OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.04.2011 - 1 Ws 147/11, 1 Ws 149/11, 1 Ws 148/11

Eine nach § 56 f Abs. 3 S. 2 StGB nicht gerechtfertigte Anrechnung von erbrachten Leistungen auf die Strafe kann nicht zum Nachteil des Verurteilten in Wegfall gebracht werden, wenn nur über seine sofortige Beschwerde gegen die Widerrufsentscheidung zu befinden ist. In diesem Fall gilt das Verschlechterungsverbot ausnahmsweise auch im Beschwerdeverfahren.

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg vom 22. März 2011 wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der vielfach vorbestrafte Beschwerdeführer wurde am 14.5.2003 vom Amtsgericht Regensburg (Az.: 25 Ds 106 Js 18907/02) rechtskräftig wegen Unterschlagung unter Einbeziehung weiterer rechtskräftig verhängter Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Am 6.5.2004 verurteilte ihn das Amtsgericht Regensburg im Verfahren 25 Ds 127 Js 4286/04 rechtskräftig wegen Unterschlagung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten. Diese Verurteilung führte zum Widerruf der dem Beschwerdeführer am 14.5.2003 bewilligten Strafaussetzung. In der Folgezeit verbüßte der Beschwerdeführer zwei Drittel beider Strafen. Mit Beschluss vom 4.4.2005 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Amberg das letzte Drittel der Gesamtfreiheitsstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Regensburg vom 14.5.2003 und 6.5.2004 für fünf Jahre zur Bewährung aus und erteilte dem Beschwerdeführer einzelne hier nicht näher interessierende Weisungen.

Am 27.8.2008 wurde der Beschwerdeführer vom Amtsgericht Freising (Az.: 2 Ds 32 Js 1632/08) wegen Betrugs unter Einbeziehung anderweitiger festgesetzter Strafen rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem wurde dem Beschwerdeführer zur Auflage gemacht, Wiedergutmachungsleistungen an den Geschädigten zu erbringen. In der Folgezeit bezahlte der Beschwerdeführer in Erfüllung dieser Auflage insgesamt 200,-- €.

Nachdem der Beschwerdeführer am 16.4.2010 an einer Tankstellte sein Fahrzeug mit Kraftstoff in einem Gegenwert von 91,49 € betankt und dabei seine Zahlungswilligkeit nur vorgespiegelt hatte, verurteilte ihn das Amtsgericht Regensburg am 21.10.2010 wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten (24 Ds 106 Js 11273/10). In der Folge widerrief das Landgericht – Strafvollstreckungskammer - Amberg am 23.3.2011 die dem Beschwerdeführer mit Beschluss vom 4.4.2005 bewilligte Aussetzung der Reststrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Regensburg vom 14.5.2003 und 6.5.2004 sowie die eingeräumte Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Freising vom 27.8.2008. Gegen diesen ihm am 29.3.2011 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 2.4.2011, bei Gericht eingegangen am 5.4.2011 sofortige Beschwerde eingelegt und geltend gemacht, dass eine längere Haftverbüßung für ihn gravierende Einbußen zur Folge haben werde. Die Generalstaatsanwaltschaft hält die eingelegte sofortige Beschwerde für zulässig aber unbegründet und hat ihre Verwerfung beantragt.

II.

Die eingelegte sofortige Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Reststrafenaussetzung richtet nach § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO und hinsichtlich des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Freising vom 27.8.2008 nach § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthaft. Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen vor.

1. Über den Widerruf der Aussetzung einer Reststrafe ist nach § 57 Abs. 5 Satz 1 StGB ebenso wie über den Widerruf einer von Anfang an bewilligten Strafaussetzung nach § 56f StGB zu entscheiden. Danach rechtfertigen eine oder mehrere während der Bewährungszeit begangene Straftaten gemäß § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB einen Widerruf, wenn eine neue in die Zukunft gerichtete Prognose zu dem Ergebnis führt, dass die der Aussetzungsentscheidung zugrunde liegende Erwartung in ein künftiges positives Legalverhalten des Verurteilten nicht mit mehr zu rechtfertigen ist (OLG Düsseldorf NStZ–RR 1996, 185; OLG Stuttgart StV 2003, 346f.; Hubrach in: LK 12. Aufl. § 56f Rdn. 14 mit weiteren Nachweisen). Dies ist bei dem Beschwerdeführer der Fall. Er hat mit dem am 17.4.2010 begangenen Tankbetrug innerhalb der Bewährungszeit eine neue Straftat begangen und damit an sein kriminelles Verhalten angeknüpft, dass bei ihm seit dem Jahr 1970 immer wieder zu Verurteilungen mit anschließenden Strafverbüßungen geführt hat. Mehrfach eingeräumte Bewährungen mussten regelmäßig widerrufen werden. Anhaltspunkte dafür, dass das erneute Bewährungsversagen einer außergewöhnlichen besonderen Belastungssituation geschuldet war oder durch andere lebensphasische Ereignisse erklärt werden kann, bestehen nicht.

2. Für ein Vorgehen nach § 56f Abs. 2 StGB war kein Raum. Liegen die Voraussetzungen des § 56f Abs. 1 StGB vor, hat der Widerruf der Strafaussetzung zwingend zu erfolgen. Mildere Maßnahmen als der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung stellen nur dann eine noch angemessene Reaktion auf das festgestellte Bewährungsversagen dar, wenn aufgrund neuer Tatsachen erwartet werden kann, dass der Verurteilte in Zukunft keine Straftaten mehr begehen wird (OLG Frankfurt NStZ–RR 1996, 59; KG NStZ–RR 2000, 170, Mosbacher in: SSW–StGB § 56f Rdn. 25). Hierfür fehlt jeder Anknüpfungspunkt. Die Lebensverhältnisse des Beschwerdeführers sind seit Jahren unverändert und werden durch seine wiederkehrende Kriminalität geprägt. Auch sein fortgeschrittenes Lebensalter hat bisher keine Veränderung der bisherigen Verhaltensmuster bewirkt. Der Umstand, dass eine längere Haftverbüßung bei dem Beschwerdeführer zum Verlust der Wohnung führen wird, stellt zwar eine erhebliche Erschwernis dar, doch kann daraus nichts abgeleitet werden, was auf eine Besserung der Legalprognose hindeuten könnte.

3. Für weitergehende Verhältnismäßigkeitserwägungen ist kein Raum. Insbesondere war nicht darüber zu befinden, ob der auszusprechende Widerruf in einem angemessenen Verhältnis zu der Straftat steht, die hierfür auslösend war. Der Widerruf einer Strafaussetzung wegen einer in der Bewährungszeit begangenen neuen Straftat nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB ist alleinige Folge des Eigenhandelns des Verurteilten. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist schon bei der Verurteilung in Gestalt der Strafmessung durchgeführt worden. Ihr Bezugspunkt ist und war die zugrunde liegende Straftat und nicht das Bewährungsversagen (OLG Oldenburg NStZ–RR 2006, 189, 190 mit weiteren Nachweisen).

4. Soweit die Strafvollstreckungskammer dem Beschwerdeführer die in Erfüllung der Bewährungsauflage aus dem Beschluss des Amtsgerichts Freising vom 27.8.2008 erbrachten Zahlungen zu Unrecht nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB auf die zu verbüßende Freiheitsstrafe in Anrechnung gebracht hat, war eine Abänderung der Entscheidung nicht mehr möglich.

Nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB dürfen nur Leistungen angerechnet werden, die auf Auflagen gemäß § 56b Abs. 2 Nrn. 2 - 4 StGB erbracht worden sind. Die dem Beschwerdeführer im Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Freising vom 27.8.2008 unter Ziffer III. gemachte Auflage, den verursachten Schaden nach Kräften wieder gut zu machen, beruhte aber ersichtlich auf § 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB.

Zugunsten des Beschwerdeführers war jedoch das Verschlechterungsverbot in Anwendung zu bringen. Zwar sieht das Gesetz ein Verbot der reformatio in peius ausdrücklich nur für das Berufungs-, Revisions- und Wiederaufnahmeverfahren vor (§§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO), doch hat dieser Grundsatz ausnahmsweise auch im Beschwerdeverfahren zu gelten, wenn durch den angegriffenen Beschluss eine Rechtsfolge endgültig festgelegt worden ist (OLG Hamm NStZ 1996, 303, 304; OLG München JZ 1980, 365; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. vor § 304 Rdn. 5). So liegt es hier. Die Anrechnungsentscheidung der Strafvollstreckungskammer bestimmt abschließend, wie viel Freiheitsstrafe noch zu verbüßen ist und schafft damit für den Beschwerdeführer eine der Strafbemessung vergleichbare Rechtsposition.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.