VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.10.1999 - 8 S 2407/99
Fundstelle
openJur 2013, 11176
  • Rkr:

Die Behörde kann von der Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers des (wahrscheinlichen) Handlungsstörers an Stelle des Zustandsstörers mit der Begründung absehen, die Möglichkeit einer Gesamtrechtsnachfolge in abstrakte Polizeipflichten sei umstritten, weshalb im Fall der Inanspruchnahme des Gesamtrechtsnachfolgers eine langwierige prozessuale Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang zu befürchten sei.

Gründe

Der Antrag ist unbegründet. Das Vorbringen des Antragstellers rechtfertigt nicht die Zulassung der Beschwerde.

1. Entgegen der Ansicht des Antragstellers bestehen an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Verfügung des Landratsamts vom 19.8.1998 anzuordnen, mit der Begründung abgewiesen, daß an der Rechtmäßigkeit der getroffenen Anordnungen keine ernstlichen Zweifel bestünden. Nach den bereits durchgeführten Sicherungsmaßnahmen auf dem Grundstück des Antragstellers sei zwar die Chlorethen-Konzentration im Grundwasser von 36,6 Mikrogramm/l auf 3 Mikrogramm/l zurückgegangen. Dafür habe die Belastung mit 1.1 Dichlorethan auf 26,9 Mikrogramm/l bzw. 38,1 Mikrogramm/l zugenommen. Darüber hinaus sei eine Belastung mit Chlorethan von 66,3 Mikrogramm/l nachgewiesen worden. Die Anordnungen des Landratsamt, die Sicherungsmaßnahmen fortzusetzen und mit technischen Erkundungsmaßnahmen zu beginnen, begegneten danach keinen rechtlichen Bedenken. Für die alleinige Inanspruchnahme des Antragstellers als Zustandsstörer gemäß § 7 PolG gelte das gleiche. Diese Ausführungen des Verwaltungsgerichts werden vom Antragsteller nur insoweit angegriffen, als er seine Inanspruchnahme zu den von der Behörde für notwendig erachteten Maßnahmen für rechtswidrig hält, da die Grundwasserverunreinigung von den Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen verursacht worden sei, weshalb das Landratsamt verpflichtet gewesen sei, an seiner Stelle die Beigeladene zu den angeordneten Maßnahmen heranzuziehen. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

Das Landratsamt hat seine Entscheidung, den Antragsteller in Anspruch zu nehmen, zum einen damit begründet, daß trotz einer intensiven Sachverhaltsermittlung nicht habe aufgeklärt werden können, ob bzw. in welchem Umfang von den Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen bzw. der Firma I. ein maßgebender Verursachungsbeitrag zu der Verunreinigung des Grundwassers geleistet worden. Zwar lasse sich nachweisen, daß von einer der Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen 1.1.1 Trichlorethan sowie vermutlich auch Trichlorethen (TRI) als Lösungsmittel eingesetzt worden sei. Ein Schadenseintragsherd sei jedoch bisher nicht gefunden worden. Das Landratsamt hat sich zum anderen von der Überlegung leiten lassen, daß für eine Rechtsnachfolge in abstrakte Polizeipflichten derzeit keine hinreichende gesetzliche Grundlage bestehe. Ob es eine solche Rechtsnachfolge gebe, sei daher in der Rechtsprechung umstritten. Eine aus diesem Grund im Fall der Inanspruchnahme der Beigeladenen zu befürchtende langwierige prozessuale Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang stehe dem im vorliegenden Fall erforderlichen raschen und effektiven Handeln zur Gefahrenabwehr entgegen. Der Antragsteller wendet dagegen ein, nach dem Ergebnis der vom Landratsamt durchgeführten Ermittlungen stehe schon jetzt fest, daß die Verunreinigung des Grundwassers, die das Landratsamt zu den geforderten Maßnahmen veranlaßt habe, allein von einer der Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen verursacht worden sei. Ob das zutrifft, kann indessen auf sich beruhen, da es sich bei dem Hinweis des Landratsamt auf die hinsichtlich der Verursachung der Grundwasserverunreinigung bestehenden tatsächlichen Unklarheiten nur um eine Hilfserwägung handelt. Der die Entscheidung, den Antragsteller als Zustandsstörer heranzuziehen, eigentlich tragende Grund war die von der Behörde im Falle einer Inanspruchnahme der Beigeladenen angenommene Gefahr einer langwierigen prozessualen Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang. Diese Überlegung ist nicht zu beanstanden. Die Frage, ob das Landratsamt auch zu Recht davon ausgegangen ist, daß sich eine Verursachung der Grundwasserverunreinigung durch eine der Rechtsvorgängerinnen der Beigeladenen nicht mit hinreichender Sicherheit nachweisen lasse, braucht deshalb nicht entschieden zu werden, da eine auf mehrere Gründe gestützte Ermessensentscheidung auch dann rechtmäßig ist, wenn nur einer der herangezogenen Gründe sie trägt, es sei denn, daß nach dem von der Behörde ausgeübten Ermessen nur alle Gründe zusammen die Entscheidung rechtfertigen sollen (BVerwG, Urt. v. 19.5.1981 - 1 C 169.79 -, BVerwGE 62, 215, 222; Eyermann/Rennert, VwGO, 10. Aufl., § 114 Rdnr. 26). Das ist hier ersichtlich nicht der Fall.

Die Beigeladene ist mit den von 1967 bis zum Erwerb des Grundstück durch den Antragsteller im Jahre 1979 tätigen Firmen nicht identisch. Ihre Inanspruchnahme für die von der Behörde für notwendig erachteten Maßnahmen läßt sich daher nur damit begründen, daß sie als Gesamtrechtsnachfolgerin dieser Firmen für deren Handeln verantwortlich sei. Die damit angesprochene Frage, ob es eine Gesamtrechtsnachfolge in abstrakte, d. h. nicht durch eine Ordnungsverfügung konkretisierte Polizeipflichten gibt, wird in der Literatur nach wie vor kontrovers beantwortet (vgl. die eingehende Zusammenstellung des Meinungsstands bei Ossenbühl, Zur Haftung des Gesamtrechtsnachfolgers für Altlasten, 1. Aufl., 1995, S. 33ff.). Mit unterschiedlichem Ergebnis wird dabei insbesondere diskutiert, ob das Polizei- und Ordnungsrecht subjektive öffentlich-rechtliche Pflichten normiert, die beim Eingreifen einer entsprechenden formalgesetzlichen Grundlage wie beispielsweise den §§ 1922, 1967 BGB oder § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwandlungsG einem Übergang auf den Gesamtrechtsnachfolger zugänglich sind (vgl. etwa Brandt, Altlastenrecht, S. 148f.; Schink, Rechtsfragen der Altlasten, GewA 1996, 50, 60f.) oder ob die Tatsache, daß das Gesetz bestimmte Personen für eine Gefahr oder Störung verantwortlich bezeichnet, nur bedeutet, daß sie als potentielle Adressaten einer Polizeiverfügung in Betracht kommen, so daß eine Handlungspflicht erst durch eine solche Verfügung begründet wird (so insbesondere Papier, Zur rückwirkenden Haftung des Rechtsnachfolgers für Altlasten, DVBl. 1996, 125, 127f.; Götz, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl., Rdnr. 247). Umstritten ist ferner, ob die abstrakte polizeiliche Verhaltensverantwortlichkeit sich nicht schon deshalb einer (Gesamt-) Rechtsnachfolge entzieht, weil sie an die Person des unmittelbaren Verursachers der Gefahr oder Störung gebunden ist (Ossenbühl, a.a.O., S. 60ff.; ihm folgend Papier, a.a.O., S. 128f.).

Auch in der Rechtsprechung hat sich zu diesen Fragen bisher keine klare Linie herausgebildet. Soweit sich der VGH Baden-Württemberg mit dem Problemkreis zu beschäftigen hatte, ging es jeweils um die Rechtsnachfolge in eine durch eine behördliche Anordnung konkretisierte baurechtliche Beseitigungspflicht (Urt. v. 14.5.1976 - III 741/75 -, NJW 1977, 861; Urt. v. 13.4.1977 - III 1544/75 -, BRS 32 Nr. 180; Urt. 23.1.1979 - III 3228/78 -, NJW 1979, 1565f.), nicht aber um das hier interessierende Problem der Gesamtrechtsnachfolge in eine abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit. In der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte finden sich zu diesem Problem nur wenige Entscheidungen. Das in diesem Zusammenhang verschiedentlich zitierte Urteil des OVG Nordrhein-Westfalen vom 29.3.1984 - 12 A 2194/83 -, UPR 1984, 279 ist nicht einschlägig, da auch in diesem Fall vor dem Rechtsübergang eine Ordnungsverfügung ergangen war. In einer Entscheidung aus jüngerer Zeit (Urt. v. 30.5.1996 - 20 A 2640/94 -, NWVBl. 1997, 175) hat dasselbe OVG die - in dem konkreten Fall nicht entscheidungserhebliche - Frage, ob in bezug auf die abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit eine Rechtsnachfolge stattfindet, als bislang nicht hinreichend geklärt bezeichnet. Dagegen hat das OVG Niedersachsen in seinem Beschluß vom 7.3.1997 - 7 M 8628/96 (NJW 1998, 97) - die Möglichkeit einer Gesamtrechtsnachfolge in abstrakte Polizeipflichten grundsätzlich bejaht. Der Bayerische VGH (Beschl. v. 28.11.1988 - Nr. 8 CS 87.02857 -, ZfW 1989, 147) hat das gleiche für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge durch gesellschaftliche Umwandlung angenommen, dabei allerdings auf die Besonderheiten des von ihm zu beurteilenden Sachverhalts abgestellt.

Das Landratsamt konnte sich danach zu Recht auf den Standpunkt stellen, der Ausgang eines im Fall der Inanspruchnahme der Beigeladenen zu erwartenden Rechtsstreits sei ungewiß. Es konnte daher zulässigerweise von dieser Möglichkeit absehen und sich statt dessen an den Antragsteller halten, dessen Eigenschaft als (Zustands-) Störer außer Frage steht. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß es entgegen dem Eindruck, den der Vertreter des Antragstellers in der Begründung seines Zulassungsantrags erweckt, keineswegs einen abstrakten Vorrang der Verhaltenshaftung vor der Zustandshaftung gibt. Bei der Auswahl unter mehreren Störern hat sich die Behörde vielmehr in erster Linie von dem Gesichtspunkt der Effektivität der Gefahrenabwehr leiten zu lassen (Senatsbeschl. v. 27.3.1995 - 8 S 525/95 -, VBlBW 1995, 281). Jedenfalls in den Fällen, in denen die von der Behörde zur Abwehr einer Gefahr für erforderlich gehaltenen Maßnahmen keinen Aufschub dulden, muß es ihr vor diesem Hintergrund auch gestattet sein, sich an Stelle einer nur möglicherweise die Voraussetzungen eines Störers erfüllenden Person an jemanden zu halten, an dessen Störereigenschaft es keinen Zweifel gibt.

An der rechtlichen Unsicherheit, die hinsichtlich der Möglichkeit besteht, den Gesamtrechtsnachfolger des Verhaltensstörers in Anspruch zu nehmen, hat sich entgegen der Ansicht des Antragstellers durch das am 1.3.1999 in Kraft getretene Bundesbodenschutzgesetz (BBodSchG) für die hier gegebene Konstellation nichts geändert. Mit § 4 Abs. 3 dieses Gesetzes wird allerdings der Kreis der Verantwortlichen für eine schädliche Bodenverunreinigung oder Altlast über das traditionelle Polizei- und Ordnungsrecht erheblich ausgeweitet, indem außer dem Verursacher, dem Eigentümer und dem Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das betreffende Grundstück auch dem Gesamtrechtsnachfolger des Verursachers, dem früheren Eigentümer sowie demjenigen, der aus handels- oder gesellschaftlichem Rechtsgrund für eine juristische Person einzustehen hat, der ein mit einer schädlichen Bodenverunreinigung oder Altlast belastetes Grundstück gehört, Pflichten zur Sanierung auferlegt werden. Diese Regelung ist, wenngleich sie erst nach dem Erlaß der Verfügung des Landratsamt in Kraft getreten ist, von der Widerspruchsbehörde zu beachten. Ob diese Neuregelung nur für diejenigen Fälle gelten soll, in denen der Tatbestand der Gesamtrechtsnachfolge nach Inkrafttreten des BBodSchG eingetreten ist, oder auch für die Fälle, in denen sich die Gesamtrechtsnachfolge schon vorher vollzogen hat, ist dem Gesetz jedoch nicht ohne weiteres zu entnehmen. Eine ausdrückliche Regelung für die Behandlung von "Altfällen" enthält das Gesetz nur in § 4 Abs. 6 S. 1, der die Haftung des früheren Eigentümers eines Grundstücks wegen der im Gesetzgebungsverfahren geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken auf die Fälle beschränkt, in denen das Eigentum nach dem 1.3.1999 übertragen worden ist. Aus dieser Regelung könnte allerdings geschlossen werden, daß das Gesetz auch im übrigen keine Geltung für Altfälle beanspruchen will. Sollte das Gesetz dagegen auch diese Fälle regeln wollen, würde sich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit einer solchen Erstreckung auch auf in der Vergangenheit liegende Fälle stellen. Diese Frage ist unmittelbar mit der umstrittenen Frage nach der Gesamtrechtsnachfolge in die abstrakte Verhaltensverantwortlichkeit verbunden, da eine Anwendung des § 4 Abs. 3 BBodSchG auch auf Altfälle eine echte Rückwirkung bedeuten dürfte, sofern man eine solche Gesamtrechtsnachfolge auf der Grundlage des bisher geltenden Rechts verneint (vgl. Spieth/Wolfers, Die neuen Störer: Zur Ausdehnung der Altlastenhaftung in § 4 BBodSchG, NVwZ 1999, 355, 359 im Anschluß an die Ausführungen von Papier zu der ähnlichen Regelung des hessischen Altlastenrechts, a.a.O., S. 129ff.; ferner: Spieth/Wolfers, Altlastenspektrum, 1998, S. 75). Eine solche Rückwirkung ist nur unter bestimmten, eng umrissenen Voraussetzungen zulässig. Wegen der sich hieraus ergebenden verfassungsrechtlichen Bedenken hatte sich die Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrats gegen die von diesem vorgeschlagene Einbeziehung des Gesamtrechtsnachfolgers in § 4 des Entwurfs ausgesprochen, "um das Gesetz nicht mit unnötigen Risiken" zu belasten (BT-Drs. 13/6701, S. 62f.) Das BBodSchG wirft daher insoweit mehr Fragen auf, als es beantwortet.

2. Die Rechtssache besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung. Als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet der Antragsteller die Frage, ob das Gericht in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eine Rechtsänderung berücksichtigen muß. Gedacht ist dabei offenbar an den Fall, daß diese Rechtsänderung nach Erlaß der angefochtenen Verfügung, aber noch vor dem Erlaß des Widerspruchsbescheids erfolgt. Die so verstandene Frage ist in dem hier gegebenen Fall, in dem sich der Antragsteller gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt wendet, selbstverständlich zu bejahen, da maßgebend für dessen Rechtmäßigkeit grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung ist, sofern das einschlägige Fachgesetz nicht einen noch später liegenden Zeitpunkt bestimmt. Zur Klärung dieser Frage bedarf es daher nicht erst der Durchführung des vom Antragsteller erstrebten Beschwerdeverfahrens. Die Frage ist im übrigen nicht entscheidungserheblich, da sich, wie dargelegt, auch bei Berücksichtigung der mit dem BBodSchG eingetretenen Rechtsänderungen keine dem Antragsteller günstigere Beurteilung der Erfolgsaussichten seines Widerspruchs ergibt.

3. Als Verfahrensfehler macht der Antragsteller geltend, das Verwaltungsgericht habe seiner Aufklärungspflicht nicht genügt, da es die Behördenakten und die vorgelegten Schriftstücke nicht vollständig ausgewertet habe. Er hat es jedoch versäumt, die Bestandteile der Akten zu benennen, die das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unberücksichtigt gelassen haben soll. Der Antragsteller leitet seine Behauptung allein daraus her, daß das Verwaltungsgericht - aus seiner Sicht zu Unrecht - zu dem Ergebnis gekommen sei, die Frage, von wem die festgestellte Grundwasserverunreinigung verursacht worden sei, sei nicht zweifelsfrei geklärt. Die Rüge betrifft damit in Wirklichkeit die Anwendung des materiellen Rechts und ist lediglich in das äußere Gewand einer Verfahrensrüge gekleidet. Eine Zulassung der Beschwerde kommt daher auch insoweit nicht in Betracht. Andere Zulassungsgründe hat der Antragsteller in der Begründung seines Zulassungsantrags nicht benannt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 S. 1 GKG.

Der Beschluß ist unanfechtbar.