VerfGH des Landes Berlin, Beschluss vom 24.01.1996 - 48/95
Fundstelle
openJur 2012, 777
  • Rkr:
Gründe

I.

Mit seiner am 6. Juni 1995 bei der gemeinsamen Briefannahme der Justizbehörden Charlottenburg eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 21. November 1994, mit dem er zur Räumung einer Wohnung in der Mittenwalder Straße ... verurteilt wurde, und gegen das seine Berufung zurückweisende Urteil des Landgerichts Berlin vom 20. März 1995, das ihm am 6. April 1995 zugestellt wurde.

Dem Verfahren vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer hatte seit Oktober 1984 eine 3-Zimmer-Wohnung in der Mittenwalder Straße ... von Frau E.R. gemietet. Seit dem 21. Juni 1988 ist Herr W.R. im Grundbuch als Eigentümer des Grundstücks eingetragen. Er ist Kläger des Ausgangsverfahrens und hat mit Schreiben vom 20. April 1994 den Mietvertrag fristlos mit der Begründung gekündigt, der Beschwerdeführer bewohne die Wohnung nicht mehr selbst. Er habe vielmehr ein Zimmer an eine Frau H. und ein weiteres Zimmer an eine Frau F. untervermietet und damit gegen den Mietvertrag verstoßen, der ihm zwar eine Untervermietung an einen Untermieter gestatte, nicht aber die Vermietung praktisch der gesamten Wohnung und überdies nicht die Untervermietung an mehr als eine Person.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg hat der Klage stattgegeben. Es hat sowohl die teilweise Untervermietung an zwei Personen wie auch die Untervermietung nach Beendigung der eigenen Nutzung der Wohnung als vertragswidrige Nutzung betrachtet, die eine Kündigung des Mietverhältnisses rechtfertige. Die gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegte Berufung hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 20. März 1995 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht im wesentlichen ausgeführt: Das Vorbringen des Beschwerdeführers, das Mietverhältnis sei nicht auf Herrn W.R. übergegangen, stehe im Widerspruch zu seinem Vortrag, Herr W.R. habe das Haus von Frau E.R. geerbt. Zu Recht habe das Amtsgericht angenommen, die Wohnung des Beschwerdeführers in der M... Straße ... sei im April 1994 von zwei Untermieterinnen genutzt worden, ohne daß der Beschwerdeführer die nach dem Mietvertrag erforderliche Zustimmung des Vermieters eingeholt habe. Im übrigen habe der Beschwerdeführer die streitbefangene Wohnung nicht mehr zu eigenen Wohnzwecken genutzt, da er seinen Lebensmittelpunkt in eine Eigentumswohnung in der Nassauischen Straße verlegt habe.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, das Urteil des Landgerichts Berlin und das Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg hätten den Kläger des Ausgangsverfahrens unter Verstoß gegen das sich aus Art. 6 Abs. 1 VvB ergebende Willkürverbot als Vermieter der Wohnung angesehen. Das Landgericht Berlin habe darüber hinaus durch die Bestätigung des der Räumungsklage stattgebenden erstinstanzlichen Urteils sein Recht auf Eigentum, Art. 15 VvB, sowie auf Wohnraum, Art. 19 VvB, dadurch verletzt, daß es bei seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumschutz auch für das Recht des Besitzers einer Mietwohnung nicht in seine Überlegungen habe einfließen lassen. Schließlich habe das Gericht seinen - des Beschwerdeführers - verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Er habe im Verfahren vor dem Landgericht ausdrücklich vorgetragen, daß die frühere Vermieterin der streitbefangenen Wohnung nicht im Grundbuch eingetragen gewesen sei, so daß der jetzige Eigentümer nicht in deren Rechtsstellung als Vermieterin eingetreten sein könne.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung des Grundrechts auf Wohnraum aus Art. 19 Abs. 1 VvB beruft, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

Art. 19 Abs. 1 der Verfassung von Berlin in der hier noch maßgebenden Fassung vom 1. September 1950 (VOBl. I, S. 433), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8. Juni 1995 (GVBl. S. 339) - VvB - gewährt kein subjektives Recht, dessen Verletzung mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann. Das "Recht auf Wohnraum" in dieser Bestimmung begründet kein einklagbares Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat auf Beschaffung oder Belassung von Wohnraum, sondern stellt eine Staatszielbestimmung dar, die das Abgeordnetenhaus und den Senat von Berlin verpflichten, das im Rahmen staatlicher Einflußnahme und unter Berücksichtigung anderer staatlicher Aufgaben und Pflichten Mögliche zu tun, für Schaffung und Erhaltung von Wohnraum zu sorgen (vgl. Pfennig/Neumann, Verfassung von Berlin, Kommentar, 2. Aufl., 1987, Rdnr. 1 zu Art. 19; vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift die Diskussion in der 33. Sitzung des Verfassungsausschusses der Stadtverordnetenversammlung vom 14. Januar 1948, in der durch den Stadtverordneten Peters darauf hingewiesen wurde, daß eine Leistung des Staates unmöglich ist, weil faktisch zu wenig Wohnungen zur Verfügung stehen <Reichhardt, Die Entstehung der Verfassung von Berlin, Bd. I, Dok. 118, S. 1127>) .

2. a) Soweit sich der Beschwerdeführer auf das verfassungsrechtliche Willkürverbot beruft, welches dem Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB zu entnehmen ist (vgl. Beschluß vom 12. Oktober 1994 - VerfGH 53/94 - Neue Justiz 1995, S. 373), ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht begründet. Das verfassungsrechtliche Willkürverbot wird durch eine gerichtliche Entscheidung nur dann verletzt, wenn sie bei verständiger Würdigung der die Verfassung beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht (s. Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 53/92 - ).

Hiervon kann bei den angegriffenen Entscheidungen keine Rede sein. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 31. Januar 1995 bestritten, der Kläger des zivilgerichtlichen Verfahrens sei sein Vermieter. Er hat dieses Bestreiten nicht etwa damit begründet, der Kläger des zivilgerichtlichen Verfahrens sei nicht als Eigentümer im Grundbuch eingetragen, sondern mit der mangelnden Eintragung der früheren Vermieterin. Es ist schon nicht ersichtlich, welche rechtlichen Folgerungen der Beschwerdeführer im zivilgerichtlichen Verfahren aus diesem Vorbringen gezogen wissen will. Doch mag das auf sich beruhen. Das Landgericht hat sich mit dem Vortrag des Beschwerdeführers auseinandergesetzt und im Hinblick auf dessen Vortrag im Schreiben vom 14. April 1994, der Kläger des Ausgangsverfahrens habe das Haus von Frau E.R. geerbt, als unerheblich angesehen. Ob diese Argumentation des Landgerichts mehr oder weniger zu überzeugen vermag, unterliegt nicht der Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs. Die Überlegungen der landgerichtlichen Entscheidung sind nachvollziehbar. Anhaltspunkte für sachfremde Erwägung sind nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot scheidet damit aus.

Das gilt auch, soweit der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde die Wertung von Zeugenaussagen durch das Landgericht beanstandet. Der Verfassungsgerichtshof ist keine zusätzliche gerichtliche Instanz, die das Ergebnis einer fachgerichtlichen Prüfung und Entscheidung in jedem Einzelfall zu beurteilen hat. Er ist bei seiner Prüfung vielmehr auf die mögliche Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt.

b) Soweit sich der Beschwerdeführer auf das durch die Verfassung von Berlin, namentlich durch Art. 62 VvB, inhaltsgleich mit Art. 103 GG gewährleistete Grundrecht auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993 - VerfGH 18/92 - JR 1993, S. 519) beruft, ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Dieses Grundrecht gewährt dem am Verfahren Beteiligten das Recht, sich zu den der gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen und zur Rechtslage zu äußern. Damit wird d. Gericht auch verpflichtet, das Vorbringen eines Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und mit zu erwägen (vgl. Beschluß vom 10. November 1993 - VerfGH 38/93 -). Der Beschwerdeführer sieht diese Verpflichtung dadurch als verletzt an, daß das Landgericht trotz seiner Behauptung, die frühere Vermieterin sei nicht im Grundbuch eingetragen gewesen, davon ausgegangen sei, der Kläger des zivilgerichtlichen Verfahrens sei ihm gegenüber als Vermieter anzusehen. Das geht fehl. Denn das Landgericht hat sich wie bereits gesagt, in den Gründen seiner Entscheidung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinandergesetzt, es also erkennbar zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen.

c) Selbst soweit sich der Beschwerdeführer auf eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 15 VvB beruft, kann die Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben. Ob Art. 15 VvB übereinstimmend mit Art 14 Abs 1 GG unter dem Eigentumsschutz auch den Schutz des Besitzrechts eines Mieters an einer Mietwohnung versteht (so für Art. 14 Abs. 1 GG der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 1993 - BVerfGE 89, 1 = NJW 1993, S. 2035) kann dahinstehen. Denn selbst wenn das zuträfe, wäre ein Solchermaßen verfassungsrechtlich geschütztes Besitzrecht durch die angegriffene Entscheidung des Landgerichts Berlin nicht verletzt. Das Landgericht Berlin ist davon ausgegangen, der Beschwerdeführer habe von der gemieteten Wohnung einen vertragswidrigen Gebrauch gemacht, indem er diese mehreren anderen Personen zur Nutzung überlassen hat. Es hat in diesem Verhalten, gestützt auf die Beweisaufnahme in der Vorinstanz, einen zur fristlosen Kündigung gemäß § 553 BGB berechtigenden Grund gesehen und dabei die Mieterinteressen wie sie sich aus dem Mietvertrag ergeben, den sich ebenfalls aus dem Mietvertrag ergebenden Vermieterinteressen gegenüber gestellt. Aufgrund seiner Sachverhaltsfeststellungen ist das Landgericht zur Annahme eines vertragswidrigen Gebrauchs der den Streitgegenstand bildenden Mietwohnung gekommen. Etwaige verfassungsrechtliche Anforderungen aus dem Besitzrecht eines Mieters hat es damit erkennbar nicht verletzt. Ob die Wertung des Landgerichts, der Gebrauch der Mietsache durch den Beschwerdeführer sei vertragswidrig gewesen, aufgrund der Beweisaufnahme zutreffend war oder nicht, ist eine Frage einzig der fachgerichtlichen Würdigung.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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