SG Schleswig, Beschluss vom 12.01.2006 - S 7 AR 37/05 ER PKH
Fundstelle
openJur 2011, 93795
  • Rkr:
Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern seit dem 1. Dezember 2005 bis zum 31. März 2006, längstens jedoch bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 16. November 2005, Arbeitslosengeld II ohne Anrechnung des für die Pflegekinder gezahlten Pflegegeldes zu gewährten.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die Antragsgegnerin hat den Antragstellern 4/5 der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Den Antragstellern wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes Hein bewilligt. Ratenzahlungen sind nicht zu leisten.

Tatbestand

I. Die Antragsteller begehren Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ohne Anrechnung eines Erziehungsbeitragsanteils, welcher im Pflegegeld für die von ihnen betreuten Pflegekinder gezahlt wird.

Der 1960 geborene Antragsteller zu 1) und die 1958 geborenen Antragstellerin zu 2) leben zusammen mit ihren Pflegekindern in einem gemeinsamen Haushalt.

Bereits im Oktober 2004 beantragen die Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Sie reichten die Bewilligungsbescheide des Jugendhilfeträgers für die drei Pflegekinder ein. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 lehnte die Antragsgegnerin Leistungen ab. Die Antragsteller seien nicht hilfebedürftig. Dabei berücksichtigte die Antragsgegnerin Kindergeld in Höhe von 308,- Euro sowie einen Betrag von 1084,50 Euro als Einkommen. Auf den Widerspruch vom 9. Dezember 2004 und nach Änderung der “Weisungslage” der Bundesagentur für Arbeit bewilligte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 8. Februar 2005 monatlich 684,27 Euro seit dem 1. Januar 2005 bis zum 31.Mai 2005. Hierbei wurde als Einkommen nur noch der nicht in die Anrechnung des Pflegegeld geflossene Anteil des Kindergeldes in Höhe von 308,- Euro berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2005 bewilligte die Antragsgegnerin auf den Antrag vom 14. Juni 2005 monatliche Leistungen in Höhe von 675,51 Euro für die Monate Juni bis September sowie monatlich in Höhe von 634,03 Euro für die Monate Oktober und November 2005. Aufgrund einer Änderung der Betriebskosten wurde mit Bescheid vom 14. Juli 2005 die Bewilligung vom 17. Juni 2005 geringfügig geändert.

Nach weiterer interner Erörterung der Rechtslage hob die Antragsgegnerin am 7. September 2005 den Bescheid vom 14. Juli 2005 auf und bewilligte Leistungen in Höhe von monatlich 148,15 Euro für die Monate Oktober und November. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 17. Oktober 2005 zurück. Die Antragsteller haben hiergegen Klage zum Aktenzeichen S 9 AS 959/05 erhoben, über die bislang noch nicht entschieden worden ist.

Mit Bescheid vom 16. November 2005 bewilligte die Antragsgegnerin den Antragstellern Leistungen in Höhe von 88,48 Euro monatlich für den Zeitraum von Dezember 2005 bis einschließlich Mai 2006. Als einzusetzendes Einkommen berücksichtigte die Antragsgegnerin 807,31 Euro. Hiergegen haben die Antragsteller am 23. November 2005 Widerspruch eingelegt. Über diesen hat die Antragsgegnerin bislang nicht entschieden.

Die Antragsteller haben am 24. November 2005 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie tragen vor, der Erziehungsbeitrag sei nicht als Einkommen zu werten. Mit dem Erziehungsbeitrag würden auch materielle Aufwendungen für die Kinder bestritten, wie z.B. Nachhilfeunterricht, Kauf von Instrumenten, Sportgeräten, Besuch für kulturelle Einrichtungen usw. Im Ergebnis bliebe kein Betrag für die Pflegeeltern übrig. Es gäbe keine sachliche Begründung für die unterschiedliche Handhabung der Pflegegeldanteile. Eine erwerbsmäßige Pflege liege nicht vor, sie werde von der Rechtsprechung bei sechs Kindern angenommen.

Die Antragsteller beantragen,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern für die Zeit vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Mai 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des für die Pflegekinder gezahlten Pflegegeldes zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Sie bezieht sich auf ihren Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2005.

Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie das Verfahren zum Aktenzeichen S 9 AS 959/05 beigezogen. Wegen der werteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.

Gründe

II. Das Gericht hat das Aktivrubrum um die Antragstellerin zu 2) im vermuteten Einverständnis der Beteiligten (vgl. § 38 SGB II) ergänzt, da der Antragsteller zu 1) offenkundig nicht nur eigene Ansprüche, sondern auch die der Antragstellerin zu 2) geltend macht.

Der zulässig Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Gemäß § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung treffen, wenn diese Regelung notwendig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Erforderlich ist danach zum einen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Notwendigkeit einer Eilentscheidung, und zum anderen ein Anordnungsanspruch, also ein rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme. Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO sind Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen. Das bedeutet, dass die Beweisführung, die einem Antragsteller hinsichtlich der von ihm behaupteten entscheidungserheblichen Umstände grundsätzlich obliegt, vorerst nur einen geringeren Grad an Sicherheit vermitteln muss, als dies in einem Klageverfahren erforderlich wäre. In einem Anordnungsverfahren einstweilen zugesprochene Mittel werden in aller Regel verbraucht und können, abgesehen von Ausnahmefällen, nach einer etwaigen Aufhebung der Anordnung oder gegenteiligen Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht mehr zurückgezahlt werden. Rein faktisch - wenn auch nicht rechtlich - werden somit im Eilverfahren regelmäßig vollendete Tatsachen geschaffen; daher muss die Wahrscheinlichkeit eines Anspruchs auf die begehrte Leistung sehr groß sein, wobei gegebenenfalls allerdings auch zu berücksichtigen ist, in wessen Sphäre die verbliebenen Ungewissheiten fallen, die den Unterschied zwischen geringer und hoher Wahrscheinlichkeit ausmachen. Die Antragsteller haben sowohl Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Antragsteller haben erheblich weniger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende zur Verfügung als ihnen gesetzlich zusteht. Die bewilligten Leistungen sichern nicht das sozio-kulturelle Existenzminimum der Antragsteller und gefährden ihren Pflegeauftrag gegenüber ihren Pflegekindern.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Einnahmen des Erziehungsanteiles des Pflegegeldes nach § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII sind keine Einnahmen, die daneben Leistungen nach dem Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II, v. 24.12.2003, BGBl. I S. 2954) im Sinne des § 11 Abs. 3 SGB II nicht rechtfertigen würden.

Nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II haben erwerbsfähige Personen einen Anspruch auf Leistungen, soweit sie hilfebedürftig sind. Dies ist bei den Antragstellern der Fall, da sie ihren Lebensunterhalt nicht bzw. nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln und nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen bestreiten können (vgl. § 9 Abs. 1 SGB II).

Das einzusetzende Einkommen der Antragsteller reicht nicht zum Bestreiten des Lebensunterhaltes aus. Insbesondere ist der Erziehungsanteil am Pflegegeld nicht nach § 11 Abs. 1 SGB II noch nach § 11 Abs. 3 SGB II zu berücksichtigen. Als Einkommen sind nach § 11 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 11 Abs. 3 SGB II alle Einnahme an Geld oder Geldeswert zu berücksichtigten, soweit sie als zweckbestimmte Einnahmen einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch dienen und die Lage des Empfängers so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wären. Das gewährte Pflegegeld ist in Gänze eine zweckbestimmte Einnahme. Sie beeinflusst die Lage der Empfänger jedoch nicht so günstig, dass daneben Leistungen nach dem SGB II nicht gerechtfertigt wäre. Wann eine Anrechnung zu erfolgen hat, ist nicht stets pauschal zu beurteilen, sondern es ist auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen (vgl. LSG Hamburg, Beschluss v. 23.6.2005 - L 5 B 80/05 ER AS, FEVS 57 (2006), 29, 30 zum Tagespflegegeld als Einkommen).

Der Erziehungsanteil des Pflegegeldes ist eine zweckbestimmte Einnahme im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a) SGB II. Zweckbestimmte Leistungen sind solche, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften (a.A. Hänlein in Gagel, § 11 Rn. 60; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, 3 11 Rn. 212; Brühl in LPK-SGB II, § 11 Rn. 44, der jedoch das Verhältnis von § 11 Abs. 3 SGB II zu der weitergehenden Ermächtigung zur Freistellung von weiteren Einnahmen gem. § 13 SGB II nicht berücksichtigt) gewährt werden, die einem anderen Zweck als der Sicherung des Lebensunterhaltes dienen. Der in der Literatur überwiegend vertretenen Auffassung, dass auch private, zweckbestimmte Leistungen von einer Anrechnung frei zu stellen sind, wird von der erkennenden Kammer nicht gefolgt. Die Auslegung von § 11 Abs. 3 SGB II anhand des Bedarfsdeckungsgrundsatz auszulegen. Die staatlichen Transferleistungen sollen das sozio-kulturelle Existenzminimum gewährleisten und den staatlichen Zuschuss auf das Notwendige begrenzen. Es soll insbesondere keine indirekte Vermögensbildung durch die Grundsicherung für Arbeitssuchende erfolgen. Dies wäre jedoch der Fall, wenn der in der Literatur vertretenen Auffassung gefolgt würde. Hierauf kommt es jedoch vorliegend nicht an, da es sich bei dem gewährten Pflegegeld um eine Leistung handelt, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften erfolgt. Eine Anrechnung würde die öffentlich-rechtliche Zweckrichtung der anderweitigen Leistung neutralisieren und hierdurch inhaltlich entwertet, so dass sie gleich unterbleiben könnte (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, § 11 Rn. 208, 213 m.w.N.). Die Zweckbestimmung muss in dem Leistungsgesetz, aus dem die Leistung herrührt, nicht ausdrücklich benannt sein; sie muss sich jedoch zumindest im Wege der Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerwGE 19, 198, 202f.; Mecke in Eicher/Spellbrink, § 11 Rn. 79; Brühl in LPK-SGB II, § 11 Rn. 42).

Voraussetzung für das Verbot einer Anrechnung ist zudem, dass die Leistung einer andere Zweckrichtung als Leistungen nach dem SGB II haben muss. Eine solche Zweckidentität liegt vor, wenn die Leistung der Sicherung des Lebensunterhaltes dient (vgl. Hengelhaupt in Hauck/Noftz, 3 11 Rn. 217). Die Zweckrichtungen sind durch Gegenüberstellung der zur beurteilenden Leistung und der Leistungen des SGB II zu ermitteln (vgl. BVerwG 12.2.1987, FEVS 37,45).

Sinn und Zweck der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende ist die Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums. Das Arbeitslosengeld II setzt sich aus den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II) und den Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II) gemäß § 19 Abs. 1 SGB II zusammen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind im Abschnitt 2, Unterabschnitt 1 des 3. Kapitels normiert.

Das Pflegegeld nach § 39 Abs. 1 SGB VII dient der Sicherung des Lebensunterhaltes von Kindern oder Jugendlichen, die außerhalb des Elternhauses Hilfe zur Erziehung erhalten (vgl. BR-Drs. 503/89, S. 72). Das gesamte Pflegegeld enthält einen Anteil materieller Aufwendungen und die Kosten der Erziehung. § 39 SGB VIII ist wirtschaftliche Jugendhilfe (vgl. BVerwG v. 9.6.1983, ZfSH/SGB 198,3, 377 ff. zur Vorgängerregelung des § 6 Abs. 2 JWG); sie stellt nach § 39 Abs. 1 SGB VIII den notwendigen Unterhalt sicher. Der Höhe nach sollen die Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten gewährt werden, sofern sie nach § 39 Abs. 4 S. 1 SGB VIII den angemessenen Umfang nicht übersteigen. Hierfür wird nach § 39 Abs. 4 S. 2 SGB VIII eine monatliche Pauschale gewährt. Dieser Pflegegeldanteil ist mit den Leistungen nach § 19 SGB II identisch und steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit.

Zwischen den Beteiligten steht in Einklang mit der Auffassung des Gerichtes außer Streit, dass der Erziehungsanteil des Pflegegeldes einem anderen Zweck dient, als die Leistungen nach dem SGB II. Der Erziehungsbeitrag beruht auf § 39 Abs. 1 S. 2 SGB VIII. Durch die Regelung wird zum Ausdruck gebracht, dass der Unterhaltsanspruch des Kindes die Erziehungsleistung umfasst. Er wird nicht als Entgelt zur freien Verfügung überlassen, sondern dient der Erziehung des Kindes zu dessen Bedarfsdeckung. Dies betrifft neben den ideellen Leistungen auch die konkreten Ausgaben, die mit der Erziehung einher gehen.

Die Anrechnung von Erziehungsanteilen der Pflegepauschale ist nicht im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II gerechtfertigt. Problematisch ist bereits die Berechnung der Antragsgegnerin, da es aus den Rechtsgrundlagen, die der Bewilligung des Pflegegeldes zugrunde liegen, keinen wirtschaftlich quantifizierbaren Teil der Pflegepauschale für den Erziehungsbeitrag gibt, der annähernd verlässlich bestimmbar ist. Er ergibt sich nicht unmittelbar aus der Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe (Lebensunterhalt-Verordnung - LUVO, v. 26. April 2001, GVOBl. S.-H. 2001, 68), die nach § 39 Abs. 5 SGB VIII den Pauschalbetrag für laufende Leistungen zum Unterhalt bestimmt. Nach § 1 LUVO setzt sich der Pauschalbetrag aus einem Grundbetrag in Höhe des jeweiligen Regelbetrages der zweiten Altersstufe zuzüglich 175 % des Regelbetrages der Altersstufe des betreffenden Kindes oder Jugendlichen zusammen. Der Regelbetrag bestimmt sich nach § 1 Regelbetrag-Verordnung (BGBl. 1998, 666, 668 zul. geänd. d. VO v. 8.4.2005 BGBl. I 1055).

Die LUVO unterscheidet normativ nicht (mehr) zwischen den einzelnen Anteilen des Pflegegeldes, die sich in den Erziehungsbeitrag und den Kosten des Lebensunterhaltes nach § 39 Abs. 1 S. 1 und S. 2 SGB VIII aufteilen. Bereits aufgrund der mangelnden Differenzierung der Anteile sieht es die erkennende Kammer als problematisch an, eine Anrechnung vorzunehmen. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Träger der Jugendhilfe sich in jahrelanger Praxis an den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge orientieren (zul. NDV 2005, 491), die eine erhebliche sozialrechtliche Bedeutung haben und dessen Empfehlungen vielfach als antizipiertes Sachverständigengutachten zugrunde gelegt werden. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins differenzieren weiterhin zwischen den materiellen Aufwendungen und den Kosten der Erziehung. Gleiches scheint auch im hamburgischen Landesrecht der Fall zu sein, wie sich aus einer Entscheidung des Landessozialgerichtes Hamburg vom 23. Juni 2005 zur Einkommensanrechnung des Erziehungsanteiles des Tagespflegegeldes ergibt, wobei eine inhaltliche Übertragung der Entscheidung auf die Anrechnung von Pflegegeld ausdrücklich offen gelassen wurde (FEVS 57, 29, 34).

Eine differenzierte Regelung sah die LUVO in § 1 in der Fassung vom 20. Juli 1992 (GVOBl. S.-H. 1992, 451) ebenso vor. Der Betrag für die materiellen Aufwendungen betrug 200 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe und der Erziehungsbeitrag wurde in Höhe des einfachen Regelbetrags der mittleren Altersstufe gewährt. Diese Differenzierung wurde 1996 aufgegeben. Jedoch könnte die Änderung im Jahr 1996 derart ausgelegt werden, dass die Aufwendungen für die materiellen Bedarfe um 25 % gekürzt (und 2001 fortgeschrieben wurden), da der Grundbetrag weiterhin die einfache Regelleistung der mittleren Altersstufe, wie in der Regelung aus dem Jahr 1992, für den Erziehungsbeitrag in § 1 S. 2 LUVO, vorsah. Somit könnte von einem weiterhin quantifizierbaren Erziehungsbeitrag ausgegangen werden.

Diese differenzierte Betrachtung ist jedoch ausdrücklich durch Artikel 1 der Verordnung zur Änderung der Landesverordnung über die Leistungen zum Lebensunterhalt in der Jugendhilfe vom 7. März 1996 (GVOBl. 1996, 317) aufgehoben worden. Über die Intention des Verordnungsgebers könnte nur spekuliert werden. Normativ lassen sich Anteile nicht mehr feststellen. Diese jahrelange Praxis der Träger der Jugendhilfe eine Differenzierung der jeweiligen Anteile vorzunehmen, ist auch den Bescheiden des Kreises Dithmarschen zu entnehmen (vgl. Bl 39 ff.). Eine rechtliche Grundlage für diese Differenzierung ergibt sich jedoch nicht aus der LUVO. Eine jahrelange Verwaltungspraxis kann nicht ausreichen, wenn es um die Begrenzung von Leistungen im existenzsichernden Bereich geht. Die Differenzierung des Kreises Dithmarschen in seinen Bescheiden zur Jugendhilfe entsprechen nicht der Verordnungslage und können daher nicht als Grundlage für die Erziehungsbeitragsanteile in den Bescheiden herangezogen werden. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins haben ohnehin keinen normativen Charakter und können auch nicht zur Auslegung einer Verordnung herangezogen werden. Zudem beziehen sich die Empfehlungen des Deutschen Vereins nicht auf die schleswig-holsteinische Regelung.

Daher kann eine Anrechnung als Einkommen nicht erfolgen.

Des Weiteren spricht der Charakter des Erziehungsbeitrages gegen eine Rechtfertigung der Anrechnung im Sinne des § 11 Abs. 3 Nr. 1 SGB II. Die Pauschale, welche durch die LUVO auf Grundlage des § 38 Abs. 5 SGB VIII festgesetzt wird, orientiert sich am durchschnittlichen Lebensstandard, wie sich durch die historische Auslegung ergibt. Wörtlich heißt es in der Gesetzesbegründung: “Für die Bemessung setzt Satz 3 den durchschnittlichen Lebensstandard eines Kindes in der Familie als Orientierungshilfe fest. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Pflegekinder heute etwa zu je einem Drittel in Familien mit einfachen Lebensverhältnissen, in Familien mit mittleren und in Familien mit höherem Einkommen leben. Durch die Anknüpfung an einem durchschnittlichen Lebensstandard wird erreicht, dass Pflegekinder in angemessener Weise am Lebensstandard der Familie teilhaben, ohne dass die Familie in größerem Maße eigene Mittel für den Bedarf des Pflegekindes zuschießen muss. (BR-Drs. 503/89, S. 74)”

Der Gesetzgeber knüpft mit der Bemessungshöhe der Regelsätze an zwei Dinge an. Es soll der Transfer von Familieneinkommen in größerem Umfang vermieden werden. Dies ist vorliegend irrelevant. Der Gesetzgeber zeigt aber auch auf, dass ein mittleres Familieneinkommen als Anknüpfungspunkt gewählt wurde und nicht, wie in den Leistungsgesetzen des SGB II und XII, die unteren Einkommensschichten die Bezugsgröße darstellen. Hierdurch soll eine Ungleichbehandlung der Kinder und Jugendlichen reduziert werden, die sich in Pflegefamilien mit unterschiedlichem wirtschaftlichen Leistungsvermögen befinden. Dieser Ansatz würde vereitelt, wenn durch die Anrechnung von Erziehungsbeitragsanteilen das allgemeine Leistungsniveau der Pflegefamilie reduziert würde.

Zudem wäre zudem zu erwägen, dass eine Ungleichbehandlung gegenüber Pflegekindern bestehen würde, die in Bedarfsgemeinschaften lebten, die im SGB XII Leistungsbezug stünden. Die in diesem Fall maßgebliche Anrechnungsvorschrift ist § 83 Abs. 1 SG B XII, die wörtlich mit der Vorgängerregelung des § 77 Abs. 1 S. 1 BSHG übereinstimmt. Im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes entsprach es der allgemeinen Auffassung, auch die Erziehungsanteile des Pflegegeldes nicht als Einkommen der Pflegeperson anzusehen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.11.1995 in FEVS 46,452; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9.Dez.1996 - AZ: 6 S 2472/94, zitiert nach Juris). Ginge man mit Rothkegel (Sozialhilferecht, S. 111 u. S. 285) von einer Referenzfunktion der Sozialhilfe (vgl ebenso BT-Drs. 15/1516, S. 56) davon aus, die Leistungen nach dem SGB XII stellten das Mindestniveau an staatlichen Fürsorgeleistungen dar, so müsste dies bei der Auslegung der Anrechnungsregel des § 11 Abs. 3 Nr. 1a SGB II Berücksichtigung finden. Die Kammer sieht dies jedoch nicht als zwingend an, da die Arbeitsfähigkeit der Leistungsempfänger, die in § 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB i.V.m. § 8 SGB II vorausgesetzt wird, auch die Möglichkeit der Selbsthilfe abstrakt in sich trägt, so dass eine Ungleichbehandlung bzw. partielle Schlechterstellung gerechtfertigt sein könnte. Hierauf kommt es jedoch aus den Gründen nicht an, die im Übrigen gegen eine Anrechnung sprechen.

Weiterhin würde die Anrechnung von Erziehungsbeitragsanteilen der Anreizfunktion des Pflegegeldes, die der Gesetzgeber bezweckte, widersprechen, so dass eine Anrechnung zu unterbleiben hat. Der Gesetzgeber stellte in seiner Gesetzesbegründung fest, dass es durch die verbesserten materiellen Leistungen für die Pflegekinder möglich gewesen sei, breitere Bevölkerungsschichten zur Aufnahme von fremden Kindern zu interessieren (BR-Drs. 503/89, S. 73). Diese Anreizfunktion ist auch im SGB II-Leistungsbezug beizubehalten. Die Pflegefamilien sollen einen wirtschaftlichen Anreiz haben, Pflegekinder aufzunehmen (vgl. Kunkel in LPK-SGB VIII, § 39 Rn. 6). Dieser vom Gesetzgeber gewollte Anreiz schließt die Rechtfertigung der Anrechnung aus.

Zudem wird die Anrechnungsweise der Antragsgegnerin auch nicht der Funktion des Erziehungsanteiles im Pflegegeld gerecht. Neben den ideellen Aufwendungen sind in dem Pflegegeld auch materielle Aufwendungen enthalten, wie sie die Antragsteller zutreffend in ihren Ausführungen benennen. Da neben dem Pflegegeld nur einmalige Beihilfen nach § 39 Abs. 3 SGB VIII für wichtige persönliche Anlässe sowie für Urlaubs- und Ferienreisen gewährt werden, sind Ausflüge, Nachhilfe, Geschenke, Sportvereinsbeiträge und vieles mehr aus dem Erziehungsgeldanteil zu bestreiten (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 24.11.1995 in FEVS 46,452; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 9.Dez.1996 - AZ: 6 S 2472/94, zitiert nach Juris; SG Aurich, Beschluss v. 15. April 2005, S 15 AS 27/05 ER, Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 39, Rn. 17; a.A. wohl Stähr in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 39, Rn. 14). Es sind Kosten, die durch Inanspruchnahme begleitender Angebote und durch übliche begleitende Aufwendungen entstehen (vgl. Jans/Happe/Saurbier/Maas, Jugendhilferecht, § 39, Rn. 22). Die Anrechnung eines Erziehungsanteiles auf das Arbeitslosengeld II führte dazu, dass die Pflegekinder sich in ihren Beziehungen zur Umwelt faktisch einschränken müssten und ihr gesetzlich definiertes Unterhaltsniveau, nämlich dem einer durchschnittlichen Familie, auf das Niveau unterer Einkommensschichten abgesenkt würde. Dies hat der Gesetzgeber jedoch mit der Pauschalierung - wie ausgeführt - nicht bezwecken wollen.

Die Ablehnung im Übrigen ergibt sich aus dem Charakter der einstweiligen Anordnung, nämlich der Sicherung einer existentiellen Notlage. Eine Befristung der Leistungsfrist von knapp drei Monaten nach Beschlussfassung ist notwendig aber auch hinreichend, um die gegenwärtige Notlage nachhaltig abzuwenden. Einen zeitlich darüber hinausgehenden Anspruch auf Verpflichtung der Antragsgegnerin besteht nicht, da insoweit kein Anordnungsgrund besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in entsprechender Anwendung. Sie berücksichtigt, dass die Antragsteller von der begehrten Verpflichtung der Antragsgegnerin für einen Zeitraum von 6 Monaten nur 4 Monate zugesprochen erhielten und zudem, dass die Antragsgegnerin Veranlassung zur Stellung des Antrages gegeben hat.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 77a SGG i.V.m. § 114 ZPO, da hinreichend Aussichten auf Erfolg bei Antragstellung, wie ausgeführt, bestanden.

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