1) Bei einer auf erstes Anfordern ausgestellten Gewährleistungsbürgschaft ist der Gläubiger grundsätzlich nicht verpflichtet, bei Inanspruchnahme des Bürgen diesem gegenüber die Mängel des Werks konkret darzulegen (gegen OLG München WM 1994, 2108 = NJW-RR 1995, 498; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 8. Aufl., RN 1257). Etwas anderes gilt nur dann, wenn (ausnahmsweise) eine spezifizierte Mängelauflistung von dem Bürgen als Voraussetzung seiner Inanspruchnahme in der Bürgschaftsurkunde gefordert wird.
2) Will der Hauptschuldner dem Gläubiger gerichtlich untersagen lassen, eine Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch zu nehmen (sog. Erstprozeß), so kann er nur mit denjenigen Einwendungen gehört werden, die auch vom Bürgen in derselben prozessualen Situation geltend gemacht werden könnten.
3) Im Erstprozeß gegen den Gläubiger der Bürgschaft auf erstes Anfordern kann der Hauptschuldner (oder Bürge) nur obsiegen, wenn es offensichtlich oder mindestens liquide beweisbar ist, daß der Gläubiger eine formale Rechtsposition rechtsmißbräuchlich ausnutzt. Eine Beweiserhebung durch Vernehmung von Zeugen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des Einwands des Rechtsmißbrauchs kommt nicht in Betracht.
4) Eine rechtsmißbräuchliche Ausnutzung einer formalen Rechtsposition durch den Auftraggeber kann dann vorliegen, wenn dieser den Bürgen aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch nimmt, obwohl er den Werklohnanspruch des Auftragnehmers noch nicht in vollem Umfang erfüllt hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 17.12.1996 - 85 O 173/96 - geändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 22.000 DM, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung entsprechende Sicherheit erbringt. Als Mittel der Sicherheitsleistung wird jeweils auch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Bank zugelassen.
Die Klägerin schloß am 11.1.1993 mit der Fa. I. (später
umfirmiert in I.) einen Bauleistungsvertrag, durch den sie es
übernahm, in S. ein Verwaltungsgebäude mit Geschäften (sog. N.) zu
errichten. Dieser Vertrag enthält u.a. folgende Bestimmungen:
§ 4 Zahlungen
4.4
Als Sicherheit für die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus
dem Vertrag hat der AN (= Klägerin) eine Bürgschaft in Höhe von 5 %
der Auftragssumme zu stellen.
4.5
Als Sicherheit für die Erfüllung der Gewährleistungsansprüche
einschl. Schadensersatz werden 5 % des Auftrages einbehalten.
Dieser Betrag kann durch eine unbefristete Bankbürgschaft abgelöst
werden.
§ 7 Gewährleistung und Haftung
7.3
Der AG (= I.) ist berechtigt, für den Zeitraum von 5 Jahren nach
der Abnahme, einen Sicherheitseinbehalt von 5 % der Auftragssumme
einzubehalten. Der AN kann diesen Sicherheitseinbehalt gegen
Óbergabe einer selbstschuldnerischen Bürgschaft eines deutschen
Kreditinstituts in gleicher Höhe ablösen.
Am 21.10.1993 verkaufte die I. den Grundbesitz nebst noch zu
errichtender Bausubstanz an die Beklagte unter der Verpflichtung,
das Objekt schlüsselfertig zu erstellen; zur Sicherung der von ihr
gegenüber der Beklagten übernommenen Gewährleistung verpflichtete
sich die I., dieser eine Bürgschaft über 1,39 Mio DM zu stellen;
der Vertrag sieht desweiteren vor, daß I. an Stelle dieser
Bürgschaft der Beklagten ihre Gewährleistungsansprüche gegen den
Generalunternehmer (= Klägerin) sowie die ihr zur Verfügung
stehende Bürgschaft des Generalunternehmers abtreten kann.
Die IS. F. erteilte am 7.4.1994 unter Bezugnahme auf den Vertrag
vom 11.1.1993 und die dortige Verpflichtung des Auftragnehmers "als
Sicherheit für die Erfüllung seiner Gewährleistungsverpflichtungen
dem Auftraggeber eine Bürgschaft zu stellen" für den Auftragnehmer
die unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft und
verpflichtete sich, jeden Betrag bis zu einer Gesamthöhe von
550.000 DM an den Auftraggeber "auf erstes Anfordern zu zahlen,
unter gleichzeitiger schriftlicher Erklärung des Auftraggebers, daß
der Auftragnehmer seinen vorgenannten Verpflichtungen nicht
nachgekommen ist". Die Klägerin übersandte diese Bürgschaftsurkunde
mit Begleitschreiben vom 12.4.1994 "gemäß unserer Vereinbarung" an
die I.; gleichzeitig bat sie um Rückgabe der von ihr erbrachten
Vertragserfüllungsbürgschaft der Dresdner Bank.
Am 22.12.1994 trat die I. die Gewährleistungsansprüche aus dem
Vertrag mit der Klägerin und die Bürgschaft vom 7.4.1994 an die
Beklagte ab. Nachdem das AG Cottbus das allgemeine Verfügungsverbot
gegen die I. und die Sequestration angeordnet hatte, nahm die
Beklagte mit Schreiben vom 31.5.1996 die IS. aus der Bürgschaft vom
7.4.1994 in Anspruch unter Hinweis darauf, das Objekt weise
"erhebliche Mängel auf, zu deren Beseitigung sich die H. (=
Klägerin) trotz mehrfacher Aufforderung durch die I. nicht bereit
erklärt habe." Zu diesem Zeitpunkt war zwischen der Klägerin und
der I. bereits ein Rechtsstreit anhängig (85 O 259/94 LG Köln), in
dem die Klägerin nach Fertigstellung und Abnahme des Bauvorhabens
restlichen Werklohn von ca. 3 Mio DM einklagt; die I. macht
demgegenüber u.a. Mängelrügen geltend und wendet ein, die Klägerin
fordere zu Unrecht eine Vergütung für angebliche
Nachtragsarbeiten.
Nachdem die IS. die Klägerin darüber unterrichtet hatte, daß sie
den Bürgschaftsbetrag an die Beklagte auszahlen und das Konto der
Klägerin entsprechend belasten werde, erwirkte die Klägerin am
20.6.1996 im Beschlußwege beim Landgericht Köln eine einstweilige
Verfügung, durch die der Beklagten aufgegeben wurde, die
Inanspruchnahme der Bürgschaft zu unterlassen. Auf die Berufung der
Beklagten wurde das die Verfügung bestätigende Urteil des
Landgerichts durch Urteil des Senats vom 20.3.1997 abgeändert, die
einstweilige Verfügung aufgehoben und der Verfügungsantrag
zurückgewiesen.
Sowohl im Rechtfertigungsverfahren nach § 925 ZPO als auch im
vorliegenden Hauptsacheverfahren hat die Klägerin geltend gemacht,
die Beklagte habe mit der Bürgschaft auf erstes Anfordern mehr
erhalten, als ihr zustehe, da sie nach den getroffenen
Vereinbarungen nur Anspruch auf eine selbstschuldnerische
Bürgschaft gehabt habe, nicht aber auf eine Bürgschaft auf erstes
Anfordern. Vereinbarungen des Inhalts, daß in Abweichung von dem
schriftlichen Bauleistungsvertrag von ihr eine Bürgschaft auf
erstes Anfordern hätte gestellt werden sollen, seien mit der I.
nicht getroffen worden. Bei der Óbersendung der Bürgschaft an die
I. sei ihr nicht aufgefallen, daß insoweit eine Abweichung zu dem
Vereinbarten vorliege. Verhandlungen darüber, daß eine Bürgschaft
auf erstes Anfordern zur Verfügung gestellt werden solle, habe es
weder mit der I. noch mit der IS. gegeben; man könne sich die
Óbersendung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern nur so erklären,
daß die Bank das falsche Formular gegriffen habe. Die Vereinbarung
in § 7.3 des Bauleistungsvertrags sei zudem wegen Verstoßes gegen §
9 AGBG unwirksam. Da ihr Auftraggeber den Sicherheitseinbehalt
nicht ausbezahlt habe, werde sie unzulässig doppelt belastet,
nämlich einmal durch diesen Einbehalt, zum anderen durch die
Auszahlung der Bürgschaftssumme. Wegen der Nichtzahlung des
Werklohns stehe ihr schließlich die Einrede des nichterfüllten
Vertrags zu, die sich die Beklagte gem. § 404 BGB entgegenhalten
lassen müsse.
Die Beklagte hat demgegenüber eingewandt, sie sei nicht
rechtsgrundlos bereichert. Die Klägerin habe in ihrer
Antragsschrift im einstweiligen Verfügungsverfahren selber
vorgetragen, die Bürgschaft entspreche den damaligen Vereinbarungen
mit I.. Davon könne sie sich nicht einfach lösen, womit auch
feststehe, daß die besondere Qualität der Bürgschaft "auf erstes
Anfordern" vereinbarungsgemäß sei. Die damaligen Vertragsparteien
hätten sich auch in Abweichung vom schriftlichen Vertrag über eine
"Verbesserung" der zu stellenden Bürgschaft geeinigt; die IS. sei
zur dementsprechenden Ausstellung einer Bürgschaft aufgefordert
worden. Soweit die Klägerin behaupte, die Bank habe eine zu
weitgehende Bürgschaft ohne entsprechenden Auftrag erteilt, so
könne ihr das nicht geglaubt werden, da keine Bank so etwas tue. Da
die Klägerin die Bürgschaftsurkunde selbst an die I. weitergegeben
habe, stehe einem Bereicherungsanspruch zudem § 814 BGB entgegen.
Außerdem könne sich allenfalls der Bürge gegen seine
Inanspruchnahme wehren, keineswegs der Hauptschuldner den Gläubiger
insoweit gerichtlich in Anspruch nehmen, sie sei deshalb nicht
passivlegitimiert.
Das Landgericht hat der Beklagten unter Androhung von
Ordnungsgeld/Ordnungshaft untersagt, die Gewährleistungsbürgschaft
auf erstes Anfordern in Anspruch zu nehmen. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Gründe des Urteils verwiesen.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 21.1.1997 zugestellte Urteil
am 21.2.97 Berufung eingelegt und diese - nach entsprechender
Verlängerung - am 21.4.1997 begründet.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches
Vorbringen und nimmt das im einstweiligen Verfügungsverfahren
ergangene Berufungsurteil in Bezug.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung der angefochtenen
Entscheidung die Klage abzuweisen und ihr zu gestatten, eine
erforderliche oder zulässige Sicherheitsleistung auch durch
Bankbürgschaft zu erbringen.
Die Klägerin, die die Zurückweisung der Berufung beantragt und
wegen der Sicherheitsleistung einen gleichlautenden Antrag wie die
Beklagte stellt, tritt den Ausführungen der Beklagten im einzelnen
entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens des Parteien wird
auf die gewechselten Schriftsätze sowie die beigezogenen Akten des
einstweiligen Verfügungsverfahrens Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g r ü n d e :
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die
Klägerin kann der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
die Inanspruchnahme der Bürgschaft vom 7.4.1994 verwehren.
1.
Der Umstand, daß die Bürgschaft von der IS. nicht zugunsten der
Beklagten, sondern der I. übernommen worden ist, steht der
Inanspruchnahme nicht entgegen. Die I. hat die ihr aus dem
Werkvertrag mit der Klägerin zustehenden Gewährleistungsansprüche
durch die Vereinbarung vom 22.12.1994 an die Beklagte abgetreten.
Die zur Sicherung dieser Ansprüche bestellte Bürgschaft ist gem. §
401 Abs. 1 BGB mit übergegangen; diese Vorschrift gilt auch für
Bürgschaften auf erstes Anfordern (BGH NJW 1987, 2075 m.w.N.).
Darüberhinaus ist in der genannten Vereinbarung nochmals
ausdrücklich eine Abtretung der Bürgschaftsrechte an die Beklagte
vorgenommen worden.
Zwar ist in Rspr. und Schrifttum umstritten, ob bei Abtretung
einer Garantie auf erstes Anfordern die Nichterfüllungserklärung
nicht gleichwohl noch von dem ursprünglichen Garantienehmer
ausgesprochen werden muß und der Zessionar dazu nicht befugt ist.
Für die Bürgschaft auf erstes Anfordern ist durch die vg.
Entscheidung des BGH aber geklärt, daß das Hilfsrecht der
Nichterfüllungserklärung in entsprechender Anwendung des § 401 Abs.
1 BGB auf den neuen Gläubiger übergeht. Daß die Klägerin und die
IS. bzw. die Klägerin und die I. etwas davon Abweichendes
vereinbart haben, ist dem Vortrag der Parteien und den vorliegenden
Urkunden nicht zu entnehmen.
2.
Das im Tatbestand zitierte Anforderungsschreiben der Beklagten
vom 31.5.1996 entspricht auch inhaltlich den Anforderungen, die es
erfüllen muß, um eine Zahlungspflicht der bürgenden Bank
auszulösen. Maßgebend ist insoweit, was als Zahlungsvoraussetzung
in der Bürgschaft niedergelegt ist (vgl. BGH NJW 1997, 255 = WM
1996, 2228 m.w.N.; NJW 1997, 1435, 1437/8).
In der Bürgschaftsurkunde wird ausgeführt, daß die Bürgschaft
deshalb übernommen wird, weil die Klägerin ein solches
Sicherungsmittel als Sicherheit für die Erfüllung ihrer
Gewährleistungspflichten zu stellen hat; dies vorausschickend hat
sich die Bank zur Zahlung auf erstes Anfordern verpflichtet, wenn
der Auftraggeber gleichzeitig schriftlich mitteilt, daß der
Auftragnehmer seinen vorgenannten Verpflichtungen nicht
nachgekommen ist. Dem genügt das Schreiben der Beklagten vom
31.5.1996, da in ihm dem Bürgen mitgeteilt wird, der Bauabschnitt,
auf den sich die Bürgschaft beziehe, weise erhebliche Mängel auf,
zu deren Beseitigung sich die Klägerin trotz mehrfacher
Aufforderung durch ihre Auftraggeberin nicht bereit erklärt
habe.
Soweit in der Rspr. (OLG München WM 1994, 2108 = NJW-RR 1995,
498) und dieser Entscheidung folgend in der Literatur
(Ingenstau/Korbion, VOB/B, 13. Aufl., § 17 RN 45; Werner/Pastor,
Der Bauprozeß, 8. Aufl., RN 1257; Palandt/Thomas, BGB, 55.Aufl.,
vor § 765 RN 14; Brink EWiR 1994, 1181; kritisch allerdings Nielsen
WuB I E 5 Bankbürgschaft 2.95) die Auffassung vertreten wird, der
Bürge werde aus einer befristeten Gewährleistungsbürgschaft auf
erstes Anfordern nur dann wirksam in Anspruch genommen, wenn die
gerügten Mängel hinreichend individualisiert werden, kann dem nicht
gefolgt werden. Soweit von Brink a.a.O. zur Rechtfertigung dieser
Entscheidung darauf hingewiesen wird, da der Bürge gem. § 768 Abs.
1 S. 1 BGB die Einreden des Hauptschuldners ebenfalls geltend
machen kann, müsse er hierzu auch die Möglichkeit haben, was aber
nur der Fall sei, wenn ihm die Mängel konkret mitgeteilt werden,
verdient dies keine Zustimmung. Diese Auffassung mag für die
"normale" Bürgschaft zutreffen, verkennt aber die Besonderheiten
der Bürgschaft auf erstes Anfordern. Diese ist gerade dadurch
gekennzeichnet, daß der Gläubiger vom Bürgen Zahlung verlangen
kann, ohne ihm die Berechtigung seines Anspruchs gegen den
Hauptschuldner schlüssig darlegen zu müssen. Ob und in welcher Höhe
dieser Anspruch besteht, hat der Bürge bei dieser Form der
Bürgschaft nicht zu prüfen, mit Einwendungen gegen die verbürgte
Hauptschuld ist er vielmehr ausgeschlossen (BGH NJW-RR 1989, 1324,
1325 = WM 1989, 1496 = ZIP 1989, 1108), so daß es auch auf deren
schlüssige Darlegung nicht ankommen kann. Das OLG Hamm (NJW-RR
1987, 686) hat die Situation plastisch und zutreffend dahin
beschrieben, daß bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern "die
Koppelung an den gesicherten Anspruch, die bei der Bürgschaft durch
die Akzessorietät vermittelt wird, zeitlich entfällt." Die
Forderung gegen den Hauptschuldner spielt erst im
Rückforderungsprozeß eine Rolle, in dem der Gläubiger darlegen und
beweisen muß, daß ihm die Forderung gegen den Hauptschuldner in dem
Umfang zusteht, in dem er den Bürgen auf erstes Anfordern in
Anspruch genommen hat. Bei der Anforderung der Bürgschaftsleistung
kann es auf Einzelheiten des Anspruchs gegen den Hauptschuldner
folglich nicht ankommen.
Die vorstehend abgelehnte Auffassung steht zudem in eindeutigem
Widerspruch zu der Entscheidung BGH NJW 1994, 380 = WM 1994, 106 =
LM § 765 BGB Nr. 88 (ohne sich allerdings mit ihr
auseinanderzusetzen), in der unter Zurückweisung der in der
Literatur vertretenen gegenteiligen Meinung ausgesprochen wird, daß
eine schlüssige Darlegung seines Anspruchs gegen den Hauptschuldner
vom Gläubiger im Verhältnis zu dem auf erste Anforderung haftenden
Bürgen nicht zu erfolgen braucht. Der Bürge darf nur prüfen, ob der
gegen ihn geltend gemachte Bürgschaftsanspruch selbst schlüssig
begründet ist. Ob das der Fall ist, beurteilt sich aber
ausschließlich danach, was in der Bürgschaftsurkunde insoweit als
Voraussetzung für die Inanspruchnahme beschrieben wird. Eine
spezifizierte Mängelauflistung ist deshalb nur dann erforderlich,
wenn sie von dem Bürgen als Voraussetzung für seine Zahlungspflicht
in der Bürgschaftsurkunde aufgestellt worden ist. Dies ist
vorliegend eindeutig nicht der Fall (und wohl in der Praxis auch
völlig unüblich, da die sich auf erstes Anfordern verbürgende Bank
im Regelfall keinerlei Interesse daran hat, etwa an Ort und Stelle
nachzuprüfen, ob die Mängel tatsächlich vorhanden sind).
3.
Es bestehen auch keine durchgreifenden Bedenken dagegen, daß die
von der IS. übernommene Bürgschaft zur Absicherung der Ansprüche
dienen soll, die die Beklagte verfolgt.
Die IS. hat die Bürgschaft uneingeschränkt übernommen zur
Absicherung der Gewährleistungsverpflichtungen der Klägerin, so daß
damit alle Gewährleistungsansprüche der Beklagten erfaßt werden,
gleichgültig ob diese einen Vorschuß auf die
Mängelbeseitigungskosten, Erstattung von bereits aufgewendeten
Kosten der Mängelbeseitigung, Minderung oder Schadensersatz
verlangt, zumal diese Ansprüche alle auf Zahlung von Geld gerichtet
sind (vgl. auch BGH NJW 1984, 2456). Welches Gewährleistungsrecht
sie konkret verfolgen will, brauchte die Beklagte weder dem Bürgen
mitzuteilen, noch muß sie sich im vorliegenden Rechtsstreit dazu
abschließend erklären. Sie hat diesbezüglich ein Wahlrecht und kann
auch eine einmal getroffene Wahl wieder rückgängig machen, solange
nicht einer der Ansprüche vom Werkunternehmer anerkannt und
abgewickelt oder vom Gericht rechtskräftig beschieden worden ist
(Palandt/Thomas, a.a.O., § 634 RN 9 m.N.).
Bedenken könnten damit allenfalls auftreten, soweit der
Beklagten (vorrangig vor den eigentlichen
Gewährleistungsansprüchen) ein Anspruch auf Nachbesserung gegen die
Klägerin zusteht (bei dem es sich bei zutreffender rechtlicher
Einordnung nicht um einen Gewährleistungsanspruch handelt, sondern
um den vertraglichen Erfüllungsanspruch). Derartige Bedenken wären
aber nicht begründet. Im Hinblick auf den umfassenden
Sicherungszweck einer Gewährleistungsbürgschaft bezieht diese sich
im Regelfall nämlich auch auf "unechte" Gewährleistungsansprüche
wie den Anspruch auf Ausführung von Restarbeiten (so OLG Hamm
NJW-RR 1987, 686) und damit auch auf den Anspruch auf
Nachbesserung, da die Bürgschaft gerade sichern soll, daß das Werk
vom Unternehmer vollständig und mängelfrei hergestellt wird.
Zweifel an der Zulässigkeit der Anforderung der Bürgschaftssumme
könnten deshalb nur dann bestehen, wenn die Beklagte zu erkennen
gegeben hätte, daß sie nur einen Nachbesserungsanspruch gegen die
Klägerin verfolgen will, bzw. wenn feststünde, daß ihr ein auf
Zahlung gerichteter Gewährleistungsanspruch nicht zusteht.
Von beidem kann jedoch nicht ausgegangen werden. Dem
Aufforderungsschreiben vom 31.5.1996 kann keineswegs entnommen
werden, daß die Beklagte nur Nachbesserung geltend machen will;
vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Die Beklagte behauptet dort
nämlich, die I. habe bereits mehrfach vergeblich die
Mängelbeseitigung bei der Klägerin angemahnt. Derartige Mahnungen
sind aber gerade der Weg, der beschritten werden muß, um vom
Nachbesserungsanspruch auf Mängelbeseitigung in Eigenregie bzw. auf
Minderung und Schadensersatz überzugehen, vgl. §§ 633 Abs. 1, 3,
634 f BGB. Daß die Beklagte sich gleichwohl mit einem bloßen
Nachbesserungsanspruch begnügen will, erscheint deshalb eher
fernliegend, zumal die Klägerin jegliche Verpflichtung zur
Nachbesserung bestreitet und diese ablehnt, so daß für die Beklagte
jedenfalls ein Vorgehen gem. §§ 633 Abs. 3, 634 BGB möglich
ist.
4.
Mit ihrem Einwand, die Beklagte sei ungerechtfertigt bereichert,
weil sie eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten hat, ohne
daß ein Sicherungsmittel mit dieser Qualität geschuldet gewesen
sei, vermag die Klägerin vorliegend nicht duchzudringen. Diese
Entscheidung steht nicht in Widerspruch zu den von der Klägerin in
Bezug genommenen Urteilen anderer Gerichte (KG OLGR 1997, 88 = BauR
1997, 665 u. KG OLGR 1997, 78 = BauR 1997, 892); die dort
vertretene Rechtsauffassung wird vielmehr vom Senat durchaus
geteilt. Die Klage scheitert aber daran, daß sich die tatsächlichen
Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch vorliegend nicht
feststellen lassen.
Da die Bürgschaft auf erstes Anfordern dem Gläubiger im Ergebnis
dieselbe Sicherheit geben soll wie ein Bardepot, ist es dem Bürgen
grundsätzlich verwehrt, bei seiner Inanspruchnahme Einwendungen zu
erheben, durch die er das Bestehen der Hauptschuld in Frage stellt
oder sonst seine Zahlungspflicht vermeiden will, etwa die Frage, ob
die Bürgschaft zeitlich begrenzt ist oder die Voraussetzungen der
Einstandspflicht wieder entfallen sind. Derartige Einwendungen
gehören grundsätzlich in einen nach erfolgter Zahlung der
Bürgschaftssumme zu führenden Rückforderungsprozeß (st. Rspr., BGH
NJW 1996, 717/8 m.w.N.). Dasselbe muß nach Auffassung des Senats
gelten für Einwendungen, die - wie vorliegend - der Hauptschuldner
geltend macht, um den Gläubiger an der Inanspruchnahme des Bürgen
zu hindern, da sonst auf diesem Umweg die alsbaldige Leistung des
Bürgen trotz dessen strikter Zahlungspflicht verhindert werden
könnte.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz läßt die Rspr. nur dann zu,
wenn ausnahmsweise klar auf der Hand liegt, daß der Gläubiger eine
formale Rechtsstellung mißbraucht (BGH a.a.O. m.w.N.). Ein solches
rechtsmißbräuchliches Vorgehen muß sich der Gläubiger, der seine
materielle Berechtigung weder darzulegen noch zu beweisen braucht,
nur dann entgegenhalten lassen, wenn es offensichtlich oder
mindestens liquide beweisbar ist, daß trotz Vorliegens der
formellen Voraussetzungen der Bürgschaftsfall nicht eingetreten
ist, also nur eine formale Rechtsstellung mißbräuchlich ausgenutzt
wird (BGH NJW 1997, 255, 256 m.w.N. = WM 1996, 2228).
Daß die Beklagte eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ohne
Rechtsgrund erlangt hat, wie die Klägerin behauptet, ist keineswegs
offensichtlich. Der Umstand, daß in dem Werkvertrag die besondere
Qualität der Bürgschaft als eine auf erstes Anfordern nicht erwähnt
wird, reicht dazu keineswegs aus, da eine Abänderung/Ergänzung
durch formlose Vereinbarung dadurch nicht ausgeschlossen wird. Im
übrigen sprechen einige Umstände dafür, daß diese Form der
Bürgschaft bewußt und gewollt gewählt worden sein könnte. Hierzu
kann auf die Ausführungen unter 1. des im Verfahren der
einstweiligen Verfügung ergangenen Senatsurteils vom 20.3.1997
verwiesen werden.
Den Beweisanträgen, die die Parteien zu ihrem insoweit
widersprechenden Vortrag gestellt haben, ist vorliegend nicht
nachzugehen. Dem steht die besondere rechtliche Ausgestaltung der
Bürgschaft auf erstes Anfordern entgegen. Die Bürgschaft auf erstes
Anfordern kann der ihr zugedachten besonderen Sicherungsfunktion
nur dann gerecht werden, wenn ihr ein Einwendungsausschluß
materiellrechtlicher Natur beigemessen wird, der einer
Beweiserhebung durch Vernehmung von Zeugen im sog. Erstprozeß
entgegensteht. Ein derartiger Ausschluß ist in der Rspr. anerkannt
mit der Folge, daß der im Urkundsverfahren verurteilte Bürge auch
im Nachverfahren, wo prozessuale Beschränkungen hinsichtlich der
Zulässigkeit von Beweismitteln nicht mehr bestehen, gleichwohl mit
seinen materiellen Einwendungen nicht gehört werden kann (BGH NJW
1994, 380, 382; NJW 1997, 255 = WM 1996, 2228). Daraus folgt nach
Auffassung des Senats, daß auch im Erstprozeß, der von vornherein
in der Form eines "normalen" Zivilrechtsstreits geführt wird, eine
Beweiserhebung durch Vernehmung von Zeugen nicht in Betracht kommt
(vgl. dazu auch OLG Köln WM 1988, 21; OLG F. WM 1983, 575; Kasten
WuB I K 3 - 1.88; Jedzig WM 1988, 1469, 1473). Der Senat sieht sich
bei dieser Beurteilung auch in Óbereinstimmung mit BGH NJW 1996,
717. In dieser Entscheidung wird ausgesprochen, daß die besonderen
Beschränkungen in der Rechtsverteidigung des auf erstes Anfordern
zur Zahlung verpflichteten Bürgen nicht gelten, wenn dieser sich
nicht gegen die Existenz der Hauptschuld wendet, sondern geltend
macht, die Bürgschaft beziehe sich nicht auf die Ansprüche, die der
Gläubiger verfolgt; in diesen Fällen geht es darum, ob überhaupt
eine entsprechende Zahlungszusage des Bürgen vorliegt. Da diese
Frage die von dem Bürgen eingegangene Verpflichtung in ihrem Kern
betrifft, wird sie vom BGH als so grundlegend angesehen, daß ihre
Klärung schon im Erstprozeß möglich sein muß. Damit wird aber
keineswegs dem Bürgen die Möglichkeit eröffnet, nunmehr im
Erstprozeß eine umfassende Sachaufklärung zu diesem Punkt zu
erreichen. Vielmehr spricht der BGH aus, daß "um die Funktion des
zugunsten des Gläubigers stark formalisierten Sicherungsmittels
uneingeschränkt zu erhalten, im Erstprozeß nur solche
Beschränkungen des verbürgten Risikos ... beachtlich sind, die im
Wege der Auslegung dem Inhalt der Urkunde selbst zu entnehmen sind.
Sonstige unstreitige oder durch Urkunden belegte Umstände dürfen
freilich ergänzend berücksichtigt werden." Wenn diese Einschränkung
aber schon bei Einwendungen gilt, die grundsätzlich im Erstprozeß
berücksichtigungsfähig sind, kann bei anderen Einwendungen, die
demgegenüber in den Rückforderungsprozeß gehören, kein
großzügigerer Maßstab angelegt werden, so daß insoweit eine
Beweiserhebung durch Zeugen erst recht ausscheiden muß.
5.
Den Einwand, die Klausel über den Sicherheitseinbehalt - und die
zu seiner Ablösung dienende Bürgschaft - sei wegen Verstoßes gegen
§ 9 AGBG unwirksam (vgl. dazu aus jüngster Zeit BGH NJW 1997,
2598), hat die Klägerin nach Verkündung des Senatsurteils im
Verfahren der einstweiligen Verfügung (vgl. dort unter 4.) nicht
mehr weiterverfolgt. Mangels entsprechenden Sachvortrags kann nicht
davon ausgegangen werden, daß es sich um AGB der Auftraggeberin
handelt.
6.
Der Hinweis der Klägerin darauf, die Beklagte sei doppelt
abgesichert, weil sie den Werklohn nicht in vollem Umfang
ausgezahlt, gleichwohl aber die Gewährleistungsbürgschaft erhalten
habe, verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg.
In Rspr. und Schrifttum wird zwar seit langem einhellig die
Auffassung vertreten, aus dem Austauschrecht des Auftragnehmers
folge, daß der Auftraggeber nach Erhalt der Bürgschaft den
Sicherheitseinbehalt auszahlen muß oder zumindest von der
Bürgschaft keinen Gebrauch machen darf, solange er den Einbehalt
nicht ausgezahlt hat (OLG Köln S/F/H, § 17 VOB/B Nr. 7; OLG
Stuttgart BauR 1977, 65; KG BauR 1982, 386; Ingenstau/Korbion
a.a.O. RN 26; Korbion/Hochstein, VOB-Vertrag, 6. Aufl., RN 721;
Werner-Pastor a.a.O. RN 1259; Nicklisch/Weick, VOB/B, 2. Aufl., §
17 RN 29; Heiermann/Riedl/Rusam, VOB, 8. Aufl., B § 17 RN 42; in
diesem Sinn jetzt auch BGH WM 1997, 1906 = ZIP 1997, 1654). Eine
davon abweichende Auffassung wäre nach Ansicht des Senats auch
schlechthin unvertretbar. Nach den vertraglichen Abreden hat der
Auftraggeber hinsichtlich seiner eventuellen
Gewährleistungsansprüche Anspruch nur auf eine Sicherheit in Höhe
von 5 %, entweder in der Form, daß er bis zum Ablauf der
Gewährleistungsfrist einen entsprechenden Teil des Werklohns
zurückhält oder aber daß er über eine Bürgschaft in dieser Höhe
verfügt. Daraus folgt, daß er dann, wenn er die Bürgschaft in
Anspruch nehmen will, zuvor den einbehaltenen Teil des Werklohns
auszahlen muß. Darauf, ob seine behaupteten
Gewährleistungsansprüche höher sind als die Bürgschaftssumme, kann
es nicht ankommen, da er unabhängig von der Höhe seiner Ansprüche
nur ein Anrecht auf eine Sicherung in Höhe von 5 % hat. Dies kann
er auch nicht dadurch zu umgehen versuchen, daß er mit den
angeblich weitergehenden Ansprüchen aufrechnet oder im Hinblick auf
sie ein Zurückbehaltungsrecht geltend macht.
Im vorliegenden Rechtsstreit läßt sich wegen der vorstehend
bereits erörterten materiellrechtlichen Beschränkung der
Einwendungsmöglichkeiten des Hauptschuldners aber nicht
feststellen, daß die Beklagte übersichert oder um die Bürgschaft
ungerechtfertigt bereichert ist. Denn zwar ist unstreitig, daß die
I. an die Klägerin nicht den im Vertrag festgelegten Werklohn in
vollem Umfang ausbezahlt hat. Wie die Beklagte vorträgt, soll dies
jedoch seinen Grund darin gehabt haben, daß die Parteien des
Werkvertrags sich damals darüber einig gewesen seien, daß der
Auftraggeberin wegen der bereits erkannten Mängel der Werkleistung
der Klägerin Gegenansprüche zustehen und deshalb ein
Werklohnanspruch auf mehr als die gezahlten 9 Mio DM nicht bestand.
Trifft dieser Vortrag zu (wofür der Umstand sprechen könnte, daß
die Klägerin die ihr von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellte
Vertragserfüllungsbürgschaft zurückgegeben hat, obwohl diese über
einen Betrag von 9,36 Mio DM ausgestellt war), so besteht aber
keine Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe der Bürgschaft
bzw. auf Unterlassung von deren Inanspruchnahme, da dann der
Werklohnanspruch einvernehmlich reduziert worden ist und eine
Sicherung der Beklagten wegen weitergehender
Gewährleistungsansprüche nur noch in Höhe der streitigen Bürgschaft
gegeben ist, auf die die Auftraggeberin bzw. die Beklagte als deren
Rechtsnachfolgerin einen vertraglichen Anspruch hat. Die Klägerin
bestreitet zwar diesen Vortrag. Da eine Aufklärung des streitigen
Sachverhalts durch Vernehmung von Zeugen aus den bereits
dargelegten Gründen im vorliegenden Rechtsstreit aber nicht in
Betracht kommt, kann eine Rechtsmißbräuchlichkeit der
Inanspruchnahme der Bürgschaft durch die Beklagte nicht
festgestellt werden.
7.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1,
708 Nr. 10, 711 ZPO.
Beschwer der Klägerin und Berufungsstreitwert: 550.000 DM