ArbG Berlin, Urteil vom 12.11.2007 - 86 Ca 4035/07
Fundstelle
openJur 2012, 7323
  • Rkr:

I. Tatsachen lassen eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals schon dann i.S.d. § 22 AGG "vermuten", wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls bei freier Beweiswürdigung aus der Sicht einer objektiv verständigen Person der Schluss auf ein Handeln "wegen" eines Diskriminierungsmerkmals überwiegend wahrscheinlich ist.II. Eine Nichteinstellung "wegen" des Geschlechts i.S.d. § 22 AGG liegt auch dann vor, wenn für die Nichteinstellung zugleich andere Gründe entscheidend waren. Der Anspruchssteller muss nicht vortragen, dass eine bestimmte Behandlung ausschließlich auf einem Merkmal nach § 1 AGG beruhte. Ausreichend ist, wenn in einem "Motivbündel" das verpönte Merkmal enthalten war. Die bessere Eignung eines anderen Bewerbers schließt eine Benachteiligung nicht aus (vgl. BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540; BAG [12.09.2006] - 9 AZR 807/05 - NZA 2007, 507).III. Tatsachen ("Indizien") sind im Sinne des § 22 AGG schon dann "bewiesen", wenn sie "überwiegend wahrscheinlich" gemacht sind. Trotz eines unterschiedlichen Wortlauts gilt für § 22 AGG nichts anderes als das, was schon für § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. und entsprechend für § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a.F. galt (zu § 611a BGB a.F.: vgl. BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540; zu § 81 SGB IX a.F.: BAG [12.09.2006] - 9 AZR 807/05 - NZA 2007, 507).IV. Kann eine überwiegende Wahrscheinlichkeit streitiger Indizien nicht bewiesen werden, geht dieses non liquet auch nach § 22 AGG zu Lasten der klagenden Partei.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.152,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung wegen einer streitigen Einstellungsdiskriminierung.

Die am ... geborene Klägerin hat erfolgreich ein Hochschulstudium der .. absolviert und weist eine Vielzahl weiterer Abschlüsse und praktischer Erfahrungen auf.

Beklagte ist die B., vertreten durch den D.

Die Klägerin bewarb sich im Jahr 2005 vergeblich auf eine vom D. ausgeschriebene Stelle.

Rund die Hälfte des Dienstpersonals des D. im Bereich des Amtes des W. sind Frauen, darunter eine Referentin. Bis vor kurzem teilten sich zwei teilzeitbeschäftigte Mitarbeiterinnen die Position einer Referatsleitung, bevor sie zur Vollzeitbeschäftigung zurückkehrten.

Die Beklagte schrieb unter dem 1. November 2006 für den Bereich des Amtes des W. eine Stelle für "eine Referentin/einen Referenten" aus. Als Qualifikationserfordernis wurde unter anderem angegeben: "abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium vorzugsweise der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften". Die Ausschreibung enthielt auch den Passus: "Die Verwaltung des D. gewährleistet die berufliche Gleichstellung von Frauen und Männern und ist bestrebt, den Frauenanteil im genannten Beschäftigungsbereich zu erhöhen. Bewerbungen von Frauen sind ausdrücklich erwünscht." Die Stellenausschreibung war bis zum 3. November 2006 befristet.

Die Klägerin bewarb sich mit Schreiben vom 1. November 2006 auf die Stelle. Die Bewerbung der Klägerin ging am 6. November 2006 im Personalreferat der Verwaltung des D. ein. Es gab für die ausgeschriebene Stelle nur wenige weibliche Bewerberinnen. "Eine der Hauptkontaktpersonen in Auswahlverfahren" (so die Beklagte selbst) ist die Zeugin Frau C. Die Klägerin wurde - als einzige weibliche Bewerberin - zu einem Vorstellungsgespräch geladen. Als Vorstellungstermin wurde der Klägerin der 13. Dezember 2006, 10.00 h genannt.

Die Klägerin rief am 4. Dezember 2006 die Zeugin Frau C. an und bat darum, den Termin zu verschieben. Die Zeugin Frau C. kam der Klägerin entgegen. Beim Telefonat erklärte die Zeugin Frau C. der Klägerin sinngemäß unter anderem, dass die Personalabteilung die Klägerin als einzige weibliche Bewerberin durchgesetzt habe.

Am 13. Dezember 2006 kam es dann zum Vorstellungsgespräch. Die Referentin Frau B. begrüßte die Klägerin unter anderem mit den Worten "...besonders freut sich die Gleichstellungsbeauftragte, dass sie heute hier sind".

Am 17. Januar 2007 erhielt die Klägerin eine Absage.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 23. Januar 2007 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. In dem anwaltlichen Schreiben heißt es unter anderem, die Zeugin Frau C. habe im Telefonat gegenüber der Klägerin erklärt, dass "`der W. keine Frau wolle´".

Die Beklagte lehnte einen Entschädigungsanspruch der Klägerin mit Schreiben vom 6. Februar 2006, dem Klägervertreter am 8. Februar 2007 zugegangen, ab.

Mit der am 6. März 2007 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 13. März 2007 zugestellten Klage vom 5. März 2007 macht die Klägerin einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern geltend.

Die Klägerin behauptet, dass ihre Bewerbung schon am Freitag, den 3. November 2006, und damit fristgerecht, beim D. eingegangen sei.

Die Zeugin Frau C. habe im Telefonat wörtlich erklärt: "Oh nein, tun Sie uns das doch nicht an, Sie müssen kommen, wir haben Sie als einzige weibliche Bewerberein durchgeboxt, denn die wollen doch keine Frau" (Zeugnis Frau C., Herr H., Parteivernehmung).

Ein Missverständnis sei auszuschließen, da der Zeuge Herr H. während der Telefonats in unmittelbarer Nähe der Zeugin gesessen habe und die Ausführungen der Zeugin Frau C. "weitestgehend selbst unmittelbar vernommen und die Äußerungen der Klägerin unmittelbar miterlebt" habe.

Beim Vorstellungsgespräch am 13. Dezember 2006 habe nach der Begrüßung durch Frau B. "eine merklich unangenehme Atmosphäre" geherrscht und der Referatsleiter Herr N. habe erst nach einer längeren Pause erklärt: "Ich natürlich auch".

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Ausführungen der Beklagten zum Verlauf des Vorstellungsgespräch und die Behauptung, die Einstellung sei aus lediglich objektiven Gründen erfolgt, unbeachtlich seien. Schließlich unterstelle die Klägerin zu Gunsten der Beklagten nicht, dass sie bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden wäre.

Die Klägerin beantragt:

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin € 10.152,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, die Bewerbung der Klägerin sei nicht vor dem 6. November beim D. bei ihr eingegangen. Sie ist der Ansicht, dass die Berücksichtigung der Bewerbung gleichwohl gegen eine Diskriminierungsabsicht spreche.

Die Beklagte behauptet, dass die Klägerin mit ihrem Hochschulstudium der Romanistik die Qualifikationen "nicht optimal" erfüllt habe. Die zuständigen Mitarbeiter des W. hätten deshalb und wegen des nicht fristgerechten Eingangs der Bewerbung "zunächst formale Bedenken" gegen eine Einladung geäußert. Das Personalreferat habe dann diese Bedenken ausgeräumt.

Die Beklagte behauptet, dass die Zeugin Frau C. "intensiv über die möglichen Auswirkungen diskriminierender Äußerungen geschult worden war" (Zeugnis Frau C., Frau Dr. L.).

Die Klägerin habe beim Vorstellungsgespräch selbst keinen überzeugenden Eindruck gemacht.

Über die Behauptung der Klägerin, die Zeugin Frau C. habe im Telefonat am 4. Dezember 2006 ihr gegenüber erklärt: "Oh, nein, tun Sie uns das doch nicht an, Sie müssen kommen, wir haben sie als einzige weibliche Bewerberin durchgeboxt, denn die wollen doch keine Frau" wurde nach Anhörung der Klägerin gemäß Beweisbeschluss vom 1. November 2007 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Frau C. und Herr H. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird verwiesen.

Für den Sach- und Rechtsstreit im Übrigen auf die Schriftsätze der Parteien.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG i.V.m. §§ 7, 3 AGG. Nach § 15 Abs. 1 S. 1 AGG kann bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Nach § 15 Abs. 1 S. 2 AGG darf die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.

1. Die Klägerin hat die Fristen der § 15 Abs. 4 S. 1 AGG und des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt.

1.1. Nach § 15 Abs. 4 S. 1 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, wenn Tarifvertragsparteien nichts anders vereinbaren. Die Frist beginnt nach § 15 Abs. 4 S. 2 AGG im Falle einer Bewerbung mit dem Zugang der Ablehnung.

Hier ist es unschädlich, dass von der darlegungspflichtigen Klägerin die genauen Zeitpunkte des Zugangs der Absage der Beklagten vom 17. Januar 2007 und des anwaltlichen Geltendmachungsschreibens vom 23. Januar 2007 nicht vorgetragen wurden. Das Absagungsschreiben der Beklagten ist der Klägerin nicht vor dem Ausstellungsdatum des Absagungsschreibens, d.h. nicht vor dem 17. Januar 2007, zugegangen. Das Geltendmachungsschreiben ist der Beklagten spätestens zum Datum des Antwortschreibens der Beklagten, d.h. am 6. Februar 2007, - und damit fristgerecht - zugegangen.

Die Frist des § 15 Abs. 4 S. 1 AGG wurde gewahrt, obwohl im Geltendmachungsschreiben kein bestimmter Betrag gefordert wurde. Für die prozessuale Geltendmachung wird ein bezifferter Antrag nicht verlangt (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG [2007], § 15 Rn. 37; Thüsing, in: Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl. [2007], AGG § 15 Rn. 11; Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 57). Für die außergerichtliche Geltendmachung gilt nichts anderes (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 15 Rn. 8 m.w.N.).

1.2 Die Klägerin hat auch die Klagefrist des § 61b Abs. 1 ArbGG gewahrt. Danach muss eine Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb von drei Monaten, nachdem der Anspruch schriftlich geltend gemacht worden ist, erhoben werden. Die Klagefrist beginnt mit Zugang der Geltendmachung nach § 15 Abs. 4 AGG und unabhängig davon, ob der Anspruch abgelehnt wurde (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG [2007], § 15 Rn. 58). Die Frist des § 61b ArbGG wird gewahrt durch Eingang der Klage beim Gericht und alsbaldige Zustellung an den Arbeitgeber (§ 167 ZPO) (Bauer/Göpfert/Krieger, AGG [2007], § 15 Rn. 60).

Die Klage ging bei Gericht am 6. März 2007 ein und wurde am 13. März 2007 - und damit "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO - der Beklagten zugestellt. Unabhängig vom genauen Zugangszeitpunkt des Geltendmachungsschreibens vom 23. Januar 2007 ist damit die Klagefrist gewahrt.

2. Im Ergebnis der Beweisaufnahme hat die Klägerin trotz der Erleichterungen des § 22 AGG keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG i.V.m. § 3 AGG bewiesen.

2.1 Nach § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - und damit unter anderem nicht wegen ihres Geschlechts - benachteiligt werden. Eine Benachteiligung i.S.d. 7 Abs. 1 AGG ist in § 3 AGG legaldefiniert. Hier wird von der Klägerin nur eine unmittelbare Benachteiligung i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG ins Feld geführt. Eine solche liegt nach § 3 Abs. 1 S. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen des Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

2.2 Das Diskriminierungsmerkmal (Geschlecht) und die Maßnahme der Beklagten (Nichteinstellung) sind unstreitig. Im Streit liegt allein, ob die Nichteinstellung "wegen" des Geschlechts der Klägerin erfolgte.

402.3 Eine Nichteinstellung wegen des Geschlechts liegt auch dann vor, wenn für die Nichteinstellung zugleich andere Gründe entscheidend waren. Der Anspruchssteller muss nicht vortragen, dass eine bestimmte Behandlung ausschließlich auf einem Merkmal nach § 1 AGG beruhte. Ausreichend ist, wenn in einem "Motivbündel" das verpönte Merkmal enthalten war. Die bessere Eignung eines anderen Bewerbers schließt eine Benachteiligung nicht aus

(für § 22 AGG: Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 14; Windel, RdA 2007, 1 (3); Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 3 Rn. 2; für § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.: BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540 = NJW 2004, 2112 (2115); vgl. auch BVerfG [16.11.1993] - 1 BvR 258/86 - NJW 1994, 647 = AP BGB § 611a Nr. 9 = juris [Rn. 49]; für § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a.F.: BAG [12.09.2006] - 9 AZR 807/05 - NZA 2007, 507 (512) [Rn. 43]).

Unerheblich ist es daher, ob die Klägerin nur wegen ihres Geschlechts nicht eingestellt worden ist. Hinreichend ist es, dass sie als Bewerberin auch wegen ihres Geschlechts nicht berücksichtigt wurde (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 15 Rn. 7).

Ein Entschädigungsanspruch der Klägerin scheitert daher nicht daran, dass sie beim Vorstellungsgespräch nicht alle Fragen beantworten konnte und andere Bewerber besser als sie waren. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass ihr Geschlecht beim Auswahlprozess - und sei es durch die Auswahl der ihr als Romanistin nicht entgegenkommenden Fragen - mit eine Rolle spielte.

2.4 Die Klägerin hat jedoch nicht den Beweis erbracht, dass ihr Geschlecht zumindest mit ein Grund für die Nichteinstellung war.

2.4.1 Nach § 22 AGG reicht es aus, wenn im Streitfall die eine Partei - hier die Klägerin - "Indizien beweist", die eine Benachteiligung "wegen" des Geschlechts "vermuten" lassen. Dann trägt die andere Partei - hier die Beklagte - "die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat".

2.4.2 Daher ist die erste Frage, ob die von der Klägerin behaupteten Tatsachen eine Ungleichbehandlung "wegen" ihres Geschlechts "vermuten" lassen, d.h. der klägerische Vortrag überhaupt schlüssig ist.

Was "vermuten" i.S.d. § 22 AGG konkret bedeutet, ist klärungsbedürftig und letztlich streitig.

Negativ abgegrenzt ist nach einhelliger, zutreffender Auffassung weder § 22 AGG noch die Vorgängernorm § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. eine Vermutung i.S.d. § 292 ZPO

(KR/Pfeiffer, 8. Aufl. [2007], AGG Rn. 186; Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 3; Roloff, BeckOK, AGG [01.09.2007] § 22 Rn. 5) (BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540 = NJW 2004, 2112 (2114)).

Positiv wird "Vermutung" verbreitet dahingehend bestimmt, dass es Tatsachen bedürfe, die "nach allgemeiner Lebenserfahrung eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Diskriminierung bedeuten" (Thüsing, in: Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl. [2007], AGG § 22 Rn. 10 m.w.N. zu § 611 a BGB; KR/Pfeiffer, 8. Aufl. [2007], AGG Rn. 183 ("und sei es nur leicht"); Küttner/Kania, Personalbuch, 14. Aufl. [2007]/Diskriminierung Rn. 136). Darin wird z. T. eine Parallele zum Anscheinsbeweis gesehen (Voigt, in: Schleusener/Suckow/Voigt, AGG [2007], § 22 Rn. 25 ("ähnlich")).

Eine Assoziation und Parallelisierung zum Anscheinsbeweis erscheint allerdings irreführend (a.A. wohl Wendel, RdA 2007, 1 (4)). Sie ist allein insofern zutreffend, als auch ein Anscheinsbeweis dem Anspruchssteller zugute kommen kann. Ein Anscheinsbeweis setzt "einen typischen Geschehensablauf" voraus, d.h. das Feststehen eines Sachverhalts voraus, "der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den bestimmten Erfolg hinweist" (BAG [18.01.1995] - 5 AZR 817/93 - NZA 1996, 27 (28) m.w.N.). Eine solche Empirie liegt in Diskriminierungfällen aber oftmals nicht vor.

Es kann hier offen bleiben, ob für die Bildung der richterlichen Überzeugung von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit Tatsachen auf Grund einer "allgemeinen Lebenserfahrung" zu verlangen sind. Die Rede von einer allgemeinen Lebenserfahrung ist in Diskriminierungsfällen oftmals entweder reine Fiktion oder eine unzulässige Beweiserschwerung.

53Was § 22 AGG verlangt ist (nur) eine Beurteilung "aus der Sicht einer objektiv verständigen Person im Einzelfall" (Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 2). "Hierzu genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Geschlechtszugehörigkeit und Nachteil" (zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.: BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540 = NJW 2004, 2112 (2114); zu § 22 AGG: ausführlich Roloff, BeckOK, AGG [01.09.2007] § 22 Rn. 6). Und es reichen "Anhaltspunkte, die eine Benachteiligung gerade aus diesem Grunde plausibel erscheinen lassen" (Willemsen/Schweibert, NJW 2005, 2583). "Die auf die feststehenden Hilfstatsachen gestützte Schlussfolgerung muss überwiegend wahrscheinlich sein, ohne jedoch alle anderen Alternativen zwingend auszuschließen" (Erfurter Kommentar/Schlachter, 8. Aufl. [2008], AGG § 22 Rn. 3 a.E.). Es gilt dabei der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, § 286 Abs. 1 ZPO (Wendel, RdA 2007, 1 (4 ff.)).

Reicht für die Vermutung i.S.d. § 22 AGG eine "überwiegende Wahrscheinlichkeit" aus, bedarf es lediglich des Beweismaßes der Glaubhaftmachung, das zu unterscheiden ist von den in § 294 ZPO geregelten Beweismitteln der Glaubhaftmachung.

Für einen Beweis durch Nachweis der "überwiegenden Wahrscheinlichkeit" von Tatsachen (Glaubhaftmachung) genügt es, dass das Bestehen der Tatsachen wahrscheinlicher ist als ihr Gegenteil (Musielak/Huber, ZPO, 5. Aufl. [2007], § 294 Rn. 3). "Erforderlich und ausreichend zugleich ist, wenn mehr für die Wahrheit der Behauptung spricht als dagegen" (Walker, Der einstweilige Rechtsschutz [1993], Rn. 321 m.w.N.) und eine schlüssige, erschöpfende, naheliegende und "eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit" gegeben ist (BVerfG [05.11.1973] - 7 Qs 865/73, BVerfGE 38, 35 (39)).

2.4.3 Hier geht es also konkret um die Frage, ob der Vortrag der Klägerin, seine Richtigkeit unterstellt, eine Nichteinstellung der Klägerin auch wegen ihres Geschlechts überwiegend wahrscheinlich sein lässt.

Die Tatsache, dass die Klägerin erklärtermaßen die einzige Frau war, die überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch geladen wurde, macht hier kein Diskriminierungsmotiv wahrscheinlich. Dies beruht auf den Besonderheiten der ausgeschriebenen Stelle. Das objektiv nachvollziehbare und begründete Anforderungsprofil der Stellenausschreibung verlangt unter anderem gründliche Kenntnisse eines Geschäftsbereiches, der historisch bedingt in der Vergangenheit eine reine Männerdomäne war. Die Klägerin dürfte derzeit mit ihrer Performance unter Frauen eine große Ausnahme sein. Zugleich bedeutet dies, dass die Bewerbung nur weniger Frauen und nur die Auswahl der Klägerin als potentiell geeignete Bewerberin keinen Schluss auf ein noch aktuelles Diskriminierungsmotiv der Beklagten zulässt.

Auch der Verlauf des Vorstellungsgesprächs gibt für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit eines Diskriminierungsmotivs nichts her, selbst wenn man den Vortrag der Klägerin unterstellt. Es ist daher unschädlich, dass der Vortrag der Klägerin insoweit keinen ordnungsgemäßen Beweisantritt enthält, weshalb diesbezüglich auch kein richterlicher Hinweis erfolgte.

Die Eingangsbegrüßung der Mitarbeiterin der Personalabteilung Frau B.: "Guten Tag Frau .., besonders freut sich die Gleichstellungsbeauftragte, dass sie heute hier sind" macht eine Benachteiligung der Klägerin als Frau nicht überwiegend wahrscheinlich. Seitens der Mitarbeiterin B. nicht, weil sowohl nach dem objektiven Inhalt der Äußerung als auch nach dem Eindruck einer freundlichen und offenen Persönlichkeit der Mitarbeiterin B. in der mündlichen Verhandlung diese Äußerung im Zweifel nur wohlwollend und aufmunternd gemeint war. Aus den oben genannten Gründen ist der Hinweis auf die Gleichstellungsbeauftragte auch nicht Spiegelbild einer objektiven Diskriminierungshaltung der Bedarfsstelle als etwaiger personalpolitischer Widerpart der Personalstelle.

Es kann auch dahinstehen, ob nach dieser Äußerung unter den anwesenden Mitgliedern der Auswahlkommission "eine merklich unangenehme Atmosphäre" entstand. Abgesehen davon, dass ein solch subjektiver, von der Beklagten bestrittener Eindruck der Klägerin kaum der Objektivierung zugänglich ist, wäre dies, selbst unterstellt, zunächst einmal nichtssagend. Eine solche Atmosphäre kann aus vielen Gründen entstehen. Etwa auf Grund einer Missverständnis-Kette. Hatte die Klägerin die telefonische Äußerung der Zeugin am 4. Dezember 2006 missverstanden, war die objektiv neutral zu verstehende Eingangsäußerung der Mitarbeiterin Frau B. für sie ebenfalls missverständlich, so dass der natürliche Gesprächsverlauf gestört gewesen sein konnte. Maßgeblich ist aber nicht das Empfinden der Klägerin, sondern der objektive Empfängerhorizont. Die Atmosphäre kann aber auch dadurch entstanden sein, dass die übrigen Anwesenden den betonenden Hinweis auf die Gleichstellungsbeauftragte als zu politisch und unangebracht oder als unter Rechtfertigungsdruck setzend empfanden (, obwohl nicht so gemeint). Der Auslegungsmöglichkeiten sind viele. Keine ist jedoch zwingend oder überwiegend wahrscheinlich.

2.4.4 Sprechend genug - auch isoliert - wäre allerdings für die Kammer gewesen, wenn die Zeugin Frau C. im Telefonat am 4. Dezember 2006 erklärt hätte: "Oh nein, tun Sie uns das doch nicht an, Sie müssen kommen, wir haben sie als einzige weibliche Bewerberin durchgeboxt, denn die wollen doch keine Frau."

Allgemein werden diskriminierende Äußerungen des Arbeitgebers oder eines entscheidungserheblichen Vertreters als mögliche Tatsachen, die eine Vermutung begründen können angeführt

(Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 15; KR/Pfeiffer, 8. Aufl. [2007], AGG Rn. 183; Voigt, in: Schleusener/Suckow/Voigt, AGG [2007], § 22 Rn. 30; zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.: Thüsing, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 2. Aufl. [2006], BGB, § 611a Rn. 55; Münchener Kommentar/Müller-Glöge, BGB, 4. Aufl. [2005], § 611a Rn. 82).

Die Zeugin Frau C. ist nun zwar keine entscheidungserhebliche Vertreterin der Beklagten. Gleichwohl ist die ihr unterstellte Äußerung "die wollen doch keine Frau" erheblich. Wie von der Beklagten selbst betont, ist die Zeugin C. "Hauptkontaktperson" für Bewerber im Auswahlverfahren. Damit ist sie zwar keine Entscheidungsträgerin, jedoch ersichtlich eine Person, die Einblicke in ein Auswahlverfahren hat oder haben kann. Es blieb auch unbestritten, dass die Zeugin zumindest gesagt hat "wir haben sie als einzige Bewerberin (durchgesetzt/durchgeboxt)". Damit hat die Zeugin gegenüber der Klägerin ein Internum der Beklagten offengelegt, das die Klägerin im Grunde nichts anging. Dies auch in "Wir"-Form, was eine behördenspezifische Form der Anonymisierung sein mag, aber auch schlicht den Eindruck vermitteln kann, als habe die Zeugin ausreichenden Einblick, um eine Aussage wie "die wollen doch keine Frau" überhaupt berichtend treffen zu können.

Die Beklagte wandte ein, dass die Äußerung schon deshalb nicht gefallen sein könne, weil die Zeugin "intensiv über das AGG" geschult worden sei. Dies ist zum einen zu unsubstantiiert und zum anderen ein Fehlschluss vom Sollen aufs Sein. Letzteres gilt allgemein und hier konkret, da schon der unstreitige Teil der Äußerung "wir haben sie als einzige Bewerberin (durchgesetzt/durchgeboxt)" zeigt, dass Äußerungen fielen, die die Beklagte in die Nähe eines Diskriminierungsverdachts bringen konnten - wenn auch möglicherweise nur unbedacht und zu leutselig.

Auch der Einwand, dass doch die Stellenausschreibung ausdrücklich den Passus enthielte, die Bewerbung von Frauen sei erwünscht, schließt weder die Äußerung der Zeugin noch eine diskriminierende Haltung der Bedarfsstelle aus. Denn es handelt sich ersichtlich um einen bei Behörden üblichen formularmäßigen Passus, der nicht notwendig in Einklang mit der tatsächlichen Motivationslage der konkreten Entscheidungsträger stehen muss.

Ebensowenig schließt bei unterstellter Äußerung der Zeugin schon die Personalstruktur des einstellenden Bereichs der Beklagten eine Diskriminierung aus. Eher ist das Gegenteil der Fall. Die allgemeine, unbestritten gebliebene Behauptung, dass "rund die Hälfte der Dienstposten" im entsprechenden Bereich Mitarbeiterinnen übertragen worden sei, ist nicht aussagekräftig, da nicht konkret gesagt wurde, um welche Dienstposten es sich handelt. Aussagekräftig ist hingegen die Geschlechtsverteilung im höheren Dienst. Hier berichtet die Beklagte nur von einer Referentenstelle, die von einer Frau besetzt ist, und von zwei Teilzeitkräften, die sich eine Referatsleitung geteilt hätten. Ohne Kenntnis davon, wieviele Referentenstellen und Referatsleiterstellen es insgesamt gibt, wird dadurch nur der Eindruck erzeugt, dass jedenfalls im hier entscheidenden höheren Dienst Frauen unterrepräsentiert sind. Im Übrigen kann die Beklagte dadurch nur widerlegen, dass man überhaupt keine Frau will, nicht aber, dass man für die konkrete Stelle keine Frau will.

2.5.5 Kommt es somit entscheidend darauf an, was genau die Zeugin C. im Telefonat genau gesagt hat, bedurfte es einer Beweisaufnahme. Die Klägerin ist im Ergebnis der Beweisaufnahme jedoch trotz § 22 AGG beweisfällig geblieben.

69Trotz des mißratenen (a.A: Düwell, BB 2006, 1741 (1744) ("zu begrüßen")) und irreführenden (vgl. Windel, RdA 2007, 1) Wortlauts reicht es nach § 22 AGG zur Umkehr der Beweislast aus, dass die eine Vermutung begründenden Tatsachen ("Indizien") überwiegend wahrscheinlich sind

(BT-Dr 16/1780, S. 47 = NZA 2006, Beil. Heft 16, S. 30; Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 2 ("bei richtlinienkonformer Auslegung"); Erfurter Kommentar/Schlachter, 8. Aufl. [2008], AGG § 22 Rn. 1, 3; KR/Pfeiffer, 8. Aufl. [2007], AGG Rn. 185 (Glaubhaftmachung); Thüsing, Diskriminierungsschutz [2007], Rn. 646; Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 5; Voigt, in: Schleusener/Suckow/Voigt, AGG [2007], § 22 Rn. 35; Preis, in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsschutzrecht, 3. Aufl. [2007], J Rn. 73a; Düwell, BB 2006, 1741 (1743 f.); Grobys, NZA 2006, 898 (900); Bertzbach, in: Däubler/Bertzbach, AGG [2007], § 22 Rn. 32; Linck; in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 12. Aufl. [2007], § 34 Rn. 135).

Es gilt nichts anderes wie zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. und entsprechend zu § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a.F.

(zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. vgl. BAG [05.02.2004] - 8 AZR 112/03 - NZA 2004, 540 (543) m.w.N.; BVerfG [21.09.2006] - 1 BvR 308/03 - NZA 2007, 195 = AP BGB § 611a Nr. 24; zu § 81 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 S. 3 SGB IX a.F. vgl. BAG [12.09.2006] - 9 AZR 807/05 - NZA 2007, 507 (509)).

Die Gegenauffassung

(Jauernig, BGB, 12. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 3 ("volle richterliche Überzeugung"); Annuß, BB 2006, 1629 (1635 i.V.m. Fn. 74); Fricke, VersR 2006, 1473 (juris); Küttner/Kania, Personalbuch, 14. Aufl. [2007]/Diskriminierung Rn. 136 (mit unzutreffenden Verweis auf Grobys); Diller, BB 2006, 1968 (irreführend die unkommentierte Übernahme des gesetzlichen Wortlauts); verfehlt bis irreführend auch Bauer/Göpfert/Krieger, AGG [2007], § 22 Rn. 3, 6, die ihre Mindermeinung als schon immer herrschende Meinung ausgeben; nicht anders Lingemann, in: Prütting/Wegen/Weinrich, BGB, 2. Aufl. [2007], AGG § 22 Rn. 3 unter (Schein-) Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des BAG zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.; unklar Zwanziger, in: Kittner/Zwanziger, Arbeitsrecht, 4. Aufl. [2007], § 111, Rn. 159 (nur von "beweisen" redend, jedoch die herrschende Auffassung als eigene in Fn. 474 zitierend)

tappt in eine Wortlautfalle, indem sie dem Ausdruck "beweisen" in § 22 AGG eine engere Bedeutung zumisst, obwohl dies nach dem Wortlaut weder geboten noch nach der Gesetzgebungsgeschichte gewollt ist, noch richtlinienkonform wäre.

Zunächst ist der Ausdruck "Beweis" mehrdeutig und auch die bloße Glaubhaftmachung ein Beweis (vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl. [2004], § 109 Rn. 2). Nur in einem engeren und damit nicht notwendigen Sinn ist "Beweis" nur der Vollbeweis, d.h. der Beweis zur vollen richterlichen Überzeugung.

Zum anderen war mit dem Wechsel des Wortlauts vom "glaubhaft machen" i.S.d. § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. zu "beweisen" i.S.d. § 22 AGG erklärtermaßen keine sachliche Änderung gewollt. Es sollte schlicht eine vermeintliche, in Wirklichkeit durch die klärende Rechtsprechung des BAG längst beseitigte Unklarheit vermieden werden, dass nicht die Beweismittelregelung des § 294 ZPO zur Anwendung kommt. Dazu reicht es aus, die Begründung des Wortlauts in seiner letzten Fassung zu lesen: "Die Diskussion des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes hat gezeigt, dass der - bereits in § 611a BGB - verwendete Begriff der „Glaubhaftmachung“ oftmals dahingehend missverstanden wird, er beziehe sich auf § 294 ZPO und lasse die eidesstattliche Versicherung als Beweismittel zu. Es ist insoweit eine sprachliche Neufassung zur Bestimmung des Beweismaßes erfolgt. Dies ist eine erforderliche Klarstellung für die Praxis; eine Rechtsänderung ist damit nicht verbunden. Die Vorgaben der einschlägigen Richtlinien werden nach wie vor erfüllt" (BT-Dr 16/2022 = Beil. zu NZA Heft 16/2006, S. 31). Dies mag man als "rätselhafte Neuerung" (Richardi, NZA 2006, 881 (886)) empfinden oder unnötig - da die Unterscheidung zwischen Beweismaß und Beweismittel übergehend - dramatisieren (Thüsing, in: Bauer/Thüsing/Schunder, NZA 2006, 774), gewollt ist im Vergleich zu § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F. jedenfalls und erklärtermaßen keine sachliche Änderung.

Für diese Auslegung spricht auch, dass allein dies den EU-Richtlinien entspricht, deren Umsetzung das AGG dient. Die EU-Richtlinien verlangen, dass ein bloßes "Glaubhaftmachen" ausreicht. Vor dem Hintergrund, dass die Effektivität des Diskriminierungsschutzes mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast steht und fällt, verlangt Art. 4 Abs. 1 der maßgeblichen Beweislast-Richtlinie 97/80/EG von den Mitgliedsstaaten eine Regelung der Beweislast dahingehend vor, dass es ausreicht, "Tatsachen glaubhaft (zu) machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen". In der Sache nach nicht anders sind auch die Beweislastvorgaben in den umzusetzenden Diskriminierungsrichtlinien RL 2000/78/EG (vgl. Art. 10) und RL 2000/43/EG (vgl. Art. 8).

Es ist nun kaum anzunehmen, dass der Gesetzgeber - und sei es unter Einflußnahme des Rechtsausschusses "in letzter Minute" - sehenden Auges gegen die EU-Richtlinien mitsamt des in ihnen enthaltenen Verschlechterungsverbotes verstoßen wollte.

Jedenfalls wäre eine richtlinienkonforme Auslegung möglich und geboten (Thüsing, in: Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl. [2007], AGG § 22 Rn. 2; Thüsing, Diskriminierungsschutz [2007], Rn. 646; Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 5 ("in jedem Fall"); Palandt/Weidenkaff, BGB, 66. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 2; Bauer/Evers, NZA 2006, 893 (895); KR/Pfeiffer, 8. Aufl. [2007], AGG Rn. 181; offen lassend Jauernig, BGB, 12. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 3).

2.5.6 Im Ergebnis der Beweisaufnahme konnte die Klägerin jedoch noch nicht einmal eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die von ihr behauptete Äußerung der Zeugin C. beweisen. Überwiegend wahrscheinlich ist hier dagegen, dass die Klägerin die Zeugin schlicht missverstanden hat.

2.5.6.-1 Die Zeugin Frau C. hat das Beweisthema nicht bestätigt. Die Zeugin Frau C. erklärte zwar, dass sie der Klägerin gesagt habe, "dass keine weitere Frau eingeladen werden sollte". Diese Phrase mag isoliert betrachtet diskriminierend klingen. Ihr Sinn ist jedoch zu kontextualisieren. Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass sich diese Äußerung auf die fehlende Eignung der weiteren Bewerberinnen bezog. Dann ist die Äußerung nicht diskriminierend, sondern schlicht der Bericht über das Ergebnis einer (objektiven) Auswahl.

Die Zeugin Frau C. hat auch auf Nachfragen ausgeschlossen, dass sie gesagt hat: "die wollen (doch/auch) keine Frau" und erklärt, dass sie sich dessen sicher sei.

Unerheblich erscheint es, ob es im Telefonat hieß "wir haben sie durchgeboxt" (so die Klägerin) oder "wir haben sie durchgesetzt" (so die Zeugin). Die Zeugin wurde hier daher vom Gericht nicht gefragt, ob sie hinsichtlich dieses Wortes einer Wortwörtlichkeit sicher ist oder nicht bzw. die Verwendung des anderen Wortes ausschließen könne. Letztlich sind in diesem Zusammenhang beide Wörter synonym. Der Ausdruck "durchgeboxt" konnotiert hier keine Diskriminierungsabsicht.

Nun kann man an dem Erinnerungsvermögen der Zeugin Frau C. zweifeln, da diese zuvor erklärt hatte, dass sie den wortwörtlichen Inhalt des Telefonats nicht mehr wiedergeben könne, gleichwohl aber ausschloss, dass sie die Wendung "die wollen .. keine Frau" verwendet habe.

Klar wurde jedoch, dass die Zeugin Frau C. als sicher bezeugen wollte, dass sie im Telefonat nichts über eine diskriminierende Haltung der Entscheidungsträger der Bedarfsstelle mitgeteilt hat, mit welchen Worten genau auch immer.

Die Klägerseite mag einwenden, dass die Zeugin ja gar nichts anders aussagen könne, da sie abhängige Arbeitnehmerin sei und Sanktionen befürchten müsse, wenn sie den genauen Wortlaut wiedergeben würde. Aus einem solch allgemeinen Gesichtspunkt folgt aber keine konkrete Unglaubwürdigkeit der Zeugin. Auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass der ganze Rechtsstreit die Leitung der Personalabteilung, mit der die Zeugin sich in "wir"-Form verbunden fühlt, behördenintern in eine unangenehme Lage gebracht haben mag, nur weil man in einem Telefonat mit einer Bewerberin zu gesprächig war. Davon abgesehen hilft eine Unglaubwürdigkeit der Zeugin Frau C. der Klägerin nicht, da die Zeugin eine Zeugin der Klägerin ist.

2.5.6.-2 Die Vernehmung des Zeugen Herrn H. bestätigte nur auf dem ersten Blick das Beweisthema. Der Zeuge erklärte zwar, dass er gehört habe, dass beim Handygespräch die Gesprächspartnerin der Klägerin gesagt habe: "Tun Sie das uns doch nicht an. Die wollen doch keine Frau." Auf Nachfragen erklärte er jedoch auch, dass dies sinngemäß, wenn auch im Kern die Aussage, gewesen sei. Es könne auch gesagt worden sein "Frauen sollten nicht eingeladen werden".

Mit dieser Erklärung wurde der Zeuge zwar glaubwürdig(er). Gleichzeitig seine Aussage aber auch unergiebig. Denn zwischen den Sätzen "Die wollen doch keine Frau" und "Frauen sollten nicht eingeladen werden" besteht im konkreten Kontext ein entscheidender Unterschied. Diesen Kontext hat der Zeuge aber ersichtlich ausgeblendet. Er brachte zwar zielbewußt zunächst und dann wiederholt als wörtliches Zitat die Sätze: "Tun Sie das uns doch nicht an. Die wollen doch keine Frau." Auch auf Nachfragen kam bis auf diesen entscheidenden Satz aber kein weiterer Wortlaut des Gesprächs, weder vom Beginn des Gesprächs noch vom Gespräch danach und vor allem nicht von den Äußerungen dazwischen. Entscheidend ist hier, dass sowohl nach dem Vortrag der Klägerin als auch nach der Zeugin die Phrasen "Tun Sie das uns doch nicht an" und "Die wollen doch keine Frau"/"Frauen sollten nicht eingeladen werden" nicht direkt aufeinander folgten, sondern dazwischen etwas gesagt wurde, nämlich entweder "Sie müssen kommen, wir haben sie als einzige weibliche Bewerberin durchgeboxt" oder (sinngemäß): "Sie müssen kommen, wir haben Sie als einzige Bewerberin durchgesetzt. Eine weitere Frau sollte nicht eingeladen werden, da Sie die einzige sind, die halbwegs die Qualifikationserfordernisse mitbringt." Kann der Kläger aber ersichtlich nicht die genaue Satzfolge - mit welchem genauen Inhalt auch immer - wiedergeben und widerspricht er insoweit sogar der Klägerin, kann im Nachhinein der Sinnzusammenhang der Äußerungen auch nicht im Sinne bloßer überwiegender Wahrscheinlichkeit nachvollzogen werden.

Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Vertiefung, inwieweit der Zeuge überhaupt akustisch die Worte des Handy-Gesprächs wahrnehmen konnte. Die Kammer hat daher davon abgesehen, die Beweisaufnahme durch einen von der Klägerin angebotenen Augenschein (bzw. hier "Ohrenschein") zu erweitern und das im Termin präsentierte Handy der Klägerin zu testen.

Auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen kommt es letztlich nicht an. Gegen sie spricht nicht zwingend, dass er der Lebenspartner der Klägerin ist. Möglicherweise hat er auch auf die Frage, ob er die Schriftsätze gelesen hätte (und woher er denn die genaue (frühere) Dienstbezeichnung der Referatsleiterin kenne), die Unwahrheit gesagt. Eine Lüge in einem Nebenpunkt schließt die Wahrheit in dem Hauptpunkt nicht notwendig aus (vgl. allgemein Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. (2007), Rn. 304 f.), erhöht allerdings auch nicht die Glaubwürdigkeit eines Zeugen.

2.5.6.-3 Auch die Anhörung der Klägerin führte nicht zu einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ihres Vortrags. Zunächst einmal ist festzustellen, dass von der Klägerin vier (!) verschiedene, jedoch jeweils als wortwörtlich ausgegebene Versionen des Telefonats vorliegen.

Im anwaltlichen Geltendmachungsschreiben vom 23. Januar 2007 (Anlage K5, Bl. 15 d.A.) hieß es als wortwörtliche Aussage der Zeugin (1) "der W. keine Frau wolle". In der Klageschrift (Bl. 3 d.A.) hieß es - wiederum als wortwörtliche Aussage ausgegeben: (2) "Oh nein, tun Sie uns das doch nicht an, Sie müssen kommen, wir haben Sie als einzige Bewerberin durchgeboxt, denn die wollen doch keine Frau." In der Anhörung sagte die Klägerin zunächst lediglich (3): "Oh nein, tun Sie uns das doch nicht an, wir haben Sie als weibliche Person durchgeboxt." Erst beim Vorlesen ihrer Aussage hieß es dann (4) "Oh nein, tun Sie uns das doch nicht an. Wir haben Sie als einzige weibliche Bewerberin durchgeboxt und die wollen auch keine Frau.".

Entscheidend ist hier, dass die vierte Version auf die Intervention ihres Klägervertreters hin erfolgte, der sie dezent, aber für die Kammer sichtbar auf die Klageschrift (mit der eingerückten Version (2)) hinwies. Bezeichnend war auch, dass auf die Frage des Vorsitzenden, ob nicht auch der Ausdruck "doch" gefallen sein konnte, die Klägerin zur Akte des Klägervertreters schaute, um dann ihre Aussage (4) in Richtung Klageschrift (2) zu ändern.

Die Beklagte wird nun sagen, dass daraus doch eindeutig die Unglaubwürdigkeit der Klägerin folge. Dies ist nicht zwingend so. Aus dem Aussageverhalten der Klägerin folgt allerdings zumindest, dass das Wahrscheinlichere hier ein Missverständnis ist. Dass die Klägerin im ersten Anlauf in der möglichweise für sie unerwarteten Anhörung - für die Kammer überraschend - den alles entscheidenden Halbsatz nicht sagte, war jedenfalls Ausdruck dessen, dass es mit der Fähigkeit der Klägerin zu einer wortwörtlichen Reproduktion - wegen des Zeitablaufs verständlicherweise - nicht weit her ist. Zum anderen auch möglicher Ausdruck dessen, dass die Klägerin schon allein durch eine Äußerung in der Version (3) eine klar diskriminierende Äußerung sah, obwohl dies nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht der Fall ist. Dann ist aber nicht auszuschließen, dass der Zusatz "und die wollen (auch/doch) keine Frau" schlicht eine Wertung der Klägerin ist, die sie im Nachhinein als wörtlich gesagt wiedergibt. Dies bedeutet nicht - dies auch im Hinblick auf die Persönlichkeit der Klägerin gesagt -, dass damit die Absicht der Lüge verbunden sein muss (vgl. allgemein zur unbewußten Wahrnehmungsverfälschung als den psychologischen Normalfall Bender/Nack/Treuer, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 3. Aufl. (2007), Rn. 82 ff.). Dies bedeutet jedoch, dass man letztlich nicht mehr beurteilen kann, was überhaupt genau gesagt worden ist.

2.5.7 § 22 AGG ändert nichts an der primären Darlegungs- und Beweislast der Klägerin (Jauernig, BGB, 12. Aufl. [2007], AGG, § 22 Rn. 1; Meinel/Heyn/Herms, AGG [2007], § 22 Rn. 7; für § 611a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.: LAG Berlin [19.10.2006] - 2 Sa 1776/06 u.a. - juris = LAGE BGB 2002 § 611a Nr. 2).

97Ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für Tatsachen, die eine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals vermuten lassen, nicht beweisbar und liegt damit ein non liquet vor, bleibt es daher auch nach § 22 AGG dabei, dass die für die Diskriminierung beweispflichtige Klägerin unterliegt.

II. Die Klägerin hat daher auch gemäß § 91 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese bemessen sich nach einem gemäß den §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO festgesetzten Streitwert.