Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 27.08.2010 - 1 Ws 134/10
Fundstelle
openJur 2012, 13595
  • Rkr:

Die Anhörungsregelung des § 454 Abs. 2 S. 3 §§ 463 Abs. 4 S. 4 StPO ist auch dann (entsprechend) anzuwenden, wenn die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung nach § 67 e StGB in wesentlichen Teilen ein Gutachten verwertet, welches seitens der Klinik gemäß § 37 Abs. 4 BbgPsychKG in Auftrag gegeben worden ist.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Untergebrachten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts …. vom 1. April 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zurückverwiesen, die auch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens und die der Untergebrachten hierbei entstandenen notwendigen Auslagen zu entscheiden haben wird.

Gründe

I.

Das Amtsgericht ... - Jugendschöffengericht - ordnete mit Urteil vom 11. November 2005 (70 Ls - 4112 Js 2885/04 - 75/04), rechtskräftig seit dem 24. Juli 2006, die Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB an. Das Gericht stellte fest, dass die bereits strafrechtlich auffällig gewordene Beschwerdeführerin „im Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. verminderten Schuldfähigkeit“ aufgrund einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD 10 F 60.3) eine Körperverletzung, eine gefährliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, eine Beleidigung und vier Fälle des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, davon zwei Fälle in Tateinheit mit Körperverletzung begangen hatte. Die Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wurde zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss vom 7. November 2006, rechtskräftig seit dem 10. Januar 2007, widerrief das Amtsgericht .... die Aussetzung der Maßregel, weil die Beschwerdeführerin gegen Auflagen und Weisungen verstoßen hatte.

Nach Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Tagen in der JVA … wurde die Beschwerdeführerin am 14. Mai 2007 gem. § 63 StGB in das ... Fachklinikum .. überführt.

Das Amtsgericht …. ordnete zuletzt am 14. Januar 2009 (3.2 VRJs 17/07) die Fortdauer der Unterbringung der Beschwerdeführerin in einem psychiatrischen Krankenhaus an und beschloss zugleich, gem. § 85 Abs. 6 JGG die weitere Vollstreckung der Unterbringung an die Staatsanwaltschaft ... abzugeben, da die Untergebrachte zwischenzeitlich das 24. Lebensjahr vollendet hatte.

Unter dem Datum des 15. September 2009 erstattete der Sachverständige Prof. Dr. ... von der …. gem. § 37 BbgPsychKG ein Gutachten zum weiteren Verlauf der Therapie, zu etwaigen Lockerungen und zur Frage der Gefährlichkeit und der Erprobung der Untergebrachten in Freiheit. Am 8. Dezember 2009 fertigte das ... Fachklinikum eine durch den Chefarzt ….., die Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. …… und durch die Diplom-Psychologin … gezeichnete Stellungnahme zur Frage der Aussetzung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf Bewährung.

Mit Verfügung vom 21. Dezember 2009 hat die Staatsanwaltschaft ... unter Vorlage der gutachterlichen Stellungnahme des ...-Fachklinikums ... vom 8. Dezember 2009 die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... zur Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung gemäß § 67e Abs. 2 StGB übersandt, wo sie am 23. Dezember 2009 eingegangen sind.

Nach Anhörung der Untergebrachten am 4. März 2010 in Anwesenheit ihres Verteidigers sowie der Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychoanalyse Dr. … hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ... mit Beschluss vom 1. April 2010, dem Verteidiger der Untergebrachten am 9. Juli 2010 förmlich zugestellt, die Fortdauer der Unterbringung beschlossen, die sich vor allem auf die gutachterliche Stellungnahme des externen Sachverständigen Dr. ... aus ... vom 15. September 2009 stützt.

Mit Anwaltschriftsatz vom 13. Juli 2010, eingegangen bei Gericht am 14. Juli 2010, hat die Untergebrachte gegen den Beschluss des Landgerichts ... vom 1. April 2010 sofortige Beschwerde eingelegt und diese damit begründet, dass ihr – entgegen den gutachterlichen Ausführungen eine positive Legalprognose zu stellen und überdies die weitere Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unverhältnismäßig sei.

II.

1. Die sofortige Beschwerde ist gemäß §§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und gemäß § 311 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

2. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache (vorläufigen) Erfolg, sie ist begründet. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ....

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in ihrer Stellungnahme vom 13. August 2010 ausgeführt:

„Die Strafvollstreckungskammer hat sich […]ihrer Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung der fortdauernden Unterbringungsnotwendigkeit entzogen.

Am 21. September 2009 [richtig: 15. September 2009] hat der Sachverständige Prof. Dr. med. ... ein forensisch-psychiatrisches Prognosegutachten über die Untergebrachte erstellt (Bd. II Bl. 214 ff. d. VH). Dieses hatte das ... Fachklinikum ... gemäß § 37 Abs. 4 des Brandenburgischen PsychKG in Auftrag gegeben.

Dieses Gutachten hat die Strafvollstreckungskammer der angefochtenen Entscheidung auch zugrunde gelegt (Bl. 3 des angefochtenen Beschlusses). Die Relevanz dieses Gutachtens war der Strafvollstreckungskammer bewusst. Sie hat in dem Termin zur mündlichen Anhörung der Untergebrachten vom 4. März 2010 im ... Fachklinikum ... nachgefragt, ob der Untergebrachten dieses Prognosegutachten bekannt sei (Bd. II Bl. 326 d. VH). In diesem Termin hat Frau Dr. …. zudem auf das von Prof. ... erstellte Gutachten rekurriert.

Zu beanstanden ist insofern, dass die Strafvollstreckungskammer den Gutachter Prof. Dr. med. ... nicht zu seinem Gutachten vom 21. September 2009 angehört hat.

Der Fall, dass die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung einer Aussetzungsentscheidung nach § 67g Abs. 2 StGB, 463 Abs. 4 StPO ein externes Gutachten in Auftrag gegeben hat, liegt hier zwar nicht vor. Infolgedessen sind die § 463 Abs. 4 Satz 4, 454 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht unmittelbar anwendbar. Es war aber vorliegend eine entsprechende Anwendung der vorgenannten Vorschriften über die Anhörung des externen Sachverständigen geboten, nachdem die Strafvollstreckungskammer dieses Gutachten ihrer Entscheidung - wie dargelegt - zugrunde gelegt hat. Die Anhörung des Gutachters war zudem schon deshalb erforderlich, weil seit der Erstattung des Gutachtens bis zu dem Termin zur mündlichen Anhörung der Untergebrachten mehr als ein halbes Jahr vergangen war.

Die Strafvollstreckungskammer war folglich gehalten, die Anhörungsregelung des § 454 Abs. 2 Satz 3 StPO entsprechend anzuwenden, den Sachverständigen anzuhören und hierbei den Beteiligten 'Gelegenheit zur Mitwirkung' zu geben, sich also insbesondere zu der Frage zu erklären, ob sie auf die Anhörung des Sachverständigen verzichten §( 454 Abs. 3 Satz 4 StPO). Dies hat die Strafvollstreckungskammer unterlassen. Ein Verzicht der Untergebrachten und ihres Verteidigers auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist nicht erkennbar. Die Strafvollstreckungskammer ist somit ihrer Verpflichtung zur umfassenden Aufklärung der fortdauernden Unterbringungsnotwendigkeit nicht nachgekommen.“

Der Senat tritt dieser Stellungnahme bei, sie entspricht der Sach- und Rechtslage.

Es ist in der Tat zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungskammer den Sachverständigen Prof. Dr. ... nicht zu seinem Gutachten vom 15. September 2009 angehört hat, das dieser gemäß § 37 Abs. 4 BbgPsychKG erstattet hat. Die Strafvollstreckungskammer hat bei ihrer jährlichen Überprüfung gemäß § 67e StGB zu prüfen, ob die Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen oder ob im Verlauf der Unterbringung Umstände eingetreten sind, auf Grund derer die weitere Maßregelvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§ 67e Abs. 1 i.V.m. § 67 d Abs. 2 StGB), ein Fall der Erledigung (§ 67 d Abs. 6 StGB) vorliegt oder eine Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel (§ 67 a StGB) oder eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge (§ 67 Abs. 3 StGB) in Betracht kommt.

Hat sich daher die Strafvollstreckungskammer bei der (noch vor Ablauf der Fünfjahresfrist des § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO erfolgenden) Vorbereitung ihrer Prüfung gem. § 67e StGB in weiten Teilen auf ein externes Prognosegutachten gestützt und ihrer Bewertung zugrunde gelegt, so ist sie zur mündlichen Anhörung des Sachverständigen und darüber hinaus dazu verpflichtet, den Beteiligten Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben, sich also insbesondere zu der Frage zu erklären, ob sie auf die Anhörung des Sachverständigen verzichten (arg. aus § 454 Abs. 3 Satz 4 StPO; vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. Januar 2010, 1 Ws 812/09; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Juli 2009, III – 4 Ws 27409; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Februar 2007, 1 Ws 85/07, zit. jeweils nach juris).

Dieser Verpflichtung ist die Strafvollstreckungskammer nicht nachgekommen.

21Zwar liegt der Fall, dass die Strafvollstreckungskammer zur Vorbereitung einer Aussetzungsentscheidung nach § 67 g Abs. 2 StGB, § 463 Abs. 4 StPO ein externes Gutachten in Auftrag gegeben hat, nicht vor, da der in § 463 Abs. 4 Satz 1 StPO genannte Zeitraum von fünf Jahren vollzogener Unterbringung noch nicht abgelaufen war – die Beschwerdeführerin befand sich im Zeitpunkt der Gutachtenerstattung nicht einmal zweieinhalb Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus –, so dass noch keine zwingende Veranlassung zur Einholung eines externen Gutachtens bestand. Infolgedessen waren die §§ 463 Abs. 4 S. 4, 454 Abs. 2 S. 3 StPO - wonach der beauftragte Sachverständige mündlich anzuhören ist - nicht unmittelbar einschlägig. Es war vorliegend aber eine entsprechende Anwendung der vorgenannten Vorschriften über die Anhörung geboten.

22Die Strafvollstreckungskammer hat sich nämlich zur Frage, ob die Unterbringung nach §§ 67 d Abs. 2, 67 e StGB zur Bewährung auszusetzen ist, maßgeblich auf ein gemäß § 37 Abs. 4 BbgPsychKG eingeholtes externes Prognosegutachten gestützt: Nachdem die Beschlussgründe unter Bezugnahme auf die im Anhörungstermin gehörten Therapeuten den Therapieverlauf kurz schildern, heißt es: „Der externe Sachverständige Prof. Dr. ... […] kommt in seinem Gutachten vom 15.09.2009 zu dem Ergebnis, dass es noch nicht verantwortet werden könne, die Untergebrachte in Freiheit zu erproben, da sie trotz erheblicher Fortschritte immer noch gefährdet sei, rasch zu dekompensieren und unter dem Vorzeichen ihrer länger anhaltenden Polytoxikomanie wieder an alte kriminelle Verhaltensweisen anzuknüpfen. […]. Zu den weiteren Ausführungen des Sachverständige wird auf das bezeichnete Gutachten Bezug genommen.“ (Bl. 2/3 BA).

Auch war das externe Gutachten ausweislich des Anhörungsprotokolls (Bd. II, Bl. 326 VH) Gegenstand der mündlichen Anhörung am 4. März 2010. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Untergebrachte ausdrücklich danach befragt wurde, ob ihr das externe Gutachten bekannt sei, wodurch die Kammer zu erkennen gegeben hat, dass sie es für ihre Entscheidung auch heranzuziehen gedenke. Schließlich hat auch das ... Fachklinikum ... in ihrer Stellungnahme vom 8. Dezember 2009 das externe Gutachten von 15. September in großen Teilen verwertet und ihrer Bewertung zugrunde gelegt.

24Dann aber war das erkennende Gericht auch gehalten, die Anhörungsregelung des § 454 Abs. 2 S. 3 StPO anzuwenden, den Sachverständigen anzuhören und hierbei den Beteiligten "Gelegenheit zur Mitwirkung" zu geben, sich also insbesondere zu der Frage zu erklären, ob sie auf die Anhörung des Sachverständigen verzichten (§ 454 Abs. 3 S. 4 StPO).

Das hat die Kammer nicht getan und es bei der - hierfür unzureichenden - Anhörung von Vertretern der Klinik belassen. Ein allseitiger Verzicht auf die mündliche Anhörung des Sachverständigen, § 454 Abs. 2 S. 4 StPO, ist in den Akten nicht belegt.

Nach alledem hat die Strafvollstreckungskammer, indem sie ohne Anhörung des Gutachters entschieden hat, die umfassende Aufklärung der fortdauernden Unterbringungsnotwendigkeit unterlassen. Der hierin liegende Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer an einem Aufklärungsmangel leidet, der entgegen § 309 Abs. 2 StPO zur Aufhebung und Zurückweisung an die Strafvollstreckungskammer führt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 309 Rdnr. 8, OLG Düsseldorf NJW 2002, 2963, OLG Jena NStZ 2007, 421).