Hessischer VGH, Beschluss vom 09.11.1992 - 8 TH 2651/91
Fundstelle
openJur 2012, 19924
  • Rkr:
Gründe

Die Verfahrensbeteiligten streiten vorliegend um die Rechtmäßigkeit der vom Regierungspräsidium Kassel angeordneten sofortigen Vollziehung der gegenüber dem Antragsteller und der Antragstellerin ausgesprochenen Gewerbeuntersagung durch die beiden gleichlautenden Bescheide vom 25. August 1989.

Die Bescheide sind im wesentlichen damit begründet worden, Antragsteller und Antragstellerin seien gewerberechtlich unzuverlässig, der Antragsteller deshalb, weil er mehrfach einschlägig vorbestraft sei (zweimal wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Fahrerflucht in Tateinheit mit Bedrohung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und Bedrohung, wegen Betruges und Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung und wegen falscher uneidlicher Aussage; in drei Fällen des Betruges, der Erpressung und des widerrechtlichen Eindringens in fremdes Besitztum seien die Strafverfahren nur mit Rücksicht auf die Bestrafung in einem anderen Verfahren eingestellt worden). Der Antragsteller sei ferner deshalb gewerberechtlich unzuverlässig, weil er zweimal (1985 und 1988) die eidesstattliche Versicherung gemäß § 807 ZPO abgegeben habe, weil er wegen einschlägiger Ordnungswidrigkeiten habe belangt werden müssen, weil er in zahlreiche Hehlereiverfahren verstrickt sei und weil Anlaß bestanden habe, gegen ihn wegen falscher Verdächtigung, wegen falscher Versicherung an Eides Statt, wegen Beleidigung, wegen Betruges, wegen übler Nachrede, wegen Nötigung, wegen Bedrohung, wegen Steuerhinterziehung und wegen Verstoßes gegen das Warenzeichengesetz zu ermitteln.

Die Antragstellerin sei deshalb gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie ebenfalls in zahlreiche Hehlereiverfahren verstrickt sei, auch gegen sie habe zweimal wegen Steuerhinterziehung, wegen Verstoßes gegen das Warenzeichengesetz und wegen falscher Verdächtigung ermittelt werden müssen. Die Antragstellerin habe zahlreiche Verstöße gegen die Gebrauchtwarenverordnung verwirklicht, die sich als Ordnungswidrigkeiten darstellten und hätten geahndet werden müssen. Zudem sei die Antragstellerin deshalb gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie ihrem gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann die Geschäftsführung vollends überlasse, zumindest aber maßgeblichen Einfluß auf ihre Geschäfte zulasse, nämlich zwei Läden zum An- und Verkauf von Wertsachen und Gebrauchsgegenständen aller Art.

Die angeordnete sofortige Vollziehung ist gesondert damit begründet worden, es müsse im überwiegenden öffentlichen Interesse sofort verhindert werden, daß die von den Antragstellern schon über eine geraume Zeit gepflogene Übung noch fortgesetzt werde, nämlich Diebesgut zunächst anzukaufen und alsdann die Rückgabe der gestohlenen Sachen an die Eigentümer zu erschweren.

Der Antragsteller und die Antragstellerin haben gegen die beiden gleichlautenden Bescheide Widersprüche eingelegt über die noch nicht entschieden worden ist.

Am 5. bzw. 9. Oktober 1989 haben der Antragsteller und die Antragstellerin bei dem Verwaltungsgericht Kassel vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO begehrt.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge, die aufschiebende Wirkung der Widersprüche gegen die Bescheide des Regierungspräsidiums Kassel vom 25. August 1989 wiederherzustellen, durch den Beschluß vom 29. Oktober 1991 im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die beiden Gewerbeuntersagungsbescheide seien offensichtlich rechtmäßig und die sofortige Vollziehung sei in beiden Fällen eilbedürftig. Hinsichtlich der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht zusätzlich zu der behördlichen Begründung berücksichtigt, daß der Antragsteller in Untersuchungshaft sei und daher dringender Tatverdacht in 21 strafrechtlich noch nicht abgeurteilten Fällen von Hehlerei bestehe. Gegen den ihnen am 8. November 1991 zugestellten Beschluß haben der Antragsteller und die Antragstellerin am 19. November 1991 Beschwerde erhoben. Die Beschwerde wird im wesentlichen damit begründet, die Hehlereivorwürfe seien frei erfunden, Falschbezichtigungen lägen zugrunde und die Vorwürfe seien ohne Bezug zum Unternehmen. Die Reaktion der Behörde darauf sei unverhältnismäßig, denn die Vorwürfe seien entweder haltlos oder ohne jede Relevanz, weil sie - wie etwa der Vorwurf, gegen die Verordnung über den Handel mit gebrauchten Waren, Edelmetallen und Altmetallen vom 27. Januar 1986 verstoßen zu haben - nur den Bagatellbereich berührten. Die ausgesprochene Gewerbeuntersagung sei als Annex zum Strafverfahren zu sehen. Die sogenannte Schutzschrift (gemeint sind die "Hafteinwendungen" des Antragstellers gegen die Untersuchungshaft lege im einzelnen dar, wie es zu den Strafverfahren gekommen sei und aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht unzutreffend einen dringenden Tatverdacht angenommen habe, insbesondere seien alle Haftbefehle gegen den Antragsteller aufgehoben worden. Die Gewerbeuntersagung sei mithin offensichtlich rechtswidrig. Die Behörde habe die in den strafrechtlichen Ermittlungsverfahren erhobenen Befunde und deren Bewertung durch Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft unkritisch übernommen. Das sei aber unzulässig, weil die Behörde die Ermittlungsergebnisse einer eigenständigen Bewertung zu unterziehen habe. Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit folge auch nicht aus dem Verhalten des Antragstellers gegenüber der Polizei bei der Prüfung des Geschäfts. Die Einsichtnahme in die Geschäftsbücher sei der Polizei nicht verwehrt worden. Es bestehe keine Verpflichtung, angekaufte Ware schon vier Wochen unmittelbar nach Ankauf zum Verkauf bereitzuhalten. In strafrechtlichen Verfahren seien die Ermittlungen auch nicht behindert worden. Die Antragstellerin trägt zudem vor, ihr seien die Handlungen ihres Ehemannes zu Unrecht angelastet worden; es genüge, daß die Behörde ihr die Weiterbeschäftigung ihres Ehemannes untersage.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten und ist der Auffassung, angesichts der Vielzahl der Fälle, in denen Anklage erhoben worden sei, sei es nicht von Bedeutung, daß in nur zwei Anklagepunkten ein dringender Tatverdacht angeblich nicht mehr bestehe. Ebenso sei es unerheblich, ob der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr fortbestehe. Entscheidend seien vielmehr die tatsächlichen Feststellungen, die den Strafverfahren zugrundelägen. Die Gesamtschau der Verstöße mache die Gewerbeuntersagung erforderlich. Ob der Antragsteller in Haft sei, sei unerheblich. Für oder gegen eine Inhaftierung des Antragstellers sprechende Gründe seien für die Beurteilung ob die angeordnete sofortige Vollziehung rechtmäßig sei, nicht von Belang.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, auf den Inhalt der den Antragsteller und die Antragstellerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Regierungspräsidiums Kassel (4 Hefter), auf den Inhalt der den Antragsteller und die Antragstellerin betreffenden und sich auf Ordnungswidrigkeiten beziehenden Behördenvorgänge des Magistrats der Stadt Kassel (2 Hefter) sowie auf den Inhalt der den Antragsteller und die Antragstellerin betreffenden Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel mit den folgenden Aktenzeichen, die beigezogen und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden sind, Bezug genommen:

510 Js 226 114/87 (mit den Bänden I bis XII, XIIa, XIIb und XIII bis XV sowie die Duplo-Akte mit dem Aktenzeichen 510 Js 14 127.4/90), 684 Js 8963/86 504 Js 220123/87 101 Js 319951/87 504 Js 10799/88 684 Js 18507/88 502 JS 103255/88 312 Js 114 022/88.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet, denn das Verwaltungsgericht hat die Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz mit Recht abgelehnt, weil die Verwaltungsbehörde dem Antragsteller und auch der Antragstellerin mit Recht jede selbständige Gewerbeausübung und jede Tätigkeit als Vertretungsberechtigte(r) eines Gewerbetreibenden oder als Leiter(in) eines Gewerbebetriebes, soweit § 35 GewO anwendbar ist, untersagt sowie die sofortige Vollziehung der beiden entsprechenden Bescheide in rechtlich nicht zu beanstandender Weise angeordnet hat..

Die Gewerbeuntersagung gemäß § 35 GewO ist nicht, wie in der Beschwerde behauptet wird, offensichtlich rechtswidrig. Sie ist vielmehr offensichtlich rechtmäßig, wie dies schon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat.

Der Antragsteller ist in zahlreiche Fälle von Hehlerei verstrickt, die zwar noch nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt haben, aller Voraussicht nach aber noch zu einer Verurteilung führen werden. Der erkennende Senat hat unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B. v. 1.6. Januar 1991 - 1 BvR 1326./.90 - NJW 1991, 1530 ff.) die einschlägigen Ermittlungsakten beigezogen und die Sachverhalte, die zur Anklageerhebung geführt haben, einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Er ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß sich der Antragsteller in zahlreichen Fällen der Hehlerei schuldig gemacht hat. Letztlich kommt es hierauf aber für das Gewerbeuntersagungsverfahren nicht entscheidend an, weil der Antragsteller schon wegen seiner Vermögenslosigkeit und seiner zahlreichen Vorstrafen als unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO anzusehen ist.

Der Antragsteller hat am 24. Januar 1985 und 10. Mai 1988 die eidesstattliche Versicherung gemäß § 807 ZPO abgegeben. Wer vermögenslos und folglich leistungsunfähig ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des erkennenden Senats gewerberechtlich unzuverlässig. Im Interesse eines ordnungsgemäßen und redlichen Wirtschaftsverkehrs muß von einem Gewerbetreibenden erwartet werden, daß er bei anhaltender wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit ohne Rücksicht auf die Ursachen seiner wirtschaftlichen Schwierigkeiten die Ausübung eines selbständigen Gewerbes unterläßt.

Es kommt hier hinzu, daß die zahlreichen Vorstrafen des Antragstellers das notwendige Vertrauen in die Redlichkeit seines Wirtschaftsgebarens so erheblich erschüttern, daß eine Gewerbeuntersagung zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist: Nach der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kassel vom 3. Januar 1991 - 509 Js 327442/90 - weist sein Bundeszentralregisterauszug unter dem 25. Juni 1990 13 Eintragungen aus, die bereits am 13. August 1965 durch das Amtsgericht Dinslaken wegen fortgesetzten Diebstahls und schweren Diebstahls beginnen. Es folgen weitere Verurteilungen aus den Jahren 1966, 1969, 1972 (wegen gefährlicher Körperverletzung - ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung), 1975 (zweifach), 1976 (wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit Bedrohung - drei Monate zwei Wochen Freiheitsstrafe), 1977 (wegen vorsätzlicher Körperverletzung in drei Fällen und Bedrohung, 100 Tagessätze zu je 15,00 DM Geldstrafe), 1979 (gefährliche Körperverletzung, neun Monate Freiheitsstrafe), 1984 (wegen Beleidigung), 1986 (wegen Betruges und Nötigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung, 120 Tagessätze zu je 40,00 DM Geldstrafe), 1987 (wegen Beleidigung) und 1988 (wegen fortgesetzter vorsätzlicher uneidlicher Falschaussage, Freiheitsstrafe von acht Monaten und zwei Wochen).

Insbesondere die letzten beiden Verurteilungen weisen aus, daß der Antragsteller es weder mit seinen Wahrheitspflichten sonderlich genau nimmt noch bereit ist, auf die vermögensrechtlichen Belange Dritter die erforderliche Rücksicht zu nehmen, wobei er offensichtlich auch vor dem Einsatz körperlicher Gewalt nicht zurückschreckt. Es liegt auf der Hand, daß die Redlichkeit des Wirtschaftsverkehrs ganz erheblich gefährdet ist, wenn vermögenslose Personen, die auch vor betrügerischen Handlungen und körperlicher Gewaltanwendung nicht zurückschrecken als selbständige Gewerbetreibende oder als Vertretungsberechtigte eines anderen Gewerbetreibenden tätig werden. In solchen Fällen ist die Gewerbeuntersagung zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich, wobei hier die Untersagung zu Recht auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als Leiter eines Gewerbebetriebes ausgedehnt worden ist.

Die nicht vorbestrafte Antragstellerin ist ebenso wie ihr Ehemann gewerberechtlich unzuverlässig. Auch sie ist in zahlreichen Fällen wegen Hehlerei angeklagt. Die beigezogenen Ermittlungsakten lassen auch in bezug auf die Antragstellerin erwarten, daß es mit hoher Wahrscheinlich zu einer Verurteilung wegen Hehlerei kommen wird. Der Senat sieht allerdings davon ab, die Einzelfälle darzustellen, in denen die Antragstellerin die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der §§ 259, 260 StGB verwirklicht hat. Die Antragstellerin ist nämlich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch des erkennenden Senats schon allein deshalb gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie ihrem gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann maßgebenden Einflug auf die Geschäftsführung in ihrem Gewerbebetrieb eingeräumt hat und weil sie überdies nach eigenem Eingeständnis Verstöße gegen die Verordnung mit dem Handel mit gebrauchten Waren, Edelmetallen und Altmetallen (GebrauchtwarenVO) vom 27. Januar 1986 begangen hat. Die Antragstellerin räumt selbst ein, daß dem Gebrauchtwaren- und Antiquitätenhandel sehr häufig Diebesgut angeboten wird. Dies und die Verhinderung von Eigentumsdelikten ist der wesentliche Grund für die in der Gebrauchtwarenverordnung vorgesehenen Aufzeichnungspflichten. Wenn die Antragstellerin es unterläßt, die ihr angebotenen Gebrauchtwaren nach Gegenstand, Tag des Erwerbs, besonderen Merkmalen, Menge oder Anzahl, Ankaufspreis, Vor- und Familienname sowie Anschrift und Nummer des persönlichen Ausweises des Verkäufers in das Gebrauchtwarenbuch (§ 3 GebrauchtwarenVO - GVBl. für das Land Hessen Teil 1 1986, Seite 32) regelmäßig und sorgfältig .einzutragen, dann erweist sich die Antragstellerin auch hierdurch als gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin genügt es zum Schutze der Allgemeinheit nicht, ihr die Weiterbeschäftigung ihres Ehemannes im Gewerbebetrieb zu untersagen. Die Antragstellerin und ihr Ehemann leben in ehelicher Lebensgemeinschaft. Eine Einflußnahme des Antragstellers auf den Gewerbebetrieb seiner Ehefrau kann in kontrollierbarer Weise nicht unterbunden werden. Es kommt hinzu, daß die Antragstellerin seit längerer Zeit krank ist und daß der Antragsteller seinen Durchsetzungswillen durch seine Bestrafungen wegen Körperverletzung hinlänglich unter Beweis gestellt hat. Ebensowenig wie es die Antragstellerin bisher vermocht hat, ihren gewerberechtlich unzuverlässigen Ehemann von der Einflußnahme auf die Geschäftsführung auszuschließen, könnte sie dies voraussichtlich auch in Zukunft nicht durchsetzen.

Die sofortige Vollziehung der offensichtlich rechtmäßigen Bescheide vom 25. August 1989 ist bei der gegebenen Sachlage im öffentlichen Interesse erforderlich (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Dies hat der Antragsgegner in den angefochtenen Bescheiden auch hinreichend dargelegt (§ 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 VwGO i.V.m. mit der entsprechenden Anwendung des § 100 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).