BGH, Urteil vom 15.03.2004 - II ZR 136/02
Fundstelle
openJur 2012, 55806
  • Rkr:
Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 7. März 2002 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger ist ein Verein, dessen Zweck darin besteht, die Volksfestveranstaltungen auf dem Heiligengeistfeld in H. sowie die Veranstaltungen anläßlich der Feier des Hafengeburtstags durch Werbemaßnahmen zu fördern. Der Beklagte war Oberregierungsrat und leitete in der H. Senatsverwaltung das Referat "Volksfeste, Sonderveranstaltungen und Märkte", das sog. Domreferat. Er war zeitweise auch Vorstandsmitglied des Klägers. Die übrigen Vorstandsmitglieder sind Schausteller. Wegen deren häufiger Ortsabwesenheit wurden die Geschäfte des Vereins weitgehend von dem Beklagten geführt, auch nachdem er nicht mehr dem Vorstand angehörte.

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 286.191,69 DM. Dazu behauptet er, der Beklagte habe in 28 Fällen ohne Zustimmung des Vorstands Vereinsgelder für eigene Zwecke oder zugunsten ihm nahe stehender Personen verwandt. Unter anderem wegen dieser Vorwürfe hat gegen den Beklagten ein Strafverfahren stattgefunden, in dem er ein umfassendes Geständnis abgelegt hat und daraufhin wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden ist.

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß zum Schadensersatz verurteilt. Seine Berufung ist erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten.

Gründe

Die Revision ist begründet.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte sei gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266 Abs. 1 StGB zum Schadensersatz in dem eingeklagten Umfang verpflichtet. Daß er den Tatbestand der Untreue erfüllt habe, stehe fest aufgrund seines Geständnisses in dem Strafverfahren. Zwar sei dieses Geständnis für den Zivilprozeß nicht bindend. Gleichwohl führe die Beweiswürdigung dazu, daß der Beklagte an dem Geständnis festzuhalten sei. Damit stehe auch der Umfang des Schadens fest.

II. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat den Prozeßstoff nicht erschöpfend ausgewertet.

1.

Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, daß ein in einem anderen Prozeß abgelegtes Geständnis nicht die Wirkungen der §§ 288, 290 ZPO entfaltet, sondern lediglich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO als Indiz für die Wahrheit der zugestandenen Tatsachen zu berücksichtigen ist (BGH, Urt. v. 30. Oktober 1984 -IX ZR 6/84, VersR 1985, 83, 85; Urt. v. 15. Juni 1994 -XII ZR 128/93, NJW 1994, 3165, 3167; BAG, Urt. v. 9. Februar 1995 -2 AZR 389/94, NJW 1996, 1299, 1300; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 288 Rdn. 24, § 290 Rdn. 9; MünchKommZPO/Prütting, 2. Aufl. § 288 Rdn. 37, § 290 Rdn. 3). In diesem Rahmen kann das Geständnis eine so große Beweiskraft entfalten, daß es zur richterlichen Überzeugungsbildung auch dann ausreicht, wenn es widerrufen worden ist und die beweisbelastete Gegenpartei keine weiteren Beweismittel vorgebracht hat.

2.

Das Berufungsgericht hat aber den im Zivilprozeßrecht geltenden Grundsatz der Pflicht zur Erschöpfung der angebotenen Beweismittel nicht beachtet. Danach darf das Gericht seiner Entscheidung keine für eine Partei ungünstige Tatsache zugrunde legen, ohne zuvor alle von dieser Partei dazu angebotenen Gegenbeweise erhoben zu haben, sofern nicht ein verfahrensoder beweisrechtlicher Grund zur Ablehnung des Beweisantrags vorliegt (BVerfG, Beschl. v. 8. November 1978 -1 BvR 158/78, NJW 1979, 413; BGHZ 53, 245, 259 f.; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1996 -XI ZR 319/95, NJW-RR 1997, 238; Urt.

v. 18. November 2003 -XI ZR 332/02, ZIP 2004, 159, 162).

Gegen diesen Grundsatz hat das Berufungsgericht verstoßen. Es hat versäumt, die von dem Beklagten angebotenen Beweise zu erheben. Der Beklagte hat die Vorwürfe des Klägers bestritten und dazu in den mit der Revisionsbegründung aufgezeigten Fällen Beweis angetreten. Er hat dieses Bestreiten auch nach seinem Geständnis in dem Strafverfahren aufrechterhalten. So hat er zur Begründung seiner Berufung nach der strafgerichtlichen Verurteilung vorgetragen, daß er an seinen Einwendungen festhalte. In dem Schriftsatz vom 4. Dezember 2001 hat er erklärt, daß er sein Geständnis aus dem Strafverfahren in allen Punkten widerrufe.

Damit hätte das Berufungsgericht die von dem Beklagten angetretenen Beweise erheben müssen. Das Vorbringen des Beklagten war erheblich. Dabei kommt es nicht darauf an, ob den angeblichen Auftragsvergaben Vorstandsbeschlüsse zugrunde gelegen haben. Eine zum Schadensersatz verpflichtende Untreue des Beklagten würde bereits dann ausscheiden, wenn den von ihm veranlaßten Zahlungen gleichwertige und dem Kläger nützliche Gegenleistungen entsprochen hätten.

Dieser Beweisaufnahme standen verfahrensoder beweisrechtliche Gründe nicht entgegen. Auch war sie nicht nach § 287 ZPO entbehrlich. Diese Vorschrift bezieht sich nur auf die Höhe der Forderung, nicht auf den Haftungsgrund (BGH, Urt. v. 28. April 1982 -IVa ZR 8/81, NJW 1983, 998). Hier aber geht es um die Frage, ob der Beklagte in den streitigen Fällen jeweils eine unerlaubte Handlung begangen hat.

3. Soweit der Beklagte hinsichtlich einzelner Fälle keinen Beweis angetreten oder nur eine nach §§ 445 ff. ZPO unzulässige Parteivernehmung beantragt hat, war das Verfahren des Berufungsgerichts ebenfalls fehlerhaft. Der Beklagte hat sich auch insoweit zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen im einzelnen erklärt. Dieses Vorbringen hätte das Berufungsgericht würdigen müssen. Der pauschale Hinweis auf das Geständnis in dem Strafverfahren reichte dazu nicht aus.

III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die Würdigung des Vortrags des Beklagten und die Beweisaufnahme nachgeholt werden können.

Röhricht Goette Kraemer Graf Strohn