BFH, Urteil vom 09.12.2009 - X R 54/06
Fundstelle
openJur 2011, 87981
  • Rkr:

Geht das FA davon aus, dass sich ein Steuerpflichtiger in einem bestimmten Land aufhält, ohne dessen dortige Anschrift zu kennen, muss es im Vorfeld einer öffentlichen Zustellung wegen "unbekannten Aufenthaltsorts" gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG versuchen, die gültige ausländische Anschrift im Wege des zwischenstaatlichen Informationsaustauschs zu ermitteln (vgl. dazu für die Streitjahre BMF-Schreiben vom 3. Februar 1999, BStBl I 1999, 228, für die Zeit danach vom 25. Januar 2006, BStBl I 2006, 26). Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung auf diesem Wege nicht möglich oder fehlgeschlagen ist, darf das FA zur öffentlichen Zustellung übergehen.

Tatbestand

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde im Streitjahr 2001 einzeln veranlagt. Im Streitjahr 2001 veräußerte der Kläger seine Anteile an einer GmbH.

Noch im Streitjahr verzog er nach Spanien und meldete sich bei dem für ihn zuständigen deutschen Einwohnermeldeamt unter Angabe einer neuen Anschrift in M ab. Bereits im Dezember des Streitjahres zog der Kläger von M nach P (ebenfalls Spanien) um. Er meldete sich bei den spanischen Behörden in P an.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) schätzte die Besteuerungsgrundlagen zur Einkommen- und Umsatzsteuer für 1999 und 2000 und übersandte die Bescheide an die ihm vom Einwohnermeldeamt mitgeteilte Anschrift in M. Sie kamen jedoch, ohne dass das Finanzgericht (FG) hierzu Einzelheiten festgestellt hätte, als "unzustellbar" zurück.

Da der deutschen Meldebehörde nur die Anschrift in M bekannt war, wandte sich das FA an den Sohn des Klägers und bat diesen mit Schreiben vom 28. Mai, 16. Juli und 7. August 2002, die aktuelle Anschrift des Klägers mitzuteilen. Der frühere Steuerberater des Klägers, der wegen rückständiger Honorarforderungen in den Jahren 2002 bis 2004 nicht mehr für den Kläger tätig war und deshalb keine Empfangsvollmacht besaß, teilte dem FA auf Anfrage mit Schreiben vom 2. Juli 2002 ohne Angabe einer genauen Anschrift mit, der Kläger lebe in Spanien.

Mit Schreiben vom 20. August 2002 zeigte der Rechtsanwalt S gegenüber dem FA an, die Interessen des Sohnes des Klägers zu vertreten. S erklärte dem FA mit Schreiben vom 30. August 2002 namens und im Auftrag des Sohnes des Klägers, "unabhängig von der Frage, ob mein Mandant überhaupt die Anschrift des Vaters hat, was ich ausdrücklich offen lassen möchte, ist mein Mandant --auch unterstellt, er hätte tatsächlich eine genaue Anschrift seines Vaters-- derzeit unter den gegebenen Umständen nicht bereit, die Anschrift seines Vaters zu benennen".

Das FA stellte daraufhin die --hier nicht streitigen-- Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für 1999 und 2000 öffentlich zu (Tag des Aushangs: 5. September 2002).

Für das Streitjahr 2001 wurden die Besteuerungsgrundlagen zur Einkommensteuer mit Bescheid unter dem 6. Mai 2003 ebenfalls geschätzt. Das FA fragte erneut beim Einwohnermeldeamt nach, ob diesem zwischenzeitlich eine andere Anschrift des Klägers bekanntgeworden sei. Dies verneinte das Einwohnermeldeamt.

Weder versandte das FA in der Folge den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr an die Anschrift in M, noch versuchte es, den Bescheid dort im Wege einer förmlichen Auslandszustellung bekanntzugeben. Es stellte den Einkommensteuerbescheid öffentlich zu (Tag des Aushangs: 26. Mai 2003). In der begleitenden Verfügung ist die Anschrift des Klägers in M angegeben sowie der Zusatz enthalten, der derzeitige Aufenthaltsort des Klägers sei unbekannt und "Zustellungsversuche durch die Post und Ermittlungen über den Aufenthaltsort seien ergebnislos geblieben".

Auf Anforderung des später auch für den Kläger tätig gewordenen und mit einer Zustellungsvollmacht ausgestatteten S übersandte das FA ihm Ende April 2004 unter anderem eine Kopie des Steuerbescheids für das Streitjahr, um die vom FA im Wege der Vollstreckung geltend gemachten Steuerforderungen zu prüfen. Der Kläger legte mit Schreiben vom 19. Mai 2004 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres ein.

Das FA verwarf den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 als unzulässig. Maßgeblicher Bekanntgabezeitpunkt des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr sei aufgrund der öffentlichen Zustellung der 10. Juni 2003. Der Kläger habe erst im Mai 2004 verfristet Einspruch eingelegt. Die Wiedereinsetzung sei zu versagen, da der Kläger seinen Antrag nicht entsprechend § 110 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) innerhalb eines Monats begründet habe.

Der Kläger erhob Klage. Die öffentliche Zustellung sei unwirksam. Das FA habe zuvor weder versucht, den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres über die zuständige spanische Behörde bzw. die diplomatische Vertretung des Bundes in Spanien zuzustellen, noch habe es in der erforderlichen Weise versucht, seine im Jahr 2003 gültige Anschrift in P zu ermitteln.

Er beantragte vor dem FG, 1. die Einspruchsentscheidung vom 15. April 2005 aufzuheben, 2. die Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheids 2001 in der öffentlich bekanntgegebenen Form festzustellen, und 3. die Unwirksamkeit des Einkommensteuerbescheids 2001 in Form der später ausgehändigten Kopie festzustellen.

Das FG gab der Klage teilweise statt. Es hob die Einspruchsentscheidung auf und stellte antragsgemäß fest, der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres sei nicht wirksam öffentlich zugestellt worden. Es wies die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrags unter Nr. 3 des Klageantrags ab. Seine Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 158 veröffentlicht.

Zur Begründung seiner Revision trägt das FA vor, das FG verneine zu Unrecht, dass der Aufenthaltsort des Klägers im Zeitpunkt der öffentlichen Zustellung "unbekannt" i.S. des § 15 Abs. 1 Buchst. a des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) des Bundes in der im Jahr 2003 anzuwendenden Fassung gewesen sei. Der Kläger habe den deutschen Meldebehörden nur die Anschrift in M, nicht aber den Umzug nach P bekannt gemacht. Er habe nach seinem Wegzug mit dem Zugang von Steuerbescheiden rechnen müssen. Das Verhalten des Klägers führe dazu, dass das FA, nachdem es davon habe ausgehen müssen, der Kläger wohne nicht mehr in M und vergeblich versucht habe, aus inländischen Quellen eine neue Anschrift zu ermitteln, zu keinen weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen sei. Es habe insbesondere entgegen der Auffassung des FG vor der öffentlichen Zustellung weder die Anschrift der zuständigen Meldebehörde in M ausfindig machen, noch die Anfrage ins Spanische übersetzen und dorthin senden, noch prüfen müssen, ob für eine solche Anfrage überhaupt eine Rechtsgrundlage bestanden habe. Die Argumentation des FG sei außerdem unschlüssig. Es habe eine Pflicht des FA bejaht, bei den Meldebehörden in M zu recherchieren, selbst aber nicht einmal festgestellt, ob sich der Kläger in M an- und wieder abgemeldet habe, sondern dies nur als "nahe liegend" angesehen. Es stehe im Streitfall lediglich fest, dass der Kläger den deutschen Meldebehörden die Anschrift in M mitgeteilt und sich bei den Behörden in P angemeldet habe.

Das FA beantragt,

das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

II. Die Revision des FA ist zulässig.

1. Der vom FA im Revisionsverfahren gestellte Antrag, das FG-Urteil vollständig aufzuheben, richtet sich gegen alle darin enthaltenen Streitgegenstände. Das FA ist im Streitfall materiell auch beschwert, soweit das FG das Feststellungsbegehren unter Nr. 3 des Klageantrags abgewiesen hat.

a) Der Bundesfinanzhof (BFH) kann bei mehreren Streitgegenständen in einem angefochtenen FG-Urteil über die Revision zu einzelnen Streitgegenständen (hier die Anträge unter Nr. 1 bis 3 des Klageantrags) nur entscheiden, wenn sich die Revisionsrügen gesondert auf die einzelnen Streitgegenstände beziehen und das Revisionsbegehren für jeden Streitgegenstand zulässig ist (vgl. z.B. Senatsurteil vom 11. Februar 2009 X R 51/06, BFHE 226, 1, BStBl II 2009, 892).

b) Das FA hat in der Revision beantragt, das FG-Urteil insgesamt aufzuheben und die Klage abzuweisen, obwohl es hinsichtlich der Feststellung unter Nr. 3 des Klageantrags vor dem FG obsiegt hat. Die Revision des FA ist jedoch auch insoweit zulässig, da es trotz der Klageabweisung durch das FG-Urteil materiell beschwert ist (vgl. zu der erforderlichen materiellen Beschwer des FA z.B. das Senatsurteil vom 29. April 2009 X R 16/06, BFHE 225, 4, BStBl II 2009, 732; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 115 Rz 12 und 14, m.w.N.).

Die materielle Beschwer des FA besteht hier darin, dass das FG den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr aufgrund des angenommenen Bekanntgabezeitpunkts Ende April 2004 nicht als bestandskräftig angesehen hat. Das FA kann seine abweichende Rechtsauffassung, der Bescheid sei schon im Wege der öffentlichen Zustellung im Juni 2003 bekanntgegeben und aufgrund des verfristeten Einspruchs bestandskräftig geworden, nur durchsetzen, wenn das FG-Urteil in der Revision hinsichtlich aller Streitgegenstände aufgehoben wird.

aa) Bestehen Zweifel am Zugang eines Steuerbescheids und gibt die Behörde daraufhin nochmals (zur Heilung) einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt bekannt oder übermittelt sie eine Bescheidkopie, so tritt nach ständiger Rechtsprechung des BFH die Bekanntgabe gemäß § 124 Abs. 1 Satz 1 AO jedenfalls mit dem Zugang des wiederholenden Bescheids oder der Kopie ein, wenn die Bekanntgabe zuvor nicht wirksam war (vgl. Senatsbeschluss vom 7. November 2008 X B 55/08, BFH/NV 2009, 195; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 11; Güroff in Beermann/Gosch, AO § 124 Rz 7). Das FG hat sich im Streitfall auf diese Rechtsprechung gestützt und ist von der Bekanntgabe des Bescheids erst Ende April 2004 ausgegangen. Käme der erkennende Senat in der Revision zu dem Ergebnis, der Steuerbescheid des Streitjahres sei bereits im Juni 2003 aufgrund der öffentlichen Zustellung wirksam bekanntgegeben worden, käme es auf den Zugang des wiederholenden Steuerbescheids durch Übermittlung der Bescheidkopie im Streitfall nicht mehr an. Maßgeblich wäre dann für alle Folgefragen (Festsetzungsverjährung, Verzinsung und Beginn der Einspruchsfrist) nur der frühere Bekanntgabezeitpunkt (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 124 AO Rz 11). Im Streitfall schließen sich demnach die möglichen Bekanntgabezeitpunkte wechselseitig aus, d.h. der unter dem 6. Mai 2003 erlassene Einkommensteuerbescheid des Streitjahres ist dem Kläger entweder im Wege der öffentlichen Zustellung im Juni 2003 oder erst Ende April 2004 durch Übermittlung der Bescheidkopie bekanntgegeben worden (vgl. hierzu den Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2004 X B 3/04, BFH/NV 2005, 496).

bb) Könnte das FA das FG-Urteil mangels Beschwer hinsichtlich der Feststellung laut Ziffer Nr. 3 des Klageantrags nicht anfechten, wäre das FG-Urteil insoweit rechtskräftig und bindend für die Beteiligten (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FA müsste dann gegen sich gelten lassen, dass der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres unter dem 6. Mai 2003 erst mit Zugang der Bescheidkopie Ende April 2004 wirksam bekanntgegeben worden ist. Hierdurch wäre gleichsam für das vorliegende Verfahren für die Streitgegenstände unter Nr. 1 und 2 des Klageantrags bindend entschieden, dass vom späteren Bekanntgabezeitpunkt auszugehen wäre. Somit kann das FA das FG-Urteil auch hinsichtlich der Feststellung unter Nr. 3 des Klageantrags mit der Revision angreifen, obwohl es vor dem FG in diesem Punkt obsiegt hat.

2. Die Revision des FA ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO), soweit sie sich gegen die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung richtet. Der Einspruch des Klägers ist nicht verfristet, weil die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids für das Streitjahr unwirksam war und dieser erst Ende April 2004 bekanntgegeben worden ist.

a) Das FA hat den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nicht gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO wirksam öffentlich zugestellt. Es ist nicht seiner Verpflichtung nachgekommen, im Vorfeld der öffentlichen Zustellung den Aufenthaltsort des Klägers mit allen zumutbaren und geeigneten Maßnahmen zu ermitteln.

aa) Ein Steuerbescheid kann gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO öffentlich zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers "unbekannt" ist. Wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, vgl. grundlegend Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 1987  1 BvR 198/87, Neue Juristische Wochenschrift 1988, 2361) ist die Zustellungsfiktion verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist. § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. setzt deshalb voraus, dass nicht nur der zustellenden Behörde die Anschrift des Zustellungsempfängers unbekannt, sondern dessen Aufenthaltsort allgemein unbekannt ist. Die öffentliche Zustellung ist erst als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 13. Januar 2005 V R 44/03, BFH/NV 2005, 998, m.w.N.; vom 6. Juni 2000 VII R 55/99, BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. April 1997 8 C 43.95, BVerwGE 104, 301; Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 7. Aufl. 2006, § 10 VwZG Rz 3, m.w.N.).

bb) Die Anforderungen an die Behörde, den Aufenthaltsort des Bekanntgabeadressaten ermitteln zu müssen, dürfen jedoch im Einzelfall nicht überspannt werden.

aaa) Eine Rechtspflicht der zustellenden Behörde, Anschriften im Ausland zu ermitteln, wird in der Rechtsprechung daher regelmäßig verneint, wenn ein Fall der "Auslandsflucht" vorliegt (vgl. die BFH-Entscheidungen in BFH/NV 2005, 998; vom 16. Januar 2001 VI S 25/00, BFH/NV 2001, 802) oder wenn sich der Empfänger beim inländischen Melderegister "ins Ausland" ohne Angabe einer Anschrift abmeldet (vgl. z.B. die Entscheidungen des FG Düsseldorf vom 17. Februar 2006  1 K 2677/05, E, U, EFG 2006, 865; des FG München vom 17. Juni 2003  6 K 336/03, nicht veröffentlicht --n.v.--; des Bundespatentgerichts vom 7. Juli 2004  28 W (pat) 227/03, Mitteilungen der Deutschen Patentanwälte 2005, 131; des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 8. Juni 1978 IX ZR 11/74, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1978, 184, und Schwarz in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 10 VwZG Rz 18). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Das FA ist in diesen Fällen vorrangig nur zu Ermittlungsmaßnahmen im Inland verpflichtet, z.B. durch Nachfragen beim Einwohnermeldeamt und bei Kontaktpersonen des Empfängers. Gleiches gilt, wenn sich der Zustellungsempfänger in einer Weise verhält, die auf seine Absicht schließen lässt, den Aufenthaltsort zu verheimlichen (vgl. Schwarz in HHSp, § 10 VwZG Rz 17).

bbb) Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Das FA hat trotz der fehlgeschlagenen Zustellung der Bescheide für die Jahre 1999 und 2000 an die Anschrift in M aufgrund der Auskunft des ehemaligen Steuerberaters im Jahr 2002, der Kläger lebe in Spanien, und der Abmeldung des Klägers unter Angabe der Anschrift in M, genügend Anhaltspunkte gehabt, um zumindest von einem fortbestehenden Aufenthalt des Klägers in Spanien auszugehen. Es durfte sich daher nicht wie bei Steuerpflichtigen, die sich "ins Ausland" ohne eine neue Anschrift abmelden oder flüchtig sind, von vornherein auf inländische Ermittlungsmaßnahmen beschränken.

cc) Im Streitfall ist somit zu entscheiden, welche konkreten Ermittlungspflichten ein FA vor einer öffentlichen Zustellung hinsichtlich der ausländischen Anschrift eines Steuerpflichtigen hat, wenn es diesen in einem bestimmten Land vermutet und durch Ermittlungsmaßnahmen bei inländischen Behörden und Kontaktpersonen keine weitere Aufklärung erreichen kann. Der Senat ist der Auffassung, dass ein FA in diesem Fall alle objektiv geeignet erscheinenden, rechtlich zulässigen und zumutbaren Ermittlungsmöglichkeiten des grenzüberschreitenden Informationsaustausches auszuschöpfen hat. Es muss insbesondere klären, ob ein solcher Informationsaustausch mit Behörden des vermuteten Aufenthaltsstaats möglich ist und an diese ein Auskunftsersuchen richten, um die dortige Anschrift des Steuerpflichtigen zu ermitteln. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hat für den Zeitraum vom 3. Februar 1999 bis zum 24. Januar 2006 --und somit für das hier maßgebliche Zustellungsjahr 2003-- unter dem 3. Februar 1999 (BStBl I 1999, 228, 974) ein Merkblatt zur zwischenstaatlichen Amtshilfe durch Auskunftsaustausch in Steuersachen veröffentlicht (für die Zeit danach BMF-Schreiben vom 25. Januar 2006, BStBl I 2006, 26); in diesem fasst das BMF die wesentlichen Rechtsgrundlagen für Auskunftsersuchen deutscher Finanzämter und das zu beachtende Verfahren zusammen. In Tz. 2.2.4 weist das BMF darauf hin, im Rahmen einer Voranfrage könnten Auskünfte über "Namen, Anschrift oder andere allgemein zugängliche Angaben" von Steuerpflichtigen in anderen Staaten eingeholt werden (siehe ergänzend hierzu Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA, Art. 26 OECD-MA Rz 137); Anschlussersuchen und Richtigstellungen sind ebenfalls möglich (Tz. 2.2.7 des BMF-Schreibens in BStBl I 1999, 228). Erst wenn feststeht, dass eine Anschriftenermittlung im Wege des grenzüberschreitenden Informationsaustausches entweder nicht möglich oder ein konkretes Auskunftsersuchen fehlgeschlagen ist, darf das FA demnach zur öffentlichen Zustellung übergehen.

dd) Dem FG ist nach Maßgabe dieser Grundsätze jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen, dass die öffentliche Zustellung im Streitfall unwirksam war.

aaa) Das FG hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, es sei dem FA möglich und zumutbar gewesen, anknüpfend an die bekannte Anschrift in M bei den dortigen spanischen Meldebehörden zu recherchieren, um die seit Dezember 2001 gültige Anschrift des Klägers in P zu erfahren. Der Senat lässt offen, ob dem zu folgen ist. Es spricht manches dafür, dass die vom FG verlangte direkte Recherche eines deutschen FA bei ausländischen Meldebehörden gegenüber einer Anschriftenermittlung im Wege des grenzüberschreitenden Auskunftsverkehrs von vornherein ein weniger geeignetes Mittel ist, da ein solches Auskunftsersuchen weder auf einer gesicherten Rechtsgrundlage noch auf einem regelmäßig praktizierten Verfahren beruht.

bbb) Das FA hat im Streitfall mit der Anfrage beim Einwohnermeldeamt und beim Sohn des Klägers im Vorfeld der öffentlichen Zustellung nicht alles Erforderliche getan, weil es vor der öffentlichen Zustellung hätte versuchen müssen, die neue Anschrift des Klägers in P im Wege des grenzüberschreitenden Auskunftsaustausches zu erfahren.

(1) Auf Grundlage der sog. Amtshilferichtlinie (Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern) bestand im Jahr 2003 im Verhältnis zu Spanien eine Rechtsgrundlage für ein solches Auskunftsersuchen. Die Mitgliedstaaten gewähren einander gemäß Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie gegenseitig alle Auskünfte, die für die zutreffende Festsetzung der Steuern vom Einkommen (und damit gemäß Art. 1 Abs. 3 dieser Richtlinie auch bei der Festsetzung der Einkommensteuer) geeignet sein können. Art. 2 dieser Richtlinie ermächtigt auch deutsche Finanzämter dazu, --nach dem im BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 228 vorgegebenen Verfahren-- ein Auskunftsersuchen an die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats zu richten. Zu den austauschbaren "Informationen" in diesem Sinne gehören nach Auffassung des Senats grundsätzlich auch personenbezogene Informationen wie die Anschrift eines im Hoheitsbereich des anderen Mitgliedstaats lebenden Steuerpflichtigen (siehe auch Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 OECD-MA Rz 307).

(2) Neben dem Informationsaustausch aufgrund der Amtshilferichtlinie gibt es im Zustellungsjahr 2003 im Verhältnis zu Spanien auch einen abkommensrechtlichen Auskunftsanspruch. Das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 5. Dezember 1966 (BGBl II 1968, 9) --DBA Spanien-- enthält in Art. 26 Abs. 1 eine sog. "große Auskunftsklausel", da nicht nur Informationen zur "Durchführung des Abkommens", sondern auch zur "Durchführung des innerstaatlichen Rechts der Vertragstaaten" im Wege einer Einzelauskunft ausgetauscht werden können (vgl. Eilers in Debatin/ Wassermeyer MA Art. 26 Rz 24-27, Herlinghaus in Debatin/ Wassermeyer Spanien Art. 26 Rz 3; ausführlich Engelschalk in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 26 Rz 64-67; Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 DBA Spanien Rz 3 und Art. 26 OECD-MA Rz 187). Informationen im Sinne des Abkommensrechts sind auch die Verhältnisse einer bestimmbaren natürlichen Person (vgl. Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/ Kroppen, a.a.O., Art. 26 OECD-MA Rz 111). Hierzu gehört nach Ansicht des Senats auch deren Anschrift im anderen Abkommensstaat.

(3) Das FA hätte demnach vor der öffentlichen Zustellung über das damals zuständige Bundesamt für Finanzen (BfF) an die zuständigen spanischen Behörden ein Auskunftsersuchen oder eine Voranfrage richten müssen, um die Anschrift des Klägers in Spanien zu ermitteln. Das FA hatte aufgrund der ihm vorliegenden Informationen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger tatsächlich noch in Spanien --und nicht in einem dritten Staat-- aufhält. Eine Anfrage bei dem BfF wäre im Streitfall zumutbar gewesen, da ein solches Ersuchen über den Dienstweg nach Auffassung des Senats kaum mehr Aufwand erfordert, als eine Anfrage bei einem deutschen Einwohnermeldeamt. Erst wenn das Auskunftsersuchen ergeben hätte, dass die Anschrift des Klägers auch auf diese Weise nicht zu ermitteln gewesen wäre, hätte das FA öffentlich zustellen dürfen.

b) Zutreffend hat das FG entschieden, dass die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. ebenfalls nicht vorlagen.

aa) Eine Auslandszustellung verspricht nach dieser Regelung keinen Erfolg, wenn sie an sich möglich wäre, ihre Durchführung aber etwa wegen Kriegs, Abbruchs der diplomatischen Beziehungen, Verweigerung der Rechtshilfe oder unzureichender Vornahme durch die örtlichen Behörden nicht zu erwarten ist. Im Streitfall kommt --wie das FG zutreffend erkannt hat-- allenfalls das Merkmal in Betracht, dass es bei der Auslandszustellung in Spanien zu einer Verweigerung der Rechtshilfe oder mangelnden Unterstützung örtlicher Behörden gekommen wäre. Unter dieses Merkmal kann nach der Rechtsprechung und dem Schrifttum auch der im Streitfall vorliegende Sachverhalt subsumiert werden, dass ein Zustellungsempfänger im Ausland lebt, sein Aufenthaltsort dort aber unbekannt ist (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1973 VII R 53/70, BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; Beschluss des Sächsischen FG vom 27. Oktober 2005  3 V 248/05, n.v.; Engelhardt/App, a.a.O., § 10 VwZG Rz 7).

bb) Die Amtshilferichtlinie vom 19. Dezember 1977 sieht die Zustellungshilfe eines Mitgliedstaats für Steuerbescheide eines anderen Mitgliedstaats im Zustellungsjahr des Streitfalls (2003) noch nicht ausdrücklich vor. Es ist daher davon auszugehen, dass spanische Behörden keine Zustellungshilfe auf dieser Grundlage gewährt hätten. Erst mit der Richtlinie 2004/56/EG des Rates vom 21. April 2004 zur Änderung der Richtlinie 77/799/EWG über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern, bestimmter Verbrauchsteuern und der Steuern auf Versicherungsprämien ist die Amtshilferichtlinie entsprechend erweitert und Art. 8a Abs. 1 eingefügt worden, nachdem auf Antrag die ersuchte Behörde eines anderen Mitgliedstaats Steuerbescheide nach Maßgabe ihres nationalen Rechts in ihrem Hoheitsgebiet zustellt.

cc) Auf der Grundlage des Art. 26 DBA Spanien wurde im Jahr 2003 ebenfalls keine Zustellungshilfe durch spanische Behörden gewährt, allerdings hat Spanien keine Einwände gegen Zustellungen durch ausländische Auslandsvertretungen (hier: gemäß § 14 VwZG a.F.) auf seinem Territorium erhoben (vgl. Höppner, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, a.a.O., Art. 26 DBA Spanien Rz 1 und Art. 26 OECD-MA Rz 31; Engelschalk in Vogel/ Lehner, a.a.O., Art. 26 Rz 9).

dd) Demnach konnten im Jahr 2003 deutsche Steuerbescheide in Spanien nur über die deutschen Auslandsvertretungen gemäß § 14 VwZG a.F. zugestellt werden. Wenn das Aufenthaltsland des Zustellungsempfängers bekannt, die konkrete Anschrift dort aber nicht bekannt war, war eine Auslandszustellung gemäß § 14 VwZG a.F. i.S. des § 15 Abs. 1 Buchst. c VwZG a.F. unausführbar, wenn mindestens ein zeitnaher gescheiterter Zustellungsversuch vorlag (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 109, 213, BStBl II 1973, 644; Beschluss des Sächsischen FG vom 27. Oktober 2005  3 V 248/05, n.v.). Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass das FA für den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres überhaupt keinen förmlichen Zustellungsversuch gemäß § 14 VwZG a.F. in Spanien unternommen hat.

c) Im Streitfall ist der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres somit erst durch die Übergabe der Bescheidkopien an den Bevollmächtigten des Klägers Ende April 2004 bekanntgegeben worden (vgl. zur Heilung des Zustellungsmangels durch Übergabe einer Fotokopie des Steuerbescheids den Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 195; BFH-Urteil in BFHE 192, 200, BStBl II 2000, 560). Hiergegen hat der Kläger fristgerecht Einspruch erhoben. Das FG-Urteil ist demnach nicht zu beanstanden, soweit das FG die Einspruchsentscheidung aufgehoben hat. Das FA hat im Einspruchsverfahren den Einkommensteuerbescheid des Streitjahres nunmehr vollinhaltlich zu prüfen (§ 367 Abs. 2 Satz 1 AO) und den Kläger erneut zu bescheiden.

3. Die Revision des FA ist auch insoweit unbegründet, als das FA begehrt, das FG-Urteil hinsichtlich der Feststellung, die öffentliche Zustellung des Einkommensteuerbescheids des Streitjahres sei unwirksam, aufzuheben.

a) Die Feststellungsklage unter Nr. 2 des Klageantrags ist zulässig.

aa) Das Vorliegen der Sachurteilsvoraussetzungen hat der BFH als Revisionsgericht von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (BFH-Urteil vom 3. April 2008 IV R 54/04, BFHE 220, 495, BStBl II 2008, 742, m.w.N.). Die sog. Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 41 Abs. 2 Satz 1 FGO) ist eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung (BFH-Urteile vom 3. September 2009 IV R 38/07, BFHE 226, 283, BStBl II 2010, 60; vom 10. Mai 1977 VII R 69/76, BFHE 123, 94, BStBl II 1977, 785; Steinhauff in HHSp, § 41 FGO Rz 350).

bb) Gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch eine Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann. Dies gilt aufgrund der Rückausnahme in § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. Die Voraussetzungen des § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO liegen auch im Streitfall vor. Der Senat schließt sich den Überlegungen des FG Hamburg in der Entscheidung vom 14. August 2002 V 285/01 (n.v.) an. In dieser Entscheidung hat das FG Hamburg erkannt, eine Feststellungsklage, die erhoben werde, um den Rechtsschein der ordnungsgemäßen Bekanntgabe eines Verwaltungsakts zu beseitigen, sei gemäß § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO wie eine Klage zu behandeln, die auf die Feststellung der Nichtigkeit eines bestimmten Verwaltungsakts gerichtet sei. Deshalb könne eine solche Feststellungsklage neben einer gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage erhoben werden. Die im Streitfall erhobene Feststellungsklage ist in entsprechender Anwendung dieses Grundsatzes neben der vom Kläger erhobenen isolierten Anfechtungsklage zulässig, obwohl die mit der Feststellungsklage begehrte Frage, ob die öffentliche Zustellung wirksam war, zugleich als materielle Vorfrage im Rahmen der isolierten Anfechtungsklage gegen die Einspruchsentscheidung zu klären ist.

b) Das FG hat in der Sache zutreffend die begehrte Feststellung ausgesprochen (vgl. oben unter II.2.a dd).

4. Die Revision ist schließlich auch unbegründet, als sie sich gegen den Streitgegenstand unter Nr. 3 des Klageantrags richtet. Das Feststellungsbegehren ist insoweit aus denselben Erwägungen (wie unter II.3.a. dargelegt) zulässig. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich aufgrund der begrenzten materiellen Beschwer des FA hinsichtlich dieses Streitgegenstandes auf die Frage, ob das FG zutreffend entschieden hat, dass der Einkommensteuerbescheid des Streitjahres erst bekanntgegeben worden ist, als das FA dem Bevollmächtigten des Klägers Ende April 2004 die Bescheidkopie übersandt hat (vgl. zur Beschwer des FA oben unter II.1.). Dies hat das FG in der Sache zutreffend bejaht.