VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.10.1996 - 1 S 3164/95
Fundstelle
openJur 2013, 10218
  • Rkr:

1. Die aus ästhetischen Gründen erlassene Regelung in einer Friedhofsordnung, wonach bei der Gestaltung der Grabmale Politur unzulässig ist, ist mit dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit in der Regel nur vereinbar, wenn in der Satzung sichergestellt ist, daß solche Grabmale auf einem anderen gleichwertigen Gräberfeld desselben Friedhofs aufgestellt werden dürfen (Fortführung der Rechtsprechung des Senats, Urteile v 25.1.1988, DÖV 1988, 474 und v 26.9.1989, BWVPr 1990, 89ff).

Tatbestand

Die Klägerinnen begehren die Zustimmung zur Errichtung eines polierten Grabsteins auf dem Friedhof von R. Die Klägerin zu 1 ist die Ehefrau, die Klägerin zu 2 die Tochter des am 28.6.1993 verstorbenen, zuletzt in R. wohnhaften x, der auf dem Friedhof M. bestattet ist.

Mit Schreiben vom 18.8.1993 stellte die Klägerin zu 2 bei der Beklagten den Antrag, die Zustimmung zur Errichtung eines Grabsteins aus poliertem, braunem Granit auf dem Grab des Verstorbenen. Mit Bescheid vom 1.9.1993 stimmte die Beklagte der Errichtung dieses Grabmals zu mit der Auflage, als feinste Bearbeitung "Mattschliff Korn 220" zu verwenden. Zur Begründung führte sie an, daß nach § 15 Abs. 4 der gültigen Friedhofsordnung Politur nicht zulässig sei.

Am 20.9.1993 legte die Klägerin zu 2 gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, sie sehe keinen vernünftigen Grund, warum ein Stein nicht poliert sein solle, sondern matt. Die Politur schade dem Allgemeinbild des Friedhofs in keinster Weise. Mit Schreiben vom 2.11.1993 und 7.12.1993 trug der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen ergänzend vor, daß mindestens zwei mit Feinschliff versehene und polierte Grabsteine auf dem Friedhof M. stünden, die in den Jahren 1989 und 1990 aufgestellt worden seien. Eine Bestattung des Verstorbenen auf dem Friedhof Rs., auf dem polierte Grabsteine zulässig seien, wäre für die Klägerin zu 1 nicht zumutbar gewesen, da für sie der Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln von M. aus äußerst beschwerlich wäre.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.12.1993 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. In der Begründung wurde ausgeführt, daß besondere, über den Friedhofszweck hinausgehende Gestaltungsvorschriften in bestimmten Friedhofsbereichen dann zulässig seien, wenn auf dem Friedhof bzw. im Gemeindegebiet andere Friedhofsteile zur Verfügung stünden, für die solche zusätzlichen Anforderungen nicht gelten würden. Diesen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen habe die Beklagte durch die vorgesehene Auswahlmöglichkeit zwischen Grabfeldern mit allgemeinen Gestaltungsvorschriften auf dem Friedhof Rs. und Grabfeldern mit besonderen Gestaltungsvorschriften auf allen anderen Friedhöfen der eingegliederten Gemeinden Rechnung getragen. Polierte und feingeschliffene Grabsteine hätten den Nachteil, daß sie auf Grund dieser Politur nicht altern würden, d.h., das sonst gegebene gute Erscheinungsbild, daß sich im Rahmen einer gewissen "Vergänglichkeit" ergebe, würde hier zusätzlich nachhaltig gestört werden. Um den berechtigten Interessen der Hinterbliebenen dennoch weitgehend gerecht zu werden, sei festgelegt worden, daß ein Schliff mit Körnung 220 noch zugelassen werde. Diese Bearbeitungsart komme einer Politur sehr nahe, ohne deren unerwünschte glänzende Ansichtsfläche zu haben. Der Widerspruchsbescheid ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen nach dessen Vorbringen am 14.12.1993 zugegangen. Ein Zustellungsnachweis findet sich weder in den Behördenakten noch in den Handakten des Prozeßbevollmächtigten.

Mit einem Schriftsatz, der das Datum vom 4.1.1994 trägt, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Anläßlich einer schriftlichen Nachfrage des Prozeßbevollmächtigten vom 23.2.1994, in der Bezug auf diesen Klageschriftsatz genommen worden ist, ist diesem telefonisch von der Geschäftsstelle mitgeteilt worden, daß ein Vorgang "x gegen Stadt R." bei Gericht nicht bekannt sei. Daraufhin hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerinnen bei Gericht einen Klageschriftsatz eingereicht, welcher das Datum vom 4.1.1994 trägt. Dieser ist am 26.2.1994 eingegangen.

Die Klägerinnen haben Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist beantragt sowie den Antrag gestellt, die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 1.9.1993 und ihres Widerspruchsbescheids vom 7.12.1993 zu verpflichten, die beantragte Zustimmung zur Errichtung eines polierten Grabmals aus braunem Granit auf dem Grab von x auf dem Friedhof M. zu erteilen. Zur Begründung haben sie vorgetragen, daß die in § 15 Abs. 4 Friedhofsordnung enthaltene Regelung rechtswidrig sei, weil die Beklagte als Friedhofsträgerin gehalten sei, im jeweiligen Ortsteil, also auch in R., eine ausreichende Wahlmöglichkeit für die Gestaltung der Grabsteine zur Verfügung zu stellen. Einen Zeitaufwand von etwa zwei Stunden bei Benutzung öffentlicher Verkehrsverbindungen für einen Grabbesuch auf dem Friedhof Rs. sei insbesondere der Klägerin zu 1 nicht zumutbar. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat zur Begründung ausgeführt, daß die gegebene Wahlmöglichkeit ausreichend sei, weil die Klägerinnen Mitnahmemöglichkeiten in Anspruch nehmen und die Grabpflege in Auftrag geben könnten. Angesichts der knappen Friedhofsflächen könnten die geforderten Wahlmöglichkeiten in betriebswirtschaftlich angemessener Form nicht geschaffen werden.

Nach Einnahme eines Augenscheins auf den Friedhöfen M. und Rs. hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 1.6.1995 dem Antrag der Klägerinnen entsprechend den Klagen stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klagen seien als Verpflichtungsklage in bezug auf beide Klägerinnen zulässig, insbesondere sei die Klagefrist nicht versäumt worden. Da die wirksame Zustellung des Widerspruchsbescheids vom 7.12.1993 nicht habe nachgewiesen werden können, sei die Klagefrist des § 74 VwGO nicht in Gang gesetzt worden. Die Klagen seien auch begründet. Die Errichtung des streitigen Grabsteins widerspreche nicht geltenden Rechtsvorschriften. Die entgegenstehenden Vorschriften des § 15 Abs. 4 Nr. 1 in Verb. mit § 14 Abs. 1 der Friedhofsordnung der Beklagten verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und seien deshalb rechtsunwirksam.

Gegen das ihr am 10.10.1995 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.10.1995 Berufung eingelegt und beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 1.6.1995 - 6 K 560/94 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt ergänzend vor, daß die Inanspruchnahme des 6 km entfernt gelegenen Friedhofs Rs. den Klägerinnen auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips zumutbar gewesen wäre. Die einfache Wegstrecke von R. bis zu diesem Friedhof beanspruche mit öffentlichen Verkehrsmitteln ausweislich des Fahrplans je nach Anbindung und Umsteigepause eine Fahrzeit von 45 bis 60 Minuten.

Die Klägerinnen beantragen unter Hinweis auf die angegriffene Entscheidung,

die Berufung zurückzuweisen.

Dem Senat liegen die Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf diese Akten und die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten verwiesen.

Gründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerinnen im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und auch nicht vertreten waren, da die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Recht stattgegeben. Es hat die Klagen zutreffend als zulässig (1.) und begründet (2.) erachtet.

1. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, daß das Klagebegehren als Verpflichtungsklage zu verfolgen ist und daß die Zulässigkeit der Verpflichtungsklage der Klägerin zu 1 nicht daran scheitert, daß diese in dem Antragsschreiben der Klägerin zu 2 vom 19.8.1993 nicht als Antragstellerin aufgeführt war; denn die Klägerin zu 1 hat sich in konkludenter Weise nachträglich mit dem an die Beklagte gerichteten Schreiben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen vom 2.11.1993 dem von ihrer Tochter - der Klägerin zu 2 - gestellten Antrag angeschlossen.

Das Verwaltungsgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, daß die Klagefrist des § 74 VwGO nicht versäumt ist, so daß auch für die beantragte Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO kein Raum war. Die Tatsache, daß sich auf der von den Klägerinnen vorgelegten Fotokopie des Widerspruchsbescheids ein Eingangsstempel mit dem Datum vom 14.12.1993 befindet, führt nicht zur Heilung des Zustellungsmangels (§ 9 Abs. 2 LVwZG). Zur Begründung im einzelnen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in der angegriffenen Entscheidung verwiesen (§ 130b VwGO).

2. Die zulässigen Verpflichtungsklagen sind auch begründet. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 1.9.1993 und deren Widerspruchsbescheid vom 7.12.1993 sind rechtswidrig; die Klägerinnen haben einen Anspruch darauf, daß die Beklagte die beantragte Zustimmung zu dem - mittlerweile errichteten - Grabstein auf dem Friedhof in M. erteilt.

Dem Begehren der Klägerinnen auf Errichtung eines Grabsteins aus braunem, poliertem Granit steht die Friedhofsordnung der Beklagten i.d.F. vom 24.2.1976 - FO - nicht entgegen. Zwar ist gem. § 15 Abs. 4 Nr. 1 FO bei der Gestaltung der Grabmale Politur nicht zulässig. Dieses Verbot bindet die Klägerinnen jedoch nicht, da es auch unter Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 S. 2 FO vorgesehenen Auswahlmöglichkeit gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt und damit rechtsunwirksam ist.

Das Recht des Verstorbenen und seiner Angehörigen, über Bestattungsart, Gestaltung und Pflege der Grabstätte zu entscheiden, ist nach der Rechtsprechung des erk. Senats (vgl. Urteil vom 26.9.1989 - 1 S 3401/88 - m.w.N., BWVPr 1990, 90ff.) eine Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die Angehörigen, denen die Ehrung des Toten obliegt, sind grundsätzlich frei, die Grabstätte nach ihren eigenen Anschauungen von Pietät, Ästhetik und Zweckmäßigkeit zu gestalten. Begrenzt ist dieses Recht durch den Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung, d.h. durch jede Rechtsnorm, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang steht. Dazu gehören Gestaltungsvorschriften durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes, die erforderlich sind, um eine der Würde des Ortes entsprechende Gestaltung der Grabstätten sicherzustellen und den Friedhofsbenutzern die ungestörte Totenandacht zu ermöglichen. Regelungen dieser Art, die in sämtlichen Abteilungen eines oder mehrerer Friedhöfe zu beachten sind und deshalb üblicherweise als allgemeine Gestaltungsvorschriften bezeichnet werden, muß der Verfügungsberechtigte eines Reihengrabs ebenso wie der Nutzungsberechtigte eines Wahlgrabs hinnehmen, weil sie durch den Friedhofszweck (vgl. §§ 2, 14 BestG) geboten sind. Zulässig sind demnach alle Gestaltungsvorschriften, die notwendig sind, um eine "würdige Ruhestätte" (Senatsurteil vom 25.1.1988 - 1 S 3418/86 -, DÖV 1988, 475 m.w.N.) zu gewährleisten.

Das in § 15 Abs. 4 Nr. 1 FO normierte Verbot, mit Politur versehene Grabsteine zu errichten, stellt keine allgemeine Gestaltungsvorschrift in dem dargelegten Sinne dar. Dies wird von der Beklagten auch nicht in Abrede gestellt. Die Aufstellung polierter Grabsteine führt nämlich nicht dazu, daß der Friedhof seinen Charakter als würdige Ruhestätte verliert. Daß polierte Grabsteine bei Sonneneinstrahlung spiegeln und glänzen können, widerspricht nicht dem Friedhofszweck und wirkt auf das Empfinden des für ästhetische Eindrücke offenen Durchschnittsbetrachters (vgl. zu diesem Maßstab: VGH Bad.-Württ., Urteil v. 25.2.1958, ESVGH 7, 172; BVerwG, Urteil v. 8.11.1963, BVerwGE 17, 119) nicht verunstaltend. Die Regelung dient damit nicht als allgemein zulässige Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit der Verwirklichung des Friedhofszwecks.

Grundsätzlich ist der Friedhofsträger befugt, im Rahmen des ihm zustehenden normativen Ermessens strengere Gestaltungsvorschriften zu erlassen, um bestimmte ästhetische Vorstellungen zu verwirklichen und eine mehr oder weniger einheitliche Gesamtanlage zu schaffen. So sind sogenannte Waldfriedhöfe und Parkfriedhöfe entstanden. Solche besonderen bzw. zusätzlichen, d.h. nicht durch den Friedhofszweck gebotenen Gestaltungsvorschriften darf der Friedhofsträger, weil andernfalls die allgemeine Handlungsfreiheit der Inhaber oder Erwerber von Grabstätten unverhältnismäßig beschränkt wäre, jedoch nur erlassen, wenn er einen Ausgleich schafft und an anderer Stelle die Möglichkeit gewährt, daß der Friedhofsbenutzer ein Grabmal nach seinen Wünschen aufstellt, sofern dieses nicht störend wirkt (BVerwG, Urteil v. 8.11.1963, aaO). Er muß rechtlich und tatsächlich gewährleisten, daß auf anderen Friedhöfen oder Friedhofsteilen im Gemeindegebiet Grabfelder zur Verfügung stehen, für die allein die allgemeinen, d.h. durch den Friedhofszweck gebotenen Gestaltungsvorschriften gelten (vgl. Senatsurteile v. 25.1.1988, DÖV 1988, 474 und v. 26.9.1989, BWVPr 1990, 90). Die Frage, wo er diesen Ausgleich schaffen muß, ob auf einem bestimmten Grabfeld ohne besondere Gestaltungsvorschriften auf demselben Friedhof oder auf einem anderen Friedhof im selben Stadtteil, oder ob es gar ausreicht, eine Ausweichmöglichkeit auf einem Friedhof in einem anderen Ortsteil der Gemeinde vorzusehen, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Die Antwort hängt davon ab, ob und inwieweit es für den vom Friedhofsträger mit der besonderen Gestaltungsvorschrift verfolgten Zweck eine Rechtfertigung gibt und inwieweit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch eine Dispensregelung Rechnung getragen wird. Je weniger der dargelegte Zweck für eine besondere Gestaltungsvorschrift den Eingriff in die Handlungsfreiheit der Friedhofsbenutzer rechtfertigt, um so strengere Maßstäbe sind an die Schaffung der Ausweichmöglichkeit anzulegen. Andererseits ist der Eingriff um so geringer, je gleichwertiger die Ausweichmöglichkeit ist.

Grundsätzlich ist zu berücksichtigen, daß die Friedhofsbesuche von Angehörigen einen wesentlichen Bestandteil der vom Friedhofszweck mitumfaßten Totenehrung darstellen und daher nicht mehr als erforderlich erschwert werden dürfen. Die Friedhofsordnungen sind daher so auszugestalten, daß Angehörige die Gräber ihrer Verstorbenen möglichst häufig besuchen können. Daher ist regelmäßig mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, Friedhofsbesucher allein zur Durchsetzung bestimmter ästhetischer Anschauungen, die noch dazu einem Wandel unterliegen können, zu zwingen, auf die Bestattung eines Verstorbenen auf dem örtlichen Friedhof, der herkömmlich Bezugsfriedhof ist, zu verzichten und auf einen anderen Friedhof innerhalb der Gemeinde auszuweichen, falls sie eine ungebundene Grabgestaltung wünschen.

Die Beachtung dieser Grundsätze führt regelmäßig dazu, daß die Wahlmöglichkeit auf dem Friedhof selbst bestehen muß. Denn nur so ist gewährleistet, daß der Eingriff in Art. 2 GG möglichst gering gehalten wird. Ausnahmen sind denkbar, wenn mindestens auf einem Friedhof innerhalb eines Gemeinde- oder Stadtteils Grabfelder, für die keine besonderen Gestaltungsvorschriften gelten, zur Verfügung gestellt werden (vgl. auch Nr. 27 der Erläuterungen zur Mustersatzung des Gemeindetags Baden-Württemberg, abgedruckt in: Seeger, Bestattungsrecht in Baden-Württemberg, 2. Aufl., S. 155). Ob und in welchen Fällen es darüber hinaus ausreichen kann, daß lediglich eine Ausweichmöglichkeit auf einem Friedhof in einem anderen Stadtteil der Gemeinde geschaffen wird, was nur im Hinblick auf eine zusätzliche Gestaltungsvorschrift denkbar erscheint, für die es eine besondere Rechtfertigung gibt, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Denn jedenfalls rechtfertigt es der von der Beklagten dargelegte Zweck für das Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, nicht, die Einwohner der in der Stadt R. eingegliederten Gemeinde M. auf den - noch dazu mit verkehrsmäßigen Erschwernissen verbundenen etliche Kilometer entfernt gelegenen - Friedhof in einem anderen Stadtteil des Gemeindegebiets zu verweisen, wenn sie eine von besonderen Vorschriften freie Grabgestaltung wünschen.

Die Beklagte verfolgt nach ihrem Vorbringen mit dem Verbot polierter Grabsteine den Zweck, ihre ästhetischen Vorstellungen von Vergänglichkeit zu verwirklichen. Bearbeitete Steine unterlägen einem natürlichen Alterungsprozeß, während polierte Grabsteine bei entsprechender Pflege stets wie neu aussähen. Auch sei die von polierten Grabsteinen ausgehende Spiegelungswirkung unerwünscht. Außer diesen ästhetischen Gesichtspunkten sind keine sachlichen Gründe geltend gemacht bzw. erkennbar, die das Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, rechtfertigen könnten. Hinzu kommt, wie die Beklagte selbst anläßlich der vom Verwaltungsgericht im Augenscheinstermin getroffenen Feststellungen eingeräumt hat, daß bei feuchter Witterung eine optische Unterscheidung zwischen einem polierten und einem geschliffenen Grabstein mit Mattschliff Korn 220, wie ihn die Beklagte zuläßt, nicht möglich ist. Der von der Beklagten unerwünschte Spiegelungseffekt polierter Grabsteine wird nur bei trockener Witterung sichtbar. Aber auch dann ist der Unterschied, wovon sich der Senat anhand der vom Vertreter des Friedhofsamts in der mündlichen Verhandlung vorgelegten beiden Steine überzeugt hat, gering. Das Aufstellen polierter Grabsteine darf daher nicht verboten werden, sofern der Friedhofsbenutzer nicht auf einem anderen gleichwertigen Gräberfeld desselben Friedhofs einen solchen Grabstein aufstellen kann.

Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird auch nicht durch eine Dispensregelung in der Friedhofsordnung der Beklagten Rechnung getragen. Nach § 15 Abs. 8 FO kann die Beklagte zwar unter Berücksichtigung der Gesamtgestaltung des jeweiligen Friedhofs und im Rahmen von Abs. 1 Ausnahmen von den Vorschriften der Absätze 3 bis 7 zulassen. Dem Anspruch der Grabnutzungsberechtigten auf eine ungebundene, lediglich den allgemeinen Gestaltungsvorschriften unterworfene Grabgestaltung wird mit dieser Ermessensvorschrift jedoch nicht ausreichend Rechnung getragen. Im übrigen räumt die Beklagte selbst ein, daß sie Ausnahmen von dem Verbot, polierte Grabsteine aufzustellen, auch für die Einwohner der Gemeinde M. grundsätzlich nicht gewährt, da ansonsten das Verbot leerlaufen würde. Ein derartiger Anspruch ergibt sich auch nicht aus einer anderen Satzungsbestimmung. Es ist auch nicht möglich, der Ermessensvorschrift in § 15 Abs. 8 FO angesichts ihres Wortlauts im Wege gesetzeskonformer und verfassungskonformer Auslegung den Inhalt zu geben, daß Anträgen von Grabnutzungsberechtigten auf Zustimmung zur Aufstellung eines polierten Grabsteins entsprochen werden muß. Die gesetzeskonforme und verfassungskonforme Auslegung findet ihre Grenze dort, wo sie zu dem Wortlaut der Norm und dem klar erkennbaren Willen des Normgebers im Widerspruch stünde. Die Auslegung darf nicht dazu führen, an die Stelle einer Satzungsbestimmung eine andere zu setzen; der normative Gehalt einer Vorschrift darf nicht erst durch die Auslegung festgesetzt werden. Wird durch eine Satzung der Ausübung von Grundrechten ein Genehmigungs- bzw. Zustimmungsverfahren vorgeschaltet, so muß sich aus der Rechtsvorschrift selbst ergeben, welche Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung gegeben sein müssen oder aus welchen Gründen die Genehmigung versagt werden darf. Fehlen derartige tatbestandsmäßige Festlegungen der Genehmigungsvoraussetzungen für ein Abweichen von den besonderen Gestaltungsvorschriften der Friedhofsordnung, so kann dieser Mangel nicht im Wege gesetzeskonformer und verfassungskonformer Auslegung behoben werden.

Da die Errichtung des beantragten Grabsteins auch nicht gegen die übrigen wirksamen Vorschriften der Friedhofsordnung der Beklagten verstößt, haben die Klägerinnen einen Anspruch auf die beantragte Zustimmung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.