OLG Hamm, Urteil vom 10.12.1987 - 28 U 104/87
Fundstelle
openJur 2012, 72799
  • Rkr:
Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen - das am 28. Januar 1987 verkündete Schlußurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Siegen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über die im Anerkenntnis-Teil-Urteil vom 07. Januar 1987 und im angefochtenen Urteil zuerkannten Beträge hinaus weitere 486,50 DM (vierhundertsechsundachtzig 50/100 Deutsche Mark) nebst 4% Zinsen seit dem 12. November 1986 zu zahlen.

Die weitergehende Klage bleibt abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 1/11 und die Beklagte 10/11.

Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen der Kläger 4/7 und die Beklagte 3/7.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer beträgt für den Kläger 540,60 DM und für die Beklagte 486,50 DM.

Gründe

(gemäß § 543 Abs. 1 ZPO ohne Tatbestand)

Die zulässige Berufung des Klägers ist nur teilweise begründet.

Nachdem sich die Parteien in erster Instanz auf die Wandlung des Kaufvertrages vom 25. April 1986 betreffend die Lieferung eines fabrikneuen xxx verständigt haben, streiten sie in der Berufungsinstanz ausschließlich noch über die Höhe der Nutzungsvergütung, die der Kläger für die bis zum 7. Januar 1987 unstreitig mit dem Wagen gefahrenen 9.730 km an die Beklagte zu bezahlen hat. Dieser Anspruch der Beklagten auf Ersatz der vom Kläger gezogenen Gebrauchsvorteile ergibt sich bis zur Kenntnis von den Wandlungsvoraussetzungen aus einer entsprechenden Anwendung des § 327 Satz 2 oder der §§ 988, 818 BGB, danach aus den §§ 467 Satz 1, 347 Satz 2, 987 BGB (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 3. Aufl. 1987 Rdn. 387; Senatsurteil vom 21.1.1982, MDR 82, 580). Dabei ergeben sich Umfang und Wert des vom Kläger auszugleichenden Vorteils aus einem Vergleich mit der Lage, in der er sich befände, wenn er statt des tatsächlich gekauften Neuwagens des Baujahrs 1986 einen anderen Wagen desselben oder eines vergleichbaren Typs gekauft und diesen Wagen an Stelle des an die Beklagte später zurückgegebenen Fahrzeugs während der hier unstreitigen Fahrzeit von 8,5 Monaten und der unstreitigen Fahrstrecke von 9.730 km benutzt hätte. In diesem Fall wäre der andere Wagen abgenutzt und entwertet worden. Der auszugleichende Vorteil des Klägers besteht folglich darin, daß er diesen Wertverlust vermieden hat, indem er den hier anschließend an die Beklagte zurückgegebenen Wagen benutzt hat (vgl. BGH NJW 82, 1909, 1910; OLG Hamm NJW 70, 2296; OLG Köln DAR 32, 403). Dieser fiktive (ersparte) Abnutzungswert kann nur gemäß § 237 Abs. 2 ZPO geschätzt werden (OLG Hamm und OLG Köln a.a.O.). Dabei ist zu berücksichtigen, daß zwar bei der Benutzung eines Neufahrzeugs während der ersten Zeit außerordentlich hohe Wertverluste eintreten, diese aber dem Käufer nicht angelastet werden können, da die Rückgabe des Fahrzeugs nicht in seinem, sondern im Verantwortungsbereich des Verkäufers liegt. Dementsprechend erscheint es sinnvoll, den infolge der Benutzung eingetretenen Wertverlust auf der Grundlage einer anteiligen linearen Abschreibung zu ermitteln und so an der zu erwartenden durchschnittlichen Lebensdauer des Fahrzeugs auszurichten (OLG Köln DAR 82, 402, 403; Reinking/Eggert a.a.O. Rdn. 394 ff.). Angesichts des heutigen hohen qualitativen und technischen Standards von Neufahrzeugen ist dabei nach Ansicht des Senats von einer zu erwartenden Lebensdauer des Fahrzeugs vom Tage der Erstzulassung bis zum Zeitpunkt seiner hypothetischen Verschrottung von 10 Jahren bei einer voraussichtlichen Gesamtfahrleistung von 150.000 km auszugehen; daraus errechnet sich ein vom Kläger zu ersetzender Gebrauchsvorteil von 0,67% des Kaufpreises pro gefahrene 1.000 km (vgl. ebenso OLG Köln DAR 32, 402, 403; OLG Nürnberg DAR 80, 345; OLG Nürnberg DAR 85, 81, 82; OLG München NJW 87, 3012, 3013 = DAR 87, 225, 226; Reinking/Eggert a.a.O. Rdn. 399 und 400). Da hier der Kläger in rund 8,5 Monaten 9.730 km mit dem zurückgegebenen Wagen gefahren ist, ergibt sich daraus eine durchschnittliche Fahrleistung von 1.150 km monatlich und rund 14.000 km jährlich, so daß es dem Senat angemessen erscheint, von dem vorgenannten Wert von 0,67% des Anschaffungspreises pro gefahrene 1.000 km auszugehen, der auf einer erwarteten Gesamtlebensdauer des Neufahrzeugs von 10 Jahren und 150.000 km basiert. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, ob im Einzelfall auf die individuelle Jahresfahrleistung abzustellen ist, wenn eine besonders geringe oder eine besonders intensive Fahrzeugsnutzung vorliegt, die erheblich von den Durchschnittswerten abweicht (vgl. dazu Reinking/Eggert a.a.O. Rdn. 396 und 402). Da es sich hier um die Wandlung eines Kaufvertrages über einen Neuwagen handelt, kann auch offen bleiben, ob der Senat bei der Schätzung von Nutzungsentschädigungen für Gebrauchtwagen bei seiner bisherigen Praxis verbleibt (vgl. MDR 82, 580; OLG Hamm DAR 80, 285 - LS 3 = MDR 80, 846). Somit ergibt sich in vorliegendem Fall aus dem vom Landgericht insoweit unangegriffen festgestellten Kaufpreis für den neuen VW Golf C von 17.921,- DM (18.010,- DM abzüglich der vom Kläger selbst abgesetzten Zulassungskosten in Höhe von 89,- DM) eine vom Kläger zu zahlende Nutzungsvergütung von 0,12 DM pro gefahrenen Kilometer. Da das Landgericht in dem angefochtenen Urteil von einer Nutzungsvergütung von 0,17 DM pro gefahrene Kilometer ausgegangen ist und diese vom Erstattungsanspruch des Klägers abgesetzt hat, kann der Kläger noch 0,05 DM pro gefahrenen Kilometer von der Beklagten erstattet verlangen, mithin 9.730 x 0,05 DM = 486,50 DM. Wegen des weitergehenden Zahlungsanspruchs ist die Berufung unbegründet. Entgegen der Auffassung des Klägers verträgt es die auf eine Gesamtlebensdauer des Fahrzeugs von 10 Jahren bei 150.000 km Fahrleistung abhebende pauschale Schätzung der Gebrauchsvorteile nicht, davon im Einzelfall Abschläge zu machen, wenn das Fahrzeug während der auf diesen Zeitraum bezogenen relativ kurzen Nutzungsdauer einen Sachmangel aufgewiesen hat. Es kann im Wege der Schätzung nicht festgestellt werden, um wie viel weniger sich das Fahrzeug dadurch abgenutzt hat, wenn der Mangel überhaupt eine geringere Abnutzung herbeigeführt hat. Es kann daher hier offen bleiben, ob die vom Kläger beanstandeten Geruchsbeeinträchtigungen durch den ungeregelten Katalysator einen Sachmangel darstellt oder nicht.

Schließlich kann der Kläger sich auch nicht für die im Zeitraum zwischen Wandlungserklärung und Durchführung der Wandlung gezogenen Nutzungen darauf berufen, ihm seien die Nutzungen aufgedrängt worden, indem die Beklagte die Wandlung hinausgezögert habe. Er muß sich entgegenhalten lassen, daß er die Nutzungen tatsächlich gezogen und hierdurch zugleich eine Wertminderung des Fahrzeugs herbeigeführt hat. Die bloße Unerwünschtheit des Gebrauches hat daher hinter die meßbare Wertbeeinträchtigung zurückzutreten (Reinking/Eggert a.a.O. Rdn. 392). Dabei muß auch berücksichtigt werden, daß Ausgangspunkt für die Bemessung der Gebrauchsvorteile die ersparte Abnutzung am sonst angeschafften Fahrzeug ist, wie oben bereits ausgeführt wurde. Tatsächlich hat der Kläger dadurch, daß er rund 8,5 Monate den dann an die Beklagte zurückgegebenen xxx gefahren hat, während dieses Zeitraums die Abnutzung des danach angeschafften Fahrzeugs erspart. Daher kann sich der Kläger entgegen seiner Ansicht auch nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Er kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, er wäre ohne den Kauf dieses xxx weiter mit seinem älteren xxx gefahren. Denn es muß davon ausgegangen werden, daß der Kläger ein Neufahrzeug vom Wert des xxx erwerben wollte und sonst ein anderes gleichwertiges Fahrzeug angeschafft hätte, wenn er nicht bei der Beklagten diesen xxx gekauft hätte. Soweit die Beklagte die Auffassung vertreten hat, der Geltendmachung einer niedrigeren Nutzungsentschädigung durch den Kläger stehe die teilweise Klagerücknahme vom 7. Januar 1987 entgegen, kann sie nicht gemäß § 269 Abs. 4 ZPO insoweit die Einlassung verweigern. Denn aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts vom 16. März 1987 (Bl. 68 f. d.A.) geht hervor, daß die Beklagte im Wege der Verrechnung ihre durch die teilweise erfolgte Klagerücknahme entstandenen Kosten erstattet erhalten hat. Der Kläger ist daher nicht gehindert, den am 7. Januar 1987 zurückgenommenen Klageanspruch im Berufungsrechtszug erneut geltend zu machen. Es kann daher offen bleiben, ob und inwieweit der Kläger im Berufungsrechtzug Klageansprüche verfolgt, wegen derer er in der ersten Instanz schon die Klage zurückgenommen hatte.

Der Zinsanspruch des Klägers ergibt sich aus § 291 BGB.

Dementsprechend ist das angefochtene Schlußurteil unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abzuändern. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Dabei war bezüglich der Kosten erster Instanz zu berücksichtigen, daß die Beklagte sich zunächst zu Unrecht der Wandlung widersetzt hatte, so daß die zunächst nach dem höheren Streitwert entstandenen Gebühren überwiegend zu Lasten der Beklagten gehen, wie das Landgericht in dem angefochtenen Schlußurteil bereits zutreffend ausgeführt hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.