Hessischer VGH, Beschluss vom 05.07.1994 - 1 TG 1659/94
Fundstelle
openJur 2012, 20453
  • Rkr:
Gründe

Die Beschwerden sind nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die von der Antragstellerin begehrte einstweilige Anordnung erlassen.

Die Antragstellerin ist durch die Art und Weise des vom Regierungspräsidium durchgeführten Auswahlverfahrens in ihrem von Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten grundrechtsgleichen Recht auf (chancen-)gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. Senatsbeschluß vom 26.10.1993 - 1 TG 1585/93 -, DVBl. 1994, 593, unter Hinweis auf BVerfG (3. Kammer), Beschluß vom 19.9.1989, DVBl. 1989, 1247) verletzt worden. Das Auswahlverfahren ist nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden; der Antragsgegner hat von der ihm eingeräumten Beurteilungsermächtigung fehlerhaft Gebrauch gemacht.

Zwar hat ein Beamter auch vor dem Hintergrund des Art. 33 Abs. 2 GG und der Fürsorgepflicht des Dienstherrn grundsätzlich keinen Rechtsanspruch auf Beförderung oder Übertragung eines höherwertigen Dienstpostens. Er hat allerdings einen Anspruch auf rechtsfehlerfreie Entscheidung unter Beachtung des Leistungsprinzips. Der Dienstherr darf im Rahmen sachgerechter Beurteilung darüber entscheiden, welchen der Bewerber er für den geeigneteren hält (ständige Rechtsprechung des beschließenden Senats, vgl. z. B. Urteil vom 28.5.1980 - I UE 59/77 -, Beschluß vom 18.2.1985 - 1 TG 252/85 -, ESVGH 35, 315 Nr. 172, Beschluß vom 29.9.1987 - 1 TG 2160/87 -). Bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern muß der Dienstherr deren persönliche und fachliche Eignung im Hinblick auf das spezifische Anforderungsprofil des zu besetzenden Dienstpostens einem Vergleich unterziehen und nach Feststellung der insoweit bedeutsamen Tatsachen eine wertende Abwägung und Zuordnung vornehmen. Diese Feststellungen und die wesentlichen Auswahlerwägungen sind schriftlich niederzulegen. Der Dienstherr hat all das zu berücksichtigen, was für die Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (vgl. Art. 33 Abs. 2 GG und § 8 Abs. 1 HBG) bedeutsam ist. Wesentliche Grundlage sind die Personalakten der Bewerber, aus denen sich die schulische und berufliche Aus- und Fortbildung einschließlich der Abschluß- und Laufbahnprüfungen, der berufliche Werdegang und insbesondere die Beurteilung von Eignung, Befähigung und bisheriger fachlicher Leistung ergeben. Liegen im Zeitpunkt der Auswahlentscheidung keine zeitnahen (Regel-)Beurteilungen vor, so ist aufgrund aktueller Beurteilungen ein Leistungs- und Eignungsvergleich vorzunehmen.

Im vorliegenden Fall ist das durchgeführte Auswahlverfahren schon deshalb formell fehlerhaft, weil die Auswahlentscheidung vom Personaldezernenten beim Regierungspräsidium und nicht von der zuständigen Regierungspräsidentin oder ihrem ständigen Vertreter, dem Regierungsvizepräsidenten, getroffen wurde. Der im Auswahlvorgang enthaltene Vermerk des Personaldezernenten, wonach eine Auswahlentscheidung der Regierungspräsidentin "im Hinblick auf das eindeutige Ergebnis der Punktebewertung" nicht erforderlich sei, ist nicht nachvollziehbar, denn das Ergebnis der dienstlichen Beurteilungen von Antragstellerin und Beigeladenem ist vollkommen gleich, und zwar sowohl hinsichtlich der Durchschnittspunktzahl wie auch der Einzelbewertungen.

Die Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen ist darüber hinaus aber auch materiell rechtswidrig, weil der Personaldezernent von der dem Dienstherrn eingeräumten Beurteilungsermächtigung fehlerhaft Gebrauch gemacht hat, indem er, wie sich aus seinem Vermerk vom 6.12.1993 ergibt, bei dem Eignung- und Leistungsvergleich offensichtlich allein auf die letzte dienstliche Beurteilung abgestellt und sodann ohne weitere Eignungserwägungen bei der Auswahl auf das leistungsfremde Hilfskriterium des allgemeinen Dienstalters abgestellt hat. Zwar hat es der Senat (Beschlüsse vom 24.10.1989 - 1 TG 3049/89 -, 30.11.1989 - 1 TG 3249/89 -, 20.7.1993 - 1 TG 904/93 -) ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 80, 123, 126) für rechtlich unbedenklich gehalten, wenn bei (im wesentlichen) gleichbeurteilten Bewerbern der Dienstherr auf Hilfskriterien wie z. B. auch auf das Dienst- oder Lebensalter zurückgreift, um auf diese Weise überhaupt eine Auswahlentscheidung treffen zu können. Das Abstellen auf Hilfskriterien muß indessen die Ausnahme bleiben, jedenfalls dann, wenn diese leistungsferner bzw. leistungsfremder Natur sind. Kommt bei Beförderungen Hilfskriterien wie z. B. Beförderungsdienstalter, Datum der letzten Fachprüfung oder gar allgemeines Dienstalter oder Lebensalter in der Verwaltungspraxis ausschlaggebende Bedeutung zu, ist dies mit dem Grundsatz der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 HBG) nicht zu vereinbaren (vgl. Senatsbeschluß vom 2.7.1990 - 1 TG 1376/90 -). Auf derartige Hilfskriterien kann daher nur dann abgestellt werden, wenn sich der Dienstherr zuvor bemüht hat, mit Hilfe hinreichend differenzierter Beurteilungen anhand der rechtlich gebotenen Leistungskriterien eine Bestenauslese vorzunehmen (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 19.11.1993 - 1 TG 1465/93 -, NVwZ-RR 1994, 347 (348 f.)). Bei der Eignungsbeurteilung und -prognose im Hinblick auf die Anforderungen des zu besetzenden Beförderungsdienstpostens sind, insbesondere dann, wenn die aktuellen dienstlichen Beurteilungen mehrerer Bewerber gleich sind, auch die früheren Beurteilungen und der sonstige Inhalt der Personalakten zu berücksichtigen, soweit er für die Eignungsbeurteilung bedeutsam ist. Bei Einbeziehung früherer Beurteilungen wird ersichtlich, ob und ggfs. in welcher Richtung bei den Bewerbern eine Leistungs- oder Eignungsentwicklung vorhanden ist. Wird bei einem Bewerber eine deutlich positive oder negative Entwicklungstendenz erkennbar, muß dies der Dienstherr bei seiner Auswahlentscheidung mitberücksichtigen.

Gegen diese rechtlichen Anforderungen hat der Antragsgegner verstoßen, denn er hat allein die letzten dienstlichen Beurteilungen, nicht aber frühere Beurteilungen und den im übrigen - möglicherweise - bedeutsamen Inhalt der Personalakte in seine Erwägungen einbezogen und dann nach dem rechtsfehlerhaften, "mit dem Personalrat vereinbarten Beförderungskonzept" ausschlaggebend auf das allgemeine Dienstalter abgestellt (vgl. hierzu auch Senatsbeschluß vom 19.11.1993 a. a. O. S. 349). Selbst wenn sich nach Einbeziehung früherer Beurteilungen und des übrigen erheblichen Inhalts der Personalakten eine im wesentlichen gleiche Eignung der Bewerber ergeben sollte, wäre das Abstellen auf das allgemeine Dienstalter mit dem Leistungsprinzip unvereinbar und daher zu beanstanden, da es nicht das sachnächste Hilfskriterium ist (vgl. Senatsbeschluß vom 19.11.1993 a. a. O. S. 349). Als leistungsnäheres Hilfskriterium wäre zunächst die auf dem letzten Dienstposten verbrachte Zeit und die dabei erworbene Berufserfahrung und Bewährung zu berücksichtigen gewesen. Dem weitgehend entsprechend hätte auch das Beförderungsdienstalter (Zeit seit der letzten Beförderung) als Hilfskriterium herangezogen werden können.

Die zugunsten des Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung ist somit rechtsfehlerhaft. Ob sie darüber hinaus noch gegen den von der Hessischen Landesregierung am 18.3.1987 erlassenen Frauenförderplan (StAnz. 1987 S. 692; 1993 S. 142) verstoßen hat und auch deshalb rechtswidrig ist, läßt der Senat dahingestellt. Er weist allerdings - ohne dieses vertiefen zu wollen - darauf hin, daß er die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Beschluß, mit denen das Verwaltungsgericht die erlassene einstweilige Anordnung begründet hat, nicht teilt. Bereits in seinem Beschluß vom 7.4.1994 - 1 TG 470/94 - hat der Senat ausgeführt, daß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 8 Abs. 1 HBG und den aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG folgenden verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Berücksichtigung des Geschlechts als Hilfskriterium bei gleicher Eignung der Bewerberinnen und Bewerber zwingend ausgeschlossen ist. An dieser eindeutigen Rechtslage hat sich durch das Inkrafttreten des Hessischen Gesetzes über die Gleichberechtigung von Frauen und Männern und zum Abbau von Diskriminierungen von Frauen in der öffentlichen Verwaltung (Hessisches Gleichberechtigungsgesetz - HGlG -) vom 21. Dezember 1993 (GVBl. I S. 729) nichts geändert. Vielmehr ist die Vorschrift über Auswahlentscheidungen in § 10 Abs. 1 HGlG durch die Bezugnahme auf Eignung, Befähigung und fachliche Leistung schon in ihrem Wortlaut § 8 Abs. 1 HBG nachgebildet; auch die vom Gesetz geforderte Berücksichtigung von Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Familienarbeit wird in § 10 Abs. 1 Satz 2 HGlG ausdrücklich in den durch Art. 33 Abs. 2 GG, § 8 Abs. 1 HBG vorgegebenen Rahmen gestellt. Die nach § 10 Abs. 6 Satz 1 HGlG bei der Einstellung gebotene Bevorzugung des Personenkreises, der aus familiären Gründen aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden ist oder nach Ableistung eines Vorbereitungsdienstes keinen Antrag auf Übernahme in den öffentlichen Dienst stellen konnte, soll nach dem Wortlaut des Gesetzes nur unter Beachtung von § 8 HBG in Betracht kommen. Diesen Vorschriften des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß der Gesetzgeber abweichend von § 8 Abs. 1 HBG das Kriterium des Geschlechts bei beamtenrechtlichen Auswahlentscheidungen berücksichtigt wissen wollte.

Für die nunmehr vom Antragsgegner zu treffende neue Auswahlentscheidung weist der Senat noch darauf hin, daß nach dem Inhalt des einschlägigen Auswahlvorgangs bisher nicht die Schwerbehinderteneigenschaft des Beigeladenen berücksichtigt worden ist. Gemäß § 50 Abs. 1 SchwbG sind die besonderen Vorschriften und Grundsätze für die Besetzung von Beamtenstellen so zu gestalten, daß die Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter gefördert wird. Nach Nr. IV.2 Satz 3 des gemeinsamen Runderlasses des Hessischen Ministeriums des Innern betreffend die Fürsorge für schwerbehinderte Angehörige des öffentlichen Dienstes vom 2.3.1988 (StAnz. S. 666) soll fachlich geeigneten Schwerbehinderten die Möglichkeit beruflichen Fortkommens durch Übertragung höherwertiger Aufgaben eröffnet werden. Bei der Besetzung freier Stellen sind Schwerbehinderte bevorzugt zu berücksichtigen, die bereits in der betreffenden Dienststelle auf geringer bewerteten Dienstposten tätig sind, sofern sie in gleicher Weise fachlich und persönlich geeignet sind wie sonstige Bewerber (Nr. IV.3 des Runderlasses).