Hessischer VGH, Urteil vom 28.09.1992 - 8 UE 916/90
Fundstelle
openJur 2012, 19865
  • Rkr:
Tatbestand

Die Klägerin wehrt sich im vorliegenden Verfahren gegen die ihr gegenüber ausgesprochene Gewerbeuntersagung.

Die Klägerin ist eine GmbH. Sie befaßt sich nach dem Gesellschaftsvertrag vom 8. März 1985 mit der Herstellung und dem Handel mit Backwaren aller Art sowie dem Betrieb von Cafés. Sie ist seit dem 16. Juli 1985 im Handelsregister (Amtsgericht Offenbach HRB 6143) eingetragen. Geschäftsführer der Klägerin war damals sowohl nach dem Gesellschaftsvertrag als auch gemäß der Handelsregistereintragung der am 29. Dezember 1962 geborene Konditor Horst Georg Willi G.. Unter dem 18. September 1986 ist im Handelsregister eingetragen, Horst Georg Willi G. sei nicht mehr Geschäftsführer, zum Geschäftsführer sei der Dipl.-Ing. Horst G., Neu-Isenburg, bestellt. Unter dem 11. Januar 1989 ist im Handelsregister eingetragen, Horst G. sei nicht mehr Geschäftsführer, zum Geschäftsführer sei Thomas S. bestellt.

Am 1. Oktober 1985 leitete der Regierungspräsident in Darmstadt gegen die Klägerin ein Gewerbeuntersagungsverfahren gemäß § 35 Abs. 1 GewO ein. In der Einleitungsverfügung vom 1. Oktober 1985 teilte der Regierungspräsident der Klägerin u.a. mit, der derzeitige Geschäftsführer Horst Georg Willi G. sei für rund 100.000,00 DM betragende Abgabenrückstände der Firma C. Café-Betriebs GmbH in Neu-Isenburg verantwortlich und deshalb gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO. Im Laufe dieses Verfahrens wurde bekannt, daß die Klägerin bei der Innungskrankenkasse Offenbach am Main Sozialversicherungsbeitragsrückstände (8.061,76 DM) und bei dem Finanzamt Offenbach am Main - Stadt Steuerrückstände (15.130,85 DM) hatte auflaufen lassen. Nachdem der Klägerin Gelegenheit gegeben worden war, sich dazu zu äußern, untersagte ihr der Regierungspräsident mit Bescheid vom 20. August 1986 die Herstellung und den Handel mit Backwaren aller Art sowie den Betrieb von Cafés und jede selbständige gewerbliche Tätigkeit, soweit diese unter § 35 Abs. 1 GewO fällt.; zugleich drohte der Regierungspräsident der Klägerin für den Fall einer weiteren Gewerbeausübung nach Ablauf eines Monats, gerechnet vom Tage der Vollstreckbarkeit des Bescheides an, die zwangsweise Schließung des Betriebes an. Der Regierungspräsident begründete die Gewerbeuntersagung im wesentlichen damit, daß die Klägerin aufgrund der Tatsache, daß sie es an der ordentlichen Erfüllung ihrer sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Pflichten fehlen lasse, im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO als unzuverlässig anzusehen und deshalb zum Schutze der Allgemeinheit die Gewerbeuntersagung geboten sei. Außerdem wurde die Untersagung auch darauf gestützt, daß sich die Klägerin eines unzuverlässigen Geschäftsführers bediene.

Den dagegen am 17. September 1986 erhobenen Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, Gründe für die Annahme ihrer Unzuverlässigkeit lägen nicht vor, wies der Regierungspräsident mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 1987 zurück, nachdem in zwischenzeitlichen Auskünften sowohl der Innungskrankenkasse als auch des Finanzamtes auf angestiegene Zahlungsrückstände der Klägerin hingewiesen worden war (18.065,37 DM bzw. 19.650,00 DM).

Daraufhin hat die Klägerin am 30. März 1987 bei dem Verwaltungsgericht Darmstadt Klage erhoben. Sie hat geltend gemacht, sie sei aufgrund eines momentanen Zahlungsengpasses nur mit geringfügigen Beträgen im Rückstand gewesen; in der Person ihres Geschäftsführers. sei kein Anhalt für eine Unzuverlässigkeit gegeben; ein Geschäftsführerwechsel habe stattgefunden.

Die Klägerin hat beantragt,

den Gewerbeuntersagungsbescheid des Regierungspräsidenten in Darmstadt vom 20. August 1986 sowie den Widerspruchsbescheid derselben Behörde vom 25. Februar 1987 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat unter Vorlage entsprechender Auskünfte darauf hingewiesen, daß die Rückstände der Klägerin bei Steuer- und Sozialversicherungsabgabengläubigern noch angestiegen seien, so daß weiterhin gewerberechtliche Unzuverlässigkeit im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO gegeben sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. Januar 1990 im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides habe die Klägerin nach dem Gesamteindruck ihres Verhaltens nicht die Gewähr dafür geboten, daß sie ihr Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreiben werde; sie sei daher mit Recht als unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO angesehen worden.

Eine solche Beurteilung sei nach ständiger Rechtsprechung insbesondere dann gerechtfertigt, wenn ein Gewerbetreibender die mit dem Betrieb des Gewerbes in Zusammenhang stehenden öffentlich-rechtlichen Abgabepflichten in der Vergangenheit in nicht unerheblicher Weise verletzt habe und im Hinblick auf dieses bisherige Verhalten auch ein künftiges abgabenrechtliches Fehlverhalten befürchtet werden müsse.

Im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides habe die Klägerin über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinweg ihre sich aus dem Gewerbebetrieb ergebenden Abgabenpflichten gegenüber dem Finanzamt und dem Sozialversicherungsträger, nämlich der Innungskrankenkasse Offenbach am Main, fortwährend verletzt. Daneben habe es die Klägerin auch an der ordnungsmäßigen Erfüllung ihrer steuerlichen Erklärungs- und Voranmeldepflichten fehlen lassen. Das gelte auch für die Zeit nach Erlaß des Widerspruchsbescheides. Insoweit seien die früheren Auskünfte der öffentlich-rechtlichen Abgabengläubiger bestätigt worden (vgl. Auskunft der Innungskrankenkasse Offenbach am Main vom 6. Mai 1987: Beitragsrückstand: 16.130,55 DM, Auskunft der Stadt Neu-Isenburg vom 13. Mai 1987: Gewerbesteuerrückstand: 6.480,00 DM, Auskunft der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten Mannheim vom 18. Mai 1987: Beitragsrückstand 3.802,70 DM und Auskunft des Finanzamtes Offenbach am Main - Stadt vom 22. Mai 1987: 60.821,52 DM). Die Klägerin kranke offensichtlich an mangelnder wirtschaftlicher und finanzieller Leistungsfähigkeit, die für sich genommen nach ständiger Rechtsprechung schon die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertige, denn wer finanziell und wirtschaftlich leistungsunfähig sei, biete keine Gewähr dafür, daß er den mit dem Betrieb seines Gewerbes verbundenen finanziellen Verpflichtungen, insbesondere auch den Verpflichtungen gegenüber den öffentlich-rechtlichen Abgabengläubigern, verläßlich nachkomme. In diesem Zusammenhang werfe ein bezeichnendes Licht auf die Klägerin, daß sie sogar Lohnzahlungsverpflichtungen für die Monate Oktober und November 1986 gegenüber einem Arbeitnehmer nicht nachgekommen sei, wie ein vom Beklagten zu den Gerichtsakten gereichtes Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 18. Mai 1987 ausweise.

Im übrigen komme es nicht darauf an, ob der im Januar 1989 bei der Klägerin eingetretene Geschäftsführerwechsel einen günstigen Einflug auf eine ordnungsmäßige Führung ihrer Geschäfte haben könne.

Gegen den ihr am 14. Februar 1990 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. März 1990 Berufung eingelegt, diese jedoch nicht begründet, sondern mitgeteilt, über ihr Vermögen sei das Konkursverfahren eröffnet worden (Amtsgericht Offenbach am Main, Az. 7 N 136/90).

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. Januar 1990 sowie die Gewerbeuntersagungsverfügung des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 20. August 1986 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1987 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt mit näherer Begründung,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie auf den Inhalt der die Klägerin betreffenden Verwaltungsvorgänge des Regierungspräsidiums Darmstadt (1 Hefter), die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden sind, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Das Verfahren ist infolge des Konkurses über das Vermögen der Klägerin nicht etwa entsprechend § 240 ZPO (§ 173 VwGO) unterbrochen, weil das Gewerbeuntersagungsverfahren nach § 35 GewO nicht die Konkursmasse betrifft (vgl. hierzu Heß in Friauf, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblattausgabe, Rdnr. 133 zu § 35; vgl. ferner Marcks in Landmann/Rohmer, Kommentar zur Gewerbeordnung, Loseblattausgabe, Rdnr. 89 zu § 35; Bitter, Konkurs und Gewerberecht, BayVBl. 1972, 202 ff., 205.).

Die Berufung ist unbegründet, denn der Gerichtsbescheid ist nicht zu beanstanden, weil die Klägerin mit Recht von der Gewerbeuntersagungsbehörde als gewerberechtlich unzuverlässig angesehen und ihr die selbständige Gewerbeausübung untersagt worden ist.

Gewerberechtlich unzuverlässig im Sinne des § 35 Abs. 1 GewO ist, wer beharrlich seine Zahlungs- und Erklärungspflichten gegenüber öffentlichen Gläubigern verletzt oder finanziell leistungsunfähig ist. Diese Voraussetzungen lagen bei der Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 1987 vor. Dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 GewO maßgebend. Zu dieser Zeit hatte die Klägerin ihre Zahlungs- und Erklärungspflichten gegenüber den öffentlichen Gläubigern beharrlich verletzt. Sie ist zudem leistungsunfähig. Die von der Behörde im Beurteilungszeitpunkt gestellte Prognose, die Klägerin werde auch künftig ihre Gewerbetätigkeit nicht ordnungsmäßig fortsetzen, hat sich nachträglich bestätigt, denn Zahlungsrückstände bei öffentlichen Gläubigern bestehen weiterhin, die Erklärungen erfolgen nach wie vor nicht zeitgerecht, und über das Vermögen der Klägerin ist zudem auch noch das Konkursverfahren eröffnet worden. Dies bestätigt, daß die Klägerin finanziell leistungsunfähig ist. Finanzielle Leistungsunfähigkeit ist aber schon für sich allein ein Grund, die Ausübung der Gewerbetätigkeit zu untersagen.

Das Verwaltungsgericht hat dies alles zutreffend in seinem Gerichtsbescheid ausgeführt. Der erkennende Senat folgt diesen Ausführungen und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 130 b VwGO) zumal die Klägerin ihre Berufung nicht begründet hat, also nicht zu erkennen gegeben hat, inwiefern sie den Gerichtsbescheid für unzutreffend hält.

Zum zweimaligen Auswechseln des Geschäftsführers der Klägerin ist zu bemerken, daß dies an der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin nichts geändert hat. Ihre Leistungsunfähigkeit und ihre Schulden bei öffentlichen Gläubigern bestanden auch danach noch weiter.

Im übrigen ist das Einwechseln des Geschäftsführers Schiller zeitlich erst nach Erlaß des Widerspruchsbescheides, also erst nach dem maßgebenden Beurteilungszeitpunkt erfolgt, so daß dies auf die Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung keinen Einfluß haben konnte.

Die angefochtenen Bescheide sind auch nicht deshalb aufzuheben, weil sie unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren ergangen wären.

Der Bescheid vom 20. August 1986 ist dem damaligen Geschäftsführer der Klägerin, Horst Georg Willi G., am 22. August 1986 zugestellt worden. Dies ist nicht zu beanstanden, denn erst unter dem 18. September 1986 ist im Handelsregister eingetragen, der Vorgenannte sei nicht mehr Geschäftsführer.

Der Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1987 ist der Klägerin ebenfalls zu Händen des Horst Georg Willi G. am 28. Februar 1987 zugestellt worden, der zu diesem Zeitpunkt indessen schon nicht mehr Geschäftsführer der Klägerin war. Dies ist aber unschädlich, weil der inzwischen bestellte Geschäftsführer, Dipl.-Ing. Horst G., den Widerspruchsbescheid alsbald von seinem Vorgänger erhalten haben muß (Bekanntgabe), denn der neue Geschäftsführer hat rechtzeitig von den damaligen Bevollmächtigten der Klägerin Klage erheben lassen. Wenngleich der Widerspruchsbescheid nach § 73 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 35 Abs. 1 GmbHG dem neuen Geschäftsführer der Klägerin hätte zugestellt werden müssen, so führte die fehlende Zustellung nicht zur Unwirksamkeit des Widerspruchsbescheides, sondern lediglich dazu, daß die Klagefrist nicht zu laufen begann (vgl. Kopp, VwGO, 9. Aufl., § 73 Rdnr. 22). Wirksam wurde der Widerspruchsbescheid mit der Bekanntgabe an den neuen Geschäftsführer der Klägerin (§ 43 VwVfG). Aus der unzutreffenden Benennung des Geschäftsführers im Widerspruchsbescheid allein folgt nicht, daß der Widerspruchsbescheid aufgehoben werden muß (§ 46 VwVfG).

Der Gerichtsbescheid erweist sich nach allem als fehlerfrei und die Berufung der Klägerin als nicht begründet.

Da das Rechtsmittel erfolglos ist, hat die Klägerin auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Streitwert auch für das Berufungsverfahren 18.000,00 DM.

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