OLG Köln, Urteil vom 25.02.1998 - 5 U 123/97
Fundstelle
openJur 2012, 77611
  • Rkr:

AVB-Auslands-Reisekrankenversicherung "Unvorhergesehen eingetreten" i.S. von § 1 Nr. 1 AVB - AuslandsReisekrankenversicherung ist eine Akuterkrankung, wenn der Versicherungsnehmer ihren Eintritt nicht vorhergesehen hat und ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit auch nicht vorhersehen konnte.

Stehen zur Abwendung einer akuten Lebensgefahr i.S. von § 6 Nr. 1 der genannten AVB verschiedene ärztliche Maßnahmen (Behandlungsalternativen) zur Verfügung, ist der Versicherungsnehmer nicht auf die kostengünstigsten Alternativen beschränkt, die höhere Risiken bei geringeren Erfolgsaussichten bieten als eine erhebliche Kosten verursachende Alternative (hier: Medikamentöse oder Aufdehnungsbehandlung von Herzkranzgefäßen statt Bypassoperation).

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 14.05.1997 - 25 O 183/93 - wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt vorbehalten, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 218.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin wird gestattet, eine erforderliche Sicherheit notfalls auch in Form der selbstschuldnerischen Bürgschaft eines als Zoll- und/oder Steuerbürgen zugelassenen deutschen Kreditinstituts zu gewähren.

Tatbestand

Bei der Klägerin - Jahrgang 1912 -, die 1975 einen

Vorderwandinfarkt und 1987 einen erneuten Herzinfarkt sowie einen

schweren Anginapectoris-Anfall erlitten hatte, bestand auch in der

nachfolgenden Zeit eine Herzinsuffizienz mit Stenocardien und

wiederholten Anginapectoris-Anfällen, letzteres insbesondere bei

körperlicher Belastung und psychischer Erregung. Dieserhalb befand

die Klägerin sich bei ihrer Hausärztin, Frau Dr. B., in

fortlaufender ärztlicher Behandlung; Frau Dr. B. verschrieb der

Klägerin laufend diverse, insbesondere auch herzspezifische

Medikamente wie Isoket, Nitroglyzerin, Sulpirid, Nitroglyzerin

sublingual, ferner Mevinacor, Lanitop, Ibuprofen, Assantin u.a.,

welche die Klägerin auch regelmäßig einnahm.

Im Jahre 1991 plante die Klägerin einen Besuch bei ihrer in den

USA lebenden Tochter.

Ausweislich der Behandlungsunterlagen der Ärztin Dr. B. suchte

die Klägerin diese im Juni/Juli 1991 mehrfach, zuletzt am

31.07.1991, auf und berichtete ihr unter anderem von der

vorgesehenen USA-Reise, was Dr. B. auch in den

Behandlungsunterlagen vermerkte und der Klägerin sämtliche auch

zuvor schon verordneten Medikamente erneut rezeptierte. Nach

Vortrag der Klägerin äußerte die Ärztin keine Bedenken gegen die

geplante Reise.

Am 02.08.1991 schloß die Klägerin unter der Versicherungsnummer

7968223 bei der Beklagten eine Reisekrankenversicherung für die

Dauer von vier Monaten ab. Dem Versicherungsvertrag lagen die

Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die

Reisekrankenversicherung, Tarif ARV 2, zugrunde. Diese beinhalten

unter anderem folgende Bestimmungen:

§ 1

Der Versicherer bietet

Versicherungsschutz für im Ausland unvorhergesehen eintretende

Krankheiten ... . Er gewährt im Versicherungsfall Ersatz von

Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte

Leistungen.

Versicherungsfall ist die medizinisch

notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit

oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der

Heilbehandlung, er endet, wenn nach medizinischem Befund

Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Als Versicherungsfall

gilt auch ein aufgrund der vorgenannten medizinisch notwendigen

Heilbehandlung erforderlicher Krankenrücktransport ins Inland.

§ 3

... für Versicherungsfälle, die vor

Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, wird nicht

geleistet.

§ 6

Eine Leistungspflicht des Versicherers

besteht nicht:

1.

für die bei Versicherungsbeginn

bestehenden und bekannten chronischen Krankheiten und Folgen, auch

wenn sie nicht behandelt wurden, sowie für die in den letzten drei

Monaten vor Versicherungsbeginn behandelten Krankheiten

einschließlich ihrer Folgen, es sei denn, daß es sich um

unvorhergesehene ärztliche Hilfe zur Abwendung einer akuten

Lebensgefahr oder um gezielte Maßnahmen zur ausschließlichen

Beseitigung akuter Schmerzen handelt.

Am 12.08.1991 reiste die Klägerin in die USA. In der Nacht vom

17. auf den 18.08.1991 traten bei ihr Herzbeschwerden auf,

deretwegen sie am 18.08.1991 in das S.J., Medical

Center/Kalifornien eingeliefert wurde. Wegen der Einzelheiten der

dort durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen

wird auf die in den Akten befindlichen Behandlungsunterlagen dieses

Krankenhauses Bezug genommen. Am 21.08.1991 wurde bei der Klägerin

eine vierfache Bypassoperation durchgeführt. Nach sechstägiger

stationärer Behandlung wurde die Klägerin entlassen.

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits macht die Klägerin

Erstattung der ihr anläßlich dieser Behandlung entstandenen Kosten

geltend.

Sie hat vorgetragen, sie habe vor ihrer Reise ihre behandelnde

Ärztin konsultiert und auf entsprechende Frage hin von dieser die

Auskunft erhalten, aus medizinischen Gründen bestünden gegen eine

Flugreise in die USA keine Bedenken. Dieser Auskunft der Ärztin

habe sie vertraut und auch vertrauen dürfen, weil der letzte

Anginapectoris-Anfall zu diesem Zeitpunkt schon etliche Monate

zurückgelegen habe und Herzbeschwerden in den letzten neun Monaten

vor der Abreise nicht mehr aufgetreten seien. Sie habe lediglich

bei Bedarf mitunter ihre Medikamente eingenommen, dies jedoch nicht

regelmäßig. Die Bypassoperation sei zwingend erforderlich gewesen,

um sie am Leben zu erhalten. Ohne diese Operation wäre sie mit

einiger Sicherheit verstorben. Eine ausschließlich medikamentöse

Behandlungsmaßnahme wäre nicht ausreichend gewesen, um dem

gravierenden ischämischen Insult angemessen Rechnung zu tragen.

Selbst wenn sich nach dem 19.08.1991 die EKG-Werte verbessert haben

sollten, so sei diese Besserung nur der Nitroglyzerininfusion,

verbunden mit der Heparinbehandlung, zuzuschreiben gewesen, die

jedoch nicht auf Dauer hätte durchgeführt werden können und

insbesondere keine ausreichende gesundheitliche Sicherung für die

noch durchzuführende Rückreise nach Deutschland geboten hätte.

Tatsächlich sei dem schweren Herzanfall und der damit verbundenen

Lebensgefahr nur durch die Bypassoperation zu begegnen gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

96.811,11 $-Dollar nebst 4 % Zinsen seit dem 21.05.1992 zu

zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die im S.J. Medical Center

behandelte Erkrankung sei nicht unvorhergesehen gewesen. Vielmehr

sei angesichts ihrer chronischen Herzerkrankung, die ständige

ärztliche Óberwachung und regelmäßige Medikamenteneinnahme

erforderlich gemacht habe, mit einem Herzanfall in den USA

jederzeit zu rechnen gewesen, und auch die Klägerin habe hiermit

gerechnet bzw. einen solchen jedenfalls für möglich gehalten.

Eigentlicher Versicherungsfall, dem die Behandlung in den USA

gedient habe, sei deshalb auch bereits die vor dieser Reise

bestehende chronische Herzerkrankung gewesen, weshalb ausweislich

der Versicherungsbedingungen für diese Vorerkrankung nicht

einzustehen sei. Ein akuter Anlaß für die Durchführung der

Bypassoperation in den USA habe nicht bestanden. Einem dort

eventuell aufgetretenen Herzanfall habe man ohne weiteres durch

eine medikamentöse Behandlung, wie die Klägerin sie auch anläßlich

ihrer diversen Anginapectoris-Anfälle in Deutschland erfahren

habe, begegnen können.

Das Landgericht hat eine schriftliche Zeugenaussage der Ärztin

Dr. B. eingeholt sowie ferner ein Sachverständigengutachten des

Sachverständigen Dr. Ba..

Durch Urteil vom 14.05.1997, auf das wegen aller Einzelheiten

Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage im überwiegenden

Umfange stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt,

der Herzanfall in den USA sei unvorhergesehen gewesen, weil die

Klägerin in den Monaten vor Reiseantritt keine entsprechenden

Beschwerden gehabt und sich auch auf die Auskunft ihrer Ärztin habe

verlassen dürfen, wonach die Reise problemlos möglich sei. Der

Herzanfall in den USA habe einen eigenen, eine Behandlung

erforderlich machenden Krankheitswert gehabt. Die Bypassoperation

sei auch zur Beseitigung einer akuten Lebensgefahr für die Klägerin

unumgänglich notwendig gewesen.

Gegen dieses am 03.06.1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte

am 02.07.1997 Berufung eingelegt und diese am 29.09.1997, nach

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.09.1997,

begründet.

Die Beklagte greift das landgerichtliche Urteil mit dem Ziel der

umfassenden Klageabweisung an. Sie wiederholt und vertieft ihr

erstinstanzliches Vorbringen und trägt unter eingehender Bezugnahme

auf das erstinstanzliche Gutachten und die vorliegenden

Behandlungsunterlagen vor, bei der Akuterkrankung in den USA habe

es sich zum einen nicht um eine unvorhergesehene Erkrankung

gehandelt, weil die Klägerin nach ihrer Krankheitsvorgeschichte,

insbesondere nach den geradezu regelmäßig einmal wöchentlich

wiederkehrenden Anginapectoris-Anfällen mit einer Entwicklung wie

der in den USA eingetretenen gerechnet habe.

Außerdem sei die Durchführung der Bypassoperation jedenfalls

nicht notwendig gewesen, um die akute, in den USA aufgetretene

Erkrankung sachgerecht zu behandeln. Ebensogut hätte eine

medikamentöse oder eine Dilatationsbehandlung durchgeführt werden

können, in welchem Fall wesentlich geringere Kosten angefallen

wären. Die pathologischen Veränderungen des EKG's seien nur für den

18. und 19.08. nachgewiesen, danach nicht mehr; es sei mithin eine

Besserung eingetreten mit der Folge, daß die akute Lebensgefahr

nicht mehr bestanden habe. Die nachfolgende weitere Behandlung,

also die Bypassoperation, habe somit der bei der Klägerin

vorliegenden chronischen Herzerkrankung und damit der Abwendung

zukünftig möglicher neuer akuter Lebensgefahr gedient, aber nicht

mehr der Abwendung einer momentan akuten Lebensgefahr. Es greife

also der Leistungsausschluß gemäß § 6 Ziff. 1 AVR durch. § 6 Ziff.

1 sei als Ausnahmeregelung eng auszulegen und erfasse folglich

keine Behandlungsmaßnahmen, die nicht mehr der unmittelbaren

Behandlung der akuten Lebensgefahr dienten.

Die Beklagte beantragt,

unter teilweiser Abänderung des

angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzlichen Schlußanträgen

zu erkennen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten

zurückzuweisen,

hilfsweise ihr Vollstreckungsnachlaß -

auch in Form der selbstschuldnerischen Bürgschaft eines als Zoll-

und/oder Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts - zu

gewähren.

Auch sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches

Vorbringen und macht unter Bezugnahme auf die gesamten

Behandlungsunterlagen sowie das erstinstanzliche

Sachverständigengutachten geltend, sie habe in keiner Weise mit dem

Eintritt einer akuten Infarktsituation gerechnet noch auch rechnen

müssen, weil akute Anfälle in den Monaten vor Reiseantritt nicht

aufgetreten seien und auch ihre behandelnde Ärztin keine Bedenken

gegen die Reise geäußert habe. Das akute Ereignis vom 18.08.1991

sei als Vorderwandischämie lebensbedrohlich gewesen und habe

umgehend ärztlich behandelt werden müssen. Angesichts der

unverzüglich eingeleiteten Nitroglyzerintropfinfusion sei zwar eine

vorübergehende Besserung erzielt worden; diese Infusionsbehandlung

wäre aber auf Dauer gar nicht beizubehalten gewesen und habe

lediglich sichergestellt, daß die der Behebung des akuten

lebensbedrohenden Zustandes dienende Bypassoperation ausreichend

vorbereitet werden konnte. Ein Óberleben ohne dauernde

Nitroglyzerindauertropfinfusion sei nicht gewährleistet gewesen,

diese mithin von vornherein nicht als Lösung für die Behebung der

akuten Lebensbedrohung geeignet und gedacht gewesen. Auch sonstige

Behandlungsmaßnahmen hätten sich angesichts der akut

lebensbedrohlichen Situation verboten; einzig in Betracht zu

ziehende Behandlungsmaßnahme sei die Bypassoperation gewesen, die

dann in der Tat auch der Klägerin eine Rückreise nach Deutschland

ermöglicht habe.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die beiderseitigen

Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Bezug genommen wird

insbesondere auch auf die gesamten dem Gericht vorliegenden

Behandlungsunterlagen, die von den Parteien kontrovers gewürdigt

worden sind und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, hat in der Sache

jedoch keinen Erfolg, da das Landgericht im zuerkannten Umfang der

Klage zu Recht stattgegeben hat. Die Beklagte ist aufgrund des mit

der Klägerin geschlossenen Reisekrankenversicherungsvertrages

leistungspflichtig hinsichtlich der Kosten, die der Klägerin aus

der operativen und stationären Behandlung im S.J. Medical Center in

den USA entstanden sind und deren Höhe im zuerkannten Umfang

unstreitig ist.

Die Klägerin genießt Versicherungsschutz nach Maßgabe der für

die Reisekrankenversicherung geltenden AVB, deren Regelungsgehalt

nach objektiven Maßstäben zu beurteilen ist, wobei es

ausschlaggebend darauf ankommt, wie ein durchschnittlicher,

aufmerksamer und um sachgerechtes Verständnis bemühter

Versicherungsnehmer sie verstehen darf bzw. verstehen muß (siehe

BGH VersR 94/550).

Ausweislich der diagnostischen Angaben des im S.J. Medical

Center die Klägerin behandelnden Arztes kam es bei ihr am

18.08.1991 zu einem akuten, subendokardialen Myo-

cardinfarkt der anterolateralen Wand.

Auch der erstinstanzliche Sachverständige Dr. Ba. hat unter

eingehender Auswertung der gesamten vorliegenden

Behandlungsunterlagen die am 18.08.1991 bei der Klägerin anläßlich

akuter Beschwerden erhobenen Befunde und insbesondere die

Ergebnisse der am 19.08.1991 durchgeführten

Herzkatheteruntersuchung im Sinne eines akuten subendokardialen

Myocardinfarktes gewertet mit dem gleichzeitigen Vorbehalt, daß es

sich auch noch um eine Ischämiereaktion gehandelt haben kann, die

sich hinsichtlich Diagnostik und Therapie allerdings nicht von

einem Infarkt unterscheide.

Diese Akuterkrankung war unvorhergesehen eingetreten im Sinne

von § 1 Ziff. 1 der AVB.

"Unvorhergesehen eingetreten" ist eine Akuterkrankung dann, wenn

der Versicherungsnehmer ihren Eintritt nicht vorhergesehen hat und

ihn ohne Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit - dies in Anwendung des

Rechtsgedanken des § 61 VVG - auch nicht vorhersehen konnte.

Die demzufolge zugrundezulegende subjektive Sicht des

Versicherungsnehmers bei der Beurteilung des Kriteriums des

unvorhergesehenen Eintritts entspricht zum einen bereits dem

Wortlaut und damit nach allgemeinem Sprachverständnis auch dem

Wortsinn der Fassung des § 1.1 AVB, denn "unvorhergesehen

eingetreten" ist in erster Linie das, was der davon Betroffene

nicht vorhergesehen hat.

Eine dahingehende Interpretation entspricht darüberhinaus auch

dem Sinn der Bestimmung. Dem Versicherungsnehmer soll während einer

Reise Versicherungsschutz für ihn unerwartet treffende

Akuterkrankungen geboten werden. Andererseits soll verhindert

werden, daß sich ein Versicherungsnehmer zum Zweck der Behandlung

eines von ihm erwarteten Krankheitsereignisses (zum Beispiel als

Folge einer chronischen Erkrankung) gezielt auf eine Reise begibt

und umfassenden Versicherungsschutz hierfür auf der Grundlage der

extrem kostengünstigen Reisekrankenversicherung erhält.

Auch der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom

02.03.1994 (VersR 94/550 f) auf die subjektive Sicht der Person des

Versicherungsnehmers abgestellt, obwohl in dem dort zu

entscheidenden Fall zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen auf

Versicherungsschutz für im Ausland "unvorhersehbar" eintretende

Erkrankungen abgestellt war, was - wie auch der Bundesgerichtshof

ausdrücklich angemerkt hat - nach dem Wortsinn allein auch ein

Verständnis dahingehend erlaubt hätte, die Notwendigkeit der

Heilbehandlung während der Reise habe objektiv unvorhersehbar

gewesen sein müssen. Wenn gleichwohl der Bundesgerichtshof selbst

bei der eine objektive und subjektive Schau erlaubenden Klausel

"vorhersehbar" auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers

abgestellt hat, so muß dies nach Ansicht des Senats erst recht

gelten bei der Wortfassung "unvorgesehen", die schon nach

allgemeinem Sprachverständnis nur im Sinne eines subjektiven

Verständnisses des Betroffenen gewertet werden kann.

Vor diesem Hintergrund war das Akutereignis in den USA für die

Klägerin unvorhergesehen aufgetreten. Dabei verkennt der Senat

nicht, daß die Klägerin in den voraufgegangenen Jahren bereits zwei

Herzinfarktereignisse erlitten hatte und bei ihr wiederholt

Anginapectoris-Anfälle aufgetreten waren, deretwegen sie in

ständiger ärztlicher Behandlung stand und eine Vielzahl von -

vorwiegend herzspezifischen - Medikamenten regelmäßig einnahm, wie

sich aus der Behandlungskarte ihrer Hausärztin, der Zeugin Dr. B.,

eindeutig ergibt.

Gleichwohl bejaht der Senat den unvorhergesehenen Eintritt des

Infarktereignisses in den USA, weil der letzte Infarkt immerhin

vier Jahre zurücklag und insbesondere in den letzten acht bis zehn

Monaten vor Reiseantritt auch keine Anginapectoris-Anfälle

aufgetreten waren. Der letzte derartige Anfall ereignete sich

ausweislich der Behandlungsunterlagen der Ärztin Dr. B. Ende des

Vorjahres, wohingegen nach dem - nicht widerlegten - Vortrag der

Klägerin im Jahr 1991 keine nennenswerten Anginapectoris-Anfälle

aufgetreten waren. Hiergegen spricht nicht zwingend der Umstand,

daß die Klägerin ausweislich der Unterlagen ihrer Hausärztin nahezu

fortlaufend - auch 1991 - kardiale Medikamente wie Isoket,

Nitroglyzerin verschrieben bekommen hat und diese auch eingenommen

haben wird. Das kann zwanglos damit erklärt werden, daß diese

Mittel der allgemeinen Stabilisierung der kardialen Situation der

Klägerin dienten und Anginapectoris-Anfällen vorzubeugen bestimmt

waren. Soweit die Klägerin angesichts des längeren mehrmonatigen

Intervalls ohne Anginapectoris-Zwischenfälle davon ausging, daß

solche - gegebenenfalls unter gezielter Medikation - auch bei ihrer

Reise in die USA nicht auftreten würden, durfte sie sich in dieser

Annahme zusätzlich bestätigt sehen durch die ihr seitens ihrer

Ärztin auf ausdrückliche Nachfrage erteilte Auskunft, die Reise

bedeute kein zusätzliches gesundheitliches Risiko.

Die Zeugin Dr. B. hat in ihrer schriftlichen Aussage vor dem

Landgericht bekundet, sie habe vor dem 12.08.1991 mit der Klägerin

die geplante USA-Reise erörtert und dabei auch besprochen, daß von

Seiten des Herzens kein erhöhtes Risiko bestehe, da seit Mitte

Oktober 1990 eine relativ gute Stabilität des Gesundheitszustandes

von Seiten des Herz-Kreislaufsystems zu verzeichnen gewesen sei.

Weitergehende Kenntnisse als von einer Medizinerin waren von der

Klägerin als medizinischem Laien nicht zu verlangen, und es ist ihr

demzufolge auch nicht anzulasten, daß sie sich auf die Auskunft der

Ärztin verlassen und ein kardiales Akutereignis als nicht in

Betracht zu ziehendes Risiko gewertet hat.

Letztlich spricht auch eine lebensnahe Betrachtungsweise gegen

die Annahme, die Klägerin habe das Akutereignis in den USA

vorhergesehen oder - subjektiv - ohne grobe Fahrlässigkeit

vorhersehen können. Es spricht nämlich nichts dafür, daß eine zum

Reisezeitpunkt 79-Jährige sich in der einigermaßen sicheren

Erwartung eines akuten kardialen Ereignisses mit unter Umständen

sogar tödlichem Ausgang auf eine längere Flugreise begeben würde,

um dort eventuell eine Bypassoperation durchführen zu lassen. Ein

solches "Spiel mit dem Tod" wäre derart ungewöhnlich, daß es nur

bei besonderen spezifischen dahingehenden Anhaltspunkten angenommen

werden könnte.

Für die im Ausland unvorhergesehen eintretenden Krankheiten

gewährt der Versicherer im Versicherungsfall Ersatz von

Aufwendungen für Heilbehandlungen pp. Dabei ist Versicherungsfall

gemäß § 1 Ziff. 2 der AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung

einer versicherten Person wegen Krankheit. Hierbei ist - wie der

Senat in Óbereinstimmung insbesondere auch mit der

höchstrichterlichen Rechtsprechung immer wieder festgestellt hat -

bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit auf eine

exante-Sicht der behandelnden Ärzte, also auf deren

Beurteilungsmöglichkeiten zum Behandlungszeitpunkt, abzustellen,

folglich zu prüfen, ob es vertretbar war, die durchgeführten

diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen für medizinisch

erforderlich zu erachten.

Der erstinstanzliche Sachverständige Dr. Ba. hat dies - sowohl

bezogen auf die initial durchgeführten Nitroglyzerin- und

Heparininfusionen als auch bezogen auf die Bypassoperation

uneingeschränkt bejaht, wobei darauf hinzuweisen ist, daß der

Patient - von dem Ausnahmefall einer Luxusbehandlung abgesehen -

nicht gehalten ist, sich auf die kostengünstigste oder eine nur

vorläufig wirksame Behandlungsmethode zu beschränken, worauf

nachfolgend noch näher einzugehen sein wird.

Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt die Ausschlußklausel

des § 6 vorliegend nicht zum Tragen.

Zwar besteht gemäß § 6 Ziff. 1 AVB eine Leistungspflicht nicht

für die bei Versicherungsbeginn bestehenden und bekannten

chronischen Erkrankungen und deren Folgen (die bei der Klägerin

langjährig vorbestehende Herzerkrankung ist sicherlich hierzu zu

zählen), es sei denn, daß es sich um unvorhergesehene ärztliche

Hilfe zur Abwendung einer akuten Lebensgefahr handelt.

Daß das Akutereignis vom 18./19.08.1991 und damit auch die

seiner Behandlung dienende ärztliche Hilfe unvorhergesehen war im

Sinne der AVB, wurde bereits dargetan.

Die bei der Klägerin durchgeführten therapeutischen Maßnahmen

einschließlich der Bypassoperation erfolgten auch zur Abwendung

einer akuten Lebensgefahr.

Dies ergibt sich unzweifelhaft aus den gesamten

Behandlungsunterlagen der die Klägerin in den USA behandelnden

Ärzte und insbesondere auch aus dem diese Unterlagen überaus

sorgfältig auswertenden, analysierenden und würdigenden Gutachten

des erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. Ba.. Dieser hat

nachvollziehbar und überzeugend darauf hingewiesen, daß die

aufgezeichnete Herzrhythmus-EKG-Analyse am 18.08.1991 gegen 16.00

Uhr eine pathologische ST-Streckensenkung dokumentiert habe und

eine weitere pathologische Änderung der ST-Strecke am 19.08.1991 um

20.26 Uhr. Korrelierend hierzu sei eine EKG-Aufzeichnung vom

19.08.1991, 22.25 Uhr. Diese Aufzeichnung zeige eindeutig eine

pathologische ST-Streckenhebung, die auch zu den Aufzeichnungen vom

gleichen Tage um 20.00 Uhr korreliere.

Vor diesem Hintergrund ist es ohne weiteres überzeugend, wenn

der Sachverständige weiter ausgeführt hat, diese beiden

EKG-Registrierungen und zusätzlich die eindeutige pathologische

Komplett-EKG-Registrierung vom 19.08.1991, 22.30 Uhr seien

eindeutige Beweise dafür, daß es sich bei der Klägerin um einen

sehr instabilen kardialen Zustand gehandelt habe und man hier von

immer wieder auftretenden Ischämiereaktionen habe ausgehen

müssen.

Daß eine abschließende Differenzierung, ob es sich bei der

Klägerin schon um ein Infarktereignis oder "nur" um eine

Ischämiereaktion gehandelt hat, für die Entscheidung der Frage, ob

die ärztlichen Maßnahmen zur Abwendung einer akuten Lebensgefahr

erfolgt sind, nicht relevant und damit nicht erforderlich ist,

ergibt sich aus dem Umstand, daß der Sachverständige überzeugend

dargelegt hat, Ischämiereaktionen und Infarkt gingen ineinander

über, dies jedenfalls im Falle der Klägerin. Bei Ischämiezeichen

über eine Dauer von mehreren Stunden handele es sich um einen

komplett ausgebildeten Infarkt, bei welchem eine Narbe entstehe.

Bei einem kürzeren Ereignis spreche man von einer Ischämie, die

auch gewisse Rückbildungstendenzen zeige. Für eine akute Situation

wie die der Klägerin sei dies aber unerheblich. Die Klägerin habe

eindeutig Ischämiereaktionen gehabt, und es sei zu befürchten

gewesen, daß dieses passager schlecht durchblutete Areal, das man

im EKG erkennen könne, endgültig ausfallen werde; deshalb sei eine

akute Situation gegeben gewesen, die begründeten Anlaß gegeben

habe, eine Koronarrevaskularisation durchzuführen.

Eine akut lebensbedrohliche Situation war damit für die Klägerin

nach dem Akutereignis vom 18./19.08.1991 gegeben. Diese war

entgegen der Ansicht der Beklagten nicht etwa schon durch die

unverzüglich noch am 18.08. eingeleitete, der Erweiterung der

Herzkranzgefäße bzw. der Verhinderung von Thrombosen dienende

Notroglyzerin- und Heparininfusionen behoben, denn ausweislich der

Ergebnisse der am 19.08. durchgeführten Herzkatheteruntersuchung

waren auch am 19.08. am späten Abend noch Okklusionen einer

linksanteriordescendierenden Arterie mit langsamer

Koltateralfüllung einer kleinen linksanterioren descendierenden

Arterie um die Spitze verlaufend gegeben. Nach den Ausführungen des

Sachverständigen Dr. Ba. lag zu diesem Zeitpunkt eine 95%ige

proximale Diagonalaststenose vor mit einer 80%igen stumpfen

Marginalstenose und einer 90%igen Stenose des links

posteriordescendierenden Astes der Circumflexa. Die rechte

Koronaraterie war klein mit einer 80%igen Stenose in der Mitte. Das

Ventrikulogramm links zeigte eine Akinesie der inferioren apikalen

Wand und eine mäßige schwere Hypokinesie der anterioren apikalen

Wand. Von einer Beendigung der lebensbedrohlichen Situation am

19.08. und auch am 21.08., also vor der Bypassoperation, kann

mithin nicht die Rede sein, denn nach dem ausdrücklichen Hinweis

des Sachverständigen Dr. Ba. zeigte die Komplett-EKG-Registrierung

vom 19.08., 22.00 Uhr eindeutige Zeichen einer Vorderwandischämie.

Sein hieraus gezogener, bereits zitierter Schluß, daß es sich um

einen sehr instabilen kardialen Zustand gehandelt habe und daß man

von immer wieder auftretenden lebensbedrohlichen Ischämiereaktionen

habe ausgehen müssen, überzeugt demzufolge ebenso, wie seine

weiteren Darlegungen, wonach die Koronarangiographie und

insbesondere die Bypassoperation die besten und

erfolgversprechendsten Maßnahmen darstellten, um diese akute

Situation zu beseitigen, weil eine konservative Behandlung ja

bereits eingeleitet gewesen sei und es trotzdem zu den

EKG-Veränderungen gekommen sei mit der Folge, daß die konservative

Therapie auch erneut einige Tage später wieder auftretende

Ischämiereaktionen nicht hätte verhindern können. Auch eine

Aufdehnungsbehandlung hätte allenfalls eine vorübergehende

Stabilisierung bewirken können, wobei allerdings unter

Berücksichtigung des Alters der Patientin mit einem hohen

Rückfallrisiko bei dieser Therapiemaßnahme und einer damit noch

bedrohlicheren Situation hätte gerechnet werden müssen.

Auch auf dahingehende Vorhalte der Beklagten hat der

Sachverständige mit nachvollziehbarer, sachlich fundierter

Begründung daran festgehalten, die Klägerin habe eindeutig

Ischämiereaktionen gehabt, und es sei zu befürchten gewesen, daß

dieses passager schlecht durchblutete Areal, das sich im EKG habe

erfassen lassen, endgültig ausfallen werde; es habe deshalb eine

akute Situation vorgelegen, die Veranlassung gegeben habe, eine

Koronarrevaskularisation durchzuführen. Der Sachverständige hat

sich in diesem Zusammenhang eingehend mit den Alternativen

Bypassoperation oder Aufdehnungsbehandlung beschäftigt und erneut

darauf hingewiesen, daß er insbesondere angesichts des Alters der

Patientin und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Sicherheit

der beiden Maßnahmen die Entscheidung für eine Bypassoperation als

die richtigere ansehe. Dabei hat er zusätzlich darauf hingewiesen,

daß bei den Aufdehnungsbehandlungen in 30 % der Fälle mit Rückfall

und erneutem Verschluß zu rechnen sei.

Der Beklagten kann nicht in ihrer Ansicht gefolgt werden, es

hätte zur Abwendung der akuten Lebensgefahr ausgereicht, vermittels

der Nitroglyzerin- und Heparininfusionen den kardialen akuten

Zustand zu stabilisieren. Weitere ergänzende Maßnahmen hätten dann

nach der Rückkehr der Klägerin in Deutschland durchgeführt werden

können. Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ba. ist vielmehr

eindeutig zu entnehmen, daß die vorbenannte Initialbehandlung nur

der einleitenden Stabilisierung und Behebung der Akutsymptome

diente - durch die Erweiterung der Herzkranzgefäße wurden

insbesondere die Symptome Kurzatmigkeit und Thoraxschmerzen

gelindert - eine fundamentale Behebung der akut lebensbedrohlichen

Situation war damit aber noch keineswegs erreicht. Vielmehr

bedurfte es hierzu weiterer durchgreifender Maßnahmen, von denen

sich die Bypassoperation nach den Ausführungen des Sachverständigen

Dr. Ba. als die beste und erfolgversprechendste Maßnahme

darstellte, um diese akute Situation zu beseitigen, zumal es unter

der konservativen Behandlung, die bereits eingeleitet worden war,

immer noch zu den EKG-Veränderungen kam und die konservative

Therapie erneut auch einige Tage später wieder auftretende

Ischämiereaktionen nicht hätte verhindern können. In diesem

Zusammenhang hat der Sachverständige, wie bereits erwähnt, auch

ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Aufdehnungsbehandlung

möglicherweise eine vorübergehende Stabilisierung hätte bewirken

können, daß aber angesichts des Alters der Patientin und des hohen

Rückfallrisikos dieser Therapiemaßnahme unter Umständen auch eine

noch bedrohlichere Situation hätte entstehen können.

Die Klägerin durfte sich als Patientin und Versicherungsnehmerin

für die zur Óberwindung der lebensbedrohlichen Situation

aussichtsreichste Behandlungsmethode entscheiden und war mangels

dahingehender ausdrücklicher Bestimmungen in den AVB nicht etwa

gehalten, sich für die unter Umständen kostengünstigste

Behandlungsalternative, als welche die ausschließlich medikamentöse

konservative Methode in Betracht zu ziehen gewesen wäre, zu

entscheiden.

Zwar sind - wie auch der Senat wiederholt entschieden hat - auch

im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit Adäquanzgesichtspunkte zu

berücksichtigen; diese kommen aber nur bei sogenannten

Luxusbehandlungen zum Tragen, bei denen derselbe therapeutische

Erfolg auch mit weitaus geringerem Kostenaufwand zu erzielen

gewesen wäre.

Eine dahingehende Situation bestand vorliegend nicht, vielmehr

war gerade die Bypassoperation die angesichts der gesamten

Situation der Klägerin vorrangig geeignete zur Abwendung der akuten

Lebensgefahr, wohingegen die anderen Behandlungsalternativen höhere

Risiken bei geringerer Erfolgsaussicht bargen.

Die Beklagte hat nach allem in dem vom Landgericht zuerkannten

Umfang für die Behandlungskosten der Klägerin aufzukommmen, so daß

ihre Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen

war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht

auf §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer der Beklagten:

164.278,77 DM.