SG Düsseldorf, Urteil vom 18.04.2011 - S 52 R 1823/10
Fundstelle
openJur 2011, 92747
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin die von der Beklagten bereits gewährte Regelaltersrente unter Anerkennung von sog. Ghetto-Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) bereits rückwirkend ab 1. Juli 1997 zu zahlen ist oder erst ab 1. Januar 2005.

Die am 00. Januar 1929 geborene Klägerin ist jüdischen Glaubens und gemäß § 1 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung anerkannt. Sie lebt in Israel und besitzt die israelische Staatsangehörigkeit.

Am 31. März 2003 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf das ZRBG die Zahlung einer Regelaltersrente rückwirkend ab dem 1. Juli 1997 für ihre Tätigkeiten im Ghetto Kaunas in der Zeit von 1941 bis 1944.

Mit Bescheid vom 19. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass es nicht glaubhaft sei, dass die Klägerin im Ghetto eine entgeltliche Beschäftigung ausgeübt habe. Der gegen diesen Bescheid von der Klägerin erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. März 2005 zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf - S 40 R 37/05 - wurde mit Urteil vom 23. November 2006 abgewiesen. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) am 2. und 3. Juni 2009 neuere Entscheidungen zum ZRBG getroffen hatte, stellte die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. Oktober 2009 einen Überprüfungsantrag bei der Beklagten auf Zahlung einer Regelaltersrente ab Juli 1997.

Mit Rentenbescheid vom 12. Mai 2010 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine monatliche Regelaltersrente ab 1. Januar 2005.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 18. Mai 2010 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen angab, dass der Rentenbescheid eine Verletzung von Art. 3 GG i.V.m. § 3 ZRBG darstelle. Die Rente sei bereits ab 1. Juli 1997 zu gewähren.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Juni 2010 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass § 44 Abs. 4 SGB X nur eine rückwirkende Zahlung von vier Jahren vorsehe. Die Vorschrift sei auch verfassungsgemäß. Dies sei auch mehrfach durch das BSG so bestätigt worden. Auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch verjähre innerhalb von vier Jahren. Dem ZRBG-Gesetzgeber sei die Vorschrift des § 44 SGB X bekanntgewesen; er habe dennoch den Abs. 4 im Rahmen des Erlasses des ZRBG nicht abbedungen, was ihm möglich gewesen sei. Im Übrigen sei der Rentenbeginn verschoben worden, so dass ein erhöhter Zugangsfaktor berücksichtigt worden sei.

Die Klägerin hat am 25. Januar 2011 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt sie vor: Die einschlägigen Kriterien des ZRBG seien früher von nahezu allen Rentenversicherungsvertretern extrem eng und damit verfolgtenfeindlich ausgelegt worden. Die Sozialgerichte hätten sich dieser Auslegung sowohl im ersten als auch im zweiten Rechtszug angeschlossen. Das BSG habe schließlich den Verfolgten Recht gegeben. Vor dem Hintergrund dieses Geschehensablaufs könne es nicht angehen, dass die Rentenansprüche nach § 44 Abs. 4 SGB X auf die Zeit ab 1. Januar 2005 begrenzt würden. § 3 ZRBG sei lex specialis zu § 44 Abs. 4 SGB X. Es müsse eine verfolgtenfreundliche Auslegung erfolgen. Sinn und Zweck des ZRBG sei es doch gerade, den Verfolgten zu helfen, und nicht deren Ansprüche durch staatliches Handeln zu beschneiden. Dies gelte erst recht, wenn sich im Nachhinein dieses Handeln als rechtswidrig herausstelle. Die Verfahren von Verfolgten, die noch offen seien, würden Rentenleistungen rückwirkend ab 1. Juli 1997 erhalten; die anderen erst ab 1. Januar 2005. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung sei nicht ersichtlich. Es werde ausdrücklich ein Verstoß gegen Art. 3 GG gerügt.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Rentenbescheides vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2010 zu verurteilen, ihr rückwirkend ab dem 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 2004 eine Regelaltersrente unter Berücksichtigung der bereits anerkannten Beitragszeiten für die Tätigkeit im Ghetto Moghilew nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren sowie die Nachzahlung zu verzinsen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung ihres klageabweisenden Antrages nimmt die Beklagte unter Vertiefung ihres Vorbringens auf die angefochtenen Bescheide Bezug. Die Beklagte hat weitere ergänzende Ausführungen mit mehreren Schriftsätzen gemacht. Wegen der Einzelheiten dieser Schriftsätze wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Juni 2010 ist rechtmäßig und beschwert die Klägerin nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Regelaltersrente rückwirkend für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 31. Dezember 2004.

Die Kammer nimmt zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst Bezug auf die Ausführungen der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid und den Schriftsätzen im vorliegenden Verfahren sowie den Ausführungen des SG Lübeck in seinem Urteil vom 8. Oktober 2010 - S 15 R 188/10 -, denen die Kammer folgt, und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, vgl. § 136 Abs. 3 SGG.

Die nachfolgenden Entscheidungsgründe sind im Wesentlichen an die o.g. Entscheidung des SG Lübeck angelehnt:

Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. § 44 Abs. 1 SGB X dient dem Zweck, die Konfliktsituation zwischen der wegen der Bestandskraft des rechtswidrigen Verwaltungsaktes eingetretenen Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit aufzulösen (BSG, Urteil vom 11.08.1983 – 1 RA 53/82, BSGE 55, 220, 223; BSG, Urteil vom 18.03.1998 – B 6 KA 16/97 R, BSGE 82, 50, 53; BSG, Urteil vom 11.11.2003 – B 2 U 32/02 R, NZS 2004, 660; Jung, SGb 2002, 1, 2; Rützel, SozVers 1999, 64; Fichte, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 48 SGB X Rdnr. 7). Der Einzelfallgerechtigkeit wird im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben ein höheres Gewicht beigemessen als der Rechtssicherheit (vgl. BSG, Urteil vom 29.05.1991 – 9/9a RVs 11/89, BSGE 69, 14, 16 und 18).

Die Kammer konnte es dahinstehen lassen, ob der Bescheid der Beklagten vom 19. April 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2005 rechtswidrig war, denn jedenfalls hat die Klägerin nach Auffassung der Kammer unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf rückwirkende Rentenzahlung ab 1. Juli 1997.

Die Klägerin hat einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt. Ist danach von der Behörde ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, werden gemäß § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des Sozialgesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Gemäß § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X wird dabei der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in welchem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Die Frist des § 44 Abs. 4 Satz 2 SGB X beginnt mit dem letzten Tag des Vorjahres (§ 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) und endet nach vier Jahren mit dem ersten Tag des Jahres (§ 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 188 Abs. 2 BGB). Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, gemäß § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X anstelle der Rücknahme der Antrag. § 44 Abs. 4 SGB X stellt sich nicht als Verfahrensbestimmung, sondern als eine materiellrechtliche Anspruchsbeschränkung dar (BSG, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85, BSGE 60, 158; Waschull, in: Diering/Timme/Waschull (Hrsg.), SGB X, 2. Aufl. 2007, § 44 Rdnr. 54; Hofe, SGb 1986, 11, 16). Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BSG, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85, BSGE 60, 158; Waschull, in: Diering/Timme/Waschull (Hrsg.), SGB X, 2. Aufl. 2007, § 44 Rdnr. 54).

§ 44 SGB X wird durch den mit Wirkung vom 1. Mai 2007 in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung eingefügten § 100 Abs. 4 SGB VI modifiziert. Liegen die in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil er auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt oder in ständiger Rechtsprechung anders als durch den Rentenversicherungsträger ausgelegt worden ist, so ist ein Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, gemäß § 100 Abs. 4 SGB VI nur mit Wirkung für die Zeit ab dem Beginn des Kalendermonats nach Wirksamwerden der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei dieser Bestimmung handelt es sich hinsichtlich des Zeitpunktes der Aufhebung um eine gegenüber § 44 SGB X spezielle Regelung (Göhde, SozSich 2007, 310, 311). Erfasst werden ausdrücklich nur unanfechtbare Verwaltungsakte (§ 77 SGG). Ein Bescheid bleibt in diesem Sinne auch dann unanfechtbar, wenn nach Eintritt der Bindungswirkung ein Überprüfungsverfahren anhängig ist (BSG, Urteil vom 10.04.2003 – B 4 RA 56/02 R, SozR 4-1300 § 44 Nr. 3; Kreikebohm, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Udsching (Hrsg.), BeckOK-SozR, § 100 SGB VI Rdnr. 8 (2010)). Die Norm ist jedoch nicht anwendbar auf Verwaltungsakte, die aufgrund eines sich als unrichtig erweisenden Sachverhalts rechtswidrig sind. In diesen Fällen gilt weiterhin § 44 SGB X (BT-Drucks. 16/3794, S. 37; Jörg, in: Kreikebohm (Hrsg.), SGB VI, 3. Aufl. 2008, § 100 Rdnr. 10; Kater, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 100 SGB VI Rdnr. 20 (2009); Brähler, in: Ruland/Försterling (Hrsg.) SGB VI, § 100 Rdnr. 51 (2009)).

Nach Auffassung der Kammer kommt hier zunächst § 100 Abs. 4 SGB VI nicht zur Anwendung. Denn es fehlt an einer ständigen einheitlichen Rechtsprechung des BSG zu den sog. ZRBG-Verfahren vor dem 2. bzw. 3. Juni 2009. Eine ständige Rechtsprechung liegt erst dann vor, wenn eine Rechtsfrage als abschließend geklärt anzusehen ist. Dies kann dann der Fall sein, wenn der einzig zuständige Senat eines obersten Gerichtshofes des Bundes wiederholt im gleichen Sinn entschieden hat (BSG, Urteil vom 16.10.2003 – B 11 AL 20/03, SozR 4-4300 § 330 Nr. 1; Stock, in: Reinhardt (Hrsg.), SGB VI, 2. Aufl. 2010, § 100 Rdnr. 20; vgl. BT-Drucks. 16/3794, S. 37), zwei unterschiedliche Senate eines obersten Gerichtshofs des Bundes übereinstimmend entschieden haben (BSG, Urteil vom 25.11.1977 – 2 RU 93/76, juris), der Große Senat eines obersten Gerichtshofs des Bundes oder der Gemeinsame Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes entschieden hat (Kreikebohm, in: Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann (Hrsg.), Kommentar zum Sozialrecht, 2009, § 100 SGB VI Rdnr. 10; Brähler, in: Ruland/Försterling (Hrsg.), SGB VI, § 100 Rdnr. 52 (2009); Fichte, NZS 1998, 1, 3 f.). Eine Einzelentscheidung eines Senats des Bundessozialgerichts begründet noch keine ständige Rechtsprechung, es sei denn, diese Entscheidung wird von der Verwaltung grundsätzlich befolgt und von den unteren Instanzen sowie vom Schrifttum geteilt (Brähler, in: Ruland/Försterling (Hrsg.), SGB VI, § 100 Rdnr. 53 (2009); Göhde, SozSich 2007, 310, 312 f.). Unter Beachtung dieser Grundsätze kann hier eine ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Auslegung der Voraussetzungen für den Erhalt einer Rente unter Berücksichtigung von sogenannten "Ghetto-Beitragszeiten" nach dem ZRBG frühestens ab dem 3. Juni 2009 angenommen werden. Zwar hat das Bundessozialgericht bereits mit Urteilen vom 18. Juni 1997 zu Beitragszeiten aufgrund einer Beschäftigung in einem Ghetto positiv Stellung bezogen. Diese Entscheidungen enthalten indes keine Aussagen zum ZRBG. Vielmehr waren diese Entscheidungen erst der Wegbereiter für das ZRBG. Bei der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14.12.2006 (B 4 R 29/06 R, BSGE 98, 48) handelt es sich – obwohl ihr Ergebnis mit dem der Urteile vom 2. und 3. Juni 2009 weitgehend übereinstimmt – um eine Einzelentscheidung, denn zu dieser Zeit existierten noch weitere mit dem Gesetz der gesetzlichen Rentenversicherung befasste Senate beim Bundessozialgericht, die keine entsprechenden Entscheidungen erlassen hatten. Dem Urteil wurde auch von Seiten der Verwaltung und der meisten unteren Instanzgerichte nicht entsprochen, allerdings hatten sich die 52. und 53. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG angeschlossen. Aber erst zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 2. und 3. Juni 2009 haben die zwei derzeit allein für das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung zuständigen Rentensenate des Bundessozialgerichts übereinstimmend die Voraussetzungen der sogenannten "Ghetto-Beitragszeiten" nach dem ZRBG abschließend dargelegt.

Mangels Anwendbarkeit des § 100 Abs. 4 SGB VI war die Regelaltersrente der Klägerin nach Maßgabe des § 44 SGB X festzusetzen. Die Beklagte hat den Rentenbeginn unter Berücksichtigung eines Überprüfungsantrags vom 26. Oktober 2009 unter Beachtung der Bestimmung des § 44 Abs. 4 SGB X auf den 1. Januar 2005 festgelegt.

Auch aus § 48 Abs. 2 SGB X resultiert hier kein höherer Rentenzahlanspruch durch einen früheren Rentenbeginn. Gemäß dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zu Gunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 SGB X bleibt unberührt. Die Bestimmung des § 48 Abs. 2 SGB X setzt jedoch – soweit sie als unmittelbare Rechtsgrundlage einer Aufhebung heranzuziehen wäre – einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung voraus. Ein die Rentengewährung ablehnender Verwaltungsakt stellt indes keinen solchen Verwaltungsakt dar (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.1985 – 1 RJ 2/84, BSGE 58, 27).

Die Klägerin kann einen früheren Rentenbeginn auch nicht auf § 3 Abs. 1 ZRBG stützen. Gemäß Satz 1 dieser Vorschrift gilt ein bis zum 30. Juni 2003 gestellter Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung als am 18. Juni 1997 gestellt.

Ausgangspunkt einer Gesetzesauslegung ist der Wortlaut einer Norm. Der im Wortlaut des § 3 Abs. 1 ZRBG verwendete Begriff "Antrag auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung" ist für sich gesehen neutral. Hierunter könnte jeder Antrag mit Bezug zum Recht der gesetzlichen Rentenversicherung verstanden werden, also nicht nur ein Erst-, sondern auch ein Neufeststellungs- oder Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, insbesondere, wenn die Gewährung einer Rente zuvor gänzlich von der Verwaltung abgelehnt wurde. Die Gesetzgebungsmaterialien verhalten sich nicht dazu, ob § 3 Abs. 1 ZRBG nicht nur erstmalige Anträge auf Rente, sondern auch Neufeststellungs- oder Überprüfungsanträge erfasst. Hauptabsicht des Gesetzgebers bei Schaffung des ZRBG war die Aufhebung der bis dahin bestehenden Zahlungssperre und die Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten (vgl. BT-Drucks. 14/8583, S. 5). Ob und wie Überprüfungsanträge gemäß § 44 SGB X, insbesondere nach Ablauf der in § 3 Abs. 1 ZRBG genannten Frist, zu behandeln sind, hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben.

In systematischer Hinsicht legt der Wortlaut des § 3 Abs. 1 ZRBG es zunächst nahe, darin eine Sonderregelung allein zu §§ 99, 115 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI zu sehen. Hierfür spricht, dass die Frage der Antragstellung strikt zu trennen ist von der Frage, für welchen Zeitraum rückwirkend Leistungen zu gewähren sind. Wäre eine den § 44 SGB X und insbesondere dessen Abs. 4 modifizierende Regelung vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, hätte es nahegelegen, eine entsprechende Bestimmung zu normieren, wie dies zum Beispiel in § 330 Abs. 1 SGB III, § 100 Abs. 4 SGB VI oder § 11 Abs. 4 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) geschehen ist. In allen diesen Normen wird konkret auf § 44 SGB X Bezug genommen, in § 3 Abs. 1 ZRBG hingegen nicht. Zudem wurde § 100 Abs. 4 SGB VI nach Inkrafttreten des ZRBG in das Recht der gesetzlichen Rentenversicherung implementiert, ohne dass auch eine Änderung an § 3 Abs. 1 ZRBG dahingehend vorgenommen worden wäre, einen konkreten Bezug zu § 44 SGB X herzustellen. Dieser letzte Umstand kann jedoch auch auf einen Willen des Gesetzgebers schließen lassen, auf entsprechende Modifikationen des § 3 Abs. 1 ZRBG zu verzichten. Das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R, BSGE 94, 294) hat zwar für Neufeststellungsanträge nach § 48 SGB X ausgeführt, dass es sich bei § 3 Abs. 1 ZRBG um eine gegenüber § 48 Abs. 4 SGB X in Verbindung mit § 44 Abs. 4 SGB X spezielle Regelung handele. Diese Rechtsprechung kann jedoch nicht auf die hier zu beurteilende Fallkonstellation übertragen werden. Denn das Bundessozialgericht hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, bei welchem der Neufeststellungsantrag innerhalb der von § 3 Abs. 1 ZRBG normierten Ausschlussfrist, nämlich am 11. Juli 2002, gestellt wurde. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist für die dort behandelte Fallkonstellation konsequent und zwingend, um angesichts der seinerzeitigen Neuheit des ZRBG für den gesamten von ihm erfassten Personenkreis einer Ungleichbehandlung zu begegnen. Die sich hier ergebende Fallkonstellation ist jedoch eine andere: Der Überprüfungsantrag wurde außerhalb der in § 3 Abs. 1 ZRBG genannten Frist, nämlich am 26. Oktober 2009, gestellt.

Für die Frage, für welchen Zeitraum rückwirkend Leistungen zu gewähren sind, ist auf den konkreten Antrag, der zur Rentengewährung führt, abzustellen – hier also den Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X. So ist es in § 44 Abs. 4 Satz 3 SGB X vorgesehen. Es ist nicht ersichtlich, dass durch § 3 Abs. 1 ZRBG von diesem Prinzip abgerückt werden sollte. Ein nach Ablauf der großzügigen (so BSG, Urteil vom 03.05.2005 – B 13 RJ 34/04 R, BSGE 94, 294) Antragsfrist des § 3 Abs. 1 ZRBG gestellter Überprüfungsantrag kann, insbesondere nach zunächst bestandskräftiger Ablehnung des ursprünglichen Rentenantrags, nicht so behandelt werden, als sei es der ursprüngliche Rentenantrag, mag dieser auch innerhalb der in § 3 Abs. 1 ZRBG genannten Frist gestellt worden sein. Denn mit einer solchen Argumentation würde der Überprüfungsantrag in den ursprünglichen Rentenantrag "verwandelt". Bei dem ursprünglichen Rentenantrag und dem Überprüfungsantrag handelt sich jedoch um zwei verschiedene Anträge mit unterschiedlicher Funktion, die nicht nach Belieben gegeneinander ausgetauscht werden können. Der ursprüngliche Rentenantrag hat die Funktion, überhaupt eine Rentengewährung zu ermöglichen, da unter Geltung des Antragsprinzips im System der gesetzlichen Rentenversicherung keine Rente ohne einen jemals gestellten Antrag bewilligt werden dürfte. Hierin erschöpft sich jedoch dessen Funktion nach zunächst bestandskräftiger Ablehnung bei anschließend erfolgender Überprüfung. Dagegen dient der Überprüfungsantrag gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X dazu, die Verwaltung zu einer erneuten Ingangsetzung eines Verfahrens zu veranlassen und so gegebenenfalls die Bestandskraft früherer Bescheide zu durchbrechen. Er determiniert den Zeitraum, für welchen rückwirkend Leistungen zu gewähren sind. Gegen einen "Austausch" der Anträge spricht auch, dass, folgte man der Auffassung der Klägerin, die in § 3 Abs. 1 ZRBG vorgesehene Stichtagsregelung praktisch ausgehebelt würde. Denn dann könnte jederzeit und unbegrenzt ein Überprüfungsantrag mit der Folge einer auf den 1. Juli 1997 rückwirkenden Rentengewährung gestellt werden. Dem Sinn der Stichtagsregelung liefe dies diametral zuwider, da sie gerade dazu dienen soll, hinsichtlich der zu erwartenden Anträge und der damit verbundenen Kosten Rechtssicherheit für die Verwaltung zu schaffen.

Vergleicht man dann noch zudem die Kläger in sozialgerichtlichen Verfahren mit denen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren, wo es keine dem § 44 SGB X entsprechende Vorschrift gibt, so sieht man, dass bereits allgemein die Kläger sozialgerichtlicher Verfahren deutlich bevorzugt werden im Verhältnis zu Klägern verwaltungsgerichtlicher Verfahren. Diese haben keine dem § 44 SGB X entsprechende Möglichkeit, gegen bestandskräftige Verwaltungakte oder rechtskräftige Urteile noch im Nachhinein vorzugehen und rückwirkend für vier Jahre entgegen anders lautender Verwaltungs- bzw. Gerichtsentscheidungen noch Zahlungen zu erhalten. Eine weitere Privilegierung sozialgerichtlicher Kläger über die Vorschrift des § 44 SGB X ist nach Auffassung der Kammer daher nicht angezeigt.

Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht mit Erfolg auf den sogenannten sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Dieses von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut setzt voraus, dass ein Sozialleistungsträger rechtswidrig Pflichten aus einem Sozialleistungsverhältnis verletzt und dadurch einen Schaden verursacht hat, welchen er durch eine gesetzlich zulässige Amtshandlung ausgleichen kann (vgl. BSG, Urteil vom 18.08.1983 – 11 RA 60/82, BSGE 55, 261; BSG, Urteil vom 05.04.2000 – B 5 RJ 50/98 R, SozR 3-1200 § 14 Nr. 29; BSG, Urteil vom 06.05.2010 – B 13 R 44/09 R, juris; Mönch-Kalina, in: Schlegel/Voelzke (Hrsg.), SGB I, 2005, § 14 Rdnr. 38 ff.). Liegen neben den Voraussetzungen des § 44 SGB X die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vor, so geht § 44 SGB X als die gesetzliche Sonderregelung dem richterrechtlich entwickelten Rechtsinstitut vor (BSG, Urteil vom 23.07.1986 – 1 RA 31/85, BSGE 60, 158, 164; Waschull, in: Diering/Timme/Waschull (Hrsg.), SGB X, 2. Aufl. 2007, § 44 Rdnr. 56; vgl. Steinwedel, in: Leitherer (Hrsg.), Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X Rdnr. 16 (2009)).

Es kann hier dahinstehen, ob der Beklagten eine Pflichtverletzung – etwa wegen unzureichender Sachverhaltsaufklärung (vgl. § 20 SGB X) – vorgeworfen werden könnte, da die sich aus dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch ergebenden Rechtsfolgen zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen würden. Denn aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs können keine Leistungen gewährt werden, die länger als vier Jahre zurückwirken. Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen wird die Ausschlussfrist des § 44 Abs. 4 SGB X analog auf den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch angewendet (BSG, Urteil vom 14.02.2001 – B 9 V 9/00 R, BSGE 87, 280; BSG, Urteil vom 27.03.2007 – B 13 R 58/06 R, BSGE 98, 162; vgl. Ladage, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990, S. 118). Dies ist auch hier zu beachten. Selbst wenn im hier zu beurteilenden Fall dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch neben § 44 SGB X ein eigenständiger Anwendungsbereich zugestanden würde, könnte aufgrund der analogen Anwendung der Bestimmung des § 44 Abs. 4 SGB X auch hier kein früherer Rentenbeginn bzw. eine länger zurückwirkende Rentengewährung aus diesem Anspruch abgeleitet werden.

Ein Verstoß gegen die Verfassung ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere besteht kein Anlass, die Klägerin aus Gründen der Gleichbehandlung so zu stellen, als hätte sie ihren Überprüfungsantrag bis zum 30. Juni 2003 gestellt. Art. 3 Grundgesetz (GG) gebietet die Gleichbehandlung im Wesentlichen gleicher Sachverhalte vor dem Gesetz. Nach der sogenannten "Neuen Formel" ist Art. 3 Abs. 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (st. Rspr., vgl. grundlegend BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – 1 BvR 240/79 u. a., BVerfGE 55, 72, 88; BVerfG, Urteil vom 14.03.2000 – 1 BvR 284/96, BVerfGE 102, 41, 54; Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.) Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 3 Rdnr. 17). Eine Ungleichbehandlung, für die kein erhebliches und sachgerechtes Unterscheidungskriterium vorläge, ist hier jedoch nicht gegeben. Zwar ist die Personengruppe der Antragsteller, die eine Rente unter Berücksichtigung des ZRBG begehrt, im Wesentlichen insoweit vergleichbar, dass sie ein im Kern vergleichbares Verfolgungsschicksal unter dem Regime des nationalsozialistischen Unrechtsstaates erleben musste. Es ließe sich vertreten, dass eine pauschalierende Gleichbehandlung des betroffenen Personenkreises im ZRBG von Beginn an angelegt und beabsichtigt war. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch zwischen denjenigen, die ihr Recht nach fristgerecht gestelltem Antrag und anschließend erfolgter Ablehnung der Rente durch die Verwaltung weiter verfolgt haben und solchen, die dies nicht getan haben. Eine Gleichbehandlung aller Betroffenen dahingehend, ihnen allen die Rente rückwirkend ab dem 1. Juli 1997 zu gewähren, kollidiert mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Prinzip der Rechtssicherheit ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips (BVerfG, Urteil vom 01.07.1953 – 1 BvL 23/51, BVerfGE 2, 381, 403; st. Rspr.). Hieraus folgt die grundsätzliche Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen. Vergleichbares gilt für die Bestandskraft von Verwaltungsakten (BVerfG, Beschluss vom 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, 270). Der Gesichtspunkt der entschiedenen Sache rechtfertigt es, rechtskräftige Entscheidungen unberührt zu lassen bzw. eine Durchbrechung der Bestandskraft nur im Rahmen des geltenden Rechts – wie zum Beispiel gemäß § 44 SGB X – zuzulassen. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes ist hierin nicht zu sehen (Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 20 Rdnr. 89). Auch Stichtagsregelungen dienen der Rechtssicherheit. Eine Ungleichbehandlung ist umso weniger erkennbar, als es in das Belieben des Einzelnen gestellt ist, durch eigenes Verhalten die Ungleichbehandlung zu steuern (Kannengießer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Hopfauf (Hrsg.), Grundgesetz, 11. Aufl. 2008, Art. 3 Rdnr. 18).

Zwar ist zutreffend, dass die Klägerin ihren ersten Antrag auf Regelaltersrente innerhalb der Frist des § 3 Abs. 1 ZRBG, d.h. bis zum 30. Juni 2003, gestellt hat. Sie hat aber den Anspruch auf Regelaltersrente nach Erlass des ablehnenden erstinstanzlichen Urteils indes nicht weiterverfolgt. Dieses ist rechtskräftig geworden. Es hätte der Klägerin aber offen gestanden, eine (gerichtskostenfreie) Berufung beim Landessozialgericht NRW zu erheben. Diesen Weg hat sie jedoch nicht eingeschlagen. Insofern kann sie auch nicht von einer für sie günstigeren Entscheidung profitieren, die diejenigen erlangen konnten und können, die das sie betreffende (Klage-)Verfahren offengehalten haben bzw. gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten vor Gericht durch alle Instanzen bis zum BSG gezogen sind. Der Zeitraum, für welchen Sozialleistungen rückwirkend gewährt werden können, wird insoweit ohne eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes unter Beachtung des Rechtsstaatsprinzips durch § 44 Abs. 4 SGB X abschließend determiniert.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG zu § 306 Abs. 1 SGB VI - B 13 RJ 34/04 -, die hier ersichtlich nicht einschlägig ist. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens hätte es selbst in der Hand gehabt - anders als in den von dem BSG zu § 306 SGB VI entschiedenen Fällen - sich den Ausgang ihres Rentenverfahrens offen zu halten und zu einer Rentenzahlung ab 1. Juli 1997 zu gelangen, indem sie den Instanzenzug auf sich genommen hätte, wie es auch viele andere Kläger getan haben. Sie hätte dann ggf. auch ihr Verfahren ruhend stellen können, bis das BSG die strittigen Rechtsfragen abschließend entschieden hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Die Sprungrevision war hier gemäß § 161 SGG zuzulassen. Das Rechtsmittel der Sprungrevision soll den Beteiligten – auch im öffentlichen Interesse an der Klärung von Rechtsfragen – zu einer schnellen Entscheidung unter Abkürzung des Instanzenzuges verhelfen und damit gleichzeitig Kosten sparen helfen (Berchtold, in: Berchtold/Richter (Hrsg.), Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 7 Rdnr. 159; Dahm, SozVers 1998, 261). Mit Blick auf das vorgerückte Alter des betroffenen Personenkreises ist es angezeigt, den Instanzenzug zwecks Zeitersparnis abzukürzen.

Die Kammer hat - wie bereits in vier anderen Entscheidungen vom 4. April 2011 auch - die Sprungrevision nach § 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Rechtsprechung nimmt dabei einen Fall der grundsätzlichen Bedeutung dann an, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und deren Klärung auch durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Leitherer in Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer in Kommentar zum SGG, 9. Auflage, München 2008, § 160 SGG, Rn. 6 ff. m.w.N.). Bislang gibt es keine einheitliche Rechtsprechung zu der Frage, ob die Rente in den sog. Überprüfungsverfahren rückwirkend ab 1. Juli 1997 oder erst ab 1. Januar 2005 zu zahlen ist. Die 15. und 26. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf haben mit mehreren Entscheidungen vom 24. März 2011 - vgl. nur z.B. S 26 R 1789/10 u.a. - bzw. 5. April 2011 - S 15 R 1531/10 - den Klagen der Kläger stattgegeben; die 27. Kammer und die 52. Kammer des Sozialgerichts Düsseldorf haben mit mehreren Entscheidungen vom 4. April 2011 - vgl. nur S 52 R 1944/10 u.a. - bzw. 7. April 2011 - S 27 R 1802/10 u.a. - die Klagen abgewiesen. Alle Kammern haben jeweils die Sprungrevision zum BSG zugelassen; bislang ist aber nicht bekannt, dass von den Beteiligten in einem Verfahren bereits Sprungrevision eingelegt wurde und diese beim BSG anhängig ist.

Die Rechtsfrage hat vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Kammerrechtsprechungen des Sozialgerichts Düsseldorf, wegen des vorgerückten Alters des betroffenen Personenkreises und der Vielzahl der anhängigen Klageverfahren zu dieser Rechtsfrage - derzeit sind bei dem Sozialgericht Düsseldorf zu dieser Rechtsfrage bereits ungefähr 300 solcher Verfahren anhängig - besondere grundsätzliche Bedeutung, zumal täglich neue Klagen zur vorliegenden Problematik eingehen. Es ist zu erwarten, dass ausschließlich das Bundessozialgericht eine abschließende Klärung dieser Rechtsfrage herbeiführen kann. Zur Abkürzung des Instanzenzugs zwecks Zeitersparnis war wegen des vorgerückten Alters der Kläger die Sprungrevision zuzulassen.

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