BPatG, Urteil vom 26.01.2009 - 3 Ni 15/06
Fundstelle
openJur 2011, 107080
  • Rkr:
Tenor

1. Das europäische Patent 1 036 894 wird mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass der (einzige) Patentanspruch folgende Fassung erhält:

Notablaufvorrichtung für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche (1), insbesondere Flachdach, mit einer Ablauföffnung (6), mit einer die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes (H) zu der Fläche (1) bestimmenden Anstaueinrichtung (7) und mit einem mit der Ablauföffnung (6) in Verbindung stehenden vertikalen Ablaufrohr (2), dadurch gekennzeichnet, dass in Strömungsrichtung der Ablauföffnung (6) ein Behälter (8) vorgeschaltet ist, der zur Fläche (1) hin mit einem Boden (11) abgeschlossen ist und der eine Seitenwandung (9) aufweist, die bis zu einer Höhe, die kleiner als die Höhe der Seitenwandung

(9) ist, wenigstens eine Einlauföffnung (15) aufweist und oberhalb der Einlauföffnung (15) mit einer Deckelwandung (10) durch das angestaute Wasser einen luftdicht abgeschlossenen Raum bildet, wobei sich die Anstaueinrichtung (7', 7) außerhalb des Behälters (8) befindet und als sich über die Fläche (1) erhebende Stufe (7) vor oder in einem horizontalen Ablaufrohr (21) ausgebildet ist, das in das vertikale Ablaufrohr (2) übergeht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

3.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 036 894 (Streitpatent), das am 14. März 2000 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 19912012 vom 17. März 1999 angemeldet worden ist. Das Streitpatent mit der Bezeichnung "Notablaufvorrichtung" umfasst die Patentansprüche 1 bis 13, die wie folgt lauten:

1.

Notablaufvorrichtung für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche (1), insbesondere Flachdach, mit einer Ablauföffnung (6), mit einer die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes (H) zu der Fläche (1) bestimmenden Anstaueinrichtung (7) und mit einem mit der Ablauföffnung (6) in Verbindung stehenden vertikalen Ablaufrohr (2), dadurch gekennzeichnet, dass in Strömungsrichtung der Ablauföffnung (6) ein Behälter (8) vorgeschaltet ist, der eine Seitenwandung (9) aufweist, die bis zu einer Höhe, die kleiner als die Höhe der Seitenwandung (9) ist, wenigstens eine Einlauföffnung (15) aufweist und oberhalbder Einlauföffnung (15) mit einer Deckelwandung (10) durch das angestaute Wasser einen luftdicht abgeschlossenen Raum bildet.

2.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sich die Einlauföffnung (15) bis in den Bereich der Höhe der Anstaueinrichtung (7) erstreckt.

3.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass sich die Einlauföffnung (15) bis in die oder unterhalb der Höhe der Anstaueinrichtung (7) erstreckt.

4.

Notablaufvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass sich die Einlauföffnung (15) andererseits bis zum unteren Rand der Seitenwandung (9) erstreckt.

5.

Notablaufvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass die Einlauföffnung (15) durch eine Vielzahl von Schlitzen (16) gebildet ist.

6.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, dass die Schlitze (16) vertikal gerichtet sind.

7.

Notablaufvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass der Behälter (8) zur ebenen Fläche (1) hin mit einem Boden (11) abgeschlossen ist.

8.

Notablaufvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Anstaueinrichtung (7) durch den Rand eines Rohrstücks (4) gebildet ist.

9.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 8, dadurch gekennzeichnet, dass das Rohrstück (4) unmittelbar in das vertikale Ablaufrohr (2) mündet.

10.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, dass der Rand (7) der Ablauföffnung (6) trichterförmig aufgeweitet ist.

11.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass die Ablauföffnung (6) einen nach radial bis zur Horizontalen umgebogenen Rand (7) aufweist.

12.

Notablaufvorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 11, dadurch gekennzeichnet, dass sich die Anstaueinrichtung (7', 7) außerhalb des Behälters (8) befindet.

13.

Notablaufvorrichtung nach Anspruch 12, dadurch gekennzeichnet, dass die Anstaueinrichtung als sich über die Fläche

(1) erhebende Stufe (7) vor oder in einem horizontalen Ablaufrohr (21) ausgebildet ist, das in das vertikale Ablaufrohr (2) übergeht.

Die Klägerin, die das Streitpatent vollumfänglich angreift, macht geltend, dass die Gegenstände sämtlicher gemäß Hauptund Hilfsanträgen verteidigten Patentansprüche gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht bestandsfähig seien und das Streitpatent deshalb für nichtig zu erklären sei. Ferner sei die beanspruchte Lehre nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Die Klägerin bezieht sich in ihrer Klagebegründung auf folgende Druckschriften:

(D1) FR 675 691 A, (D2) US 5 615 526 A, (D3) GB 2 285 460 A, (D4) EP 1 001 107 A1, (D5) DE 198 52 561 C1, (D6) DE 197 21 624 A1, (D7) DE 27 25 468 A1, (D8) DE 26 50 361 A1, (D9) DE 1 806 527 A1, (D10) DE 19 42 084 U1, (D11) US 2 701 644, (D12) CH 657 407 A5, (D13) EP 0 681 633 B1, (D14) EP 0 146 561 B1, (D15) WO 83/03114, (D16) WO 96/29487, (D17) DE 1 948 214 A1, (D18) US 5 724 777 A, (D19) US 3 378 858, (D20) DE 91 06 459 U1, (D21) DE 91 01 007 U1, (D22) FR 2 120 220 A (D23) DE 198 60 160 C2.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 1 036 894 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt er das Streitpatent mit den Patentansprüchen gemäß Hilfsantrag 1, eingereicht mit Schriftsatz vom 14. November 2008, Bl. 195/197 der Akten, und mit den Patentansprüchen gemäß Hilfsanträgen 2 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung, mit der Maßgabe, dass in Patentanspruch 1 gemäß Hilfsanträgen 1 bis 4 jeweils nach dem Wort "Deckelwandung (10)" eingefügt wird "durch das angestaute Wasser".

Er verteidigt das Streitpatent ferner mit dem in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 5 sowie der hierzu mündlich zu Protokoll erklärten Beschränkung, dass die Patentansprüche des Hilfsantrags 1 jeweils nur mit folgenden Rückbezügen verteidigt werden: "2 nach 1, 3 nach 2, 4 nach 3, 5 nach 4, 6 nach 5, 7 nach 1, 8 nach 7, 9 nach 8, 10 nach 9, 11 nach 1, 12 nach 11".

Der Beklagte macht geltend, dass der aufgezeigte Stand der Technik die Bestandsfähigkeit des Streitpatents insbesondere deswegen nicht in Frage stellen könne, weil dieser durchweg auf übliche, die Entwässerung von Flächen bei normalem Wasseranfall sicherstellende Wasserabläufe gerichtet sei, während der Patentgegenstand eine Notablaufvorrichtung betreffe, welche erst dann (und nur dann) in Aktion trete, wenn über den normalen Wasserstand hinaus größere Wassermengen anfielen, die zu einer unzulässig hohen Anstauhöhe führten und damit ggf. die Statik von Gebäudedächern o. dgl. Flächen gefährdeten. Für derartige Notfälle, welche aufgrund außergewöhnlich starker Niederschläge oder einem Verstopfen der normalen Wasserabläufe einträten, sei die patentierte Notablaufvorrichtung baulich ausgelegt und auf der zu entwässernden Fläche entsprechend räumlich angeordnet.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien sowie der vorgelegten Dokumente wird auf den Akteninhalt und die Sitzungsniederschrift vom 20. November 2008 verwiesen.

Gründe

I.

Die zulässige Klage erweist sich in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang als begründet. Im Übrigen führt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit a EPÜ) zur Teil-Nichtigerklärung des Streitpatents.

1.

Das Streitpatent betrifft nach der Streitpatentschrift eine Notablaufvorrichtung für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche, insbesondere Flachdach, mit einer Ablauföffnung, mit einer die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes zu der Fläche bestimmenden Anstaueinrichtung und mit einem mit der Ablauföffnung in Verbindung stehenden vertikalen Ablaufrohr. Zum Stand der Technik weist die Streitpatentschrift darauf hin, dass es beispielsweise durch US 5,615,526 bekannt ist, insbesondere zur Vermeidung statischer Probleme, Notablaufvorrichtungen vorzusehen, die im normalen Betrieb der Entwässerung der Fläche unbenutzt bleiben und deren Funktion nur dann einsetzt, wenn ein Wasseranstaugrenzwert überschritten wird [0003].

Es sei demgemäß erforderlich, die Notablaufvorrichtung so zu dimensionieren, dass nach Erreichen des Wasseranstaugrenzwerts keine wesentliche zusätzliche Anstauhöhe mehr entsteht. Die Notablaufvorrichtung müsse daher möglichst schlagartig eine hohe Ablaufleistung bereitstellen. Aus konstruktiven und architektonischen Gründen solle diese hohe Ablaufleistung selbstverständlich möglichst nicht durch überdimensionierte Ablauföffnungen und Ablaufrohre erzielt werden.

2.

Der Erfindung liegt daher die Problemstellung zugrunde, eine Notablaufvorrichtung der eingangs erwähnten Art so auszubilden, dass eine schlagartig einsetzende hohe Entwässerungsleistung mit normalen Durchmessern für die Ablauföffnung und das vertikale Ablaufrohr erzielt wird [0004].

3.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1, nach Merkmalen gegliedert, eine Notablaufvorrichtung für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche (1), insbesondere Flachdach, 1.

mit einer Ablauföffnung (6), 2.

mit einer Anstaueinrichtung (7), 2.1 die die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes (H) zu der Fläche

(1) bestimmt, 3. und mit einem vertikalen Ablaufrohr (2), 3.1 das mit der Ablauföffnung (6) in Verbindung steht, dadurch gekennzeichnet, dass 4.

ein Behälter (8) vorgesehen ist, 4.1 der in Strömungsrichtung der Ablauföffnung (6) vorgeschaltet ist, 4.2 und der eine Seitenwandung (9) aufweist, 4.2.1 die wenigstens eine Einlauföffnung (15) aufweist, 4.2.1.1 bis zu einer Höhe, die kleiner als die Höhe der Seitenwandung ist, 4.2.2 und oberhalb der Einlauföffnung (15) mit einer Deckelwandung

(10) durch das angestaute Wasser einen luftdicht abgeschlossenen Raum bildet.

4. Zuständiger Fachmann ist ein mit der Planung von Dachentwässerungen vertrauter Bauingenieur.

II.

1. Zum Hauptantrag 1.1 Maßgebliche Grundlage dafür, was durch das europäische Streitpatent 1 036 894 unter Schutz gestellt ist, ist gem. Art. 69 I 1 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche in der jeweiligen Verfahrenssprache. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 959 -Pumpeneinrichtung unter Hinweis auf BGH GRUR 2004, 1023, 1024 -Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung). Der nach objektiven Kriterien zu ermittelnde Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist im Hinblick auf den verwendeten Begriff "Notablaufvorrichtung" und die darin enthaltene Bestimmungsangabe "Not..." sowie die weitere Zweckangabe "für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche" gemäß Art. 69 EPÜ so auszulegen, wie sie der angesprochene Fachmann nach dem Gesamtinhalt der Patentschrift unter Berücksichtigung der in ihr objektiv offenbarten Lösung bei unbefangener Erfassung der im Anspruch umschriebenen Lehre zum technischen Handeln versteht (GRUR 2001, 232, 233 -Brieflocher m. w. H.), wobei die Patentschrift im Hinblick auf die dort verwendeten Begriffe ihr eigenes Lexikon darstellt (BGH GRUR 1999, 909 -Spannschraube; Mitt. 2000, 105, 106 -Extrusionskopf; BGH GRUR 1984, 425 -Bierklärmittel) und der Gesamtzusammenhang nicht aus dem Auge verloren werden darf, da Feststellungen zum Inhalt einzelner Merkmale stets nur dazu dienen, schrittweise den allein maßgeblichen Wortsinn des Patentanspruchs als einer Einheit zu ermitteln (BGH GRUR 2006, 311, 312 -Baumscheibenabdeckungm. w. H.).

Andererseits kann alles, was bei sinnvollem Verständnis nicht so deutlich einbezogen ist, dass es vom Fachmann als zur Erfindung gehörend erkannt wird, den Gegenstand des Patentanspruchs nicht kennzeichnen. Auch die zur Erfassung des Sinngehalts eines Patentanspruchs vorgesehene Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen des betreffenden Patents darf deshalb weder zu einer sachlichen Einengung noch zu einer inhaltlichen Erweiterung des durch den Wortlaut des Patentanspruchs festgelegten Gegenstands führen (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 959 -Pumpeneinrichtung und BGH GRUR 2007, 778 -Ziehmaschinenzugeinheit -jeweils unter Hinweis auf GRUR 2004, 1023, 1024 -Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung), zumal es dem Patentinhaber regelmäßig möglich ist, einen Patentanspruch so zu formulieren, dass er den beanspruchten Schutzgegenstand erkennen lässt (vgl. BGH Mitt. 2000, 105, 106 -Extrusionskopfm. w. H.).

Insoweit ist vorliegend entscheidend, ob unter Berücksichtigung dieser Grundsätze die Bestimmungsangabe "Not.." nicht nur einer beispielhaften, dem erleichterten Verständnis dienenden Erläuterung einer Anwendungsmöglichkeit des Ablaufs dient, sondern der (mittelbaren) Umschreibung seiner funktionellen Zurichtung und der räumlichkörperlichen Ausgestaltung im Hinblick auf die Dimensionierung und Materialauswahl, die der Fachmann ohne weiteres vornimmt, wenn er die Vorrichtung zu dem angegebenen Zweck herstellen und verwenden will (vgl. auch BGH GRUR 1981, 259, 260 -Heuwerbungsmaschine II; Bacher/Melullis in Benkard, PatG, 10. Aufl., § 1 Rdn. 20a). In diesem Fall erhebt die Bestimmungsangabe die Verwendung als finales Element und wesentlichen Bestandteil der unter Schutz gestellten Lehre zum funktionellen Merkmal des Anspruchs selbst (vgl. hierzu BPatG GRUR 2006, 1015, 1017 -Neurodermitis-Behandlungsgerät m. w. H.; Schulte PatG, 7. Aufl., § 14 Rdn. 72, 75, zu funktionellen Merkmalen § 34 Rdn. 133 ff.; Bruchhausen in GRUR 1980, 364, 367).

Die Beklagtenseite konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass die Angabe "Notablaufvorrichtung für eine mit Wasserabläufen entwässerte Fläche" über die beabsichtigte Zweckbestimmung hinaus weitere Merkmale, etwa eine obligate Zuordnung des Patentgegenstandes zu weiteren, "normalen" Wasserabläufen oder dessen spezielle Anordnung relativ zur Höhenlage anderer vorhandener Abläufe impliziert. Jene räumlichgegenständlichen Merkmale, welche die Funktion der Notablaufvorrichtung (wie das Erreichen einer bestimmten Stauhöhe oder der angestrebten Sogwirkung) für sich sicherstellen, sind nämlich bereits vom Anspruchswortlaut umfasst. Der Beklagte muss deshalb die im angeführten Stand der Technik aufgezeigten Wasserablaufvorrichtungen gegen sein Patent gelten lassen, soweit diesen aufgrund der mit dem Patentanspruch 1 des Streitpatents übereinstimmenden gegenständlichen Merkmale dieselben Wirkungen zukommen.

1.2 Unter dieser Prämisse steht dem Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 u. a. der Wasserablauf nach der DE 91 06 459 U1 (D20) neuheitsschädlich entgegen. Wie dort insbesondere der Fig. 9 i. V. m. der zugehörigen Figurenbeschreibung zu entnehmen ist, weist dieser Ablauf eine Ablauföffnung (Pos. 5) sowie eine Anstaueinrichtung (Staurohr 8) auf, welche zwangsläufig die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes zu der umgebenden Fläche (93) bestimmt. Ferner steht dort ein vertikales Ablaufrohr (6) mit der Ablauföffnung (5) in Verbindung. Weiter ist dort in Strömungsrichtung der Ablauföffnung (5) ein Behälter (bestehend aus Ring 2, Deckel 3 und Bodenteil 4 vorgeschaltet, der eine Seitenwandung (2) aufweist, die ihrerseits eine Einlauföffnung (Ende des Drainagerohres 95 bzw. Öffnung links unterhalb der Anstauhöhe H) aufweist. Diese reicht dabei bis zu einer Höhe, die kleiner ist als die Höhe der Seitenwandung. Schließlich bildet der aus Ring (2), Deckel

(3) und Bodenteil (4) bestehende Behälter oberhalb der Einlauföffnung mit seiner Deckelwandung (3) durch das angestaute Wasser einen luftdicht abgeschlossenen Raum.

Soweit die Beklagtenseite diese Merkmalsübereinstimmung zumindest bezüglich des letzten Merkmals mit dem Argument bestreitet, der aus Ring (2), Deckel (3) und Bodenteil (4) bestehende Behälter sei wegen seiner bloßen Zusammenfügung aus Einzelteilen ohne besondere Abdichtungsmaßnahmen nicht luftdicht und könne deshalb auch durch das angestaute Wasser keinen luftdicht abgeschlossenen Raum bilden, so geht dies nach Auffassung des Senats deswegen fehl, weil es auf eine absolute Dichtigkeit hier nicht ankommt. Vielmehr ist es für die angestrebte Wirkung hinreichend, wenn eine evtl. verbleibende Leckrate durch die nicht gänzlich abgedichteten Stoßfugen klein ist gegenüber dem mit dem Wasserstrom abgeführten Luftvolumen. Diese Voraussetzung ist offensichtlich schon dadurch gegeben, dass die Verbindung des Deckels (3) mit dem Wandteil (Ring 2) deutlich erkennbar mit einer Ringnut in Form einer Nut-Feder-Verbindung ausgeführt ist, was eine erheblich bessere Abdichtung ergibt als ein bloßes Aufliegen des Deckels.

Damit weist die Vorrichtung nach der D20 sämtliche Merkmale des angegriffenen Patentanspruchs 1 auf. Zwangsläufig folgt aus diesem identischen Aufbau aber auch eine mit dem Patentgegenstand übereinstimmende Funktion dieser Ablaufvorrichtung, nämlich eine nach Erreichen einer bestimmten (durch das höhenverstellbare Staurohr 8 einstellbaren) Anstauhöhe H einsetzende Saugwirkung aufgrund des sich einstellenden Unterdrucks durch Einströmen des Wassers in das Ablaufrohr und Mitreißen von Luft aus dem luftdicht abgeschlossenen Raum, was zu der angestrebten beschleunigten Wasserabführung von der umgebenden Fläche führt.

Darüber hinaus kann der Fachmann dieser Entgegenhaltung aber sogar eine Funktion des in Fig. 9 dargestellten Ablaufs als Notablaufvorrichtung i. S. des Streitpatents entnehmen. Zwar ist in dieser Druckschrift nicht explizit angegeben, dass neben dem Ablauf nach Fig. 9 weitere Abläufe etwa gemäß Fig. 8 auf derselben zu entwässernden Fläche angeordnet sind. Ganz augenscheinlich erkennt jedoch der Fachmann, dass bei dem Ablauf nach Fig. 8, der kein Staurohr aufweist, auch keine Anstauung erfolgt, dieser Ablauf somit als "normaler" Wasserablauf funktioniert, der im Regelfall die umgebende Fläche ausreichend entwässert. Sieht er demgegenüber die Ausführung gemäß Fig. 9 mit einem ausdrücklich eine einstellbare Anstauhöhe bewerkstelligenden Staurohr, so liegt es für ihn auf der Hand, dass dieser Ablauf die Funktion eines Notablaufs erfüllt, sobald die besagte Anstauhöhe erreicht ist.

1.3 Doch selbst wenn man der Argumentation des Beklagten folgt, wonach der Zweckangabe "Notablauf" im angegriffenen Patentanspruch 1 eine gegenüber der Ablaufvorrichtung nach der D20 unterscheidende Bedeutung zukommen und der Patentgegenstand deshalb als neu anzusehen sein soll, so beruht dieser jedenfalls gegenüber einer Zusammenschau der DE 27 25 468 A1 (D7) mit der GB 2 285 460 A (D3) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Durch den Inhalt der D7 wird der Fachmann nämlich explizit darauf hingewiesen, zur Sicherung gegen unzulässig hohe Wasserstände auf einem Flachdach dieses neben einem "normalen" Entwässerungssystem mit wenigstens einer zusätzlichen "Hilfsabflussmöglichkeit" auszustatten. Diese soll sicherstellen, dass im Falle erhöhten Wasseranfalls und/oder unzureichender Wasserableitung über die normalen Abläufe das Dach dennoch hinreichend entwässert wird (s. dort Seite 3, Abs. 2 ff.). Wie in Fig. 2 dieser Druckschriften dargestellt, ist auf einer zu entwässernden Dachfläche neben einem Wasserablauf zur normalen Entwässerung, welcher aufgrund seiner Einbaulage bereits bei geringster Wasserhöhe in Funktion tritt (linke Teilzeichnung), ein Notablauf angeordnet, der infolge seines deutlich über die Dachfläche aufragenden oberen Randes erst ab einer dementsprechenden Anstauhöhe ableitet (rechte Teilzeichnung). Damit entspricht diese kombinierte Anordnung von Normalund Hilfsabläufen in ihrer Funktion exakt der Lehre des Streitpatents in ihrer funktionellen Zielrichtung einer Notablaufvorrichtung im Zusammenwirken mit normalen Wasserabläufen. Auch rein gegenständlich weist die Vorrichtung nach der D7 damit bereits die Merkmale des Oberbegriffs des angegriffenen Patentanspruchs 1 auf, insbesondere eine Anstaueinrichtung (Sperrrand 14), die die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes (H) zu der Fläche bestimmt. Sucht der Fachmann nach einer Möglichkeit, diese bekannte Notablaufvorrichtung hinsichtlich einer erhöhten Abflussrate bei gleichem Querschnitt des Ablaufrohres zu verbessern, so wird er sich im einschlägigen Stand der Technik nach Lösungsansätzen umsehen und dabei in der D3 den entscheidenden Hinweis finden, den Notablauf baulich so zu gestalten, dass mittels einer Saugwirkung der abgeführte Wasserstrom gegenüber einem freien Wasserablauf (Freispiegelentwässerung) erheblich gesteigert wird (s. dort insbesondere Seite 1, Abs. 2; Seite 2, Abs. 1; Seite 4, Abs. 1). Hierzu weist der dort offenbarte Regenwasserablauf ("rainwater outlet") gemäß Fig. 2 neben der obligatorischen Ablauföffnung, die in ein vertikales Ablaufrohr (section 22) mündet, insbesondere eine Anstaueinrichtung (section 20) sowie einen in Strömungsrichtung der Ablauföffnung vorgeschalteten Behälter (cap 26) auf. Aufgrund seiner Form einer umgestülpten Tasse ("inverted cup shape") gehen dort Seitenwand und Deckelwandung ineinander über, wobei zwischen dem unteren Tassenrand und dem Boden eine ringförmige Einlauföffnung gebildet ist, welche kleiner als die Höhe der Seitenwandung ist. Schließlich bildet dabei der einstückig aus Seitenwand und Deckel bestehende Behälter zusammen mit dem angestauten Wasser zwangsläufig einen luftdicht abgeschlossenen Raum. Damit erfährt der Fachmann aus dieser Druckschrift über die grundsätzliche Anregung zur Verwendung eines auf dem Saugprinzip beruhenden Wasserablaufs hinaus auch noch die Anleitung, wie er einen solchen Ablauf baulich zu gestalten hat, um die angestrebte Wirkung zu erzielen. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ergibt sich somit in naheliegender Weise durch den Einsatz eines bekannten Mittels mit bekannten Eigenschaften (D3) im Rahmen einer bekannten Vorrichtung (D7) und beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist deshalb nicht bestandsfähig.

2. Zum Hilfsantrag 1 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von dem gemäß Hauptantrag lediglich in dem hinzugenommenen Merkmal, dass der Behälter (8) "zur Fläche (1) hin mit einem Boden abgeschlossen ist".

2.1 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 ist zulässig, da das hinzugenommene Merkmal, welches unzweifelhaft einschränkender Art ist, auf den erteilten Unteranspruch 7 zurückgeht und auch ursprungsoffenbart ist.

2.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 ist nicht neu bzw. beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Er ist in gleicher Weise zu beurteilen wie der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag, da das hinzugefügte Merkmal eines zur Fläche hin abgeschlossenen Bodens des Behälters ebenso bei der Vorrichtung nach der neuheitsschädlichen Entgegenhaltung D20 realisiert ist (s. dort Bodenteil 4), wie auch beim Gegenstand deri. V. m. der D7 den Patentgegenstand nahelegenden D3 (vgl. dort Unterseite von sump 16). Aus den oben unter Punkt 1 zum Hauptantrag ausgeführten Gründen ist deshalb auch der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag nicht bestandsfähig.

3. Zum Hilfsantrag 2 Gemäß Hilfsantrag 2 ist dem Merkmalsumfang des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag die Angabe hinzugefügt, "dass das Ablaufrohr (2) so ausgebildet ist, dass nach dem Verschließen der Einlauföffnung (15) durch das angestaute Wasser das durch das Ablaufrohr (2) fließende Wasser einen Unterdruck in dem Behälter (8) oberhalb der Einlauföffnung (15) bewirkt.

Diese Hinzufügung stellt ein reines Funktionsmerkmal i. S. einer aufgabenhaften Wirkungsangabe von nicht einschränkender Art dar und ist im Übrigen auch nicht geeignet, den Gegenstand des Patentanspruchs hinsichtlich Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit vom Stand der Technik abzuheben.

4.

Zum Hilfsantrag 3 Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 ist im Gegensatz zu dem erteilten Hauptanspruch, der eine Notablaufeinrichtung als solche zum Gegenstand hat, auf eine "Entwässerungseinrichtung für eine Fläche ... mit wenigstens einer, im normalen Betrieb der Entwässerung unbenutzt bleibenden Notablaufeinrichtung" gerichtet. Diese Änderung führt zu einem aliud, da nunmehr ein anderer Gegenstand, nämlich ein ganzes Entwässerungssystem beansprucht wird, und ist somit unzulässig (BGH GRUR 2005, 145 -elektronisches Modul).

5.

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 betrifft die

"Verwendung einer Notablaufvorrichtung mit einer Ablauföffnung (6), mit einer die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes (H) zu einer entwässernden Fläche (1) bestimmenden Anstaueinrichtung

(7) und mit einem mit der Ablauföffnung (6) in Verbindung stehenden vertikalen Ablaufrohr (2), bei der in Strömungsrichtung der Ablauföffnung (6) ein Behälter (8) vorgeschaltet ist, der zur Fläche (1) hin mit einem Boden (11) abgeschlossen ist und der eine Seitenwandung (9) aufweist, die bis zu einer Höhe, die kleiner als die Höhe der Seitenwandung (9) ist, wenigstens eine Einlauföffnung (15) aufweist und oberhalb der Einlauföffnung (15) mit einer Deckelwandung (10) durch das angestaute Wasser einen luftdicht abgeschlossenen Raum bildet, zur Entwässerung einer Fläche (1), insbesondere Flachdach, die bis zur Höhe des Wasseranstaugrenzwertes (H) durch normale Wasserabläufe entwässert wird."

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist mit dem Wechsel der Patentkategorie von dem erteilten Vorrichtungsanspruch zu dem nunmehr auf die Verwendung einer Notablaufvorrichtung zur Entwässerung einer durch normale Wasserabläufe entwässerte Fläche gerichteten Patentanspruch zwar keine Erweiterung des Schutzbereichs der patentierten Lehre verbunden (vgl. BGH GRUR 1990, 508, 509 -Spreizdübel). Die Verwendung eines Ablaufs mit einer Anstaueinrichtung, die die Höhe eines Wasseranstaugrenzwertes zu einer zu entwässernden Fläche bestimmt, als Notablauf zur Entwässerung einer bis zu diesem Anstauwert durch normale Wasserabläufe entwässerten Fläche beruht aber aus den bereits unter Ziff. II 1.3 genannten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Zum Hilfsantrag 5 6.1 Mit dem Hilfsantrag 5 verteidigt der Beklagte das Streitpatent zusammengefasst jeweils mit einem der Unteransprüche gemäß Hilfsantrag 1. Der Senat fasst diesen Antrag dahingehend auf, dass in der durch ihre Nummerierung vorgegebenen Reihenfolge diese Ansprüche in absteigender Rangfolge zum Gegenstand des Hilfsantrags 5 gemacht werden sollen. Der Vertreter des Beklagten hat sich hierzu auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung auf folgende Merkmalskombinationen festgelegt:

-Anspruch 2 nach Anspruch 1; -Anspruch 3 nach Anspruch 2; -Anspruch 4 nach Anspruch 3; -Anspruch 5 nach Anspruch 4; -Anspruch 6 nach Anspruch 5; -Anspruch 7 nach Anspruch 1; -Anspruch 8 nach Anspruch 7; -Anspruch 9 nach Anspruch 8; -Anspruch 10 nach Anspruch 9; -Anspruch 11 nach Anspruch 1; -Anspruch 12 nach Anspruch 11.

Mit den Unteransprüchen 2 bis 11 werden dem -wie oben begründet -nicht patentfähigen Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 Merkmale hinzugefügt, welche nach Auffassung des Senats für den Fachmann als einfache bauliche Ausoder Umgestaltungsmaßnahmen im Rahmen seines Könnens auf der Hand liegen und daher eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen können. Im Übrigen gehen diese Ausgestaltungen bei gegenständlich vergleichbaren Vorrichtungen für die einzelnen Ansprüche aus folgenden Entgegenhaltungen hervor.

-zu Anspruch 2: D9 (vgl. Fig. 1, Schlitze A, Staueinrichtung S); -zu Anspruch 3: D1 (vgl. Fig. 5, Schlitze bei 18, Staueinrichtung 14); -zu Anspruch 4: D1 (vgl. Fig. 5, Schlitze bei 18, Staueinrichtung 14); -zu Anspruch 5: D22 (vgl. Fig. 2, Schlitze 4); -zu Anspruch 6: D22 (vgl. Fig. 2, Schlitze 4); -zu Anspruch 7: D1 (vgl. Fig. "PL I-2", Rohrstutzen 7); -zu Anspruch 8: D1 (vgl. Fig. "PL I-2", Rohrende 8); -zu Anspruch 9: D1 (vgl. Fig. 2); -zu Anspruch 10: D14 (vgl. Fig. 1); -zu Anspruch 11: D11 (vgl. Fig. 5).

Die Gegenstände der Ansprüche 2 bis 11 sind daher nicht patentfähig.

6.2 Patentfähig ist nach Auffassung des Senats jedoch die Merkmalskombination des Anspruchs 12, der auf eine Notablaufvorrichtung mit einer außerhalb des Behälters (8) liegenden Anstaueinrichtung (7', 7) gerichtet ist, wobei die Anstaueinrichtung als sich über die Fläche (1) erhebende Stufe (7) vor oder in einem horizontalen Ablaufrohr (21) ausgebildet ist, das in das vertikale Ablaufrohr (2) übergeht. Eine derartige Gestaltung einer Notablaufvorrichtung ist aus dem gesamten aufgezeigten Stand der Technik nicht bekannt und für den Fachmann auch nicht naheliegend, da eine Anregung zu dieser speziellen Ausbildung der Anstaueinrichtung in Zusammenhang mit einem horizontal verlaufenden Ablaufrohr keiner der angeführten Druckschriften zu entnehmen ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

Dr. Schermer Engels Dipl.-Ing. Hildebrandt Dipl.-Ing. Univ. Dipl.-Ing. Küest Ganzenmüller Be