wird. Ob das Schreiben vom 31. August 1999 diesen Anforderungen gerecht wird, unterliegt ganz erheblichen Zweifeln: Zunächst ist dieses Schreiben mit den Worten "Anhörung gemäß § 28 des Hess. Verwaltungsverfahrensgesetzes" überschrieben, und eine Anhörung bedeutet gerade die Möglichkeit, sich vor Erlass einer Entscheidung zu äußern. Darüber hinaus enthält das Schreiben vom 31. August 1999 keinen verfügenden Teil, in dem dem Antragsteller unzweideutig aufgegeben wird, ein bestimmtes ärztliches Gutachten beizubringen. In dem Schreiben wird der Sachverhalt geschildert und es werden Hinweise zur Rechtslage gegeben. Zwar deuten die Formulierungen, dass erhebliche Bedenken gegen die Fahreignung des Antragstellers bestünden und diese nur durch ein positives ärztliches Gutachten ausgeräumt werden könnten, darauf hin, dass der Antragsteller ein solches Gutachten bis zum 20. September 1999 vorliegen sollte. Eine unmissverständliche Aufforderung, bis zum 20. September 1999 ein bestimmtes ärztliches Gutachten vorzulegen, enthält diese Formulierung aber nicht, zumal diese Aussage durch den nachfolgenden Hinweis auf angeblich zwei Verhaltensmöglichkeiten wieder relativiert wird. Diese Frage bedarf hier aber keiner abschließenden Beurteilung, weil die Anordnung vom 31. August 1999, ihre inhaltliche Bestimmtheit unterstellt, sachlich nicht gerechtfertigt ist:

Die Antragsgegnerin stützt die Anordnung der Vorlage eines ärztlichen Gutachtens unter Berufung auf § 13 Abs. 1 Nr. 1 FeV auf den Verdacht einer Alkoholabhängigkeit des Antragstellers. Zur Begründung bezieht sie sich auf den gemessenen Atemalkoholwert von 2,540/00 und damit einhergehende Ausfallerscheinungen bei dem Antragsteller. Hierbei handelt es sich aber nicht um Tatsachen, die die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen (im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 1 FeV). Insoweit schließt sich der Senat den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an (vgl. hierzu auch im Einzelnen: Senatsbeschluss vom 10. April 2000 -- 2 TG 616/00 --).

Der Senat teilt jedoch nicht die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die Anordnung an den Antragsteller, sich ärztlich untersuchen zu lassen, finde eine gesetzliche Grundlage in § 13 Abs. 1 Nr. 2 e) FeV. Diese Bestimmung ist weder von der Rechtsfolge noch von den Voraussetzungen her anwendbar. Während § 13 Abs. 1 Nr. 1 FeV für den Fall, dass Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, eine ärztliche Begutachtung (im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV) vorsieht, sind die in § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV aufgelisteten Eignungsbedenken durch eine medizinisch-psychologische Begutachtung auszuräumen. Der Grund für diese Differenzierung liegt darin, dass Alkoholabhängigkeit die Fahreignung aus rein gesundheitlichen Gründen ausschließt mit der Folge, dass Zweifel an dem Bestehen dieser Krankheit allein aus medizinischer Sicht zu beurteilen sind. In den Fällen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV dagegen resultieren die Bedenken gegen die Fahreignung aus Anhaltspunkten dafür, dass der Kraftfahrer -- ohne alkoholabhängig zu sein -- nicht den Konsum von Alkohol und das Fahren eines Kraftfahrzeugs mit hinreichender Sicherheit trennen kann. Zur Aufklärung dieser Bedenken ist eine medizinisch-psychologische Prognose bezüglich des künftigen Verhaltens des Kraftfahrers erforderlich. Eine rein medizinische Begutachtung ist daher nicht geeignet, die Eignungsbedenken des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV auszuräumen. Eine Anordnung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV lässt sich daher nicht auf einen der Fälle des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV stützen. Auch wenn sich die ärztliche Begutachtung, worauf das Verwaltungsgericht hinweist, gegenüber der medizinisch-psychologischen Untersuchung als weniger einschneidende Maßnahme erweist, ist sie in den Fällen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV unzulässig, weil sie aus fachlicher Sicht nicht geeignet ist, die dort genannten Eignungsbedenken aufzuklären.

Darüber hinaus liegen hier auch nicht die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV vor, und zwar weder der Nr. 2 e) noch -- was näher liegen würde -- die zweite Alternative der Nr. 2 a). Denn die Nrn. 2 a) und 2 e) des § 13 Abs. 1 FeV rechtfertigen die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung -- wie die Nrn. 2 b), 2 c) und 2 d) -- nur, wenn konkrete Tatsachen die Annahme begründen, dass der Kraftfahrer nicht den die Fahrtüchtigkeit ausschließenden Alkoholkonsum und das Fahren trennen kann. Obwohl die zweite Alternative des § 13 Abs. 1 Nr. 2 a) FeV vom Wortlaut her weit gefasst und als Auffangtatbestand konzipiert ist, erfasst sie nicht Fälle von Alkoholmissbrauch, die in keinerlei Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder der Teilnahme am Straßenverkehr stehen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2000, a.a.O., S. 3). Wie sich auch aus Ziffer 8.1 der Anlage IV zu §§ 11, 13 und 14 FeV ergibt, liegt ein Alkoholmissbrauch im Sinne des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV vor, wenn ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum und das Fahren nicht hinreichend sicher getrennt werden kann. Deshalb bestehen unter diesem Aspekt Bedenken gegen die Fahreignung, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass diese Trennfähigkeit nicht (mehr) gegeben ist. Eine Alkoholauffälligkeit gibt daher nur Anlass für eine Anordnung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV, wenn sie im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr steht. Dass der Verordnungsgeber mit der Verabschiedung des § 13 Abs. 1 Nr. 2 FeV insoweit die bisherige Rechtslage nicht ändern wollte, ergibt sich deutlich aus der amtlichen Begründung, nach der diese Vorschrift die Frage der Eignung im Zusammenhang mit Alkoholauffälligkeit im Straßenverkehr erfassen soll (vgl. VkBl. 98, 1049 <1070>; ebenso BR-Drs. 443/98, S. 262). Unter diesen Voraussetzungen wäre hier auch die Anordnung einer medizinisch-psychologischen Begutachtung nicht zulässig gewesen, weil der Antragsteller zwar wegen eines übermäßigen Alkoholkonsums aufgefallen ist, der aber in keinem Zusammenhang mit einer Teilnahme am Straßenverkehr zu sehen ist.

Die Antragsgegnerin hat als unterlegene Beteiligte die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 20 Abs. 3 GKG.

Diese Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).

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