LG Berlin, Urteil vom 07.02.2008 - 57 S 26/07
Fundstelle
openJur 2012, 8078
  • Rkr:

Defekter Sensor und nicht einfachbares Fahrwerk als außergewöhnlicher Umstand i.S.v. Art. 5 Abs. 3 EG-VO Nr. 261/2004

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 29. März 2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding - 2 C 222/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des auf Grund des Urteils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich eines Aufschlags von 10 % abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

I.

Die Kläger nehmen das beklagte Luftfahrtunternehmen unter Berufung auf eine Flugannullierung auf Zahlung einer Ausgleichsleistung von je 250,- EUR aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABlEG Nr. L 46, S. 1) in Anspruch (im Folgenden Verordnung (EG) Nr. 261/2004).

Die Kläger buchten bei der Beklagten unter anderem einen Flug für den 17. April 2005 von Florenz via München nach Berlin. Abflugzeit des gebuchten Fluges mit der Flugnummer LH 4077 sollte 15.05 Uhr sein. Der Abflug wurde jedoch zunächst auf 15.30 Uhr verschoben und schließlich der Flug annulliert. Ursache war ein defekter Sensor. Aufgrund des Defekts ließ sich das Fahrwerk der Maschine nicht einfahren. Die Kläger wurden auf einen Flug nach Frankfurt (Flugnummer LH 4067) umgebucht, dessen Abflugzeit 18.25 Uhr sein sollte. Der Abflug verzögerte sich um eine halbe Stunde mit der Folge einer entsprechend späteren Ankunft in Frankfurt, so dass die Kläger ihren Anschlussflug nach Berlin (Flugnummer LH 200) nicht erreichten. Die Kläger nahmen einen Ersatzflug nach Hannover und fuhren von dort mit einem Mietwagen nach Berlin, wo sie nicht wie geplant um 18.05 Uhr, sondern um 2.30 Uhr ankamen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und der Anträge im ersten Rechtszug wird auf die Feststellungen im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht Wedding die Beklagte zur Zahlung der begehrten 750,- EUR nebst Zinsen verurteilt. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Kläger hätten gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 750,- EUR nach Art. 5 Abs. 1c), 7 Abs. 1a) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Denn der bei der Beklagten gebuchte Flug von Florenz via München nach Berlin mit einer Entfernung von weniger als 1.500 km sei unstreitig annulliert worden.

Einem Anspruch auf Ausgleichsleistung stehe nicht die Regelung des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 entgegen. Die Annullierung gehe nämlich nicht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Ein defekter Sensor mit der Folge eines nicht richtig funktionierenden Bugrades sei kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne der genannten Vorschrift. Anhaltspunkte dafür, was unter einem außergewöhnlichen Umstand zu verstehen ist, biete der Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, der diesen insbesondere anhand nicht abschließender Beispiele konkretisiere. Dabei würden als solche Umstände auch “Sicherheitsrisiken” und “unerwartete Flugsicherheitsmängel” genannt. Bei isolierter Betrachtung des Wortlauts liege in einem defekten Sensor und einem nicht richtig funktionierenden Bugrad durchaus ein Sicherheitsrisiko bzw. ein Flugsicherheitsmangel. Allerdings sei bei der Frage danach, was der Verordnungsgeber an dieser Stelle mit diesen zwei Begriffen meinte, der Kontext zu beachten, in den sie gestellt sind. Bei Betrachtung der übrigen Beispiele wie “politische Instabilität”, “Wetterbedingungen” und “Streiks” werde deutlich, dass hier Risiken angesprochen werden, die sich insofern nicht in der Geschäftssphäre des Luftfahrtunternehmens abspielen, als sie selbst bei sorgfältigem Handeln nur schwer beherrschbar sind bzw. sich sogar ganz der Einflussnahme entziehen. Bestätigung erfahre diese Auslegung durch den Erwägungsgrund 15 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004, wonach außergewöhnliche Umstände auch dann vorliegen sollen, wenn außenstehende Dritte – nämlich das Flugverkehrsmanagement – Entscheidungen treffen, die zu Verspätungen oder Annullierungen führen. Zwar könnten außergewöhnliche Umstände durchaus nicht nur außerhalb, sondern wie bei Streiks auch innerhalb des Luftfahrtunternehmens liegen. Allerdings habe auch hier das Unternehmen keine oder nur eingeschränkte Entscheidungs- und Handlungshoheit über den Sachverhalt. In diesem Sinne seien unter “Sicherheitsrisiken” und “unerwarteten Flugsicherheitsmängeln” nicht solche technischen Fehlfunktionen zu verstehen, deren Vermeidung der Betreiber durch seine Wartung sicherzustellen habe. Die Sensorik bzw. das Fahrwerk fielen vielmehr in den Kernbereich des durch den Betreiber zu gewährleistenden Betriebszustands. Im Flugbetrieb dürfte es sich außerdem bei solchen Problemen um regelmäßige und daher gewöhnliche Probleme beim technischen Unterhalt der Maschinen handeln. Fehler wie der vorliegende passten daher nicht in die Reihe der in Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 aufgeführten Beispiele für “außergewöhnliche Umstände”. Danach könne dahinstehen, ob die Beklagte die Wartung pünktlich und gewissenhaft durchgeführt hat oder das Vorhalten von Ersatzflugzeugen zumutbar ist. Im Übrigen wäre die Ausweitung der Annahme eines “außergewöhnlichen Umstands” im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf jeden plötzlich im Flugbetrieb auftauchenden technischen Defekt geeignet, die vom Verordnungsgeber bezweckten Ziele der Erhöhung der Schutzstandards und Stärkung der Fluggastrechte (vgl. Erwägungsgrund 4 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004) weitgehend auszuhöhlen.

Das angefochtene Urteil ist der Beklagten am 04. April 2007 zugestellt worden. Die Beklagte hat mit am 30. April 2007 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Begründungsfrist ist auf den am 01. Juni 2007 eingegangenen Antrag der Beklagten bis zum 04. Juli 2007 verlängert worden und die Berufungsbegründung am 03. Juli 2007 eingegangen.

Die Beklagte begehrt mit ihrer Berufung die Abweisung der Klage. Sie ist der Ansicht, das angefochtene Urteil verkenne, dass ein technischer Defekt der hier eingetretenen Art ein außergewöhnlicher Umstand sei, der auch durch sorgfältige und regelmäßige Wartung nicht vermieden werden könne. Der hier aufgetretene Defekt sei ein Sicherheitsrisiko und unerwarteter Flugsicherheitsmangel. Die Sicherheit des vorgesehenen Fluges sei nicht mehr gewährleistet gewesen. Ihre Auslegung werde durch die in Erwägungsgrund 14 der Verordnung erklärte Verweisung auf das Übereinkommen von Montreal bestätigt, nach dem ein technischer Defekt zur Entlastung des Luftfahrtunternehmens führen könne. Zudem müsse Erwägungsgrund 1 berücksichtigt werden. Das danach sicherzustellende hohe Schutzniveau der Fluggäste beziehe sich auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Dem widerspräche es, wollte man technische Defekte als Ausschlussgrund verneinen und möglicherweise wirtschaftlich schwächere Luftfahrtgesellschaften verleiten, gewisse Risiken einzugehen, um Annullierungen und damit Verpflichtungen zu Ausgleichsleistungen zu umgehen. Die herstellerseits vorgeschriebene Wartung der eingesetzten Maschine sei regelmäßig erfolgt. Die letzte Inspektion gemäß den Wartungsvorschriften des Fahrwerks vor dem Flugausfall habe am 15. April 2005 stattgefunden. Zu der Fahrwerkswartung habe auch die Inspektion des gesamten Systems für das Fahrwerk gehört, also insbesondere auch des Sensors. Die Beklagte verweist dazu auf das als Anlage B 7 vorgelegte AUB Maintenance Program (Bl. 105 ff d. A.) und behauptet, die Inspektion habe einen einwandfreien Zustand des Fahrwerks ergeben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Wedding - 2 C 222/06 - vom 29.03.2007 die Klage abzuweisen,

hilfsweise unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Wedding zurückzuverweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Beklagte an die Kläger jeweils 250,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Mai 2005 zu zahlen hat.

Sie halten an ihrer Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 fest und verweisen darauf, allein die Beklagte habe auf die technische Wartung und Überwachung Einfluss. Einer solchen Einflussnahme fehle es gerade bei den übrigen in Nr. 14 beispielhaft aufgezählten Tatbeständen. Ausweislich der Motive der Verordnung sei Ziel und Zweck allein der Schutz und die Stärkung der Verbraucher, namentlich der Flugreisenden. Soweit im Erwägungsgrund 1 der Verordnung vom Schutzniveau gesprochen werde, beziehe sich dies auf die Rechte und Interessen der Fluggäste, nicht die allgemeine Flugsicherheit. Erwägungen, zu welchem schädigenden Verhalten die vorgenannte Verordnung bei Flugbetreibern führen kann, könnten nicht zur Auslegung der Ansprüche herangezogen werden.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen T.J. Wegen der Beweisfragen wird auf den Beweisbeschluss vom 08. November 2007 (Bl. 156, 157 d. A.) und wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf das Sitzungsprotokoll vom 06. Dezember 2007 (Bl. 156 ff d. A.) verwiesen.

Gründe

II.

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Kläger können von der Beklagten nicht die Zahlung einer Ausgleichsleistung von je 250,00 EUR gemäß Art. 5 Abs. 1c) in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1a) der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 verlangen.

1. Gemäß Art. 5 Abs. 1c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 wird bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 eingeräumt. Es ist zwar in der Tat eine Annullierung des von den Klägern für den 17. April 2005 gebuchten Fluges LH 4077 Florenz via München nach Berlin im Sinne des Art. 5 der Verordnung erfolgt. Denn nach Art. 2 l) der Verordnung bezeichnet der Ausdruck “Annullierung” die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war. Diese Voraussetzen waren vorliegend gegeben.

2. Die Beklagte kann sich jedoch mit Erfolg darauf berufen, gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet zu sein. Denn sie hat nachgewiesen, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückging, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Annullierung des von den Klägern gebuchten Fluges erfolgte auf Grund eines Defekts des für das Einfahren des Fahrwerks benötigten Sensors. Die Kammer teilt die Ansicht der Beklagten, dass technische Defekte nicht von vornherein als Entlastungsgrund im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 ausscheiden. Der engere Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung lässt zwar offen, ob zu “außergewöhnlichen Umständen” im Sinne der Verordnung auch “unvorhersehbare technische Probleme” des Fluggeräts zählen (vgl. Dengler, RRa 2007, 210, 211).

17Die Frage wird daher in Rechtsprechung und Literatur kontrovers behandelt. Nach einer Ansicht ist das zur Annullierung eines Fluges führende Vorliegen eines technischen Defekts nicht geeignet, den Entlastungsbeweis im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu führen (vgl. Schmid, NJW 2006, 1841, 1844; AG Bremen, Urteil vom 03.07.2007 - 4 C 393/06 -). Denn technische Probleme hätten - von Außeneinwirkungen wie Vogelschlag oder Hagel abgesehen - ihre Ursache immer in mangelnder, mangelhafter oder hinausgeschobener Wartung, in Bedienungsfehlern der Piloten oder Ähnlichem und lägen daher allein in der besonderen Risikosphäre eines Luftfahrtunternehmens. Insbesondere seien sicherheitsrelevante Bauteile oder Instrumente stets mehrfach an Bord, um sicherzustellen, dass das Flugzeug noch sicher fliegen kann, wenn eines davon einmal ausfällt (Redundanz). Ein “außergewöhnlicher Umstand” könne bei technischen Problemen aber auch aus einem anderen Grund nicht angenommen werden: Im Erwägungsgrund 14 der Verordnung findet sich eine Auflistung von “außergewöhnlichen Umständen”, darunter auch die “unerwarteten Flugsicherheitsmängel” (“unexspected flight safety shortcoming”). Dem gegenüber stehe die Lufttüchtigkeit (“airworthiness”) eines Flugzeugs. Dazu bestimme § 25 LuftBO, dass ein Flugzeug stets in einem solchen technischen Zustand sein müsse, dass es sicher fliegen kann. Nicht lufttüchtig sei ein Flugzeug immer dann, wenn technische Mängel aufträten, z. B. ein Reifen oder das Fahrwerk beschädigt sei oder ein Leck in der Treibstoffanlage auftrete oder ein Triebwerkschaden festgestellt werde. Wenn aber der Erwägungsgrund 14 der Verordnung nur auf “unerwartete Flugsicherheitsmängel” (flight safety shortcomings), nicht aber auf die Lufttüchtigkeit abstelle, ergebe sich, dass dieser Begriff gerade nicht technische Mängel eines Flugzeugs erfasse (vgl. Schmid aaO, S. 1844, 1845 m. w. N.).

18Nach anderer Ansicht können technische Defekte grundsätzlich als außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 angesehen werden (vgl. AG Köln, Urteil vom 05.04.2006 - 118 C 595/05 - in RRa 2006, 275; Urteil vom 17.01.2007 - 118 C 473/06, Bl. 56 ff d. A.; AG Frankfurt a. M., Urteil vom 16.02.2007 - 30 C 1701/06 - in RRa 2007, 137 mit zustimmender Anmerkung Tonner, Urteil vom 24.08.2006 - 31 C 1457/06-17 - in RRa 2007, 133; Urteil vom 02. März 2007 - 31 C 3337/06-74, Anlage B 3, Bl. 51 ff d. A.; Müller-Rostin, NZV 2007, 221; Handelsgericht Wien, Urteil vom 29.05.2007 - 50 R 119/06 - Anlage BB 2, Bl. 127 ff d. A.). Nicht haltbar sei nämlich die Behauptung, technische Mängel hätten - von Außenwirkungen abgesehen - ihre Ursache immer in mangelnder oder mangelhafter Wartung, Bedienungsfehlern oder Ähnlichem. Trotz Einhaltung der vorgeschriebenen Wartungsintervalle lasse es sich zuweilen nicht verhindern, dass ein Einzelteil vor der nächsten fälligen Wartung defekt wird, z. B. wegen vorzeitiger Materialermüdung oder wegen übermäßiger Beanspruchung. Flugzeuge seien besonders komplexe technische Geräte, bei denen durchaus flug- oder sicherheitstechnisch bedeutsame Bauteile von plötzlichen oder unvorhersehbaren technischen Defekten betroffen sein könnten. Auch verbiete sich eine Heranziehung der englischen Begriffe, denn in Deutschland sei die deutsche Fassung der Verordnung maßgebend. Somit dürften zu “Flugsicherheitsmängeln” alle Mängel, insbesondere aber technische Mängel zu zählen sein, die sich negativ auf die sichere Durchführung des Fluges auswirken können. Es müsse jedoch ein “unerwarteter Flugsicherheitsmangel” sein, der zudem auch durch Ergreifen aller zumutbaren Maßnahmen nicht hätte verhindert werden können (vgl. Müller-Rostin aaO, S. 224, 225).

19Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an und macht sich diese zu eigen. Dabei stellt ein Defekt des für das Einfahren des Fahrwerks benötigten Sensors einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 dar. In diesem Zusammenhang verkennt die Kammer nicht, dass ein defekter Sensor nicht politischer Instabilität oder bestimmten Wetterbedingungen gleichzustellen ist. Allerdings zeigt die beispielhafte Aufzählung außergewöhnlicher Umstände in Satz 2 des Erwägungsgrunds der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 durch den Zusatz “insbesondere”, dass diese ersichtlich nicht abschließend ist. Zudem verbleiben den Luftfahrtunternehmen bei politischer Instabilität oder mit der Durchführung eines Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen in aller Regel keine zumutbaren Maßnahmen, um eine Verspätung oder Annullierung des Fluges zu vermeiden. Hingegen trifft die in den Erwägungsgründen 14 und 15 jeweils genannte Möglichkeit der Ergreifung zumutbarer Maßnahmen insbesondere auf den Fall des Eintritts eines technischen Defekts zu. Des Weiteren nimmt Erwägungsgrund der Verordnung ausdrücklich Bezug auf das Übereinkommen von Montreal, nach dessen Art. 19 auf ein Verschulden des Luftfrachtführers abgestellt wird. Die im Erwägungsgrund 14 enthaltene Verweisung auf das Montrealer Übereinkommen ist auch nicht deshalb unerheblich, weil Art. 19 des Montrealer Übereinkommens die Haftung für Verspätungen betrifft. Denn Erwägungsgrund 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 bezieht sich weder allein auf eine Verspätung oder eine Annullierung, sondern allgemein auf ein “Vorkommnis”.

Bei der Klärung der Frage, ob die Anerkennung eines technischen Defekts als Entlastungsgrund gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anzusehen ist und dies mit dem Regelungsziel der Verordnung zu vereinbaren ist, ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass dessen Anerkennung nicht den anderweitigen Ansprüchen des Fluggastes im Falle einer Annullierung nach Art. 5 Abs. 1 lit. a) und b) entgegensteht. Vielmehr betrifft der Anspruchsausschluss nach Art. 5 Abs. 3 lediglich den Anspruch auf eine Ausgleichszahlung.

Schließlich hat die Beklagte auch nachgewiesen, dass sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um den Eintritt des Defekts zu verhindern. Denn sie hat entgegen der Ansicht der Kläger den ihr gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 obliegenden Beweis erbracht, dass die vom Hersteller vorgeschriebene Wartung des Fahrwerks regelmäßig erfolgt ist und die vor der streitgegenständlichen Annullierung zuletzt durchgeführte Wartung am 15. April 2005 keine Beanstandungen ergeben hat. Der dazu vernommene Zeuge T. J. hat bekundet, das Fahrwerk müsse alle 400 Flugstunden gewartet werden. Ferner gebe es eine Anweisung, alle 4000 Flugstunden die Sensoren zu überprüfen. Auch der Sensor werde darauf angeschaut, ob er Auffälligkeiten aufweise, die visuell zu erfassen sind. Das Prüfungsergebnis habe keine Beanstandungen ergeben. Wenn etwas festgestellt worden wäre, wäre es in das Protokoll eingetragen worden. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte habe den Beweis nicht erbracht, weil der Zeuge die Wartung nicht selbst durchgeführt hat. Zwar beruhen die Bekundungen des Zeugen nicht auf eigenem Erleben. Die Kammer hat jedoch an der Durchführung der Wartung und deren Ergebnis im Hinblick auf das vom Zeugen geschilderte regelmäßige Zusammenwirken diverser Personen keine Zweifel. So hat der Zeuge geschildert, die Wartung werde von mehreren Technikern durchgeführt, von einem Prüfer kontrolliert und mit dessen Unterschrift bestätigt. Eine Kopie dieses vom Prüfer bestätigten Wartungsprotokolls liegt als Anlage B 7 (Bl. 105 ff) vor.

Entgegen der Ansicht der Kläger spricht gegen eine fehlerfreie Wartung nicht der Umstand, dass der Defekt nur zehn Flugstunden nach der letzten Wartung eingetreten ist. Denn nach den Bekundungen des Zeugen lässt sich bei dieser als Sichtprüfung durchzuführenden Wartung nicht feststellen, in welchem Zustand sich die Spule befand, die wahrscheinlich durchgeschmort war. Ob überhaupt etwas durchgeschmort war, wisse man aber nicht. Soweit die Kläger zudem darauf hinweisen die Wartung sei im Rahmen einer außerplanmäßigen Kontrolle erfolgt, hat der Zeuge angegeben, eine bereits am 17. Januar 2005 durchgeführte Zwischenprüfung habe außerhalb der üblichen Checks stattgefunden. Diese Zwischenprüfung war jedoch eine andere als die am 15. April 2005 durchgeführte Wartung bei 8708 Flugstunden innerhalb des 400-Flugstunden-Intervalls.

Soweit die zehn Flugstunden zuvor durchgeführte Sichtkontrolle des Sensors keine Beanstandungen ergeben hat, ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass kürzere Wartungsintervalle als vorgeschrieben oder intensivere Inspektionen geeignet wären, den aufgetretenen Defekt zu verhindern. Insoweit hat der Zeuge bekundet, bereits der Pilot führe vor Abflug einen Check durch, der schon als Wartung anzusehen sei. Es ist jedoch zweifelhaft, ob weitergehende Inspektionen noch als zumutbare Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anzusehen wären. Zudem ist nach den Bekundungen des Zeugen im Rahmen der Sichtkontrolle nicht feststellbar, in welchem Zustand sich die im Inneren befindliche Spule befindet, die vergossen sei.

Die Beklagte ist auch nicht auf das Vorhalten einer Ersatzmaschine für den Fall des Auftretens eines technischen Defekts zu verweisen. Wenn auch möglicherweise am Heimatflughafen der jeweiligen Fluggesellschaften eine Ersatzmaschine zum Einsatz kommen kann, ist dies auf anderen Flughäfen nicht der Fall. Insbesondere wäre das Vorhalten von Ersatzmaschinen an diversen Flughäfen bereits aus Kostengründen nicht zumutbar.

Entgegen der Ansicht der Kläger fehlt es dem eingetretenen Umstand eines defekten Sensors nicht an der erforderlichen Außergewöhnlichkeit im Sinne des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004. Die Kammer teilt zwar die Ansicht des Amtsgerichts, dass die Sensorik und das Fahrwerk eines Flugzeugs in den Kernbereich des vom Betreiber zu gewährleistenden Betriebszustands fallen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass Sensoren trotz ordnungsgemäßer Wartung regelmäßig oder jedenfalls häufig versagen bzw. es sich aus anderen Gründen um einen gewöhnlichen Defekt handelte, z. B. wegen Anfälligkeit der Komponente oder Verschleißes. Soweit der Zeuge J. bekundet hat, für ihn sei das kein außergewöhnlicher Umstand, ändert dies an der rechtlichen Einordnung nichts. Denn es können theoretisch sämtliche Teile eines Flugzeugs einen Defekt erleiden, ohne dass solches als gewöhnlich angesehen werden kann. So hat auch der Zeuge angegeben, wie jedes Auto kaputtgehen könne, könne das ebenfalls bei einem Flugzeug eintreten. Schließlich sind gemäß Erwägungsgrund 14 der Verordnung ausdrücklich auch Streiks und mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen als Beispiel außergewöhnlicher Umstände genannt, obwohl Streiks sowie extremer Schneefall, Starkregen mit der Folge überfluteter Start- und Landebahnen oder Orkane durchaus häufiger vorkommen.

Soweit die Kläger zunächst die Behauptung der Beklagten bestritten haben, Fehler könnten regelmäßig trotz Einhaltung der Wartungsintervalle auftreten, bedurfte es der zum Beweise dieser Behauptung angebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht. Denn die Kläger stimmen mit der Beklagten nunmehr dahin überein, dass mit dem Auftreten eines technischen Defekts selbst bei angemessenem Aufwand zu rechnen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

4. Gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO war die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die Frage der Anwendbarkeit des Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) 261/2004 auf technische Defekte des Fluggeräts war bisher nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung. Gegenstand eines Vorlageverfahrens des dänischen O. L. (vgl. Staudinger, NJW 2007, 3392, 3393) ist jedoch bereits die Frage nach den Entlastungsmöglichkeiten der Luftfahrtunternehmen nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung. Da es sich vorliegend infolge der Revisionszulassung nicht um eine letztinstanzliche Entscheidung handelt, hat die Kammer von einer Vorlage der Sache an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 2 EG abgesehen (vgl. Gummer in Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 544 Rz. 5a).