BVerfG, Beschluss vom 20.09.2006 - 1 BvR 1337/06
Fundstelle
openJur 2011, 119561
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer behauptet, leiblicher Vater des 2004 geborenen Sohns der Eheleute H. zu sein und wendet sich gegen die Verweigerung von Umgangs- und Auskunftsansprüchen.

In den Jahren 2001 bis 2003 lebten die Eheleute H. räumlich getrennt. Die Kindesmutter lernte den Beschwerdeführer im Juni 2001 kennen. Zwischen beiden entstand eine intensive Beziehung. Nach Ausführung des Beschwerdeführers beinhaltete die gemeinsame Zukunftsplanung auch den beiderseitigen Kinderwunsch. Im Juli 2003 teilte die Kindesmutter dem Beschwerdeführer ihre Schwangerschaft mit. Der Beschwerdeführer begleitete die Kindesmutter zu Schwangerschaftsuntersuchungen. Die Kindesmutter stellte den Beschwerdeführer gegenüber Dritten als Vater des Kindes vor.

In der Folgezeit wandte sich die Kindesmutter von dem Beschwerdeführer ab und ließ erkennen, zu ihrem Ehemann zurückkehren zu wollen. Der Beschwerdeführer erklärte im November 2003 gegenüber dem Kinder- und Jugendamt der Stadt Heidelberg, Vater des noch ungeborenen Kindes zu sein. Im Dezember 2003 brach die Kindesmutter jeden Kontakt zum Beschwerdeführer ab und reiste nach England zu ihrem Ehemann. Dort brachte sie am 6. März 2004 das Kind zur Welt. In der Geburtsurkunde sind die Eheleute H. als Eltern des Kindes eingetragen. Sie halten es für möglich, dass der Beschwerdeführer biologischer Vater des Kindes ist. Ebenso halten sie es für möglich, dass der Ehemann Vater des Kindes ist, weil es in der Empfängniszeit auch zwischen den Eheleuten zu Intimkontakten gekommen sei. Allerdings streben sie eine Überprüfung dieser Tatsache nicht an und wollen diese Frage im Interesse ihres familiären Zusammenlebens nicht geklärt wissen.

Der Beschwerdeführer bemühte sich um allgemeine Auskünfte über die persönliche Lebenssituation des Kindes und Umgangskontakte mit dem Kind zu besonderen Anlässen. Dem sind die Eheleute entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 20. Oktober 2005 wies das Amtsgericht Fulda die Umgangsregelungs- und Auskunftsanträge des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer gehöre nicht zu dem Kreis der nach §§ 1684, 1685 BGB Anspruchsberechtigten. Der Beschwerdeführer sei dem Kind weder auf Grund ehelicher Geburt, Anerkennung im Konsens oder streitiger gerichtlicher Feststellung rechtlich als Vater zugeordnet. Hieran ändere das Anerkenntnis des Beschwerdeführers nichts, da dies nach § 1594 Abs. 2 BGB nicht wirksam werden könne. Solange nicht durch ein gerichtliches Anfechtungsurteil die fehlende Vaterschaft des Ehemannes festgestellt sei, könne der Beschwerdeführer als möglicher genetischer Vater keine eigenen Rechte herleiten. Eine eigene Anfechtungsberechtigung sei allerdings nicht gegeben, weil die Voraussetzungen des § 1600 Abs. 2 BGB nicht erfüllt seien. Es liege eine sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum Ehemann der Kindesmutter vor, denn das Kind lebe in der Familie der Eheleute. Der Umgangsanspruch gemäß § 1685 BGB scheide aus. Der Beschwerdeführer sei keine enge Bezugsperson im Sinne des § 1685 Abs. 2 BGB; es bestünde keine sozial-familiäre Beziehung. Daran änderten auch die gemeinsam geplante Zeugung und die gemeinsamen Zukunftspläne nichts. Mit dem Kind und der Kindesmutter habe der Beschwerdeführer nie zusammengelebt. Das Kind lebe vielmehr seit seiner Geburt im Haushalt der Eheleute. Während dieser Zeit könne der Beschwerdeführer nicht gleichzeitig selbst eine sozial-familiäre Beziehung als enge Bezugsperson aufgebaut haben. Soweit der Beschwerdeführer auf die Umstände vor der Geburt verweise, erfüllten diese nicht die Voraussetzungen des Gesetzes und der verfassungsrechtlichen Vorgabe, selbst wenn sich bereits ab dieser Zeit bei dem Antragsteller väterliche Verantwortungsgefühle entwickelt haben sollten.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 9. Februar 2006 zurück. Eine Klärung der Vaterschaft könne nur in einem Statusverfahren herbeigeführt werden. Die Vaterschaft inzident im Umgangsrechtsverfahren zu prüfen, sei auf Grund der mit der Verfahrensgestaltung verbundenen gesetzgeberischen Intention und sozial-politischen Zwecke nicht zulässig. Es würde auch nichts ändern, wenn der Beschwerdeführer tatsächlich der biologische Vater wäre. Das Bundesverfassungsgericht habe in Fortentwicklung seiner grundlegenden Entscheidung vom 9. April 2003 (BVerfGE 108, 82) keinen Zweifel daran gelassen, dass Art. 6 Abs. 1 GG nur verletzt werde, wenn der leibliche, aber nicht rechtliche Vater eines Kindes auch dann nicht in den Kreis der Umgangsberechtigten einbezogen werde, wenn zwischen ihm und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung bestehe oder bestanden habe. Diese Rechtsprechung schränke alle Interpretationsmöglichkeiten des Beschwerdeführers ein, die daran anknüpften, dass er bereits vor der Geburt Verantwortung für das Kind übernehmen wollte und das Kind das Ergebnis einer gemeinsamen Planung war. Der Senat verkenne nicht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Recht des biologischen Vaters in anderen Fallgestaltungen, wie etwa der Freigabe des Kindes zur Adoption durch die Mutter, gestärkt habe, auch wenn eine sozial-familiäre Beziehung noch nicht bestanden habe. Dies sei jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar, denn die Interessen der Beteiligten müssten stets gegeneinander abgewogen werden. Es könne nicht außer Acht gelassen werden, dass das Kind auch rechtlich in die legale Familie der Mutter eingebunden sei. Das Elternrecht des biologischen Vaters könne aber verfassungsrechtlich keine stärkere Kraft haben als der Schutz der Familie, der Mutter und des Kindes gemäß Art. 6 Abs. 2 GG. In diesem Spannungsverhältnis müsse alles vermieden werden, was das Kind in seinem Vertrauen zu seiner Familie nachhaltig erschüttern könne. Danach sei es bei der vorliegenden Fallkonstellation besser, wenn das Kind ungestört in seinem Familienverband aufwachsen könne, ohne dass es über die problematischen Verhältnisse seiner Herkunft Kenntnis erlange.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die gerichtlichen Entscheidungen an. Er rügt die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie Art. 8 EMRK. In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2003 sei nicht geklärt, dass sich ein leiblicher, aber nicht rechtlicher Vater "nur" bei Vorliegen einer tatsächlichen Beziehung zum Kind auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen könne. Der Begriff der engen Bezugsperson könne nicht im engeren Sinne dahingehend verstanden werden, dass bereits eine tatsächliche Beziehung zwischen dem leiblichen Vater und dem Kind bestanden haben müsse. Vielmehr schütze Art. 6 Abs. 1 GG vornehmlich die familiäre Verbundenheit, die auf Übernahme von Verantwortung für das Kind beruhe. Eine solche Verantwortungsübernahme sei aber nicht erst ab Geburt möglich, sondern könne sich schon aus dem Verhalten vor der Geburt ergeben. Ansonsten gäbe man der Mutter ein faktisches Vetorecht im Hinblick auf den Schutz des leiblichen Vaters. Dieses Verständnis diene am ehesten den Rechten und Interessen des Kindes sowie des leiblichen Vaters, da ein solcher Kontakt dem Kind die Chance auf eine möglichst normale Entwicklung biete und sein Selbstverständnis hinsichtlich seiner Person und Herkunft erleichtere. Es sei zu vermeiden, dem Kind seine Abstammung zu verschleiern. Soweit es für den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG demzufolge auf die leibliche Abstammung und sonstige Umstände ankomme, die seine Verantwortungsübernahme begründen, reiche ein entsprechender Vortrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren aus, wenn die Fachgerichte wie im vorliegenden Fall dem Vortrag des Beschwerdeführers nebst Beweisantritten nicht nachgegangen seien. Die Annahme des Oberlandesgerichts, eine solche Klärung könne nur in einem Statusverfahren herbeigeführt werden, sei mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unvereinbar. Das Oberlandesgericht habe die angeblichen sozial-politischen Zwecke des Anfechtungsverfahrens nicht näher dargelegt und demzufolge ohne tragfähige Grundlage in sein Gegenteil verkehrt. Die Beschränkung der Nachweismöglichkeit eines Familienlebens führe zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in sein verfassungsrechtlich garantiertes Umgangsrecht. Der Umgangsanspruch des leiblichen Vaters könne unabhängig davon bestehen, ob der leibliche Vater seine Vaterschaft anfechten könne oder nicht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestimme der zulässige Umfang der Statusanfechtung auch die verfassungsrechtlich geschützten Umgangsansprüche. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer einen grundrechtlich geschützten Anspruch darauf, dass in dem von ihm betriebenen Umgangsverfahren jedenfalls die leibliche Abstammung des Kindes von ihm geklärt werde. Dieses Kenntnisinteresse hätten die Gerichte mit der Verweigerung der Einholung eines Gutachtens unverhältnismäßig eingeschränkt. Da sie für jeden Fall der fehlenden Anfechtungsmöglichkeit eine Inzidentfeststellung verneinen, hätten sie das Interesse des Beschwerdeführers unverhältnismäßig zurückgesetzt und die beteiligten Interessen nicht zu einem gerechten Ausgleich gebracht.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Soweit die Verfassungsbeschwerde nicht bereits unzulässig ist, ist sie jedenfalls unbegründet.

1. Soweit der Beschwerdeführer die Feststellung der Vaterschaft als von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschütztes Recht auf Kenntnis der Abstammung begehrt, begegnet die Verfassungsbeschwerde dem Einwand materieller Subsidiarität (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

Der Beschwerdeführer hat sein Begehren auf Kenntnis der Abstammung nicht zuvor im Rahmen einer Anfechtungsklage gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB geltend gemacht, sondern das Umgangsbegehren in den Mittelpunkt seiner Rechtsverfolgung gestellt. Das Umgangsverfahren dient jedoch nicht der Vaterschaftsfeststellung.

2. Soweit der Beschwerdeführer sich gegen die Zurückweisung von Umgangs- und Auskunftsansprüchen wendet, ohne vorher die Vaterschaft des Ehemannes gemäß § 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB angefochten zu haben, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die Zurückweisung von Umgangs- und Auskunftsansprüchen verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten aus Art. 6 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1 oder Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Art. 6 Abs. 2 GG ist nicht verletzt, weil der Beschwerdeführer nicht Träger des mit dieser Grundrechtsnorm geschützten Elternrechts ist. Inhaber des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG ist danach, wer zugleich die Elternverantwortung trägt, unabhängig davon, ob sich die Elternschaft auf Abstammung oder auf Rechtszuweisung gründet. Dies ist vorliegend der rechtliche Vater des Kindes, der das Elternrecht nicht allein dadurch verliert, dass sich ein anderer Mann als leiblicher Vater herausstellt (vgl. BVerfGE 108, 82 <102 f.>).

Insoweit verstoßen weder die §§ 1684 Abs. 1 und 1686 BGB, die das Umgangs- und Auskunftsrecht an die rechtliche Elternschaft knüpfen, noch die auf dieser Rechtsgrundlage getroffenen und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen gegen das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 2 GG.

b) Die Gerichte haben auch das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 6 Abs. 1 GG nicht verkannt, indem sie der Ansicht des Beschwerdeführers, sein Verhalten vor der Geburt des Kindes hätte eine schützenswerte familiäre Verbundenheit begründet, nicht gefolgt sind und ein Umgangsrecht des Beschwerdeführers aus § 1685 Abs. 2 BGB zurückgewiesen haben.

Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Beziehung des leiblichen, aber nicht rechtlichen Vaters zu seinem Kind, wenn zwischen ihm und dem Kind eine soziale Beziehung besteht, die darauf beruht, dass er zumindest eine Zeit lang tatsächlich Verantwortung für das Kind getragen hat. Art. 6 Abs. 1 GG schützt das Interesse am Erhalt dieser sozial-familiären Beziehung und damit am Umgang miteinander (vgl. BVerfGE 108, 92 <114>). Der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG entsteht insofern nicht schon aus der Bereitschaft des (mutmaßlichen) leiblichen Vaters, Verantwortung tragen zu wollen, noch aus dem Wunsch, eine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind entstehen zu lassen.

Diesen Grundsätzen trägt § 1685 Abs. 2 BGB Rechnung, wonach engen Bezugspersonen des Kindes ein Recht auf Umgang mit dem Kind gewährt wird, wenn diese für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung). Dieses Umgangsrecht gründet in dem Schutz enger Beziehungen des Kindes zu seinen Bezugspersonen ebenso wie in deren Beziehungsinteressen zu dem Kind. Da eine solche Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kind niemals entstanden ist, sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden, die dem Beschwerdeführer ein Umgangsrecht mit dem Kind nach § 1685 Abs. 2 BGB versagt haben.

c) Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG scheidet aus. Allein der Umstand, dass der mutmaßliche biologische Vater im Gegensatz zur Kindesmutter vom Umgang ausgeschlossen bleibt, begründet nicht die Annahme einer willkürlichen Entscheidung.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.