VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.09.1992 - 1 S 506/92
Fundstelle
openJur 2013, 8330
  • Rkr:

1. Ein Mitglied des Gemeinderats kann eine möglicherweise rechtswidrige Eilentscheidung des Bürgermeisters nicht mit einer kommunalverfassungsrechtlichen Feststellungsklage angreifen.

Gründe

Diese Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluß (§ 130 a VwGO). Der Senat hält die zulässige Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Er weist sie aud den Gründen des angefochtenen Urteils zurück (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Zu dem Berufungsvorbringen wird ergänzend bemerkt:

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die Klage, mit der der Kläger die Feststellung begehrt, daß die vom beklagten Oberbürgermeister getroffene Eilentscheidung (§ 43 Abs. 4 GemO) rechtswidrig gewesen ist, als unzulässig abgewiesen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats (Urt. v. 14.12.1987 - 1 S 2832/86 -, NVwZ-RR 1989, 153; Urt. v. 24.2.1992 - 1 S 2242/91 -, DVBl. 1992, 981) hat das Verwaltungsgericht festgestellt, daß es sich im vorliegenden Fall um einen kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit in der Form der Feststellungsklage handelt. Eine solche erweist sich indes auch nur dann als zulässig, wenn der Kläger geltend machen kann, durch ein anderes Organ oder Organteil eine eigene Rechtsverletzung erfahren zu haben. Eine Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 entspr.; zu diesem Erfordernis vgl. Senatsurteil vom 12.2.1990, VBlBW 1990, 457 m.w.N.) wäre daher nur dann gegeben, wenn der Kläger dartun kann, durch die gerügte Eilentscheidung des Beklagten unmittelbar in seinen eigenen Mitgliedschaftsrechten betroffen zu sein.

Das Vorbringen des Klägers läßt eine derartige Rechtsverletzung durch die angegriffene Eilentscheidung des beklagten Oberbürgermeisters, mit der dieser eine Entscheidung über ein sehr kurz befristetes Kaufangebot über von der Gemeinde dringend benötigte Grundstücke getroffen hat, nicht erkennen. Insbesondere kann der Kläger aus der Vorschrift des § 43 Abs. 4 GemO, die das Eilentscheidungsrecht des Bürgermeisters regelt, kein eigenes Recht ableiten. Nach dieser Vorschrift entscheidet in dringenden Angelegenheiten des Gemeinderats, deren Erledigung auch nicht bis zu einer ohne Frist und formlos einberufenen Gemeinderatssitzung (§ 34 Abs. 2 GemO) aufgeschoben werden kann, der Bürgermeister anstelle des Gemeinderats. Überschreitet der Bürgermeister seine ihm nach dieser Regelung übertragenen Befugnisse, weil, wie der Kläger geltend macht, die Voraussetzungen für eine Eilentscheidung nicht vorgelegen haben, so liegt darin ein Eingriff allein in die Kompetenz desjenigen Organs, dessen Zuständigkeit im Regelfall gegeben ist. Dies ist aber nach der Gemeindeordnung regelmäßig das Organ Gemeinderat (§ 24 Abs. 1 GemO) oder ein beschließender Ausschuß (§ 39 GemO).

Eine Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich auch nicht aus § 43 Abs. 4 Satz 2 GemO, wonach der Bürgermeister die Gründe für die Eilentscheidung und die Art der Erledigung "den Gemeinderäten" unverzüglich mitzuteilen hat. Dieser Unterrichtungspflicht des Bürgermeisters korrespondiert lediglich ein subjektiv-öffentliches Recht des einzelnen Gemeinderatsmitglieds auf nachträgliche Unterrichtung.

Soweit sich der Kläger darauf beruft, daß ihm durch das Übergehen der an sich gegebenen Zuständigkeit des Gemeinderats sein Rede-, Antrags- und Stimmrecht im Gemeinderat entzogen wurde, zielt dieser Vortrag zwar auf die Verletzung von innerorganisatorischen Mitgliedschaftsrechten als grundsätzlich klagefähige Rechtspositionen ab. Gleichwohl ergibt sich daraus nicht die erforderliche Klagebefugnis; denn der Kläger hat damit lediglich mittelbare Auswirkungen der Eilentscheidung aufgezeigt. Die möglicherweise rechtswidrige Eilentscheidung des Bürgermeisters kann unmittelbar nur gegen die Kompetenzregelungen (vgl. § 24 Abs. 1 GemO) verstoßen, die den Gemeinderat in seine Organstellung betreffen und hindert - erst dadurch - dessen Mitglieder an der Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsbefugnisse (so auch OVG Münster, Urteil vom 26.4.1989, NVwZ 1989, 989). Eine mittelbare Betroffenheit ist im kommunalverfassungsrechtlichen Organstreit jedoch grundsätzlich nicht geeignet, eine Klagebefugnis zu begründen (so auch OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.8.1984, DVBl. 1985, 177 zur Betroffenheit eines Ratsmitglieds bei der Mitwirkung eines möglicherweise befangenen Mitglieds bei der Beratung- und Beschlußfassung).