BVerfG, Beschluss vom 17.06.1999 - 1 BvR 2507/97
Fundstelle
openJur 2011, 118600
  • Rkr:
Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Trennung zwischen der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung; diese Trennung wirkt sich auf die Vergütung der beiden Arztgruppen aus.

1. Der Beschwerdeführer wendet sich unmittelbar gegen ein Urteil des Bundessozialgerichts, durch das ihm letztinstanzlich die Zulassung zur gleichzeitigen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungstätigkeit versagt wird. Mittelbar wendet er sich gegen § 73 Abs. 1 bis 1 c, § 87 Abs. 2 a, § 95 a Abs. 1 bis 3 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) in der Fassung des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 (BGBl I S. 2266).

2. Durch das Gesundheitsstrukturgesetz wurde die bereits in der ursprünglichen Fassung des SGB V vom 20. Dezember 1988 (BGBl I S. 2477) in § 73 Abs. 1 SGB V angelegte, jedoch hinsichtlich der Konkretisierung den Vertragsparteien der Bundesmantelverträge überantwortete Gliederung der kassenärztlichen (jetzt: vertragsärztlichen) Versorgung in einen fachärztlichen und einen hausärztlichen Versorgungsbereich fortgeführt. Die Vorschrift lautet nunmehr:

§ 73

(1) Die vertragsärztliche Versorgung gliedert sich in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung. Die hausärztliche Versorgung beinhaltet insbesondere

1. die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und familiären Umfeldes,

2. die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen,

3. die Dokumentation, insbesondere Zusammenführung, Bewertung und Aufbewahrung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befunde und Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung,

4. ...

(1a) An der hausärztlichen Versorgung nehmen Ärzte für Allgemeinmedizin und Ärzte ohne Gebietsbezeichnung teil. Kinderärzte und Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung wählen, ob sie an der hausärztlichen oder an der fachärztlichen Versorgung teilnehmen. Soweit sie bereits am 1. Januar 1993 an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, treffen sie ihre Wahl bis zum 31. Dezember 1995. Der Zulassungsausschuß kann eine von Satz 2 abweichende, zeitlich befristete Regelung treffen, wenn eine bedarfsgerechte Versorgung nach Feststellung des Landesausschusses nicht gewährleistet ist. An der fachärztlichen Versorgung nehmen die Ärzte mit Gebietsbezeichnung teil, mit Ausnahme der Ärzte für Allgemeinmedizin sowie derjenigen Internisten und Kinderärzte ohne Teilgebietsbezeichnung, die die Wahrnehmung hausärztlicher Versorgungsaufgaben gewählt haben. Der Zulassungsausschuß kann Ärzten für Allgemeinmedizin und Ärzten ohne Gebietsbezeichnung, die im wesentlichen spezielle Leistungen erbringen, auf deren Antrag die Genehmigung zur ausschließlichen Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung erteilen.

...

§ 73 Abs. 1 b SGB V konkretisiert die Dokumentationspflicht der Hausärzte und statuiert Informationspflichten der weiterbehandelnden Ärzte und früheren Hausärzte bei Hausarztwechsel. § 73 Abs. 1 c SGB V ermächtigt die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung zu einer Vereinbarung über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung, die Pflicht zur gegenseitigen Information bei Überweisung sowie zur Mit- und Weiterbehandlung und die Verpflichtung zur Weitergabe der Unterlagen bei Hausarztwechsel. Weiterhin sollen die Vertragspartner die Bedingungen regeln, zu denen Kinderärzte und Internisten ohne Teilgebietsbezeichnung bis zum 31. Dezember 1995 noch gleichzeitig an der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung teilnehmen können.

Der auf dieser Grundlage geschlossene Vertrag über die hausärztliche Versorgung (Hausarztvertrag vom 6. September 1993, Deutsches Ärzteblatt 1993, C-1837) sieht über diese Übergangsregelung hinaus vor, daß Vertragsärzte, die in der vertragsärztlichen Versorgung nachweislich vor dem 1. Januar 1994 regelmäßig ärztliche Leistungen abgerechnet haben, die nicht mehr von Hausärzten abgerechnet werden können, solche Leistungen im Falle der Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung noch längstens bis zum 31. Dezember 2002 erbringen und abrechnen dürfen.

Die Vergütungsausschlüsse bei der hausärztlichen Versorgung sind in § 87 Abs. 2 a SGB V geregelt. Danach ist im einheitlichen Bewertungsmaßstab für die üblicherweise von Hausärzten erbrachten Leistungen, insbesondere die Betreuungs-, Koordinations- und Dokumentationsleistungen eine auf den Behandlungsfall bezogene Bewertung vorzusehen (hausärztliche Grundvergütung). Darüber hinaus sind weitere, nur vom Hausarzt abrechenbare Leistungen festzulegen.

3. Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Innere Medizin ohne Teilgebietsbezeichnung. Die Anträge des Beschwerdeführers auf Zulassung zur gleichzeitigen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung ab dem 1. Januar 1996 wurden abgelehnt. Auch mit seiner Klage hatte der Beschwerdeführer keinen Erfolg. Das Bundessozialgericht wies die Sprungrevision des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Sozialgerichts zurück, da die Voraussetzungen für eine gleichzeitige Teilnahme an der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten Versorgung nicht vorlägen. Die gesetzliche Gliederung der vertragsärztlichen Versorgung in einen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich sei auch mit dem Grundgesetz vereinbar.

4. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3, Art. 12 und Art. 14 GG. Unabhängig davon, ob er als Facharzt einen eigenständigen Beruf ausübe, greife eine Regelung, die zur Aufgabe oder Entwertung der Qualifikation als Facharzt führe, in die Berufsfreiheit ein. Das Bundessozialgericht habe in seiner Entscheidung die Wahlpflicht des Arztes zu Unrecht auf eine bloße Vergütungsregelung reduziert. Entscheide sich ein bisher doppelt qualifizierter sowohl hausärztlich als auch fachärztlich-internistisch tätiger Arzt für die hausärztliche Tätigkeit, so ginge ein erheblicher Teil der Weiterbildung und des Vertrauensverhältnisses zu dem Patientenstamm verloren. Entscheide sich ein Arzt hingegen für die fachärztlich-internistische Versorgung, so gelte ein Abrechnungsverbot für wesentliche Leistungspositionen.

Es fehle bereits an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes, für die durch das Gesundheitsstrukturgesetz vorgenommene Schaffung einer neuen Arztgruppe, da das Recht der ärztlichen Weiterbildung den Ländern vorbehalten sei.

Die gesetzlichen Regelungen seien auch materiell verfassungswidrig, da sie unverhältnismäßig seien. Sie seien nicht geeignet, das Ziel einer Kosteneinsparung als Gemeinwohlbelang zu fördern, da ein Zusammenhang zwischen der bisherigen Tätigkeit im hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich und ungerechtfertigten Leistungsausweitungen nicht bestehe. Die Regelung sei auch nicht erforderlich und im übrigen unzumutbar, da die wirtschaftlichen und berufsbezogenen Konsequenzen der Wahlverpflichtung erheblich seien und die Übergangsfrist bis zur vollständigen Umsetzung des Abrechnungsverbotes ab dem Jahre 2003 nicht ausreiche, um diese gravierenden Eingriffe abzumildern. Das Urteil des Bundessozialgerichts und die zugrunde liegenden gesetzlichen Regelungen griffen auch in das Eigentum des Beschwerdeführers ein, da die von ihm geführte hausärztliche und fachärztliche Praxis in ihrer Kernsubstanz Eigentum im Sinne von Art. 14 GG darstelle. Schließlich werde der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, weil die internistisch tätigen Hausärzte so behandelt würden wie die als Hausarzt tätigen Allgemeinmediziner ohne internistische Weiterbildung, obwohl beide Gruppen - bezogen auf ihre verschiedene medizinische Qualifikation - wesentliche Unterschiede aufwiesen.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nur teilweise zulässig. Hinsichtlich der gerügten Verletzung von Art. 14 GG ist sie unzulässig. Soweit der Beschwerdeführer nicht mehr gleichzeitig an der hausärztlichen und fachärztlichen Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung teilnehmen und Leistungen abrechnen kann, bezieht sich dies auf die berufliche Betätigung insgesamt und nicht auf deren Ergebnisse. Damit kommt Art. 14 GG als Prüfungsmaßstab nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 82, 209 <234>).

2. Der Verfassungsbeschwerde kommt, soweit sie zulässig ist, keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind hinreichend geklärt; sie lassen sich mit Hilfe der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Maßstäbe ohne weiteres entscheiden.

3. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG bezeichneten Rechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), da sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Die der Entscheidung des Bundessozialgerichts zugrunde liegenden Regelungen sind mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

Der Bund hat nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG die Gesetzgebungskompetenz, die vertragsärztliche Versorgung in einen hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereich zu gliedern. Eine solche Regelung gehört der Sache nach zum Recht der gesetzlichen Krankenversicherung. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Aufteilung in eine hausärztliche und fachärztliche Versorgung konkretisiert die abrechenbaren ärztlichen Leistungen an die Versicherten im ambulanten Bereich. Die Argumente, die von einer Kompetenzwidrigkeit des § 73 Abs. 1 a bis c und § 95 a Abs. 1 bis 3 SGB V ausgehen, berücksichtigen nicht die selbständige Bedeutung der Sozialversicherung, in der eigenständige Regelungen auf Grundlage ihres Auftrages jederzeit möglich sind.

Die Trennung der Versorgungsbereiche ist auch in der Sache mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Heranzuziehen sind die für eine Berufsausübungsregelung geltenden verfassungsrechtlichen Maßstäbe. Dies ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, daß nur die vertragsärztliche Tätigkeit erfaßt wird, denn auch Regelungen des Vertragsarztrechtes können als Berufswahlregelungen ausgestaltet sein (vgl. BVerfGE 33, 125 ff.). Es kann auch offenbleiben, ob die ärztliche Spezialisierung als Facharzt inzwischen als eigenständig entwickelter und in der sozialen Wirklichkeit akzeptierter Beruf anzusehen ist, denn bei den vom Beschwerdeführer mittelbar angefochtenen Regelungen geht es weder um den reglementierten Zugang zu einer bestimmten Arztgruppe noch zu einem Planungsbereich. Die Regelungen haben lediglich zur Folge, daß nach Ablauf einer Übergangsfrist bestimmte Positionen des einheitlichen Bewertungsmaßstabes nicht mehr abgerechnet werden können. Einwirkungen auf das ärztliche Handeln mit dem Steuerungsinstrument der Vergütungsregelung sind schon generell ein Mittel der Berufsausübung. Dies gilt erst recht, wenn die Vergütungsregelung beim jeweiligen Arzt nur einen Teil der Tätigkeiten betrifft, die ihm nach Berufsrecht offenstehen.

Die Aufgliederung des hausärztlichen und fachärztlichen Versorgungsbereichs dient dem Gemeinwohl. Durch die Neuordnung werden gesundheitspolitische Ziele der Qualitätsverbesserung für die Versicherten neben finanzpolitischen Zielen der Kostendämpfung angestrebt (BTDrucks 12/3608, S. 83). Bei der Ausgestaltung der Krankenversicherung sind sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 89, 365 <376>). Auch die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist als Gemeinwohlaufgabe von hoher Bedeutung anzusehen (BVerfGE 68, 193 <218>; 70, 1 <25 f., 29>). Dies gilt auch und gerade gegenüber den Leistungserbringern innerhalb der vertragsärztlichen Versorgung, denen durch die Einbeziehung in das öffentlich-rechtliche System des Vertragsarztrechtes besondere Vorteile erwachsen (BVerfGE 68, 193 <221>).

Die mittelbar angegriffenen Regelungen genügen auch im übrigen den Anforderungen, die aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit resultieren (vgl. BVerfGE 46, 246 <256 f.>). Sie sind zur Umsetzung der gesundheits- und finanzpolitischen Ziele geeignet und erforderlich. Bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der sie rechtfertigenden Gründe ist vor allem im Hinblick auf die langen Übergangsfristen die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschritten.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.