OLG Hamburg, Beschluss vom 11.08.2011 - 2 Ws 75/11
Fundstelle
openJur 2012, 416
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 605 StVK 287/11
Strafrecht
§ 42 StGB; § 459a StPO
Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg, Große Strafkammer 5, vom 10. Juni 2011 wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe

I.

Mit Strafbefehl vom 26. April 2010, rechtskräftig seit 15. Mai 2010, hat das Amtsgericht Hamburg-Barmbek eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je Euro 10,-- gegen den Verurteilten festgesetzt und monatliche Ratenzahlungen in Höhe von Euro 25,-- mit Anordnung des Verfalls dieser Vergünstigung bei mehr als einer Woche verspäteter Zahlung bewilligt. Der Verurteilte zahlte von Juli bis September 2010 die festgesetzten monatlichen Raten auf die Geldstrafe. Seit dem 8. Oktober 2010 befindet er sich in anderen Sachen in Haft, und zwar zunächst in Untersuchungshaft und seit 22. Oktober 2010 in Strafhaft, deren Ende auf den 21. Dezember 2011 mit Anschlussvormerkung von Untersuchungshaft (eine Verurteilung zu zehn Jahren Gesamtfreiheitstrafe und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist nicht rechtskräftig) notiert ist. Seit Haftbeginn leistet der Verurteilte keine Zahlungen mehr.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg stundete die Geldstrafe auf mit der Begründung, wegen Tätertrennung bestehe ein Arbeitsverbot und er habe kein Einkommen, gestellte Anträge des Verurteilten zunächst bis zum 31. Dezember 2010 und am 17. Januar 2011 bis zum 15. Februar 2011. Seit dem 14. Januar 2011 arbeitet der Verurteilte als Reinigungskraft in der Vollzugsanstalt und erhält nach deren Auskunft vom Juni 2011 für die Arbeit Euro 7,19 netto kalendertäglich. Der Verurteilte hatte von seinem Einkommen in den Monaten Februar bis Mai 2011 zwischen Euro 61,76 und 71,07 als Hausgeld zur Verfügung, welches er jeweils nahezu vollständig für den Einkauf verbrauchte.

Einen weiteren Stundungsantrag des Verurteilten lehnte die Staatsanwaltschaft mit Bescheid vom 6. April 2011 ab, bewilligte aber monatliche Raten in Höhe von Euro 5,-- mit der Begründung, dieser Betrag sei bei einem monatlichen Einkommen in Höhe von Euro 60,-- angemessen und zumutbar. Hiergegen legte der Verurteilte unter Wiederholung seines Antrages auf Stundung der restlichen Geldstrafe am 26. April 2011 „Widerspruch“ ein. Diesem half die Staatsanwaltschaft nicht ab. Mit Beschluss vom 10. Juni 2011 hat die Strafvollstreckungskammer die „Einwendungen … gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft“ vom 6. April 2011 zurückgewiesen. Gegen diesen ihm am 15. Juni 2011 zugestellten Beschluss hat der Verurteilte am 20. Juni 2011 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der er sein Stundungsbegehren weiter verfolgt und zu deren Begründung er u.a. ausgeführt hat, monatlich zwischen Euro 60,-- und Euro 70,-- für Einkäufe verfügbar zu haben.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§§ 462 Abs. 3 S. 1, 311 Abs. 2 StPO), aber unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat die nach § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO zuständige Strafvollstreckungskammer den gemäß § 300 StPO als – nach § 459 h StPO statthafte – Einwendungen gegen eine nach § 459 a StPO ergangene Entscheidung der Staatsanwaltschaft zu behandelnden „Widerspruch“ des Verurteilten zurückgewiesen. Das Beschwerdevorbringen führt zu keinem abweichenden Ergebnis.

1. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde und gegebenenfalls der nach § 459 h StPO befassten Gerichte, ob überhaupt Zahlungserleichterungen gemäß §§ 459 a StPO, 42 StGB zu gewähren sind, ist eine gebundene (vgl. Radtke in MünchKommStGB, § 42 Rdn. 15 m.w.N.). Hier haben Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer eine Unzumutbarkeit sofortiger vollständiger Zahlung der restlichen Geldstrafe von Euro 125,-- und der Gerichtskosten von Euro 63,50 angenommen. Dadurch ist der Verurteilte nicht beschwert.

2. Dazu, welche Art und welches Ausmaß der Zahlungserleichterung zu bewilligen ist, steht der Vollstreckungsbehörde Ermessen zu (vgl. Radtke, a.a.O., Rdn. 19; zur Ermessungsprüfung und gegebenenfalls eigenen -ausübung der Gerichte vgl. OLG Stuttgart in StV 1993, 475). Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer haben hier monatliche Ratenzahlungen in Höhe von Euro 5,-- auf den offenen Restbetrag von insgesamt Euro 188,50 für zumutbar erachtet. Dadurch ist der Beschwerdeführer jedenfalls nicht beschwert. Eine Zahlung von monatlich Euro 5,-- ist hier allemal zumutbar; an einer Heraufsetzung der Ratenhöhe ist der Senat durch das Verschlechterungsverbot (zu dessen Anwendbarkeit bei mit sofortiger Beschwerde anfechtbaren Entscheidungen vgl. jeweils m.w.N. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., vor § 304 Rdn. 5; Frist er in SK-StPO, vor § 304 Rdn. 23) gehindert.

a) Gemäß §§ 42 StGB, 459 a StPO werden eine Zahlungsfrist oder Ratenzahlungen bewilligt, wenn einem Verurteilten nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen nicht zumutbar ist, die Geldstrafe sofort zu zahlen. Die Vorschriften dienen dem gesetzgeberischen Zweck einer möglichst gleichen Wirkung der Strafe auf Straftäter (so genannte Opfergleichheit), indem sie die Ungleichheit wirtschaftlicher Verhältnisse durch die Anpassung von Geldstrafen auf den jeweiligen Täter überwindet (Radtke, a.a.O., Rdn. 3). Zugleich bezwecken die Vorschriften, die wirtschaftliche Existenz des Verurteilten nicht zu gefährden, seine Resozialisierungsbereitschaft zu fördern und die Anordnung kurzer Ersatzfreiheitsstrafen nach § 459 e StPO zu vermeiden (vgl. Stöckel in KMR, StPO, § 459 a Rdn. 1).

Bei der Ermessensausübung zu Art und Maß von Zahlungserleichterungen ist darauf Bedacht zu nehmen, die Stundungsdauer bzw. die Ratenhöhe so zu bemessen, dass die Strafe durch den Täter noch als spürbares Übel erlebt wird (vgl. BGHSt 13, 356, 357; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 42 Rdn. 10), und den Ratenzahlungszeitraum nicht derart weit in die Zukunft zu erstrecken, dass der Zusammenhang mit der Tat in strafzweckwidriger Weise für den Täter nicht mehr vor Augen steht (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rdn. 94). Die Frage, welche Zahlungserleichterungen im Einzelnen zu gewähren sind, bewegt sich in der Spanne zwischen noch deutlichem Strafcharakter einerseits und dem bei äußerster Sparsamkeit wirtschaftlich gerade noch Verkraftbaren andererseits (vgl. OLG Düsseldorf, RPfleger 1999, 236; Fischer, a.a.O.).

b) Nach diesem Maßstab scheidet die begehrte Stundung als mit dem Strafzweck unvereinbar aus, weil dem Verurteilten eine Ratenzahlung zumindest in der durch Staatsanwaltschaft und Strafvollstreckungskammer bewilligten Höhe von monatlich Euro 5,-- zumutbar ist.

Der Verurteilte hat Euro 60,-- Hausgeld monatlich zur Verfügung, das er gemäß § 45 Abs. 1 S. 2 HmbStVollzG für den Einkauf oder anderweitig verwenden darf. Von diesem für den Gefangenen grundsätzlich frei verfügbaren Hausgeld (vgl. Arloth, StVollzG, 3. Aufl., § 47 Rdn. 1) jedenfalls Euro 5,-- als spürbare Folge noch anderen kriminellen Unrechts als demjenigen, dessentwegen die Freiheitsstrafe aktuell vollzogen wird, aufzuwenden, ergibt sich aus der Zusammenschau von Strafzwecken und anderweitigen gesetzlichen Regelungen, in denen die Zumutbarkeitsgrenzen Ausdruck gefunden haben.

aa) Vorrangig sind bereichspezifische Regelungen für Gefangene. Aus diesen folgt, dass jedenfalls nicht das gesamte Hausgeld ein Schoneinkommen darstellt.

aaa) Gemäß § 46 HmbStVollzG wird den Gefangenen auf Antrag ein Taschengeld in Höhe von 14 % der Eckvergütung (§ 40 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 HmbStVollzG) gewährt, wenn sie ohne ihr Verschulden kein Arbeitsentgelt und keine Ausbildungsbeihilfe erhalten sowie ihnen im laufenden Monat aus Hausgeld und Eigengeld nicht ein Betrag bis zur Höhe des Taschengeldes zur Verfügung steht und sie auch im Übrigen bedürftig sind. Das Taschengeld soll in allen Fällen, in denen keine sonstigen finanziellen Leistungsansprüche bestehen, ein Minimum an Mitteln zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse garantieren (Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 3. Aufl., § 6 Rdn. 110). Das Taschengeld beträgt im Jahr 2011 monatlich Euro 32,19 (§§ 46 S. 1, 40 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 HmbStVollzG, § 18 Abs. 1 SGB IV, § 1 Abs. 1 Sozialversicherungs-Rechengrößenver-ordnung 2011) und darf für den Einkauf (§ 25 HmbStVollzG) oder anderweitig verwendet werden (§ 46 S. 2 HmbStVollzG).

Damit ist nach der gesetzlichen Wertung ein monatlich Euro 32,19 übersteigendes Einkommen nicht unverzichtbar zur Sicherung eines zumutbaren Minimums vollständig eigendisponibler Mittel zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse.

bbb) Das Hausgeld kann von der Vollzugsbehörde gemäß § 77 Abs. 1 S. 1 HmbStVollzG ausnahmsweise in Anspruch genommen werden bei Ersatz von Aufwendungen, die Gefangene durch eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder Verletzung anderer Gefangener verursacht haben. Bei der Geltendmachung dieser Forderung kann das Hausgeld bis auf einen Schonbetrag in Höhe des dreifachen Tagessatzes der Eckvergütung nach § 40 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 HmbStVollzG, im Jahr 2011 bis in Höhe von Euro 33,11, in Anspruch genommen werden (§ 77 Abs. 2 HmbStVollzG).

Auch wenn vorliegend die Eingangsvoraussetzungen des § 77 Abs. 1 S. 1 HmbStVollzG nicht erfüllt sind, so wird doch die gesetzliche Wertung deutlich, dass allenfalls ein Betrag von rund Euro 33,-- einem Gefangenen zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse verbleiben muss und eine darüber hinausgehende Belastung zumutbar bleibt.

ccc) Eine in Rechtsprechung und Schrifttum angenommene Unpfändbarkeit des Hausgeldes (vgl. OLG Hamm in MDR 2001, 1260 m.w.N.; Arloth, a.a.O., § 43 Rdn. 11 m.w.N. zum Meinungsstand) steht der Zumutbarkeit einer Ratenerbringung aus Mitteln des Hausgeldes nicht entgegen. Zwar können die Pfändungsbeschränkungen nach §§ 811 ff., 851 ZPO, 399 BGB als Anhaltspunkt für die Zumutbarkeitsgrenze dienen, maßgebend ist aber die Abwägung mit u.a. den Strafzwecken im Einzelfalls (vgl. Radtke, a.a.O., Rdn. 11). Der bei der Vollstreckung von Geldstrafen mit maßgebliche Aspekt der Resozialisierung ist vorliegend angesichts des für diesen Zweck unangetastet zur Verfügung stehenden Überbrückungsgeldes durch eine Zahlung aus dem grundsätzlich frei verfügbaren Hausgeld weder dem Grunde nach noch erst Recht mit Hinblick auf eine Rate von nur Euro 5,--, also weniger als einem Zehntel des hier dem Gefangenen verfügbaren Betrages, gefährdet.

bb) Weitere, nicht bereichspezifisch auf Gefangene ausgerichtete gesetzliche Vorschriften und die dazu ergangene obergerichtliche Rechtsprechung bestätigen, dass einem Gefangenen nicht mehr als rund Euro 35,-- frei verfügbar verbleiben müssen.

aaa) In Fällen der Prozesskostenhilfe hat die Partei ihr Einkommen gemäß § 115 Abs. 1 ZPO für die Kosten der Prozessführung einzusetzen, wobei von dem Einkommen die unter § 115 Abs. 1 S. 3 Nrn. 1 bis 4 ZPO genannten Beträge abzusetzen sind. Dabei ist nach § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 a ZPO grundsätzlich der um 10 % erhöhte Regelsatz gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 SGB XII abzuziehen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass der notwendige Lebensbedarf des Antragstellers unangetastet bleibt.

Bei einem Strafgefangenen ist indes anstelle des um 10 % erhöhten allgemeinen Freibetrages nur ein solcher in Höhe des um 10 % erhöhten Taschengeldanspruches für bedürftige Strafgefangene gemäß § 46 StVollzG zu berücksichtigen (vgl. HansOLG Hamburg in NStZ-RR 2009, 127; OLG Karlsruhe in FamRZ 1998, 248; a.A. Motzer in MünchKommZPO, 3. Aufl., § 115 Rdn. 33). Sinn und Zweck des § 115 Abs. 1 S. 3 Nr. 2 a ZPO ist es, den um 10 % erhöhten Betrag anrechnungsfrei zu belassen, den der Antragsteller zur Sicherung seines notwendigen Lebensunterhaltes benötigt und auf den er bei Bedürftigkeit unter Fürsorgegesichtspunkten einen Anspruch hat. Der Strafgefangene hat aber im Hinblick auf das Nachrangigkeitsprinzip (§ 2 SGB XII) regelmäßig keinen Sozialhilfeanspruch (vgl. Arloth, a.a.O., § 46 Rdn. 6), denn sein notwendiger Lebensunterhalt wird durch die Sach- und Taschengeldleistungen der Vollzugsanstalt sichergestellt. Eine Anrechnung des vollen Regelsatzes (so Motzer, a.a.O.) würde zu einer unangemessenen Bevorzugung des inhaftierten Antragstellers führen (vgl. HansOLG Hamburg, a.a.O.). Der um 10 % erhöhte Taschengeldsatz beträgt zurzeit Euro 35,41.

Unter Berücksichtigung dieses Ansatzes würden sogar schon ohne Abwägung mit dem durch die Zahlungsverpflichtung verfolgten Strafzweck einer Geldstrafe dem Verurteilten zumutbarer Weise gegenwärtig Euro 24,59 für monatliche Ratenzahlungen verbleiben.

bbb) Schließlich bestätigt ein Vergleich mit der Zumutbarkeit von Geldstrafenzahlungen durch Empfänger von Arbeitslosengeld II (SGB II), dass ein wesentlicher Teil des dem Verurteilten verfügbaren Hausgeldes zur Zahlung der Geldstrafe heranzuziehen ist.

Einem Verurteilten muss bei Ratenzahlungen in jedem Fall das täglich zum Lebensbedarf Unerlässliche erhalten bleiben (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Juni 2011, Az.: 1 RVs 96/11, III-1 RVs 96/11, zitiert nach juris). Der Begriff des zum Lebensbedarf Unerlässlichen entstammt dem Recht der Sozialhilfe (§ 26 Abs. 2 SGB XII). Er wird dort mit einem zwischen 70 % und 80 % angesiedelten Bruchteil des jeweiligen Regelsatzes (§ 20 Abs. 2 SGB II) bestimmt (vgl. OLG Köln, a.a.O., m.w.N.).

Nimmt man das Hausgeld als spezifisch für Gefangene zum – nicht durch Sachleistungen der Vollzugsanstalt abgedeckten – Bedarf unerlässlichen Betrag, so ergeben sich bei Euro 60,-- und einem Mittelwert von 75 % Euro 45,--, so dass für Ratenzahlungen auf Geldstrafen hier monatlich Euro 15,-- zumutbar blieben.

cc) Die Zumutbarkeit der Ratenzahlung ist auch unter Berücksichtigung des mit dieser modifizierten Zahlungsverpflichtung verbundenen Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verurteilten (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) gewahrt; an der Verfassungsmäßigkeit der zum Vergleich herangezogenen einfachen Gesetze besteht kein Zweifel.

Das Beschwerdevorbringen des Verurteilten, bei Rückgriff auf verfügbare Beträge von monatlich unter Euro 72,-- werde seine – gemeint: zur Förderung des Strafzweckes der Wiedereingliederung bedeutsame – Arbeitsmotivation untergraben, geht hier schon deshalb fehl, weil dem Verurteilten bei monatlichen Raten von nur Euro 5,-- ein deutlich über das Taschengeld nicht arbeitender Gefangener hinausgehender Betrag verfügbar bleibt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.