OLG München, Beschluss vom 13.10.2009 - 11 W 2244/09
Fundstelle
openJur 2012, 103909
  • Rkr:
Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 14.07.2009 wird dahin abgeändert, dass die von der Beklagtenpartei an die Klagepartei zu erstattenden Kosten auf 187,83 EUR festgesetzt werden.

II. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

III. Von den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 71 % und der Beklagte 29 %.

Die Gerichtskosten trägt die Klägerin. Die Gebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.

IV. Der Wert der Beschwerde beträgt 205,14 EUR.

Gründe

I.

Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit restlichen Werklohn in Höhe von 10.914,63 € und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 837,52 € (1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 683,80 € zuzüglich Unkostenpauschale und Umsatzsteuer) geltend gemacht. Im Termin vom 17.04.2009 haben die Parteien vor dem Landgericht Kempten (Allgäu) einen Prozessvergleich geschlossen. Dabei hat sich der Beklagte verpflichtet, einen Betrag von 6.500,00 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 507,50 € an die Klägerin zu bezahlen. Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben die Klägerin 40 % und der Beklagte 60 % übernommen. Die Rechtspflegerin hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 14.07.2009 die von der Beklagtenpartei an die Klagepartei zu erstattenden Kosten auf 128,94 € festgesetzt und dabei bei den außergerichtlichen Kosten der Klägerin auf die Verfahrensgebühr die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr in Höhe von 683,80 € zur Hälfte angerechnet.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die 1,3 Verfahrensgebühr in Höhe von 683,80 € sei voll zu berücksichtigen. Wenn jedoch bei der Klägerin eine außergerichtliche Anwaltstätigkeit gemäß der Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG angerechnet werde, müsse dies in gleicher Weise bei dem ebenfalls vorgerichtlich durch seinen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beklagten geschehen.

Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde mit Hinweis auf die auch auf Altfälle anwendbare Regelung in § 15 a Abs. 2 RVG nicht abgeholfen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO).

Das Rechtsmittel erweist sich zum Teil auch als begründet. Auf Grund der Titulierung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr zu Gunsten der Klägerin ist diese gemäß der Vorbem. 3 Abs. 4 VV-RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Die Anrechnung kann jedoch nur erfolgen, soweit tatsächlich eine Titulierung erfolgt ist.

1. Mit der Verkündung des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht vom 30.07.2009 (BGBl I vom 04.08.2008, S. 2449 ff.) ist in das RVG der neue § 15 a eingefügt worden und am 05.08.2009 in Kraft getreten (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 und Art. 10 Satz 2 des Gesetzes vom 30.07.2009).

a) Nach § 15 a Abs. 2 RVG n.F. kann sich ein Dritter - wie der erstattungspflichtige Prozessgegner im Kostenfestsetzungsverfahren - auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Diese Regelung entspricht - soweit sie die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG betrifft - der schon früher vom Senat vertretenen Rechtsauffassung (vgl. Senat AnwBl. 2007, 797). Die gegenteilige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 2008, 1323) ist durch die nunmehr erfolgte Klarstellung des Gesetzgebers mit der Einfügung des § 15 a RVG überholt (vgl. Hansens AnwBl. 2009, 535 ff.).

8b) Da § 15 a Abs. 2 RVG n.F. nicht die Berechnung der Vergütung des Rechtsanwalts regelt, sondern das Verhältnis zum erstattungspflichtigen Prozessgegner betrifft, greift die Übergangsregelung des § 60 RVG nicht ein, sondern die Vorschrift ist - unabhängig vom Zeitpunkt der Auftragserteilung - in allen derzeit noch nicht abgeschlossenen Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar, also auch in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren (vgl. BGH Beschluss vom 02.09.2009 - II ZB 35/07 - bisher nur in „juris“ veröffentlicht; ebenso OLG Stuttgart AGS 2009, 371 = AnwBl. 2009, 721; OLG Dresden Beschluss vom 13.08.2009 - 3 W 793/09 - RVGreport 2009, 352 - Leitsatz mit Anm. von Hansens; OLG Koblenz Beschluss vom 01.09.2009 - 14 W 553/09 - bisher nur in „juris“ veröffentlicht; Müller-Rabe, NJW 2009, 2913, 2916, Ziff. VII). Die von den Oberlandesgerichten Celle (Beschluss vom 26.08.2009 - 2 W 240/09 - OLGR Celle 2009, 749), Frankfurt (Beschluss vom 10.08.2009 - 12 W 91/09) und Bamberg (Beschluss vom 15.09.2009 - 4 W 139/09) sowie dem 2. Zivilsenat des Kammergerichts (Beschluss vom 13.08.2009 - 2 W 128/09) vertretene Gegenmeinung, wonach § 15 a RVG für sogenannte „Altfälle“ wegen der hier anwendbaren Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 RVG nicht gelten soll, stellt allein darauf ab, ob es sich bei der Neuregelung des § 15 a RVG um eine Gesetzesänderung handelt. Hierauf kommt es jedoch im Hinblick auf den Wortlaut des § 15 a Abs. 2 RVG im Verhältnis zum erstattungspflichtigen Prozessgegner nicht an. Zudem sind die genannten Entscheidungen durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 02.09.2009 - II ZB 35/07 - überholt.

9c) Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass sich der Beklagte als Prozessgegner und damit „Dritter“ im Sinne von § 15 a Abs. 2 RVG n. F. auf die Anrechnung der auf Seiten der Klagepartei unstreitig entstandenen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr berufen kann, da diese im Vergleich vom 17.04.2009 tituliert worden ist. Dies gilt jedoch bereits nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 2 RVG nur, soweit tatsächlich eine Titulierung erfolgt ist.

aa) Die Klägerin hatte mit ihrer Klage eine 1,3 Geschäftsgebühr aus einem der Hauptsacheforderung entsprechenden Gegenstands-wert von 10.914,63 € geltend gemacht. Im Vergleich ist eine Zahlung des Beklagten in Höhe von 6.500,00 € vereinbart worden. Dies entspricht einer Quote von 60 % der Klageforderung. Deshalb hat der Beklagte sich auch folgerichtig verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu 60 % zu tragen.

bb) Die weiter im Vergleich zuerkannten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 507,50 € entsprechen einer unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH NJW 2008, 1888 = AnwBl. 2008, 210) ermittelten 1,3 Geschäftsgebühr aus dem zugesprochenen Hauptsachebetrag von 6.500,00 € zuzüglich der Pauschale für Post- und Telekommunikation in Höhe von 20,00 €. Die in der Klage geltend gemachte Umsatzsteuer war wegen der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin nicht zu berücksichtigen (zur Berechnung der Anrechnung vgl. Enders, JurBüro 2009, 449, 452).

12cc) Die dritte Alternative des § 15 Abs. 2 RVG steht dem nicht entgegen. Dasselbe Verfahren im Sinne dieser Bestimmung ist nicht gegeben, wenn die vorprozessuale Geschäftsgebühr - wie im vorliegenden Fall - im Hauptsacheverfahren eingeklagt und die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren geltend gemacht wird (Müller-Rabe, NJW 2009, 2913, 2914; ebenso zweifelnd, aber im Ergebnis a. A.: Hansens, RVGreport 2009, 201, 204). Als Anwendungsbereich der dritten Alternative des § 15 Abs. 2 RVG verbleiben die Fälle, dass der Erstattungsberechtigte nach einem vorausgegangenen Mahnverfahren, selbständigen Beweisverfahren oder einem Vorverfahren im Verwaltungsrecht die entstandenen Verfahrens- bzw. Geschäftsgebühren ohne die gebotene Anrechnung nebeneinander im Kostenfestsetzungsverfahren geltend macht (Müller-Rabe, a.a.O. ).

2. Unabhängig davon, ob auch auf Seiten des Beklagten eine vorgerichtliche Geschäftsgebühr entstanden ist, scheidet deren Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach der Neuregelung in § 15 a Abs. 2 RVG aus, da insoweit die Voraussetzungen (Erfüllung, Titulierung, Geltendmachung im selben Verfahren) nicht erfüllt sind.

3. Damit ergibt sich folgende zutreffende Berechnung:

a) Außergerichtliche Kosten der Klägerin:       1,3 Verfahrensgebühr683,80 €abzüglich 0,65 Geschäftsgebühr       aus dem Wert 6.500,00 € gem.       Vorb. 3 Abs. 4 VV-RVG; § 15 a Abs. 2 RVG      - 243,75 €Verbleibende Verfahrensgebühr440,05 €1,2 Terminsgebühr631,20 €1,0 Einigungsgebühr526,00 €Post- und Telekommunikationspauschale     20,00 €Gesamtbetrag1.617,25 €b) Kostenausgleich:       Außergerichtliche Kosten Klägerin1617,25 €Außergerichtliche Kosten Beklagter2.284,80 €Außergerichtliche Kosten insgesamt3.902,80 €Davon tragen:       Klägerin: 40% =1.560,82 €      Beklagter: 60 % =    2.341,23 €eigene Kosten1.617,25 €      eigene Kosten-2.284,80 €Überschuss:56,43 €      zu erstatten56,43 €Vom Beklagten sind somit 56,43 € an außergerichtlichen Kosten an die Klägerin zu erstatten. Nach Hinzurechnung der nicht angegriffenen Gerichtskosten von 131,40 € ergibt sich der unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses festzusetzende Erstattungsbetrag zu Gunsten der Klägerin in Höhe von 187,83 €.

3. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Gerichtskosten sind nur angefallen, soweit die sofortige Beschwerde zurückgewiesen wurde. Sie sind deshalb von der Klägerin zu tragen. Wegen des nicht unerheblichen Erfolgs der Beschwerde war es sachgerecht, die Gebühr auf die Hälfte zu ermäßigen (Nr. 1812 KV-GKG).

4. Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde bestand kein Anlass, da die Frage, ob § 15 a RVG auch für Altfälle gilt, in denen der unbedingte Auftrag zur Erledigung der Angelegenheit vor dem 05.08.2009 erteilt wurde, mittlerweile durch den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 02.09.2009 höchstrichterlich entschieden ist.