AG Donaueschingen, Urteil vom 01.12.2010 - 31 C 235/10
Fundstelle
openJur 2011, 98618
  • Rkr:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen einen Vollstreckungsbescheid kann jedenfalls dann zurückgewiesen werden, wenn der Beklagte allzu sorglos die Post von seiner Mutter bearbeiten lässt und diese den Vollstreckungsbescheid aus Versehen falsch weiter leitet, sodass ihn der Beklagte nie zu Gesicht bekam.

Tenor

1. Der Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 21.07.2010 (10-9119523-2-6) wird zurückgewiesen.

2. Der Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Stuttgart vom 21.07.2010 (10-9119523-2-6) wird als unzulässig verworfen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht in der Sache Ansprüche aus unbezahlter Rechnung für Anzeigenaufträge sowie Schadensersatz wegen Nichterfüllung geltend.

Die Klägerin stand zur ... mit damaligem Geschäftssitz in der ... deren Geschäftsführer der Beklagte war, in Geschäftsbeziehung. Ziel war eine mediale Zusammenarbeit für eine im Juni 2010 geplante Veranstaltung, bei der die Parteien gegenseitige Werbeleistungen auf der Basis eines Kooperationsvertrages vom 24.03.2010 erbringen sollten. Hierzu erhielt die GmbH Ende Mai 2010 von der Klägerin diverse Werbemittel übersandt, zu deren Rückgabe die GmbH bei Nichtverwendung bzw. auch nach erfolgreichem Einsatz an die Klägerin verpflichtet war. Dieser Rückgabeverpflichtung kam die GmbH trotz diverser Aufforderungen der Klägerin jedoch nicht nach, was schließlich zu einer Herausgabeklage der Klägerin gegen die GmbH vom 18.06.2010 vor dem AG Donaueschingen führte, der durch Versäumnisurteil vom 05.08.2010 stattgegeben wurde (11 C 149/10). Die Akten sind beigezogen.

Parallel hierzu nimmt die Klägerin im vorliegenden Rechtsstreit den Beklagten persönlich in Anspruch.

Am 10.06.2010 wurde vom Amtsgericht Villingen-Schwenningen (Insolvenzgericht) Herr Rechtsanwalt ... zum vorläufigen Insolvenzverwalter der GmbH bestellt (Anl. AG 1).

Am 21.07.2010 erging im vorliegenden Rechtsstreit Vollstreckungsbescheid, der dem Beklagten am 04.08.2010 zugestellt wurde. Entgegen genommen wurde der Vollstreckungsbescheid dabei durch die Mutter des Beklagten, bei der der Beklagte auch damals schon wohnte und die vom Beklagten mit der Entgegennahme und Sichtung sämtlicher eingehender Post beauftragt war. Der Beklagte selbst war damals abwesend. Er hatte im Vorfeld seine Mutter gebeten, eingehende geschäftliche Post, die die GmbH betraf, an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten. Da Letzterer zur Zeit der Zustellung des streitgegenständlichen Vollstreckungsbescheids aber urlaubsbedingt abwesend war, sammelte die Mutter des Beklagten die GmbH-Post zunächst, um sie dann nach der Urlaubsrückkehr dem Insolvenzverwalter auszuhändigen. Versehentlich legte sie den Vollstreckungsbescheid, der nicht die GmbH sondern den Beklagten persönlich betraf, ebenfalls auf den für den Insolvenzverwalter bestimmten Stapel. Erst am 20.08.2010 erhielt der Beklagte Kenntnis von der Existenz des Vollstreckungsbescheids, als die zuständige Gerichtsvollzieherin daraus gegen ihn persönlich vollstrecken wollte.

Mit am 02.09.2010 per Fax beim Mahngericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten beantragt der Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versaumung der Einspruchsfrist und legt gleichzeitig Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid ein. Er behauptet, wegen Sprachproblemen auf die Hilfe seiner Mutter angewiesen gewesen zu sein und diese daher auch mit der Entgegennahme und Sichtung sämtlicher eingehender Post beauftragt zu haben. Überdies sei er damals wegen einer neuen beruflichen Tätigkeit nicht immer zu Hause anzutreffen gewesen. Seine Mutter habe den ihn persönlich betreffenden Vollstreckungsbescheid versehentlich nicht als solchen, sondern als die GmbH betreffend erachtet und daher nicht an den Beklagten weiter geleitet, sondern einfach zur GmbH-Post gelegt. Ein etwaiges Verschulden seiner Mutter sei ihm nicht zurechenbar, da diese weder seine gesetzliche Vertreterin noch seine Bevollmächtigte gewesen sei. Ein eigenes Verschulden treffe ihn nicht.

Die Klägerin beantragt, den Wiedereinsetzungsantrag zurückzuweisen und den Einspruch als unzulässig zu verwerfen. Sie bestreitet die unzureichenden Sprachkenntnisse des Beklagten, der ansonsten eine deutsche GmbH gar nicht hätte gründen können bzw. dürfen. Jedenfalls hätte er sich aber um eine unverzügliche Übersetzung eingehender Schriftstücke bemühen und auch seinen Haushalt so organisieren müssen, dass durch eingehende Gerichtspost ausgelöste Fristen auch eingehalten werden. Die Mutter sei offensichtlich eine unzuverlässige und auch ungeeignete Hiffsperson, wie der Fall eindrücklich zeige. Die übertragung der Aufgaben auf die Mutter sei daher durch den Beklagten nachlässig und somit schuldhaft erfolgt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die beigezogene Akte 11 C 149/10 des AG Donaueschingen verwiesen.

Gründe

1.

Der Einspruch des Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid ist verspätet. Letzterer wurde dem Beklagten am 04.08.2010 zugestellt, die 2-wöchige Einspruchsfrist aus §§ 700 Abs. 1, 339 Abs. 1 ZPO endete somit mit Ablauf des 18.08.2010. Der Einspruch des Beklagten ging aber erst am 02.09.2010 per Fax - zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag - beim Mahngericht ein. Er war daher gemäß § 341 Abs. 1 und 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung als unzulässig zu verwerfen.

2.

Der zulässige Wiedereinsetzungsantrag ist unbegründet. Der Beklagte hat die Einspruchsfrist gegen den Vollstreckungsbescheid nicht schuldlos versäumt (§ 233 ZPO). Es kann dahin stehen, ob ein Verschulden der Mutter des Beklagten diesem zuzurechnen ist, denn den Beklagten trifft vorlegend ein eigenes Verschulden. Im Rahmen von § 233 ZPO ist ein objektiv-abstrakter Verschuldensmaßstab nach § 276 Abs. 2 BGB anzulegen, wobei die Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei unter Berücksichtung der konkreten Umstände des Einzelfalls maßgeblich ist (BVerfG NJW 2004, 502; Zöller, ZPO, 28, Aufl. 2010, § 233 Rn. 12; Münchener Kommentar zur ZPO, 3. Aufl. 2008, § 233 Rn. 21), Diese Maßstäbe zugrunde gelegt muss dem Beklagten fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden. Dies betrifft nach Auffassung des Gerichts allerdings nicht die grundsätzliche Auswahl der Mutter zur Erledigung der Post. Im Gegensatz zur Klägerin leitet das Gericht allein aus dem Umstand, dass die Mutter übersehen hat, dass der fragliche Vollstreckungsbescheid den Beklagten persönlich betraf und nicht die GmbH, nicht deren generelle Ungeeignetheit ab, sich den Postangelegenheiten des Beklagten anzunehmen.

Allerdings musste man vom Beklagten angesichts der damaligen Umstände gesteigerte Vorsorgemaßnahmen erwarten, als von diesem letztlich getroffen. Der Beklagte hat sich allzu sorglos darauf verlassen, die Mutter werde schon alles korrekt und zuverlässig erledigen. Zur damaligen Zeit war gerade das Insolvenzverfahren über die GmbH des Beklagten angelaufen, ein vorläufiger Insolvenzverwalter war nur etwa zwei Monate vor Zustellung des Vollstreckungsbescheides bestellt worden. Schon dieser Umstand ließ - auch für den Beklagten vorhersehbar - einen vermehrten Posteingang beim Beklagten erwarten, insbesondere auch solchen seitens der Gläubiger. Dies betraf aber nicht nur die an die GmbH adressierte und ausschließlich diese betreffende Korrespondenz, sondern gleichermaßen auch jene, die an den Beklagten persönlich gerichtet war, sei es als (ehemaligen) Geschäftsführer der GmbH oder aber als deren Gesellschafter, der er nach seinem eigenen Vorbringen auch trotz der insolvenzrechtlichen Anordnungen damals noch immer war. Hinzu kommt, dass oftmals eine Differenzierung solch einer Korrespondenz nach geschäftlicher oder nicht-geschäftlicher Relevanz kaum bzw. nur sehr schwer möglich ist, zumal für einen Laien, wie dies die Mutter des Beklagten ohne Zweifel war. Gerade die persönliche Inanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH stellt einen durchaus häufig vorkommenden Fall dar, unabhängig von deren Erfolgsaussichten. Mit entsprechenden Forderungsschreiben muss daher immer gerechnet werden.

Vorliegend kam ein weiterer besonderer Umstand hinzu, der den Beklagten zu erhöhter Sorgfalt verpflichtete. Die geplante Zusammenarbeit mit der Klägerin auf Grundlage des Kooperationsvertrages vom März 2010 war gerade gescheitert. Der Beklagte sah sich konkreten Rückforderungsverlangen seitens der Klägerin ausgesetzt, die u.a. mit Mail bzw. Schreiben vom 08.06. und 14.06.2010 vom Beklagten in dessen Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH unmissverständlich und mit Fristsetzung die Rückgabe der zur Verfügung gestellten Werbematerialien gefordert hatte (Anl. K 2 und K 3 der beigezogene Akte 11 C 149/10). Diesem Verlangen war der Beklagte nicht nachgekommen. Ihm musste also klar gewesen sein, dass die Klägerin ihre Ansprüche weiterverfolgen würde, ggfs. auch gerichtlich. Da letztlich der Beklagte den Besitz an diesen Werbematerialien für die GmbH ausübte, war auch damit zu rechnen, dass entsprechende Herausgabe- und Folgeansprüche an ihn persönlich herangetragen würden, wie dann letztlich auch geschehen. Auch und gerade mit fristauslösender Gerichtspost war somit nicht nur abstrakt, sondern angesichts des Vorstehenden auch ganz konkret jederzeit zu rechnen. Der Beklagte macht es sich allzu leicht, wenn er sich auf den Standpunkt stellt, für all dies habe er ja schließlich seine Mutter engagiert. Als Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH - Sprachdefizite hin oder her - kann der Beklagte sich seinen hieraus erwachsenen, erhöhten Pflichten nicht durch eine schlichte Abwälzung der Verantwortung auf seine in gesellschaftsrechtlichen Dingen nicht bewanderte Mutter entziehen. Von ihm hätte man unter den geschilderten Umständen wenigstens eine regelmäßige, in kurzen - mindestens wöchentlichen - Abständen vorzunehmende Erkundigung und Nachfrage bei seiner Mutter nach dem Inhalt der eingegangenen Post erwartet, ebenso eine regelmäßige Sichtung derselben. Das musste man gerade zur Vermeidung von Fristabläufen vom Beklagten erwarten. Dies gilt um so mehr, als sich der Insolvenzverwalter zur fraglichen Zeit im Urlaub befand und der Beklagte sich deshalb noch weniger darauf verlassen konnte und durfte, dass der Insolvenzverwalter zeitnah in den Besitz der Post gelangte, um drohende Fristenabläufe wie den vorliegenden noch rechtzeitig zu bemerken.

Es kann davon ausgegangen werden, dass solche Erkundigungs- und Überprüfungsmaßnahmen durch den Beklagten dazu geführt hätten, dass dieser frühzeitig ohne Schwierigkeiten - wie dann ja später am 20.08.2010 auch - zutreffende Kenntnis vom Inhalt des Vollstreckungsbescheides und der laufenden Einspruchsfrist genommen hätte. Die Möglichkeit eines rechzeitigen Einspruchs hätte dann noch bestanden.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollsteckbarkeit beruht auf 708 Nr. 3 ZPO.