OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 08.08.2006 - 1 Ss 177/06
Fundstelle
openJur 2012, 27875
  • Rkr:
Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung desAmtsgerichts Frankfurt am Main zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.

Dagegen richtet sich die statthafte und auch sonst in zulässiger Weise eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Sie wendet sich gegen eine Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen.

Das angefochtene Urteil hält auf die Sachrüge der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Die Feststellungen tragen die Verurteilung wegen Diebstahls mit Waffen (§ 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB) nicht.

Das Amtsgericht hat zum Tatgeschehen festgestellt:

„Der Angeklagte begab sich am 10.03.2006 gegen 03.00 Uhr in die …Straße. Dort stand ein Transporter der Marke XX mit dem amtlichen Kennzeichen … Dieser Transporter stand im Eigentum des Zeugen Z1. Die Heckklappe des Transporters war zu diesem Zeitpunkt unverschlossen. Der Angeklagte öffnete die Heckklappe des Transporters, drang in das Fahrzeug ein und nahm drei Zigarettenpäckchen, eine Schutzbrille und ein Taschenmesser an sich. Diese Gegenstände wollte er für sich behalten. Ihr Gesamtwert betrug zwischen 25 und 30 Euro. Das Taschenmesser war zwar von minderer Qualität, hatte aber eine Klingenlänge von 8 cm sowie eine Klingenbreite von mehr als 1 cm.

Etwa eine halbe Stunde vor der Tat hatte der Angeklagte Kokain, Heroin und Methadon genommen. Aufgrund dessen war er nur noch eingeschränkt in der Lage, das begangene Unrecht einzusehen und sich dieser Einsicht entsprechend zu verhalten.“

Diese Feststellungen tragen die Bewertung des vom Angeklagten als Diebesgut an sich genommenen Taschenmessers als „gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB nicht.

Allerdings sind nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 265 m.w.N.) Messer, sofern sie nicht schon dem Waffenbegriff unterfallen, generell als „gefährliche Werkzeuge“ einzustufen. Ob dies grundsätzlich ungeachtet der Größe und der eigentlichen Bestimmung als Gebrauchsgegenstand eines solchen Messers auch für Taschenmesser gilt oder ob es im Hinblick darauf, dass sich das Mitsichführen eines solchen Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens als sozialadäquates Verhalten darstellt, einer einschränkenden Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB bedarf, hat der BGH zuletzt ausdrücklich offen gelassen (BGH NStZ 2005, 340).

Im Schrifttum gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen zu Abgrenzungskriterien (vgl. Übersicht bei Tröndle/Fischer, StGB, 53. Aufl., § 244 Rz 7 ff). Vertreten werden sowohl subjektive, als auch objektive Lösungsansätze zur Restriktion des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB, die überwiegend für erforderlich erachtet wird. Soweit das Merkmal der „Waffenersatzfunktion“ herangezogen wird, um eine uferlose Ausweitung des Begriffs des „gefährlichen Werkzeuges“ auf jeden beliebigen Gegenstand zu vermeiden (Tröndle/Fischer a.a.O. Rz 9 d m.w.N.), führt dies in einer Vielzahl von Fällen zu sachgerechten Ergebnissen, hilft aber im Fall eines Taschenmessers nicht weiter. Bei kleineren Messern, wie Taschenmessern, wird eine waffenersetzende abstrakte Gefährlichkeit– abhängig von der konkreten Beschaffenheit des Taschenmessers – kaum gegeben sein.

Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, für die Beurteilung von Taschenmessern als „gefährliches Werkzeug“ von seiner in Anlehnung an die Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH (NStZ 1999, 301 f) entwickelten Rechtsprechung (StV 2002, 145) abzuweichen. Da das Mitführen eines Taschenmessers als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ein sozialadäquates Verhalten darstellt, ist eine einschränkende Auslegung des Begriffs des gefährlichen Werkzeuges zumindest für Taschenmesser angebracht. In dem Fall erfordert die Einordnung des Gegenstandes als gefährliches Werkzeug neben seiner Eignung, erhebliche Verletzungen beifügen zu können, die Feststellung einer generellen, von der konkreten Tat losgelösten Bestimmung des Gegenstandes zur gefährlichen Verwendung seitens des Täters, welche noch nicht die konkrete Verwendungsabsicht erreicht.

Die Feststellungen des Amtsgerichts rechtfertigen hier unter Anwendung dieser Grundsätze nicht die Einordnung des von dem Angeklagten aus dem Fahrzeug mitgenommen Taschenmessers als gefährliches Werkzeug i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB.

Wegen der von dem Amtsgericht festgestellten „minderen Qualität“ des Taschenmessers bestehen bereits Bedenken, ob es im Hinblick auf seine Beschaffenheit überhaupt geeignet ist, erhebliche Verletzungen herbeizuführen.

Da nicht ausgeführt wird, worauf sich die mindere Qualität bezieht, z.B. auf die Schärfe oder Bruchfestigkeit der Klinge des Taschenmessers, kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Messer generell ungeeignet ist, einem Menschen erhebliche Verletzungen zuzufügen. Neben der konkreten Beschaffenheit des Messers wird ggf. zusätzlich zu klären sein, ob der Angeklagte das Taschenmesser generell, von der Tat losgelöst, zur gefährlichen Verwendung bestimmt hat, insbesondere zu welchem Zweck er das Messer aus dem Fahrzeug mitnahm, wie er es einstecken hatte und wie schnell es gegebenenfalls einsatzbereit war.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen zudem nicht die Bewertung, der Angeklagte habe ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB „bei sich geführt“.

Das Merkmal des „Beisichführens“ ist eine den Qualifikationstatbestand des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB eingrenzende subjektive Komponente, die nämlich voraussetzt, dass der Täter das gefährliche Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei sich hatte (BGH NStZ – RR 2003, 12; NStZ RR – 1997, 50).

Der Annahme, der Täter führe ein gefährliches Werkzeug bei sich, steht nicht bereits entgegen, dass der Täter dieses gefährliche Werkzeug erst aus der Diebesbeute erlangt. Der Täter muss das Werkzeug beim Diebstahl bei sich führen, d.h. in irgendeinem Zeitpunkt vom Ansetzen zur Tat bis zur Beendigung der Wegnahme (BGH NStZ-RR 2003, 186, 188), wobei es ausreicht, wenn sich der Täter erst während der Tat oder sogar erst aus der Beute mit dem Werkzeug versieht (BGH NStZ 1985, 547; Tröndle-Fischer, a.a.O., Rz 13).

Für ein „Beisichführen“ reicht im übrigen das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck gerichtete Bewusstsein aus, ein funktionsbereites Werkzeug hier i.S. eines gefährlichen Werkzeuges i.S. obiger Definition zur Verfügung zu haben, das geeignet ist, erhebliche Verletzung zu verursachen. Die Vorstellung des Täters muss sich also nicht von vornherein auf den konkreten Einsatz als Nötigungsmittel beziehen; sie kann sich ebenso auf die Eignung als Mittel zur Wegnahme richten (so auch OLG Hamm, StV 2001, 352). Dieses folgt aus der gebotenen und vom Gesetzgeber gewollten Abgrenzung zu § 244 Abs. 1 Nr. 1 b StGB, der für die dortige Tatwerkzeuge und – mittel ausdrücklich eine Zweckbestimmung als Nötigungsmittel vorsieht.

Demnach sind die Voraussetzungen des § 244 Abs. 1 Nr. 1 a StGB nach den konkreten Tatumständen zu bestimmen. Es ist Aufgabe des Tatrichters ausreichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters zu treffen, wobei die Anforderungen an diese Feststellungen umso niedriger sind, desto gefährlicher und für einen Einsatz als potenzielles Nötigungsmittel geeigneter, sprich waffenähnlicher der jeweilige Gegenstand ist (vgl. hierzu auch BHG NStZ-RR 1997, 50). Umgekehrt ist es bei Alltags- und Berufsgegenständen, deren Beisichführen als sozialadäquat zu bewerten wäre, wenn der Täter nicht gerade eine Straftat beginge, und die deshalb den Schluss nahe legen, dass dem Täter die Verfügbarkeit dieses Gegenstandes während der Begehung des Diebstahls gar nicht bewusst war. Hier sind die Anforderungen an die Feststellungen zum Vorstellungsbild des Täters umso höher, desto weniger der bestimmungsgemäße Gebrauch des Gegenstandes eine Zweckentfremdung als potenzielles Nötigungsmittel nahe legt.

Ob der Angeklagte das Taschenmesser – so es nach obigen Kriterien als „gefährliches Werkzeug“ zu beurteilen ist - auch im Sinne der vorstehend dargestellten Grundsätze während der Tat bei sich geführt hat, kann der Senat nicht beurteilen; dazu fehlen – ebenso wie zu dem damit zusammenhängenden Erfordernis der generellen Bestimmung des Taschenmessers zur gefährlichen Verwendung (s. o. Seite 3 unten) - ausreichende Feststellungen. Für ein bewusstes „Beisichführen“ bezogen auf die Wegnahmehandlung könnte sprechen, dass der Angeklagte das Werkzeug zwar nicht bereits ursprünglich in diesem Sinne eingesteckt, schließlich aber aus dem Fahrzeug entwendet hat. Damit muss dem Angeklagten jedenfalls der Besitz des Messers noch während der Tatbegehung bewusst gewesen sein. Zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezogen auf die potenzielle Doppelfunktion des Taschenmessers als Nötigungsmittel und dessen Gefährlichkeit im Falle einer Konfrontation hingegen erlauben die Feststellungen keinerlei Rückschlüsse.

Nach alledem war das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Frankfurt am Main zurückzuverweisen (§§ 353 Abs. 2, 354 StPO).

Der Senat weist weiter darauf hin, dass in dem angefochtenen Urteil bei der Vorstrafenliste unter Ziff. 19 nicht dargelegt ist, ob Rechtskraft eingetreten ist.