OLG München, Beschluss vom 15.09.2010 - 33 Wx 60/10
Fundstelle
openJur 2011, 117933
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 2 T 54/10

Wird ein Betreuer neben einem Bevollmächtigten bestellt, weil dessen Vollmacht für bestimmte Rechtsgeschäfte nicht ausreicht, ist die Vergütung dieses „Ergänzungsbetreuers“ in entsprechender Anwendung des § 6 Satz 1 VBVG nach konkretem Zeitaufwand zu bemessen. Angesichts der Vergleichbarkeit zum Fall des § 1899 Abs. 4 BGB liegt eine planwidrige Regelungslücke vor. Das in der Vergütungsvorschrift erkennbare Ziel, zusätzlichen finanziellen Aufwand für den Zahlungspflichtigen ohne gleichwertige Betreuungsleistung zu vermeiden, rechtfertigt den Analogieschluss.

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Passau vom 25.5.2010 und der Beschluss des Amtsgerichts Freyung vom 01.04.2010 werden aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Freyung zuru?ckverwiesen.

Gründe

I.

Die inzwischen gestorbene Betreute hatte am 2.5.1999 ihrem Sohn A. M. und ersatzweise ihrer Schwiegertochter, der Beteiligten zu 3), eine Generalvollmacht erteilt, ohne sie jedoch ausdru?cklich von den Beschra?nkungen des § 181 BGB zu befreien. Das Amtsgericht setzte mit Beschluss vom 6.2.2006 den fru?heren Betreuer berufsma?ßig fu?r alle Angelegenheiten ein. Auf die Beschwerde des Sohnes der Betroffenen wurde im Wege der Abhilfe mit Beschluss vom 11.5.2006 die Betreuung auf die Aufgabenkreise der Geltendmachung der Rechte der Betroffenen aus einem Darlehensvertrag vom 21.12.1994 mit der Firma des Sohnes sowie die Geltendmachung der Rechte aus einer hierfu?r abgetretenen Briefgrundschuld an einem Grundstu?ck des Sohnes und daru?ber hinaus auf die Pru?fung und etwaige Geltendmachung von Anspru?chen aus dem Leibgeding der Betroffenen ebenfalls am Anwesen des Sohnes beschra?nkt.

Erbinnen der am 29.7.2009 gestorbenen Betroffenen wurden die Beteiligten zu 1) und 2), die Beteiligte zu 3) wurde Testamentsvollstreckerin.

Der fru?here Betreuer beantragte mit Schreiben vom 25.8.2009 die Festsetzung der Vergu?tung fu?r seine Betreuerta?tigkeit fu?r die Monate Mai 2008 bis einschließlich Juli 2009 in Ho?he von 1.650,-- € (mit einem monatlichen Stundenansatz von 2,5 Stunden und einem Stundensatz von 44,-- €). Mit Beschluss vom 1.4.2010 setzte das Amtsgericht die Vergu?tung fu?r den Zeitraum vom 11.5.2008 bis 29.7.2009 pauschaliert auf 1.571,93 € fest. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten, die wegen vo?lliger Unta?tigkeit des Betreuers im Abrechnungszeitraum jeglichen Vergu?tungsanspruch in Abrede stellte, wies das Landgericht mit Beschluss vom 25.5.2010 zuru?ck. Mit ihrer sofortigen weiteren Beschwerde vom 21.6.2010 verfolgten die Beteiligten ihr Beschwerdeziel mit der Begru?ndung weiter, statt einer pauschalierten Vergu?tungsfestsetzung habe analog § 1899 Abs. 4 BGB i. V. m. § 6, § 3 VBVG eine Abrechnung nach tatsa?chlich erbrachtem Zeitaufwand vorgenommen werden mu?ssen. Da der Betreuer im abgerechneten Zeitraum nicht ta?tig gewesen sei, stehe ihm auch kein Vergu?tungsanspruch zu.

II.

Die zula?ssige, insbesondere vom Landgericht zugelassene sofortige weitere Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Landgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwa?gungen gestu?tzt:

Das Amtsgericht habe die Vergu?tung zu Recht pauschaliert gema?ß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG mit einem Stundensatz von 44,-- € und gema?ß § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VBVG einem Stundenansatz von 2,5 Stunden fu?r eine vermo?gende, in einem Heim lebende Betroffene angesetzt. Die juristischen Fachkenntnisse des als Betreuer bestellten Rechtsanwalts seien aufgrund der konkreten Aufgabenstellung der Betreuung fu?r deren Fu?hrung nutzbar gewesen. Eine Erga?nzungsbetreuung im Sinne des § 1899 Abs. 4 BGB, die zu einer Vergu?tung nach dem tatsa?chlichen Aufwand gema?ß § 6 Satz 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 VBVG fu?hren wu?rde, liege hier nicht vor, da die Vorschrift voraussetze, dass das Gericht mehrere Betreuer in der Weise bestelle, dass der eine die Angelegenheiten des Betreuers nur zu besorgen ha?tte, soweit der andere verhindert ist. Hier sei der fru?here Betreuer jedoch nicht erga?nzend zu einer bereits bestehenden oder zugleich angeordneten Betreuung bestellt worden, vielmehr habe eine Vorsorgevollmacht vorgelegen, von der aus rechtlichen Gru?nden zum Teil nicht habe Gebrauch gemacht werden ko?nnen. Die vorliegende Konstellation sei der des § 1899 Abs. 4 BGB zwar durchaus a?hnlich, dennoch scheide eine direkte Anwendung der §§ 6, 3 VBVG i. V. m. § 1899 Abs. 4 BGB wegen des klaren Wortlauts der Vorschrift aus.

Eine analoge Anwendung komme ebenfalls nicht in Betracht, da es an einer planwidrigen Regelungslu?cke fehle. In der Begru?ndung zum Entwurf des Bundesrats zu § 1908 m BGB-E werde ausgefu?hrt: „Um den mit der Pauschalierung verfolgten Zweck der Vereinfachung und Streitvermeidung nicht zu vereiteln, mu?ssen Ausnahmen von dem vorgeschlagenen Pauschalierungsmodell so weit wie mo?glich begrenzt werden (vgl. BT-DRS.15/2494, Seite 34 f.).“ Auch habe der Gesetzgeber vielerorts Regelungen, die fu?r Betreuer gelten, ausdru?cklich auch im Rahmen von Vorsorgebevollma?chtigungen fu?r entsprechend anwendbar erkla?rt, so z. B. § 1901a Abs. 5, § 1901b Abs. 3, § 1904 Abs. 5, § 1906 Abs. 5 BGB. Es erscheine daher ausgeschlossen, dass ausgerechnet im Rahmen des § 6 VBVG die Konstellation, dass ein Betreuer erga?nzend fu?r den verhinderten Vorsorgebevollma?chtigten bestellt wird, vom Gesetzgeber planwidrig vergessen worden sei.

2. Diese Ausfu?hrungen halten rechtlicher U?berpru?fung nicht stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

a) Die Instanzgerichte haben der Ermittlung der Vergu?tung des Berufsbetreuers fehlerhaft die Pauschalvergu?tung der §§ 4, 5 VBVG zugrunde gelegt. Die Sonderregelung des § 6 VBVG, der unter anderem fu?r Erga?nzungsbetreuer auf die Abrechnungsvorschrift nach Zeitaufwand fu?r Berufsvormu?nder gema?ß § 3 VBVG verweist, ist hier jedoch entsprechend anwendbar.

aa) Zweifellos und von den Beteiligten nicht bestritten liegen bei der inzwischen gestorbenen Betroffenen die medizinischen Voraussetzungen fu?r die Bestellung eines Betreuers gema?ß § 1896 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 a BGB vor. Grundsa?tzlich war jedoch eine Betreuung nicht erforderlich, soweit die von der Betroffenen im Jahr 1999 erteilte Bevollma?chtigung reichte (§ 1896 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 1. Alt. BGB).

Hat der Betroffene eine wirksame Vollmacht errichtet, bleibt fu?r eine Betreuung nur Raum, soweit es der U?berwachung des Bevollma?chtigten bedarf oder soweit die Vollmacht bestimmte Aufgabenkreise nicht mit umfasst.

Trotz Erteilung einer Generalvollmacht konnte hier der Bevollma?chtigte mangels notarieller Beurkundung der Vollmacht keine Grundstu?cksgescha?fte und mangels wirksamen Ausschlusses des Mehrvertretungsverbotes gema?ß § 181 BGB keine Rechtsgescha?fte vornehmen, an denen er selbst beteiligt war. Entsprechend hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.5.2006 die Betreuung auf letzteren Aufgabenkreis beschra?nkt, der drei Rechtsgescha?fte betraf.

bb) Diese Konstellation ist, worauf das Landgericht zutreffend hinweist, dem in § 1899 Abs. 4 BGB i. V. m. § 6 VBVG geregelten Sachverhalt vergleichbar, wonach ein Betreuer gerade fu?r den Fall bestellt wird, dass eine notwendige, anderweitige rechtliche Vertretung aus tatsa?chlichen oder rechtlichen Gru?nden ausscheidet. Zwar betrifft § 6 VBVG unmittelbar nur die Bestellung eines Erga?nzungs- neben einem bereits eingesetzten Hauptbetreuer. Die Interessenlage des (vermo?genden) Betroffenen bzw. der fu?r nicht vermo?gende Betroffene einspringenden Staatskasse ist jedoch dieselbe unabha?ngig davon, ob die rechtliche Vertretung des Betroffenen im Regelfall von einem (anderen) Betreuer oder einem Bevollma?chtigten wahrgenommen wird. Es soll jeweils ein zusa?tzlicher finanzieller Aufwand vermieden werden, dem keine gleichwertige Leistung gegenu?bersteht.

b) Der grundsa?tzlich zutreffende allgemeine Einwand, das VBVG wolle aus Vereinfachungsgru?nden weitestgehend die Pauschalierungsvorschriften zur Anwendung bringen und Ausnahmen eng begrenzen, steht hier nach Auffassung des Senats der Annahme einer planwidrigen Regelungslu?cke durch den Gesetzgeber des Vergu?tungsrechts nicht entgegen. Fu?r die hier gegebene Sach- und Interessenlage hat der Gesetzgeber in § 6 VBVG selbst eine Ausnahme von den Pauschalierungsregelungen geschaffen. Anders als die Instanzgerichte ha?lt es der Senat nicht fu?r schlechthin ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die § 6 VBVG vergleichbare Konstellation des Zusammentreffens eines Bevollma?chtigten mit einem Erga?nzungsbetreuer u?bersehen hat.

Das Argument, im materiellen Recht werde immer wieder die Heranziehung von Betreuervorschriften auf Bevollma?chtigte angeordnet, greift nach Ansicht des Senats zu kurz. Da es sich um Eingriffsbefugnisse der jeweiligen Vertreter in grundrechtsrelevante Positionen des Betroffenen handelt, dra?ngte sich die Notwendigkeit einer entsprechenden Normierung geradezu auf.

Das gilt nicht im gleichen Maße fu?r die Vergu?tung in der hier gegebenen Konstellation. Die Vergu?tung der Bevollma?chtigten regelt das Gesetz fu?r die eine Betreuung vermeidende Vollmacht u?berhaupt nicht besonders. Daher erscheint es durchaus naheliegend, dass die hier gegebene besondere Situation im Gesetzgebungsverfahren nicht mit bedacht wurde.

c) Zur U?berpru?fung, ob der Betreuer nach diesen Vorschriften und in welcher Ho?he eine Vergu?tung verlangen kann, weist der Senat unter Aufhebung der Beschlu?sse des Landgerichts und des Amtsgerichts die Angelegenheit an das Amtsgericht zuru?ck.