Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 29.08.2003 - 9 ME 421/02
Fundstelle
openJur 2012, 40254
  • Rkr:

Will eine Gemeinde erreichen, dass die sachliche Beitragspflicht im Straßenausbaubeitragsrecht trotz Vorliegens der übrigen rechtlichen Voraussetzungen nicht entsteht, bevor der erforderliche Grunderwerb abgeschlossen ist, muss sie dies satzungsrechtlich regeln oder bei jeder Ausbaumaßnahme im Bauprogramm verankern.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 22. November 2001 geltend gemachten Ansprüche auf Straßenausbaubeiträge für den Ausbau von Gehweg und Parkbucht an der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße B. ("C.") und für den Ausbau des Gehweges an der Ortsdurchfahrt der Kreisstraße D. ("E.") im Ortsteil F. der Antragsgegnerin im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide bereits nach§ 11 Abs. 1 Nr. 4b NKAGi.V.m.§§ 169 Abs. 2,170 Abs. 1 AOverjährt waren, weil die sachliche Beitragspflicht nicht erst mit dem Abschluss des Grunderwerbs im Februar 1999 entstanden ist. Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Überprüfung sich der Senat gemäߧ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGOzu beschränken hat, führt zu keiner anderen Beurteilung.Enthält die Straßenausbaubeitragssatzung der Gemeinde - wie hier - keine Regelung darüber, welche Merkmale erfüllt sein müssen, damit der Zustand der Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme im Sinne von § 6 Abs. 6 NKAG als erreicht angesehen werden kann, richtet sich die Beantwortung dieser Frage nach dem für die einzelne Straße aufgestellten Bauprogramm der Gemeinde. Dieses wird sich in der Regel aus einer Satzung oder einem Beschluss des Gemeinderates ergeben, da es sich bei der Festlegung des Bauprogramms nicht um ein sog. Geschäft der laufenden Verwaltung handelt, für das § 62 Abs. Nr. 6 NGO die Zuständigkeit des Bürgermeisters (früher: Gemeindedirektors) begründet (ebenso: VG Gera, Urt. v. 2.4.1998 - 5 K 1051/95 - GemHH 1999, 17 für das thüringische Kommunalrecht). Beitragsrechtlich reicht es allerdings auch aus, das jeweilige Bauprogramm konkludent durch den Abschluss von Verträgen oder formlos durch die Verwaltung festzulegen (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 6. Aufl. 2001, § 33 RdNr. 5 mit Nachw.). Da der Grunderwerb nicht bereits kraft Gesetzes Voraussetzung für die Beendigung der beitragsfähigen Maßnahme ist, sind die im Zusammenhang mit einer beitragsfähigen Maßnahme entstandenen Grunderwerbskosten bei fehlender satzungsrechtlicher Regelung grundsätzlich nur beitragsfähig, wenn sie entstanden sind, bevor die Maßnahme im Rechtssinne beendet wurde und damit die sachliche Beitragspflicht entstanden ist. Soll der Abschluss des Grunderwerbs im konkreten Fall Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht sein, so muss sich dies aus dem Bauprogramm ergeben. Ist zwischen den Beteiligten streitig, ob der Grunderwerb zum Bauprogramm gehört und lässt sich dies nicht klären, trägt die Gemeinde die Feststellungslast mit der Folge, dass - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen hierfür - die beitragsfähige Maßnahme unabhängig vom Grunderwerb als beendet anzusehen ist (vgl. OVG Münster, Urt. v. 13.12.1990 - 2 A 1952/78 - HSGZ 91, 268 = GemHH 192, 21).

Der Senat tritt dem Verwaltungsgericht in der Beurteilung bei, dass die Antragsgegnerin nicht den Nachweis hat erbringen können, dass der Abschluss des Grunderwerbs bei den hier abgerechneten Ausbaumaßnahmen Voraussetzung für die Beendigung der beitragsfähigen Maßnahmen sein sollte. Das technische Bauprogramm für den abgerechneten Ausbau der Ortsdurchfahrten ist den hierüber abgeschlossenen Vereinbarungen zwischen dem Landkreis Hildesheim und der Antragsgegnerin aus den Jahren 1980 und 1987 sowie den Unterlagen zu entnehmen, auf die in diesen Vereinbarungen Bezug genommen wird. Darin finden sich - unstreitig - keine Aussagen zum Grunderwerb. Der Auffassung der Antragsgegnerin, der Abschluss des Grunderwerbs sei durch den auf der Vereinbarung aus dem Jahre 1980 handschriftlich aufgetragenen Vermerk, auf den ein Vermerk auf der Vereinbarung aus dem Jahre 1987 verweist, Teil des jeweiligen Bauprogramms geworden, folgt auch der Senat nicht. Der mit der Empfängerbezeichnung "Achtung 66 + 60" versehene Vermerk vom 7. August 1984 hat folgenden Wortlaut :

"Nach den techn. Ausbauarbeiten ist eine Trennvermessung v. Fahrbahn, Gehwegen, Parkbuchten erforderlich. Die Stadt Alfeld muß Eigentümer der Flächen werden. Dies ist Voraussetzung zur Abrechnung der Straßenausbaubeiträge gem. Satzung".

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht festgestellt, dass diesem Vermerk nicht die Bedeutung eines Bauprogramms des Inhalts beigemessen werden kann, der Abschluss des Grunderwerbs solle Voraussetzung für die Beendigung der Ausbaumaßnahmen im Sinne von § 6 Abs. 6 NKAG sein. Der Verfasser des Vermerks legt lediglich seine - unzutreffende - Rechtsauffassung dar, die Satzung verlange für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen den vorherigen Grunderwerb an den für den Ausbau benötigten Flächen, und verbindet dies mit dem Hinweis, das Eigentum hieran müsse erworben werden. Eine im Sinne eines Bauprogramms rechtlich beachtliche Festlegung dahingehend, dass die Ausbaumaßnahmen trotz Vorliegens der übrigen rechtlichen Voraussetzungen nicht vor Abschluss des Grunderwerbs als beendet angesehen werden sollen, kann hierin nicht gesehen werden. Die Antragsgegnerin hätte den Vermerk zum Anlass nehmen können, durch Herbeiführung eines entsprechenden Ratsbeschlusses oder in sonstiger unzweifelhafter Weise das technische Bauprogramm entsprechend zu ergänzen. Denn zum Zeitpunkt der Niederlegung der beiden Vermerke lagen die Schlussrechnungen für die Baumaßnahmen noch nicht vor, so dass die sachliche Beitragspflicht in beiden Abrechnungsfällen noch nicht entstanden war und das Bauprogramm noch hätte ergänzt werden können (vgl. Driehaus, a.a.O., § 33 RdNr. 7 unter Hinweis auf OVG Magdeburg - Beschl. v. 30.5.2000 - A 2 S 745/99 u.a. -) Dies ist indes nicht geschehen.

Der Hinweis der Antragsgegnerin, fremdes Grundeigentum betreffende straßenausbaubeitragspflichtige Maßnahmen würden von ihr in ständiger Übung immer erst abgerechnet, wenn sie Eigentümerin der in Anspruch genommenen Flächen sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Will eine Gemeinde erreichen, dass die sachliche Beitragspflicht im Ausbaubeitragsrecht trotz Vorliegens der übrigen rechtlichen Voraussetzungen nicht entsteht, bevor der erforderliche Grunderwerb abgeschlossen ist, muss sie dies in der Satzung regeln. Andernfalls ist sie - wie dargelegt - gezwungen, dies bei jeder Ausbaumaßnahme im Bauprogramm zu verankern. Eine hiervon abweichende Verwaltungspraxis wäre rechtswidrig und deshalb unbeachtlich.