OLG Köln, Urteil vom 20.03.1996 - 5 U 84/95
Fundstelle
openJur 2012, 75267
  • Rkr:

Eine zur Vertragsanfechtung berechtigende arglistige Täuschung des Versicherers durch den Versicherungsnehmer liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer bei dem Versicherungsantrag wissentlich falsche Angaben zu gefahrerheblichen Umständen macht, um auf die Entschließung des Versicherers Einfluß zu nehmen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 28.3.1995 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen- 1 O 486/94 -wird zurückgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere ist sie

frist- und formgerecht eingelegt und in der rechten Weise begründet

worden. In der Sache ist das Rechtsmittel jedoch nicht

gerechtfertigt.

Dem Kläger steht die mit der Klage geltend gemachte Barrente aus

der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung 62/440 4437 X 11 nicht zu.

Denn der auf die Zahlung einer zusätzlichen jährlichen Barrente

gerichtete Abänderungsvertrag vom 27.6./9.11.1990 ist von der

Beklagten wirksam mit ihrem Schreiben vom 1.6.1994 wegen

arglistiger Täuschung angefochten worden, §§ 22 VVG, 123, 142

BGB.

Eine zur Vertragsanfechtung berechtigende arglistige Täuschung

des Versicherers durch den Versicherungsnehmer liegt vor, wenn der

Versicherungsnehmer bei dem Versicherungsantrag wissentlich falsche

Angaben zu gefahrerheblichen Umständen macht, um auf die

Entschließung des Versicherers Einfluß zu nehmen. Diese subjektive

Komponente setzt bei dem Versicherungsnehmer das Bewußtsein voraus,

daß der Versicherer seinen Antrag bei wahrheitsgemäßer Beantwortung

der an ihn gerichteten Fragen nicht oder nur unter erschwerten

Bedingungen annehmen werde (vgl. dazu Prölss/ Martin, VVG, 25.

Aufl. § 22 VVG Anm.2 m.w.N.). Diese Vorausetzungen sind vorliegend

erfüllt, so daß die Beklagte mit Recht die Leistung verweigert.

Nach der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme

ist der Senat davon überzeugt, daß der Kläger bei dem mit dem

Zeugen L. am 27.6.1990 geführten Antragsgespräch - welches, wie

zwischen den Parteien nicht mehr streitig ist, Grundlage der am

9.11.1990 policierten Barrente istnicht nur die Antragsfrage 8.2.

falsch beantwortete, sondern den Zeugen auch entgegen seiner

Darstellung nicht über seine Rückenbeschwerden informierte, mit

denen er unstreitig in der Zeit zwischen Dezember 1986 und Mai 1990

in ärztlicher Behandlung gewesen war; der schon in dem

Anfechtungsschreiben der Beklagten vom 1.6.1994 enthaltenen und

u.a. in der Berufungserwiderung wiederholten Behauptung, der Kläger

sei in der Zeit zwischen Dezember 1986 und Mai 1990 mit einem

degenerativen WS- Leiden wiederholt in der Behandlung des Dr. med.

U. gewesen, ist der Kläger nicht mit substantiiertem Bestreiten

entgegengetreten. Der Zeuge L. hat sicher und entschieden verneint,

daß der Kläger auf sein Rückeneiden hingewiesen habe, und glaubhaft

bekundet, daß er in diesem Fall eine entsprechende Eintragung in

dem Antragsformular gemacht hätte. Bei seiner Aussage wirkte der

Zeuge, der sich zum Teil auch noch an Einzelheiten der äußeren

Umstände des schon recht lange zurückliegenden Gesprächs zu

erinnern wußte, sachlich und um Obektivität bemüht. Er konnte

glaubhaft auf eine langjährige Tätigkeit in seinem Beruf hinweisen,

in der es bislang zu keiner vergleichbaren Komplikation gekommen

sei. Da der Wert des Abänderungsvertrages, verglichen etwa mit dem

Neuabschluß einer Großlebensversicherung, verhältnismäßig

unbedeutend war, ist auch nicht etwa ein überragendes Interesse des

Zeugen an der Provision vorauszusetzen.

Die Aussage des Zeugen L. erscheint insbesondere auch deshalb

glaubhaft, weil der Kläger auch die Frage 9.8 unvollständig

beantwortet hat. Angegeben hat er dazu in dem Antragsformular vom

27.6.1990 lediglich zwei in den Jahren 1981 und 1985 oder 1986

durchgeführte Nierensteinoperationen, die der Beklagten im übrigen

bereits aufgrund seines im Jahre 1986 gestellten Ursprungsantrages

bekannt waren. Die in dem an die ...- Versicherung gerichteten

Antrag vom 22.1.1990 noch wahrheitsgemäß erwähnte

Schulterverletzung rechts, welche im Oktober 1985 behandelt worden

war, hat der Kläger in dem Antrag vom 27.6.1990 indes ebenso

verschwiegen wie die im Jahre 1986 erfolgte - ebenfalls gegenüber

der ...- Versicherung seinerzeit noch offenbarte- Nachuntersuchung

im Jahre 1986. Diese Angaben waren, wie die Beklagte

unwidersprochen vorgetragen hat, von der ...-Versicherung zum Anlaß

eines Leistungsausschlusses für Funktionsstörungen der Wirbelsäule

und Erkrankungen des rechten Schultergelenks im Rahmen der bei ihr

neben einer Lebensversicherung abeschlossenen

Berufsunfähigkeiszusatzversicherung genommen worden. Auch diese

Tatsache hat der Kläger in dem Antrag vom 27.6.1990 gegenüber der

Beklagten nicht angegeben, obwohl unter Ziffer 8.2 danach gefragt

war, ob "eine Versicherung auf das Leben der zu versichernden

Person" von einem anderen Versicherer abgelehnt, zurückgestellt

oder mit Leistungseinschränkungen bzw. -erschwernissen angenommen

worden war. Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung

ausgeführt hat, er "meine", die Leistungseinschränkung bei der ...-

Versicherung gegenüber dem Versicherungsvertreter angegeben zu

haben, stellt diese- zudem beweislose- Darstellung keinen

substantiierten Sachvortrag dar. Erstinstanzlich war hiervon auch

nicht die Rede, wie das angefochtene Uretil deutlich macht.

Vielmehr hatte der Kläger sich auf den Standpunkt gestellt, daß

unter einer " Versicherung auf das Leben" nicht auch eine

Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zu verstehen gewesen und

deshalb die Frage 8.2. von ihm nicht falsch beantwortet sei.

Das Schweigen des Klägers bzw. seine verneinenden Antworten zu

den Fragen 8.2.,9.7. und die Teilauslassung bezüglich der Frage 9.8

fügen sich zu einem einheitlichen Bild, aus dem deutlich

ersichtlich wird, daß der Kläger der Beklagten alle die Angaben,

die ihm bei ihr ähnliche Schwierigkeiten wie bei der ...-

Versicherung hätten bereiten können, vorenthalten wollte. Von daher

erscheint es nur zu plausibel, daß er auch seine Rückenbeschwerden

nicht erwähnte und damit auch nicht angab, "wegen eines

Hexenschusses mehrfach in ärztlicher Behandlung gewesen zu sein",

wie er in der Klageschrift behauptet hat.

Die Aussage der Zeugin O.- H., der Ehefrau des Klägers,

vermochte diese Einschätzung nicht zu erschüttern. Ihre Bekundungen

waren teilweise ungenau, zum Teil auch in sich unstimmig und

deshalb insgesamt nicht geeignet, an den Schilderungen des Zeugen

L. durchgreifende Zweifel aufkommen zu lassen.

Auffällig ist schon, daß die Zeugin, die von sich behauptet hat,

während des auf den Antrag des Klägers bezogenen Gesprächs

durchgehend anwesend gewesen zu sein, von dem Kläger nicht als

Zeugin zu dessen Inhalt benannt worden war, sondern nur zu den

Behauptungen bezüglich der näheren Umstände des von der Zeugin

selbst am gleichen Tage gestellten Versicherungsantrages. Die

Zeugin hat denn auch nicht etwa spontan die Darstellung des Klägers

zu den angeblichen Erklärungen bezüglich seiner Behandlungen wegen

eines Hexenschusses bestätigt oder sonst konkrete Aussagen hierzu

gemacht. Auch ansonsten verfügte die Zeugin kaum über konkrete

Erinnerungen an das auf den Antrag des Klägers bezogene Gespräch.

So wußte sie nicht mehr, in welcher Reihenfolge die insgesamt drei

Anträge aufgenommen worden waren. Mögen auch derlei Dinge in der

zwischenzeitlich verstrichenen Zeit in der Erinnerung verblaßt

sein, so erscheint das getrübte Erinnerungsvermögen der Zeugin doch

insoweit wenig plausibel, als die Zeugin sich nicht mehr an die

Erklärungen des Klägers zur ...- Versicherung zu entsinnen wußte

und die Auffassung vertrat, diese Versicherung sei erst zu einem

späteren Zeitpunkt abgeschlossen worden.

Aber auch soweit die Zeugin O. - H. entsprechend dem

Beweisangebot des Klägers als Indizzeugin über den Verlauf des auf

ihren Antrag bezogenen Gesprächs bekundet hat, der Zeuge L. habe

(auch) bei ihr gemeint, Rückenschmerzen, Grippe usw. fielen nicht

unter den Fragenkatalog, haben diese Angaben nicht zu überzeugen

vermocht. Zunächst ist die Zeugin O.- H. bei der Aufzählung der

angeblich von dem Zeugen L. als unbedeutend bezeichneten

Krankheiten und Beschwerden sehr unbestimmt geblieben, indem sie

außer den genannten Beispielen die angeblich weiter offenbarten

Krankheiten und Beschwerden nicht konkret benannt hat. Eine solche

unbestimmte Darstellung läßt sich kaum mit der Angabe vereinbaren,

an das Geschehen noch eine genaue Erinnerung zu haben. Zudem

erweckte die Aussage der Zeugin in dieser Form den Eindruck, als

habe der Zeuge L. eine ganze Reihe von Krankheiten wahllos als

unbedeutend abgetan, was nur wenig nachvollziehbar erscheint. Der

Vortrag des Klägers war denn auch anders akzentuiert : Danach

sollte die Zeugin bekunden können, daß der Zeuge L. von ihr

genannte "Muskelverspannungen" - von denen der Kläger ebenso wie

die Zeugin O.- H. ersichtlich meinen, sie seien mit einem "

Hexenschuß" vergleichbar- als nicht anzeigepflichtig bezeichnet

habe. Davon, daß bei dem Antragsgespräch etwa auch die weiteren in

dem Auszug aus der Krankenkartei des Hausarztes aufgeführten

Erkrankungen der Zeugin angegeben worden seien, war in dem

Schriftsatz des Klägers vom 29.1.1996, mit dem die Zeugin benannt

und auch bereits dieser Auszug eingereicht wurde, nicht die Rede.

Die in diesem Auszug für den Zeitraum ab 1981 dokumentierten

Erkrankungen will die Zeugin indes, wie sie ihre anfängliche

Aussage auf näheres Befragen konkretisiert hat, dem Zeugen L. alle

genannt haben, ohne daß er diese für wert befunden hätte, in das

Antragsformular eingetragen zu werden. Auch hierin lag wiederum

eine Pauschalierung, die nur wenig plausibel erschien. Unter

"Muskelverspannungen" hatte die Zeugin im übrigen der Karteikarte

zufolge bereits im Jahre 1982 gelitten, zu einem Zeitpunkt also,

der nicht mehr unter die Anzeigepflicht fiel, weil in Frage 9.7.

nur nach ambulanten Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre

gefragt war. Sollte der Zeuge L. tatsächlich diese Verspannungen-

wenn denn tatsächlich hiervon die Rede war- für nicht bedeutsam

erklärt haben, wäre dies korrekt gewesen. Von "Rückenschmerzen" ist

im übrigen in dem Auszug nichts vermerkt.

Die Summe dieser Zweifelspunkte führt dazu, daß der Aussage des

Zeugen L. der Vorzug zu geben ist.

Ist demgemäß als erwiesen anzusehen, daß der Kläger bei dem

Antragsgespräch seine wiederholt in dem erfragten Zeitraum

aufgetretenen Rückenbeschwerden und ihre ambulante Behandlungen wie

auch die Schulterverletzung, die spätere orthopädische Untersuchung

ebenso wie die mit diesem Komplex zusammenhängenden

Leistungseinschränkung bei der ...- Versicherung verschwieg, kann

auch kein Zweifel daran bestehen, daß der Kläger dies tat, um damit

Einfluß auf die Entschließung der Beklagten zu nehmen. Eine

Leistungseinschränkung, wie sie die ...- Versicherung ausbedungen

hatte, womöglich noch größere Schwierigkeiten- was aus damaliger

Sicht für den Kläger kaum sicher abzuschätzen gewesen sein wird-

ließen sich für den Abänderungsvertrag bei der Beklagten von

vornherein vermeiden, wenn die Beklagte von alledem nichts erfuhr.

Es ist offensichtlich, daß dies auch tatsächlich die Motivation des

Klägers war, zumal der Eindruck von dem unter teilweiser

Leistungseinschränkung erfolgten Vertragsabschluß bei der ...-

Versicherung noch frisch war. Eine arglistige Täuschung mit ihrer

objektiven wie auch subjektiven Komponente liegt damit vor, so daß

die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 1.6.1994 mit Recht den

Zusatzvertrag gemäß § 123 BGB angefochten hat. Die Anfechtung führt

gemäß § 142 BGB zum rückwirkenden Fortfall des Abänderungsvertrages

mit der Folge, daß die Beklagte die Leistung der Barrente zu Recht

verweigert.

Hieran vermag die Óberlegung, daß die Beklagte den

Abänderungsvertrag in Kenntnis der Vorerkrankung des Klägers aller

Wahrscheinlichkeit nach auch lediglich wie die ...- Versicherung

mit einer entsprechenden Leistungseinschränkung abgeschlossen

hätte, nichts zu ändern. Das Anfechtungsrecht des getäuschten

Vertragspartners besteht nicht nur dann vollen Umfanges, wenn er

seine Willenserklärung ohne die Täuschung überhaupt nicht abgegeben

hätte, sondern auch dann, wenn sie lediglich nicht in dieser Form

erklärt worden wäre (Palandt/ Heinrichs, BGB- Komm., 52. Aufl. §

123 Rdn. 24). Die Wirkung des Anfechtungsrechts kann im Einzelfall

damit weiter gehen als ein auf die Täuschung gestützter

Schadensersatzanspruch, der sich auf den Ersatz des negativen

Interesses richten würde.

Auch die Tatsache, daß die Berufsunfähigkeit des Klägers

unstreitig nicht durch sein Rückenleiden bedingt ist, spielt

ebensowenig eine Rolle. Der Eintritt des Versicherungsfalles ist

nicht Voraussetzung des Anfechtungsrechts, sondern lediglich

oftmals erster Anlaß, die Angaben des Versicherungsnehmers im

Versicherungsantrag zu überprüfen.

Die Beklagte war schließlich auch nicht gehalten, mit Rücksicht

auf die Eintragungen im Antragsformular vor Abschluß des

Abänderungsvertrages Rückfragen zu stellen und das ihr angetragene

Risiko auf diese Weise zu einem früheren Zeitpunkt zu überprüfen.

Hierzu hätte die Beklagte nur dann Veranlassung gehabt, wenn die in

dem Antrag vom 27.6.1990 enthaltenen Angaben des Klägers

ersichtlich lückenhaft und unzureichend oder widersprüchlich

gewesen wären. Dies ist indes nicht der Fall, und zwar auch nicht

im Hinblick auf die Angabe unter Frage 9.11, daß nämlich Dr. U.

über die Gesundheitsverhältnisse des Klägers Auskunft geben könne.

Auch angesichts der Tatsache, daß der Kläger die Frage nach

ambulanten Behandlungen innerhalb der letzten fünf Jahre verneint

hatte, machte die Nennung des Hausarztes durchaus Sinn, hätte er

doch - die Richtigkeit der Antwort vorausgesetzt- bestätigen

können, daß der Kläger in den letzten fünf Jahren keine

behandlungsbedürftige Krankheit gehabt hatte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO, die sonstigen

prozessualen Nebenentscheidungen auf den §§ 708 Nr. 10, 713

ZPO.

Wert des Berufungsverfahrens und Beschwer des Klägers:

DM 35.361,26 ( 7.880,28 DM- Antrag zu 1)-zuzüglich - Antrag zu

2) : 3,5x 7.880,28 DM , § 9 ZPO)