KG, Beschluss vom 18.06.2010 - 19 UF 22/10
Fundstelle
openJur 2012, 13282
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss desAmtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 6. Mai 2010 unterZurückweisung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnungmit der Maßgabe aufgehoben, dass das Aufenthaltsbestimmungsrechtfür die Zeit bis zum 31. Juli 2010 beim Vater verbleibt.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zuerstatten. Von der Erhebung der Gerichtskosten desBeschwerdeverfahrens wird abgesehen.

Der Wert für die Beschwerdeinstanz wird auf 1500 €festgesetzt.

Dem Vater wird für die Beschwerdeinstanz Verfahrenskostenhilfeunter Beiordnung von Rechtsanwältin S. bewilligt. Er hat keineRaten zu leisten.

Gründe

Die Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß § 58 FamFG zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die einstweilige Anordnung, mit der der Mutter das Sorgerecht entzogen und dem Vater übertragen worden ist, ist sachlich nicht gerechtfertigt.

Einstweilige Anordnungen können gemäß § 49 FamFG ergehen, wenn sie nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Einschreiten besteht. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Da die Mutter allein sorgeberechtigt (gewesen) ist, kommt es, anders als bei einer Beendigung der gemeinsamen Sorge gemäß § 1671 BGB, nicht darauf an, ob bei einem Vergleich der Kompetenzen und Möglichkeiten beider Elternteile, der Bindungen der Kinder usw. die Übertragung des Sor-gerechts auf den Vater dem Wohl der Kinder am besten entsprechen würde; in diese Richtung geht die Abwägung der Chancen und Risiken in der ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen vom 3.6.2010. Die maßgebenden Rechtsvorschriften, die eine Entziehung des Sorgerechts rechtfertigen würden, sind vielmehr §§ 1666, 1666 a BGB. Danach ist die Entziehung des Sorgerechts, mit der eine Trennung des Kindes von einem Elternteil verbunden ist, nur zulässig, wenn dies zur Abwehr einer Gefährdung des Kindeswohls erforderlich und der Gefahr auf andere Weise nicht begegnet werden kann. Die vom Amtsgericht beschlossene Entziehung der gesamten Personensorge setzt gemäß § 1666 a Abs. 2 BGB voraus, dass andere Maßnahmen erfolglos ge-blieben sind oder ersichtlich zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

Der Senat teilt die nach sachverständiger Beratung vom Amtsgericht vorgenommene Einschätzung, dass durch eine fortdauernde Behinderung und Boykottierung des Umgangs zwischen Vater und Kindern seitens der Mutter das Kindeswohl gefährdet wird. Dies hat die Sachverständige auch für den Senat überzeugend begründet. Diese Gefährdung rechtfertigt aber die Entziehung des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung nicht.

5An den Entzug des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung sind angesichts der Regelungen der §§ 1666, 1666 a BGB und vor dem Hintergrund des Elternrechts aus Art. 6 Grundgesetz hohe Anforderungen zu stellen. Je einschneidender eine Maßnahme ist, umso höher sind die Anforderungen an das Bedürfnis einer Regelung im Wege einstweiliger Anordnung (BayObLG FamRZ 1997, 387). Für die leiblichen Eltern ist die Trennung von ihrem Kind der stärkste vorstellbare Eingriff in ihr Elternrecht, der nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist (BVerfG FamRZ 2002, 1021). Eine solche vorläufige Maßnahme kommt nur in Betracht, wenn sie zum Wohle der Kinder unumgänglich und die Sache derart eilbedürftig ist, dass sie bereits im Wege der vorläufigen Anordnung getroffen werden muss (vgl. z.B. OLG Jena FamRZ 2006, 280). Dies kommt regelmäßig bei unmittelbaren Gefahren für das körperliche oder seelische Wohl der Kinder in Betracht, denen durch sofortige Maßnahmen begegnet werden muss, wie zum Beispiel bei Verwahrlosung, Missbrauch, Kindesmisshandlung.

6Ein derartiges Eilbedürfnis wird durch die Verhinderung des Umgangs seitens der Mutter nicht begründet. Der Senat teilt die Ansicht des Amtsgerichts, dass die Verhaltensweisen der Mutter das – ebenfalls durch Art. 6 GG geschützte (vgl. z.B. BVerfG FamRZ 2005, 1057) – Recht auf Umgang in erheblicher Weise beeinträchtigt hat. Der Senat wertet - in Übereinstimmung mit der Sachverständigen und dem Jugendamt - auch die Verweigerung des Umgangs im Anschluss an die E-Mail vom 10. Februar 2010 als Versuch, ihre Sicht der Dinge ohne Berücksichtigung der Be-deutung des Umgangs zwischen Vater und Kindern durchzusetzen. Der Senat vermag in dieser E-Mail die von der Mutter angeführte Bedrohung nicht zu sehen; die angesprochenen Konsequenzen ihres Verhaltens wären z.B. auch Eingriffe in das Sorgerecht oder die zwangsweise Durchsetzung der Umgangskontakte. Die Mutter hat auch die klarstellende Erklärung der Bevollmächtigten des Vaters nicht zum Anlass genommen, den Umgang zuzulassen. Das Abhängigmachen der Gewährung des Umgangs von einer persönlichen Erklärung des Vaters verkennt die Bedeutung des Umgangs für das Kindeswohl. Dies gilt auch für die Versuche, die Gestaltung des - keine konkrete Gefährdung darstellenden - Umgangs des Vaters zu bestimmen (keine Besuche in R., nur eingeschränkte Kontakte der Großmutter) sowie den Ausschluss des Vaters von für die Kinder wichtigen Ereignissen (Einschulung).

7Der Senat hat aber bereits Zweifel, ob der durch dieses Fehlverhalten der Mutter drohenden Kindeswohlgefährdung nicht durch mildere Mittel entgegengewirkt werden könnte. Die Möglichkeiten eines Umgangspflegers sind bei bestimmten Verhaltensweisen der Mutter zwar beschränkt, es erscheint aber fraglich, ob diese Möglichkeit von vornherein ohne jede Erfolgsaussicht ist. Als milderes Mittel kommt auch in Betracht, eine Umgangsregelung zunächst durch Zwangsmittel (§ 33 FGG) beziehungsweise Ordnungsmittel (§ 89 FamFG) durchzusetzen zu versuchen. Derartige gerichtliche Maßnahmen sind - soweit aus den dem Senat vorliegenden Akten ersichtlich - bisher nicht ergriffen worden, vielmehr ist der gestellte Zwangsgeldantrag mangels vollstreckbarem Titel zurückgewiesen worden.

Selbst wenn man diese gegenüber einem Entzug des Sorgerechts milderen Mittel als im Ergebnis nicht ausreichend ansehen würden, einer Gefährdung des Kindeswohls durch Verhinderung des Umgangs entgegenzuwirken, fehlt es an dem nach § 49 Abs. 1 FamFG erforderlichen besonderen Eilbedürfnis. Probleme bei der Umsetzung eines Umgangs rechtfertigen grundsätzlich nicht eine Entziehung des Sorgerechts im Wege der einstweiligen Anordnung (vgl. z.B. OLG Jena aaO.; OLG Brandenburg FamRZ 2002, 1273). Die aus einer Umgangsverweigerung drohenden Gefahren für die Beziehungen zwischen Kind und Umgangsberechtigtem entstehen nicht so kurzfristig, dass ihnen nicht im Regelfall mit einer Entscheidung in der Hauptsache ausreichend begegnet werden könnte. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass dies sich hier ausnahmsweise anders verhalten sollte. Die Anhörung der Beteiligten durch den Senat hat entsprechende Anhaltspunkte nicht ergeben. Auch der Zeitraum, während dessen der Umgang nicht stattgefunden hat, rechtfertigt hier ein dringendes Bedürfnis für einen sofortigen Sorgerechtsentzug nicht; beide Kinder befinden sich nicht mehr in einem Alter, in dem bereits ein Kontaktabbruch von wenigen Monaten zu einer Entfremdung führen kann. Die ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen vom 3. Juni 2010 begründet das Eilbedürfnis ebenfalls nicht. Die Sachverständige war noch in ihrem ursprünglichen Gutachten davon ausgegangen, dass die Defizite der Mutter einen Entzug der gesamten elterlichen Sorge nicht rechtfertigen würden. Der Senat hat Zweifel, ob der Entwicklung zwischen den Monaten Februar und Mai 2010 ein solches Gewicht beizumessen ist, dass diese Beurteilung nicht mehr tragfähig ist. Ein besonderes Eilbedürfnis, das eine sofortige Herausnahme der Kinder aus dem mütterlichen Haushalt rechtfertigen würde, ergibt sich unabhängig davon aus der ergänzenden Stellungnahme nicht.

Dem Senat ist bewusst, dass diese Entscheidung zu einer erheblichen Belastung der Beteiligten, insbesondere der Kinder führen wird, da die amtsgerichtliche Entscheidung bereits vollzogen worden ist. Dies allein vermag aber aus den o.g. Gründen eine Aufrechterhaltung der einstweiligen Anordnung nicht zu rechtfertigen. Um den Kindern einen erneuten Schulwechsel während des laufenden Schuljahres zu ersparen, hat der Senat im Interesse des Kindeswohls entsprechend § 49 Abs. 2 S. 3 FamFG die aus dem Tenor ersichtliche Regelung getroffen. Der Senat weist darauf hin, dass er angesichts der - durch den derzeitigen Aufenthalt der Kinder beim Vater verstärkten - Bindungen zwischen den Kindern und dem Vater sowie der väterlichen Familie einen Ferienumgang in den Herbstferien für notwendig erachtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 41, 45 FamGKG. Dem Vater ist gemäß §§ 76 FamFG, 114 ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Er hat angesichts seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse keine Raten zu leisten. Der Verfahrenskostenhilfeantrag der Mutter ist noch nicht entscheidungsreif.