KG, Beschluss vom 13.08.2009 - 2 W 128/09
Fundstelle
openJur 2012, 11398
  • Rkr:

Der am 5. August 2009 in Kraft getretene § 15a RVG beinhaltet eine Gesetzesänderung im Sinn des § 60 Abs. 1 RVG und ist daher auf "Altfälle" nicht anwendbar, so dass es insoweit hinsichtlich der Anrechnungsregelung bei der bisherigen Rechtslage verbleibt.

Den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die bisher bestehende Anrechnungsregelung lediglich klarstellend korrigieren wollte.

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Berlin vom 3. April 2009 – 27 O 876/08 – wird auf ihre Kosten bei einem Gegenstandswert von 499,68 € zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin nahm die Antragsgegnerin auf Unterlassung von Äußerungen in Anspruch. Das Landgericht Berlin erließ die beantragte einstweilige Verfügung und bestätigte diese später durch Urteil. Die Kosten des Verfahrens auferlegte das Landgericht der Antragsgegnerin bei einem Wert von 20.000,00 €.

Auf das Gesuch der Antragstellerin hat das Landgericht Berlin die zu erstattenden Kosten mit dem angefochtenen Beschluss auf 1.445,97 € festgesetzt, wobei es auf die Verfahrensgebühr zur Hälfte eine vorprozessual entstandene Geschäftsgebühr angerechnet hat. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Verfahrensgebühr in voller Höhe geltend macht und sich zur Begründung u. a. auf den neu ins Gesetz eingeführten § 15a RVG beruft.

II.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist als sofortige Beschwerde zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel aber keinen Erfolg, denn die von der Antragstellerin geltend gemachte Verfahrensgebühr nach Nummer 3100 VV RVG war anteilig um die Geschäftsgebühr nach Nummer 2300 VV RVG zu kürzen.

Die Geschäftsgebühr war auf die Verfahrensgebühr anteilig anzurechnen. Die Frage, wie die Anrechnungsvorschrift in Anlage 1, Teil 3, Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG (im Folgenden: Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG) in der Praxis im Einzelnen zu handhaben ist, war in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. Januar 2008 – VIII ZB 57/07 - (NJW 2008, 1323) zu den Streitfragen umfassend Stellung genommen. Danach ist die Vorschrift Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG so zu verstehen, dass eine entstandene Geschäftsgebühr unter der Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand handelt, teilweise auf die spätere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist. Durch diese Anrechnung verringert sich die erst später nach Nummer 3100 VV RVG angefallene Verfahrensgebühr, während die zuvor bereits entstandene Geschäftsgebühr von der Anrechnung unangetastet bleibt. Dieses folgt unmittelbar aus dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Anrechnungsvorschrift. Dabei ist es gleichgültig, ob die Geschäftsgebühr unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder sogar schon beglichen ist. Insbesondere ist es für die Anrechnung ohne Bedeutung, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage von Prozessgegner zu erstatten ist (BGH, Beschluss vom 22. 01. 2008 – VIII ZB 57/07 - NJW 2008, 1323; Beschluss vom 25.9.2008 – VII ZB 93/07). Die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist dabei unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten und anzuwenden.

Dieser Rechtsauffassung hat sich der Senat in Abweichung von seiner früheren Rechtsprechung angeschlossen und nimmt für die weitere Begründung dieser Rechtsauffassung auf den zitierten Beschluss des VIII. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes Bezug. Inzwischen hat sich dieser Rechtsauffassung eine ganze Reihe von Senaten des Bundesgerichtshofes angeschlossen. Maßgebend ist dabei, dass § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO, auf den allein abzustellen ist, für eine Kostenerstattung an die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber unmittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 zu Nummer 3100 VV RVG anknüpft, sodass diese Bestimmung auch unmittelbar im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten ist. Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der unmissverständlichen Formulierungen des Gesetzes vermochte sich der Senat auch nicht der abweichenden Auffassung des 1. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 31.3.2008 – 1 W 111/08 - AGS 2008, 216 und nun Beschluss vom 4.11.2008 – 1 W 395/08, KGR Berlin 2009, 135) anzuschließen. In Anbetracht der insoweit eindeutigen Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes erscheint es auch nicht mehr erforderlich, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung in derartigen Fällen die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

6An der dargestellten Rechtslage hat sich auch nichts durch das Inkrafttreten des neuen § 15a RVG am 5. August 2009 (Mitteilung des Bundesministeriums der Justiz vom selben Tage, zitiert nach juris) geändert, denn nach § 60 Abs. 1 RVG kommt es auf das bisherige Recht an, wenn der unbedingte Auftrag vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung erteilt worden ist (Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 7. Juli 2009 – 13 Ta 302/09 – zitiert nach juris; NJW-Spezial, 2009, 459), was hier der Fall ist. Eine andere Auslegung der Anrechnungsvorschrift lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung der Regelung des § 15a RVG lediglich klarstellen wollte, was nach seiner Auffassung schon immer der Regelungsgehalt der Anrechnungsvorschrift war (so aber wohl Amtsgericht Wesel, NJW-Spezial 2009, 459). Nach überwiegender Rechtsmeinung kommt es bei der Auslegung von Gesetzen grundsätzlich nicht auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers an, sondern maßgeblich ist der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers (BVerfGE 1, 299, 312; sogenannte objektive Theorie, Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Auflage, vor § 1 Einleitung 40 m. z. w. N.). Wie bereits dargelegt, stützt sich die hier vertretene Sichtweise der Anrechnungsvorschrift in erster Linie auf deren klaren Wortlaut. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Gesetzesbegründung zum Kostenmodernisierungsgesetz (Bundestagsdrucksache 15/1971, S. 209) noch nicht einmal ansatzweise erkennen lässt, dass der Gesetzgeber sich überhaupt mit diesen Praxisdetails beschäftigt hat (vergleiche hierzu ausführlich: BGH, Beschluss vom 22. 01. 2008 – VIII ZB 57/07 – Tz. 8, NJW 2008, 1323). Die Auffassung, die Neuregelung habe nur klarstellende Funktion, lässt sich aber auch nicht mit der Begründung des Gesetzentwurfes rechtfertigen. Als Begründung für die Gesetzesänderung wird ausdrücklich nur das Verständnis des Bundesgerichtshofes von der Anrechnungsvorschrift benannt, das zu unbefriedigenden Ergebnissen führe. Die Anrechnung auf die Verfahrensgebühr bewirke, dass eine kostenbewusste Partei die außergerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts ablehnen und ihm stattdessen sofort Prozessauftrag erteilen müsste. Auch werde das Kostenfestsetzungsverfahren wegen der Anrechnung von Rahmengebühren mit einer materiell-rechtlichen Prüfung belastet. Beides laufe unmittelbar der Absicht zuwider, die der Gesetzgeber mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz verfolgt habe (Bundestagsdrucksache 16/12717 vom 22.4.2009 Seite 67 f.). Damit nimmt der Gesetzgeber aber selbst nicht in Anspruch, dass der mit der Gesetzesänderung eingetretene Regelungsgehalt bereits in der bisherigen Fassung der Anrechnungsvorschrift enthalten gewesen sei.

Die mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 durch die Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin erfolgte Abmahnung der Antragsgegnerin hat unstreitig eine Geschäftsgebühr gemäß Nummer 2300 VV RVG ausgelöst. Diese ist wegen desselben Gegenstandes im Sinne der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG entstanden. Dies ist dann der Fall, wenn zwischen den Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit ein innerer und äußerer Zusammenhang besteht (Gerold/Schmidt-Madert, RVG, 18. Auflage, VV 2300, 2301, Rn. 40). Folgt auf die Abmahnung ein Verfügungsverfahren, so stellt dieses bei ungezwungener und natürlicher Betrachtungsweise denselben Gegenstand im Sinne dieser Vorschrift dar (OLG München, WRP 1982, 542, zu § 118 Abs. 2 BRAGO;). Die durch ein solches Schreiben ausgelöste Gebühr ist daher auf das nachfolgende Verfahren anzurechnen, denn Gegenstand der Abmahnung wie eines anschließenden Verfügungs- und Hauptsacheverfahrens ist der durch die Äußerungen gegebenenfalls begründete Unterlassungsanspruch (BGH, Beschluss vom 2.10.2008 – I ZB 30/08WRP 2009, 75). Nach dem Grundgedanken der Anrechnungsvorschrift ist für die Anrechnung entscheidend, dass die vom Rechtsanwalt geleistete Vorarbeit im anschließenden Gerichtsverfahren verwertet wird (BGH, Beschluss vom 22.01.2008 – VIII ZB 57/07 – Rn. 11 des juris-Ausdruckes, NJW 2008, 1323).

Unter Anwendung der dargelegten Grundsätze war es nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zur Hälfte angerechnet hat, wobei das Landgericht von einer Geschäftsgebühr in Höhe von 1,3 ausgegangen ist, was im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen worden ist. Der Senat geht davon aus, dass für das als Anlage 2 in Fotokopie eingereichte Schreiben zumindest eine Gebühr in dieser Höhe angefallen ist, was dem Gebührenrahmen der Nummer 2300 VV RVG (Regelgebühr, vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 – VIII ZB 57/07 – Tz. 12; NJW 2008, 1323; BPatG, RVGreport 2008, 230) und in Pressesachen der unteren Grenze des Üblichen entspricht.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.