BVerfG, Beschluss vom 22.02.1960 - 2 BvR 36/60
Gründe

I.

Der Beschwerdeführer war seit 1927 als Amtsgerichtsrat im Gebiete der Freien und Hansestadt Hamburg tätig. Im Sommer 1945 wurde er erneut als Richter vereidigt. Durch Verfügung des Präsidenten des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg vom 24. Juni 1947 wurde er zum 1. Oktober 1947 in den Ruhestand versetzt. Seinem Antrag auf Wiedereinstellung vom 8. Oktober 1948 wurde nicht stattgegeben. Die gegen diese Maßnahmen erhobene verwaltungsgerichtliche Klage hatte ebensowenig Erfolg <Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 12. März 1951> wie eine Klage auf Zahlung der Differenz zwischen seinem Ruhegehalt und den vollen Dienstbezügen vor den ordentlichen Gerichten <Urteile des Landgerichts Hamburg und des Hanseatischen Oberlandesgerichts>; der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wies die Revision des Beschwerdeführers durch Urteil vom 26. September 1955 zurück.

Der Beschwerdeführer beantragte am 15. Januar 1958 beim Bundesgerichtshof gemäß § 6 des Gerichtskostengesetzes <GKG> in der Fassung der Bekanntmachung von 1927 die "Niederschlagung der Gerichtskosten und Auslagen wegen unrichtiger Sachbehandlung" und führte aus: "Der Kläger kann das Urteil vom 26. 9. 1955 ... nur als ein politisches betrachten und lehnt alle fünf Richter wegen politischer Betätigung ab." Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wies diesen Antrag durch Beschluß vom 24. Februar 1958 als unbegründet zurück. Über das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers wurde nicht ausdrücklich entschieden. An dem Beschluß vom 24. Februar 1958 haben auch die Bundesrichter Dr. Wolany und Dr. Beyer mitgewirkt, die das Urteil vom 26. September 1955 mitbeschlossen hatten.

Gegen diesen Beschluß hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11. März 1958, das am 18. März 1958 beim Bundesverfassungsgericht eingegangen ist, Verfassungsbeschwerde eingelegt. Er rügt Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG durch die Mitwirkung ausgeschlossener und abgelehnter Richter bei dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958.

Der Beschwerdeführer hält im übrigen alle Urteile des vorausgegangenen verwaltungsgerichtlichen und zivilgerichtlichen Verfahrens für inhaltlich unrichtig und nichtig. Er rügt auch in bezug auf diese Urteile die Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und darüber hinaus die Verletzung von Art. 2 und 20 GG durch das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts sowie Verstöße gegen die Art. 2, 25, 34, 100, 125, 126 GG durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. September 1955. Die Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1947 verletze Art. 3 GG.

Der Beschwerdeführer lehnt alle Richter des Bundesverfassungsgerichts ab, "die Mitglieder einer marxistischen Organisation sind und zwar jeden Grades, seien sie Kommunisten, Titoisten oder anderer Grade, einschließlich der SPD". Er verlangt die Übersendung von Abschriften der dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter, um zu ihnen Stellung nehmen zu können.

II.

1. Der Richter Dr. Geiger ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, da er an dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958 mitgewirkt hat <§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG>.

2. Die Ablehnung der vom Beschwerdeführer nicht namentlich genannten Richter des Bundesverfassungsgerichts ist unzulässig. Die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei kann für sich allein niemals die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen und darf nicht als Ablehnungsgrund geltend gemacht werden <vgl. BVerfGE 2, 295 <297> und den Beschluß des gemäß § 91 a Abs. 1 BVerfGG gebildeten Ausschusses des Bundesverfassungsgerichts - Erster Senat - vom 29. Oktober 1958 - 1 BvR 67/58>.

Zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch ist auch der nach § 91 a BVerfGG gebildete Ausschuß zuständig, da er im Rahmen seiner Verwerfungskompetenz das Bundesverfassungsgericht ist <vgl. BVerfGE 7, 241 <243>>. Zur Entscheidung über ein mißbräuchliches Ablehnungsgesuch ist das Gericht in alter Besetzung zuständig <vgl. Lechner, BVerfGG, Anm. 1 zu § 19>. Da die Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs offensichtlich ist, kommt eine dienstliche Äußerung der beteiligten Richter nicht in Frage <ebenso der oben angeführte Beschluß vom 29. Oktober 1958 - 1 BvR 67/58>.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit sie sich gegen den Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958 richtet. Sie ist dagegen unzulässig, soweit sie sich gegen die Versetzung in den Ruhestand im Jahre 1947 und gegen die in den vorangegangenen Verfahren erlassenen Urteile wendet, da die Frist des § 93 Abs. 1 BVerfGG verstrichen ist.

Das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 26. September 1955 unterliegt auch nicht deswegen der verfassungsgerichtlichen Prüfung, weil der Beschluß vom 24. Februar 1958 den Vorwurf "unrichtiger Sachbehandlung" in diesem Urteil zurückweist. Denn das Verfahren nach § 6 GKG ist auf die Frage der Kosten beschränkt, so daß der angegriffene Beschluß die Hauptsache nicht berührt <vgl. für Vollstreckungsmaßnahmen BVerfGE 1, 332 <341>>.

IV.

Es kann also lediglich geprüft werden, ob Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dadurch verletzt ist, daß ausgeschlossene oder abgelehnte Richter am Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958 mitgewirkt haben. Diese Rüge ist offensichtlich unbegründet.

1. Die §§ 41 ff. ZPO über die Ausschließung und Ablehnung von Richtern greifen auch für das Verfahren gemäß § 6 GKG ein. Denn bei der gerichtlichen Entscheidung nach § 6 Abs. 2 GKG handelt es sich um richterliche Tätigkeit im engeren Sinne und nicht um einen Justizverwaltungsakt, da die Nichterhebung von Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, zwingend vorgeschrieben <§ 6 Abs. 1 Satz 1 GKG> und nach herrschender Meinung gegen die Entscheidung die Beschwerde gegeben ist <vgl. RGZ 28, 421; Friedlaender, Kommentar zum Deutschen Gerichtskostengesetz, 1928, Nr. 18 zu § 6; Rittmann/Wenz, Gerichtskostengesetz, 19. Aufl. 1943, Anm. 6 zu § 6>.

2. Der Beschwerdeführer ist der Meinung, daß alle fünf Richter, die am Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958 mitgewirkt haben, gemäß § 41 Nr. 1 ZPO von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen waren, weil sie zu einer Prozeßpartei, nämlich zur Bundesrepublik Deutschland, wegen des Ausfalls der im Revisionsverfahren entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten in dem Verhältnis eines Regreßpflichtigen stünden. Diese Ansicht ist evident abwegig <vgl. insbesondere § 839 Abs. 2 BGB>.

Zudem ergibt sich aus § 6 Abs. 2 GKG, daß die Beteiligung am vorhergegangenen Verfahren kein Ausschließungsgrund nach § 41 Nr. 1 ZPO sein kann. Denn nach § 6 Abs. 2 GKG entscheidet über die Nichterhebung der Kosten "das Gericht".

Keiner der Richter, die am Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 1958 mitgewirkt haben, war somit von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen.

3. Der Beschwerdeführer meint weiterhin, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei dadurch verletzt, daß die Bundesrichter Dr. Wolany und Dr. Beyer am Beschluß vom 24. Februar 1958 mitgewirkt hätten, ohne daß zuvor über sein Ablehnungsgesuch entschieden worden sei. Auch diese Rüge ist unberechtigt.

Die Gerichte sind zwar grundsätzlich verpflichtet, auch über unzulässige Ablehnungsgesuche ausdrücklich zu befinden. Von diesem Grundsatz sind jedoch für den Zivilprozeß von Rechtsprechung und Literatur seit jeher Ausnahmen zugelassen worden. Das Reichsgericht hat mehrfach entschieden, daß das Instanzgericht ein Ablehnungsgesuch unberücksichtigt lassen darf, wenn sich aus der <unter Umständen wiederholten> Ablehnung des ganzen Gerichts oder aller Mitglieder des Gerichts ergibt, daß das Ablehnungsrecht mißbraucht wird <RG JW 1901, 397; RGZ 44, 402; RG Warn. 1929, Nr. 105; vgl. auch Wieczorek, ZPO, Bd. 1, Anm. A II a und b zu § 45; Stein/Jonas/Schönke/Pohle, Kommentar zur ZPO, Bd. 1, 18. Aufl., Anm. II 3 zu § 42>.

Es ist offensichtlich, daß der Bundesgerichtshof bei dem Beschluß vom 24. Februar 1958 dieser Rechtsprechung gefolgt ist. Der Beschwerdeführer hatte zwar noch nicht Richter des Bundesgerichtshofs, wohl aber wiederholt Richter der Vorinstanz abgelehnt <siehe die Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 31. Oktober 1952, 9. März 1953, 31. März 1953, 20. August 1953 und 11. Januar 1954 - 1 U 161/52>. Auch der Wortlaut des Ablehnungsgesuchs des Beschwerdeführers legt es nahe, einen Mißbrauch des Ablehnungsrechts anzunehmen.

Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Nichtbescheidung des Ablehnungsgesuchs prozeßrechtlich gerechtfertigt war. Insofern unterliegt der Beschluß des Bundesgerichtshofs keiner Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich zu prüfen, ob durch Nichtbescheidung des Ablehnungsgesuchs das Recht des Beschwerdeführers auf den gesetzlichen Richter verletzt ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aber nur dann verletzt, wenn willkürliche Erwägungen für die Bestimmung des entscheidenden Richters maßgebend waren <vgl. BVerfGE 3, 359 <363 ff.>; 4, 412 <416f.>; 7, 327 <329>; 9, 223 <230>>. Dieser Grundsatz ist vom Bundesverfassungsgericht bereits auf Beschlüsse angewandt worden, durch die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen wurden <Beschluß des Ausschusses des Ersten Senats nach § 91 a BVerfGG vom 1. März 1957 - 1 BvR 593/56 - und vom 18. September 1958 - 1 BvR 468/58>. Er gilt aber auch dann, wenn ein Gericht über ein unzulässiges oder offensichtlich unbegründetes Ablehnungsgesuch nicht ausdrücklich entschieden hat.

Dafür, daß der Bundesgerichtshof aus willkürlichen Erwägungen über das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers hinweggegangen ist, liegen jedoch nicht die geringsten Anhaltspunkte vor.

Da die Verfassungsbeschwerde somit offensichtlich unbegründet ist, war sie nach § 91 a Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu verwerfen.

Da die Einhegung der Verfassungsbeschwerde einen Mißbrauch darstellt, war dem Beschwerdeführer gemäß § 34 Abs. 4 BVerfGG eine Gebühr aufzuerlegen.