KG, Beschluss vom 23.03.2010 - (4) AuslA 1252/09 (38/10), (4) AuslA 1252/09 (38/10)
Fundstelle
openJur 2012, 12699
  • Rkr:

Bei ihrer Entscheidung, ob die Bewilligungsbehörde ein Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2a IRG dahin geltend macht, dass der Verfolgte auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung nach Deutschland zurück überstellt wird, hat sie neben den beruflichen, wirtschaftlichen, familiären und sozialen Beziehungen des Verfolgten in Deutschland und der Dauer seines Aufenthalts auch zu berücksichtigen, ob der Verfolgte über die erforderlichen deutschen Sprachkenntnisse verfügt, die seine Mitarbeit am Erreichen des in § 2 Satz 1 StVollzG normierten Vollzugszieles im Rahmen des resozialisierungsorientierten Behandlungsvollzuges ermöglichen. Denn entscheidungserheblich ist insbesondere, ob die Resozialisierungschancen des Verfolgten durch die Verbüßung der Strafe im Inland erhöht werden können.

Tenor

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Polen zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der in dem Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in K. vom 18. November 2008 - (…) - bezeichneten strafbaren Handlungen wird für zulässig erklärt.

2. Der Antrag des Verfolgten auf Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 15. Februar 2010, hilfsweise auf dessen Außervollzugsetzung, wird zurückgewiesen. Die Auslieferungshaft dauert fort.

Gründe

Die polnischen Behörden haben durch Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls um die Festnahme und Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Der Verfolgte ist am 9. Februar 2010 vorläufig festgenommen worden und hat sich in seiner am folgenden Tag erfolgten richterlichen Anhörung nach §§ 22, 28 IRG nicht mit der vereinfachten Auslieferung (§ 41 IRG) einverstanden erklärt. Mit Beschluss vom 15. Februar 2010 hat der Senat die Auslieferungshaft angeordnet. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Berlin erklärt er die Auslieferung des Verfolgten für zulässig (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG).

1. Der übermittelte Europäische Haftbefehl des Bezirksgerichts in K. vom 18. November 2008 – (…) - entspricht den Anforderungen des § 83a Abs. 1 IRG. Er weist aus, dass gegen den Verfolgten der Haftbefehl des Amtsgerichts in O. vom 11. Oktober 2004 – (…) – besteht, worin dem Verfolgten zur Last gelegt wird, sich wie folgt strafbar gemacht zu haben:

a) An nicht näher feststellbaren Tagen im August und Oktober 2003 soll er in O. unter Vortäuschung seiner Rückzahlungsbereitschaft von dem Geschädigten C. ein Darlehen über 5.000 Zloty und ein weiteres über 2.000 Zloty erschwindelt haben.

b) In der Zeit zwischen dem 16. und 23. Januar 2004 soll der Verfolgte ebenfalls in O. gemeinschaftlich mit Z. den Geschädigten C. goldene Ketten, Ohrringe, Trauringe, Kettenanhänger und eine Uhr im Gesamtwert von 15.000 Zloty sowie Bargeld in Höhe von 10.000 Zloty gestohlen haben.

2. Die Auslieferung des Verfolgten ist zulässig (§ 29 Abs. 1 IRG). Bei den ihm zur Last gelegten Taten handelt es sich um auslieferungsfähige strafbare Handlungen (§§ 3, 81 IRG). Hinsichtlich der Betrugstaten zu 1 a) ist die beiderseitige Strafbarkeit nach § 3 IRG gemäß § 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen. Denn es handelt sich um Katalogtaten im Sinne des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb. Die Diebstahlstat zu 1 b) ist sowohl nach dem polnischen Strafgesetzbuch (Art. 278 § 1) als auch nach deutschem Recht (§§ 242, 25 Abs. 2 StGB) strafbar. Die Taten sind nach dem Recht des ersuchenden Staates mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht (§ 81 Nr. 1 IRG).

3. Es liegen keine Auslieferungshindernisse vor.

a) Soweit der Beistand des Verfolgten geltend macht, die Verfahrensdauer stehe der Auslieferung entgegen, trifft dies nicht zu. Zwar kann eine überlange Verfahrensdauer im Einzelfall zu einem Auslieferungshindernis führen. Im vorliegenden Fall, in dem dem Verfolgten nicht ganz unerhebliche Straftaten mit einem Gesamtschaden von 32.000 PLN (nach derzeitigem Wechselkurs gut 8.000 Euro) zur Last liegen und der Fortgang des polnischen Strafverfahrens durch seine Abwesenheit gehindert war, liegt nach den insoweit maßgeblichen Grundsätzen (vgl. nur OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26. Juni 2007 – 1 AK 16/06 -; OLG Hamm, Beschlüsse vom 28. Dezember 2007 – [2] 4 Ausl 504/99 [416/07] -, 17. Mai 2001 – [2] 4 Ausl 629/97 [33/01] - und 16. Juni 1998 –[2] 4 Ausl 563/96 [75/97] – [alle bei juris]; OLG Bamberg, Beschluss vom 20. Januar 2009 – 5 Ausl 79, 83/08 -) die Annahme eines den Kernbereich des Beschleunigungsgebotes aus Art. 6 Abs. 1 MRK verletzenden Verfahrensgangs fern. Hiernach bedurfte es der näheren Aufklärung der Einzelheiten des Verfahrensverlaufs in Polen nicht.

b) Soweit der Beistand ferner beantragt hat, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, weil der Verfolgte seit November 2006 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und die Rücküberstellung zur Vollstreckung nicht gesichert sei, kann dies keinen Erfolg haben. Eine vollständige Ablehnung der Auslieferung wäre rechtlich gar nicht statthaft. Nach § 83b Abs. 2 (a) IRG kann die Bewilligung nur insoweit abgelehnt werden, als die Auslieferung eines Deutschen nach § 80 Abs. 1 und 2 IRG unzulässig wäre. Da dem Verfolgten in Polen begangene Straftaten zur Last gelegt sind, käme bei einem Deutschen nur der Fall einer Tat mit maßgeblichem Auslandsbezug nach § 80 Abs. 1 IRG in Betracht. Bei einer solchen ist eine Auslieferung zur Strafverfolgung aber schon dann zulässig, wenn die Rücküberstellung des Verfolgten gesichert ist ( § 80 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Sofern die Auslieferung des Verfolgten unter der Bedingung der Rücküberstellung bewilligt würde, wäre angesichts der polnischen Rechtslage (Art. 607j der polnischen Strafprozessordnung) davon auszugehen, dass sich die Republik Polen an eine solche Bedingung halten wird. Der Einholung einer entsprechenden Vorabzusicherung der polnischen Behörden bedürfte es nicht (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2007, 410; Senat, Beschlüsse vom 13. November 2009 - [4] Ausl.A. 220/09 [230/09] – und 22. Mai 2008 – [4] Ausl.A. 1239/06 [82/08] - [jeweils betreffend Polen]; s. auch OLG Karlsruhe NJW 2005, 838, 839 [betreffend Italien] und NJW 2007, 2567, 2569 m.w.N.).

4. Der Senat hat gemäß § 79 Abs. 2 Satz 3 IRG zu prüfen, ob die mit Anhörungsschreiben vom 25. Februar 2010 angekündigte Entschließung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, kein Bewilligungshindernis nach § 83b Abs. 2 (a) IRG geltend zu machen und die Bewilligung nicht von der Rücküberstellung abhängig zu machen, auf der Grundlage eines rechtsfehlerfrei ermittelten vollständigen Sachverhalt ermessensfehlerfrei getroffen ist. Bei dieser Überprüfung ist zu beachten, dass nach § 79 Abs. 1 IRG grundsätzlich eine Pflicht zur Bewilligung zulässiger Auslieferungsersuchen besteht und der Bewilligungsbehörde bei Vorliegen von Bewilligungshindernissen ein weites, gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbares Ermessen eingeräumt ist (vgl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2008, 376; Senat, Beschluss vom 30. November 2009 – [4] Ausl.A. 247/08 [78/08] -). Unter Berücksichtigung dessen hat die Generalstaatsanwaltschaft ohne Rechtsfehler das Vorliegen eines überwiegenden schutzwürdigen Interesses des Verfolgten an einer Vollstreckung der Strafe im Inland verneint.

a) Zwar lebt der Verfolgte seit November 2006 in Deutschland und übt seit Oktober 2007 eine Tätigkeit im Baugewerbe aus. Ferner beabsichtigt er, seine Lebensgefährtin, eine deutsche Staatsangehörige, zu heiraten und mit dieser eine Familie zu gründen. Einer mündlichen Verhandlung mit entsprechender Beweisaufnahme über die dem - hiernach anzunehmenden - gewöhnlichen Aufenthalt zugrunde liegenden Tatsachen bedurfte es nicht.

11b) Der gewöhnliche Aufenthalt des Verfolgten in Deutschland genügt aber allein als Voraussetzung für die Geltendmachung des fakultativen Ablehnungsgrundes nicht. Für die Ermessensausübung ist – auch unter Beachtung des Gesichtspunkts des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2007, 2567, 2569) und der Gewährleistungen des Art. 8 MRK - von Bedeutung, in welchem Maße die beruflichen, wirtschaftlichen, familiären und sozialen Beziehungen des Verfolgten in Deutschland verfestigt sind. Hierbei ist zu bedenken, dass die Bindungen an Deutschland bei drohender Strafvollstreckung im Heimatstaat des Verfolgten besonderer Ausprägung bedürfen (vgl. Schmidt StraFo 2007, 7, 10; zur Dauer des Aufenthalts insbesondere: OLG Karlsruhe NJW 2007, 2569 m.w.N.). Die Bewilligungsbehörde darf die Situation eines nach langjährigem Aufenthalt beruflich und gesellschaftlich fest integrierten Verfolgten ohne Ermessensfehler anders beurteilen als diejenige eines Ausländers, der – und sei es auch als Freizügigkeit genießender EU-Bürger (vgl. dazu etwa OLG Stuttgart NJW 2007, 613) – wie der Verfolge erst kürzere Zeit mit geringerer sozialer und wirtschaftlicher Integration hier lebt. Entscheidungserheblich ist zudem, ob die Resozialisierungschancen des Verfolgten durch die Verbüßung der Strafe im Inland erhöht werden können (vgl. EuGH NJW 2008, 3201, 3203 [Rdn. 45]; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2009, 107, 108; Senat, Beschluss vom 30. November 2009 – [4] Ausl.A 247/08 [78/08] -). Dies hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin vorliegend ohne Ermessensfehler verneint. Der Verfolgte hat sich zu einer Zeit nach Deutschland begeben, als er mit seiner (weiteren) Strafverfolgung in Polen rechnen musste. Dieser Umstand relativiert die Bedeutung der Bindungen des Verfolgten an Deutschland (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 20. März 2008 – Ausl 3/08 – [bei juris]; Senat aaO.). Hinzu kommt, dass eine merkliche Erhöhung der Resozialisierungschancen durch die Strafvollstreckung in Deutschland voraussetzt, dass der hiesige Strafvollzug seiner Aufgabe gerecht werden kann, den Verurteilten zu einem künftigen Leben in sozialer Verantwortung ohne Straftaten zu befähigen (§ 2 Satz 1 StVollzG). Grundlage hierfür ist, dass sich der Verfolgte in deutscher Sprache in einem Maße verständigen kann, das eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Straftaten etwa im Gespräch mit den im Strafvollzug behandelnden Personen ermöglicht (vgl. OLG Karlsruhe aaO.: der Verfolgte muss „der deutschen Sprache hinreichend mächtig“ sein; enger Böhm NJW 2008, 3184, der die „Beherrschung“ der Sprache verlangt). Zur Anhörung des Verfolgten beim Amtsgericht ist ein Dolmetscher herangezogen worden, was bei hinreichenden deutschen Sprachkenntnissen, die für einen erfolgreichen Behandlungsvollzug in Deutschland unabdingbar sind, entbehrlich gewesen wäre. Demgegenüber bestünden für einen resozialisierungsorientierten Strafvollzug in Polen - dem Heimatland des Verfolgten, in dem er den Großteil seines Lebens verbracht hat - keine Sprachhindernisse. Auch sind ihm die dortigen kulturellen und rechtlichen Gegebenheiten geläufig. Anhaltspunkte dafür, dass die Vollstreckung der Strafe in Polen für den mit den dortigen Lebensverhältnissen noch gut vertrauten Verfolgten aus sonstigen Gründen eine besondere Härte darstellen könnte, liegen nicht vor. Die Fortführung seines Gewerbes wäre auch bei der Strafvollstreckung in Deutschland nicht gewährleistet.

4. Die Fortdauer der Auslieferungshaft ist aus den Gründen ihrer Anordnung weiterhin erforderlich, weil die Gefahr besteht, dass sich der Verfolgte, sollte er auf freien Fuß gelangen, dem Auslieferungsverfahren oder der Durchführung der Auslieferung entziehen wird. Der Verfolgte ist ersichtlich nicht gewillt, den Strafvollzug in Polen zu akzeptieren. Bei dieser Sachlage kann der Zweck der Auslieferungshaft durch weniger einschneidende Maßnahmen nach § 25 IRG nicht erreicht werden.

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