BPatG, Urteil vom 23.02.2006 - 3 Ni 7/05
Fundstelle
openJur 2011, 99241
  • Rkr:
Tenor

1. Das europäische Patent 0 648 901 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, a) dass Patentanspruch 1 folgende Fassung erhält:

Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen (6) oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal (10), wobei zwischen der Austrittsöffnung (18) des Straßenablaufs (6) oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung (24) des Regen- oder Abwasserkanals (10) bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal (10) verbundenen Kontrollschachtes (12) mindestens ein biegsames Schlauchstück (14) verlegt wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Schlauchstück (14) im Erdreich in ein Bett aus einem durch Erkalten erhärtenden Material eingebettet wird und das biegsame Schlauchstück (14) in Form von Meterware zusammengerollt oder auf Trommeln geliefert ist und erst an der Baustelle in den zuvor durch Ausmessen ermittelten Längen abgetrennt wird.

b) hinsichtlich der Patentansprüche 2 bis 9, 15 und 17 bis 19, soweit diese sich nicht mittelbar oder unmittelbar auf die vorstehend genannte Fassung des Patentanspruchs 1 rückbeziehen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 25. Juli 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 43 25 272 vom 28. Juli 1993 angemeldeten und u. a. mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patentes EP 0 648 901 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 594 10 269 geführt wird. Das Streitpatent betrifft ein "Verfahren und Vorrichtung zum Anschließen von Straßenabläufen an einen Regen- oder Abwasserkanal" und umfasst nach der Streitpatentschrift (EP 0 648 901 B1) 45 Patentansprüche, von denen Patentanspruch 1 wie folgt lautet:

"1. Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen (6) oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal (10), wobei zwischen der Austrittsöffnung (18) des Straßenablaufs (6) oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung (24) des Regen- oder Abwasserkanals (10) bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal (10) verbundenen Kontrollschachtes (12) mindestens ein biegsames Schlauchstück (14) verlegt wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Schlauchstück (14) im Erdreich auf eine Auflage aus Schotter, Sand oder dergleichen verlegt oder in ein Bett aus einem durch Abbinden oder Erkalten erhärtenden Material eingebettet wird und das biegsame Schlauchstück (14) in Form von Meterware zusammengerollt oder auf Trommeln geliefert ist und erst an der Baustelle in den zuvor durch Ausmessen ermittelten Längen abgetrennt wird."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 24, des nebengeordneten Patentanspruchs 25 und der auf den Patentanspruch 25 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 26 bis 45 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil dessen Gegenstand - soweit angegriffen - nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf folgende Dokumente:

Anlage K1: Marley Quantum-Prospekt "Highway Drainage System" vom Juni 1992, Anlage K2: Manual of Contract Documents for Highway Works, Volume 3 "Highway Construction Details" vom Dezember 1991, Anlage K3: Prospekt "SIROPLAST", Hegler, vom Dezember 1987, Anlage K4: DIN 4033 "Entwässerungskanäle und -leitungen", November 1979.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 648 901 bezüglich des Patentanspruches 1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, soweit er über folgende Fassung hinausgeht:

Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen (6) oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal (10), wobei zwischen der Austrittsöffnung (18) des Straßenablaufs (6) oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung (24) des Regen- oder Abwasserkanals (10) bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal (10) verbundenen Kontrollschachtes (12) mindestens ein biegsames Schlauchstück (14) verlegt wird, dadurch gekennzeichnet, dass das Schlauchstück (14) im Erdreich in ein Bett aus einem durch Erkalten erhärtenden Material eingebettet wird und das biegsame Schlauchstück (14) in Form von Meterware zusammengerollt oder auf Trommeln geliefert ist und erst an der Baustelle in den zuvor durch Ausmessen ermittelten Längen abgetrennt wird, und hinsichtlich der Patentansprüche 2 bis 9, 15 und 17 bis 19, soweit diese Ansprüche nicht mittelbar oder unmittelbar auf den vorstehend wiedergegebenen Teil des Patentanspruchs 1 rückbezogen sind.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent in dem angegriffenen Umfang für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund führt zur Nichtigkeit des Streitpatents in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 52, 54, 56 EPÜ.

Keine Bedenken bestehen soweit die Teilvernichtung des Patentanspruchs 1 beantragt ist, denn der Klageantrag enthält keine - allein der Verteidigung durch den Patentinhaber vorbehaltene - geänderte Formulierung des Patentanspruchs 1 (vgl. BGH GRUR 1997, 272, 273 - Schwenkhebelverschluss), sondern ist auf die Nichtigerklärung mehrerer in der erteilten Fassung des Patentanspruchs 1 enthaltener Alternativen gerichtet, die auch als selbständige und damit jeweils für sich angreifbare Nebenansprüche hätten formuliert werden können. Der Klageantrag entspricht der Reichweite der geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, die im vorliegenden Fall nur zu einer eingeschränkten Nichtigerklärung führen können.

I.

1. Das Streitpatent betrifft nach der Streitpatentschrift u. a. ein Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal, wobei zwischen der Austrittsöffnung des Straßenablaufs oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung des Regen- oder Abwasserkanals bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal verbundenen Kontrollschachtes mindestens ein biegsames Schlauchstück verlegt wird (Streitpatentschrift Abs. 0001). Das aus dem Stand der Technik bekannte Verlegen von aus einer Vielzahl von Teilstücken zusammengesetzten Abwasserleitungen aus glasierten Steinzeug-Rohren oder aus PVC-Rohren erfordere insbesondere bei Sanierungsarbeiten einen verhältnismäßig hohen Arbeitsaufwand und sei dementsprechend teuer (Streitpatentschrift Abs. 0003). In der kanadischen Patentschrift CA-A-1 265 692 erfolge kein Hinweis auf eine flexible Verlegung von Abwasserleitungen (Streitpatentschrift Abs. 0005). Bei der aus der US-A-3 160 425 bekannten Verwendung eines starren Rohres sei eine flexible Verlegung der Rohrleitung vollkommen ausgeschlossen. Vielmehr müsse die starre Rohrleitung mit Hilfe von verschiedenen Krümmern um gegebenenfalls im Erdreich vorhandene Hindernisse herumgeführt werden (Streitpatentschrift Abs. 0006, 0007, 0008). Schließlich erfolge in der GB-A-2 283 796 kein Hinweis auf eine Verwendung eines langen Verbindungsschlauches (Streitpatentschrift Abs. 0009).

2. Nach den Angaben der Streitpatentschrift besteht die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe darin, ein Verfahren und eine Vorrichtung der eingangs genannten Art zu entwickeln, die eine größere Flexibilität gewährleisten und bei denen die genannten Nachteile vermieden werden (Streitpatentschrift Abs. 0010).

3. Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt Patentanspruch 1 - soweit angegriffen - ein Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal mit folgenden Merkmalen:

1. Zwischen der Austrittsöffnung des Straßenablaufs oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung des Regen- oder Abwasserkanals bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal verbundenen Kontrollschachtes wird mindestens ein biegsames Schlauchstück verlegt:

2. Das Schlauchstück wird im Erdreich auf eine Auflage aus Schotter, Sand oder dergleichen verlegt oder in ein Bett aus einem durch Abbinden erhärtenden Material eingebettet.

3. Das biegsame Schlauchstück ist in Form von Meterware zusammengerollt oder auf Trommeln geliefert.

4. Das biegsame Schlauchstück wird erst an der Baustelle in den zuvor durch Ausmessen ermittelten Längen abgetrennt.

II.

1. Es kann dahingestellt bleiben, ob das mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Verfahren - soweit angegriffen - neu ist, da es zumindest nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit ist.

Aus der Druckschrift K1 (vgl. insbes. die Darstellung oben rechts auf S. 18, die Darstellung auf S. 17 und die Darstellung unten auf S. 10) ist ein Verfahren zum Anschließen von Straßenabläufen oder dergleichen an einen tiefergelegenen Regen- oder Abwasserkanal mit folgenden Merkmalen bekannt:

1. Zwischen der Austrittsöffnung des Straßenablaufs (S. 18 - gully) oder dergleichen und einer Eintrittsöffnung des Regen- oder Abwasserkanals (S. 18 - carrier drain) bzw. eines mit dem Regen- oder Abwasserkanal verbundenen Kontrollschachtes (S. 17 - catchpit) wird mindestens ein biegsames Schlauchstück (S. 18 - flexible gully connecting pipe) verlegt.

3. Das biegsame Schlauchstück ist in Form von Meterware zusammengerollt oder auf Trommeln geliefert (S. 10, unten).

4. Das biegsame Schlauchstück wird erst an der Baustelle in den zuvor durch Ausmessen ermittelten Längen abgetrennt (S. 18 - cut to suit).

Von diesem bekannten Verfahren unterscheidet sich das Verfahren gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 - soweit angegriffen - durch das Merkmal:

2. Das Schlauchstück wird im Erdreich auf eine Auflage aus Schotter, Sand oder dergleichen verlegt oder in ein Bett aus einem durch Abbinden erhärtenden Material eingebettet.

Die DIN 4033, welche den Titel "Entwässerungskanäle und -leitungen - Richtlinien für die Ausführung" trägt und welche - wie überhaupt jede DIN-Vorschrift - das elementare Fachwissen auf dem jeweiligen einschlägigen Gebiet beinhaltet, erläutert ausführlich die verschiedenen Verlegarten von Rohren. Dabei wird u. a. ausgeführt, dass biegesteife Rohre (Abs. 4.1.10) und biegeweiche Rohre (Abs. 4.1.11) in Fällen, bei denen in der Grabensohle kein geeigneter Boden ansteht, auf einem Bett aus Sand, Kies oder Splitt (Abs. 6.2) oder in einer Ummantelung aus Beton (Abs. 6.3) gelagert werden müssen. Wie sich insbes. aus der Formulierung der Abs. 6.2 und 6.3 ergibt, ist dabei die Lagerung in einem Bett aus Sand, Kies oder Splitt oder in einer Ummantelung aus Beton sowohl für biegesteife als auch für biegeweiche Rohre geeignet.

Wenn daher der Fachmann, hier ein Ingenieur mit Erfahrung im Wasserwirtschaftsbau, nicht bereits aufgrund seines eigenen Fachwissens mit den unterschiedlichen Verlegetechniken der jeweiligen Rohre vertraut war, so konnte er auf die in der DIN 4033 enthaltenen Vorgaben zurückgreifen, die Ausführungen darüber enthält, wie ein Rohr, ob biegesteif oder biegeweich, zu lagern ist.

Der Beklagte hat zwar in der mündlichen Verhandlung dargetan, die DIN 4033 könne schon allein deshalb keine Hinweise auf die patentgemäße Verlegetechnik geben, da dort biegeweiche Rohre (Abs. 4.1.10) angesprochen seien, patentgemäß jedoch ein biegsames Schlauchstück verwendet werde. Dieser Vorhalt vermag jedoch schon deshalb nicht zu greifen, weil zwischen den einzelnen Begriffen kein Unterschied erkennbar ist.

Dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend wird als Rohr ein langer, zylindrischer Hohlkörper, der u. a. Gase, Flüssigkeiten oder feste Körper befördert, bezeichnet und als Schlauch eine flexible Leitung zur Förderung fester, flüssiger und gasförmiger Medien. Unter einem Schlauch ist folglich ein flexibles (= biegsames) Rohr zu verstehen. Ein flexibles Rohr kann aber immer auch ohne großen Kraftaufwand verformt werden und ist somit biegeweich, im Gegensatz zu einem biegesteifen Bauteil, bei dem eine Belastung keine wesentlichen Verformung hervorruft (vgl. hierzu auch die Definitionen von "biegesteif" und "biegeweich" in der DIN 4033, Abs. 4.1.10 und 4.1.1). Somit zeigt sich, dass zumindest im hier interessierenden Zusammenhang kein Unterschied zwischen einem biegeweichen Rohr und einem biegsamen Schlauch erkennbar ist.

Der Fachmann konnte daher ausgehend von der Druckschrift K1 mithilfe seines allgemeinen Fachwissens, zumindest aber gestützt auf die DIN 4033, ohne erfinderisch tätig zu werden, zum Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1 - soweit angegriffen - gelangen, da er allenfalls die DIN 4033 zu Rate zu ziehen brauchte, um Hinweise dahingehend zu erhalten, wie das den Straßenablauf mit dem Kanal verbindende biegsame Schlauchstück im Erdreich zu lagern ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.