Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts N2 vom 27.07.1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 5.000,00 DM
Die am 15.05.1971 geborene Klägerin verlangt Prozeßkostenhilfe für eine Klage auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden nach einem Verkehrsunfall vom 16.09.1993, 16.45 Uhr innerorts N2. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist außer Streit.
Die Klägerin befuhr zur Unfallzeit mit ihrem PKW Corsa die bevorrechtigte S T-Straße in Richtung N2. Für sie von links kam aus der T-Straße C2 der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) versicherten Mercedes 240 D und bog unter Mißachtung der Vorfahrt der Klägerin nach links, ebenfalls in Fahrtrichtung N2, ab. Die Klägerin fuhr auf das Heck des Mercedes auf.
Nach dem vorprozessual vom Unfallversicherer (Signal) des Vaters der Klägerin eingeholten interdisziplinären Gutachten aus dem Büro T vom 11.09.1995 lag die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung zwischen 6 und 8 km/h. Die Belastung für die Klägerin war nach diesem Gutachten maximal doppelt so hoch, wie die bei einer Vollbremsung auf trockener Fahrbahn.
Bis zum Unfall war die Klägerin als Zahnarzthelferin berufstätig.
Mit der Behauptung, sie habe infolge des Unfalls ein schweres Halswirbelsäulenschleudertrauma erlitten und sei jetzt und in Zukunft nicht mehr in der M2, irgendeiner Berufstätigkeit nachzugehen, begehrt sie Prozeßkostenhilfe für folgende Klageanträge:
Zahlung eines für die Zeit v. 16.09.1993 bis 30.05.1996 begrenzten Schmerzensgeldes (Vorstellung mind. 50.000,00 DM) abzüglich vorprozessual gezahlter 4.800,00 DM, Zahlung eines materiellen Schadens in Höhe von 4.900,39 DM (bis Ende 1995) und Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitere materielle und immaterielle Schäden (letztere ab 30.05.1996).
Das Landgericht hat die Ergebnisse aus einem zwischen dem Vater der Klägerin und dessen Unfallversicherer T anhängigen abgeschlossenen Verfahren (15 O 141/96) LG N2
= 20 U 211/98 OLG Hamm) abgewartet und insbesondere ein in diesem Verfahren eingeholtes neurochirurgisches Gutachten von Herrn Prof. Dr. M vom 20.01.1998 mit Ergänzungen vom 12.07.1998 verwertet.
Es hat sodann Prozeßkostenhilfe im wesentlichen mit der Begründung versagt, der Gutachter habe bei der Klägerin keine objektivierbaren Unfallfolgen feststellen können, weder im Bereich klinischer und neurologischer Befunde, noch im Bereich der bildgebenden Diagnostik. Selbst wenn aber - so das LG weiter - gleichwohl und trotz der geringen Geschwindigkeitsverhältnisse von einem Hyperflexionstrauma Grad II ausgegangen würde, könnten hieraus ggf. resultiernde Ansprüche der Klägerin unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlungen nur noch eine Größenordnung unterhalb von 10.000,00 DM und damit unterhalb der sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts erreichen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie beanstandet mit näheren Ausführungen zunächst die lange Verfahrensdauer und meint i. ü., die Bezugnahme auf das Parallelverfahren und die dortige Beweisaufnahme sei nicht zulässig. Der Sache nach habe er Vergleichsabschluß im Parallelverfahren gezeigt, daß das Gutachten M als Grundlage einer Klageabweisung ungeeignet sei, auch habe der Sachverständige bei seiner persönlichen Anhörung im Termin vom 07.05.1999 einräumen müssen, daß bei der Klägerin ein Invaliditätsgrad von 20 % vorliege.
Die gemäß § 127 II ZPO zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Klage verspricht - vor dem Landgericht - im Ergebnis keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
1)
Vorab ist anzumerken, daß es nicht nur zulässig, sondern zweifellos auch geboten war, vor der Entscheidung über das PKH-Gesuch der Klägerin den Eingang des in der Parallelsache veranlaßten Sachverständigengutachtens M abzuwarten und dieses Gutachten mit zu verwerten. Denn in diesem Gutachten geht es ja - neben der Frage nach dem Invaliditätsgrad der Klägerin - gerade auch um die hier relevanten Fragen, ob und welche gesundheitlichen Schäden die Klägerin infolge des Unfalles vom 16.09.1993 erlitten hat. Die Möglichkeit derartiger Erhebungen auch im Rahmen des PKH-Verfahrens ist in § 118 ZPO ausdrücklich vorgesehen; danach kommt sogar eine eigenständige Vernehmung von Sachverständigen dann in Betracht, wenn anders nicht zu klären ist, ob die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Dabei mag dahinstehen, ob ein Zuwarten des Landgerichts bis Ende Juli 1999 (also bis zu einem Zeitpunkt der Änderung der Geschäftsverteilung, Bl. 147 R) noch als sachgerecht anzusehen ist oder nicht nachdem das Gutachten M bereits seit Januar 1998 und die Ergänzung seit Juli 1998 vorlagen. Während der danach verstrichenen Zeit jedenfalls hat sich die Erfolgsaussicht der Klage nicht mehr zum Nachteil der Klägerin verändert, so daß eine weitere Verzögerung (negative) Beurteilung nicht mehr ursächlich geworden ist (vgl. dazu Zöller-Philippi, § 119 ZPO, Rdn 45 f).
2)
In der Sache selbst ist folgendes auszuführen:
Zwar setzt ein sog. "HWS-Schleudertrauma" nicht voraus, daß es im HWS-Bereich unfallbedingt nachweislich zu einer Strukturveränderung gekommen ist, was hier nach den übereinstimmenden medizinischen Einschätzungen im fachchirurgischen Gutachten Dr. C4 v. 20.09.1995
(BeiA/24 ff. für die T-Versicherungen), im Artzbrief der Radiologen Dres. F v. 20.10.1995
(GA/19 ff = BeiA/60 ff) und im Sachverständigengutachten von Prof. M ausgeschlossen werden kann. I. S. d. § 823 Abs. 1 BGB besteht die Körperverletzung in der Befindlichkeitsbeeinträchtigung und nicht in dem morpologischen Substrat, durch das diese ausgelöst wird. Denn nicht die Materie, sondern die körperliche Befindlichkeit ist das geschützte Rechtsgut (vgl. BGH r + s 94 f = VersR 94, 55; ferner Senat in VersR 99, 990). Diese Befindlichkeitsbeeinträchtigung darf allerdings nicht nur ganz unwesentlich sein (vgl. Steffen in RGRK, 12. Aufl., § 823 BGB Rdn 9 m. w. N.; Deutsch, VersR 93, 1041 ff; Lemcke in r + s 97, 458 ff). Vor allem aber muß dieses nicht ganz unwesentliche Befindlichkeitsbeeinträchtigung im Wege des Vollbeweises nach § 286 ZPO nachgewiesen werden; d. h. ihr Vorliegen muß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen; eine erhebliche Wahrscheinlichkeit reicht also nicht aus.
Hier sind bei der Klägerin erst ca. q Stunde nach dem Unfall Beschwerden aufgetreten, die im ärztlichen Erstbefund v. 16.09.1993 (Dr. Q; BeiA/84) lediglich mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule beschrieben sind, beruhend auf den Angaben der Klägerin. Eine am Folgetag gefertigte Röntgenaufnahme (Dr. C, O) zeigte nach den Ausführungen des Gutachters einen unbedeutenden Befund, gab aber vor allem einen sicheren Hinweis darauf, daß vor der Halswirbelsäule kein Bluterguß gelegen war, wie bei Verletzungen des Bandapparates der Halswirbelsäule auftreten kann.
Es ist schon zweifelhaft, ob der Klägerin bei diesem anfänglichen Beschwerdebild der Vollbeweis einer nicht nur unwesentlichen Befindlichkeitsbeeinträchtigung gelingen kann.
Dies mag hier jedoch letztlich dahinstehen.
Die Klägern hätte darüber hinaus den Nachweis zu erbringen, daß eine solche Beeinträchtigung Folge des Unfalles gewesen ist. Auch insoweit obliegt der Klägerin der Vollbeweis gemäß § 286 ZPO (vgl. BGH NJW 87, 705; Lemcke NZV 96, 337; Greger in Zöller, ZPO § 287 Rdn 3). Erst wenn für diesen sogen. "Primärerfolg" der Vollbeweis erbracht ist, kommt für die Weiterentwicklung des Schadens die Beweiserleichterungsregel gem. § 287 ZPO zum Tragen, die die haftungsausfüllende Kausalität betrifft (Senat, a. a. O.).
Gerade im Bereich der HWS-Schädigung durch ein Beschleunigungstrauma werden die Kausalitätsfeststellung und die Abgrenzung unfallbedingter von Unfallabhängiger Schäden durch die weite Verbreitung degenerativer Schäden erschwert. Zwar war die Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls erst 22 Jahre alt. Auch sie litt jedoch bereits an einer nicht unerheblich veränderten Halswirbelsäule (so schon Dr. C3, an einer - wie sich nach dem Gutachten M aus jetziger Sicht herausgestellt hat - prätraumatischen funktionellen Wirbelsäulenveränderung. Ob dieses Veränderung die folge eines bereits 1981 erlittenen schweren Autounfalls der Klägerin mit Schädelhirntrauma ist, ist offen geblieben, erscheint aber nicht ausgeschlossen. Wichtigster (wenn auch nicht alleiniger) Parameter für die Feststellung einer unfallbedingten HWS-Schädigung ist deswegen das Maß der biomechanischen Einwirkung auf den Körper. Die Erfahrungen aus den millionenfachen Skooter-Kollisionen auf Jahrmärkten lassen den Schluß zu, daß die dort auftretenden biomeachichen Belastungen der HWS in der Regel schadlos überstanden werden. Unter biomechanischen Aspekten ist der Aussagewert dieser Vergleichsbetrachtung sehr hoch, weil hier alle Altersgruppen beteiligt sind und weil die Stöße aus allen Richtungen und bei jeder nur denkbaren Kopfhaltung vorkommen; und zwar nicht nur erwartete, sondern auch nicht erwartete Stöße. Prinzipiell ist der Insasse in einem Skooter sogar gefährdeter als ein einem PKW, weil in einem Skooter die Kopfstütze fehlt und weil der Skooter aufprallkonstruktionsbedingt härter ist als das Kfz. Daß die aus dem Skootervergleich gezogenen Schlüsse auf den Kfz-Unfall übertragen werden können, zeigen die aus den crashversuchen gewonnenen Erfahrungen.
Diese rechtfertigen insgesamt den Schluß, dass bei einer kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung von bis zu 10 km/h allein unter biomechanishen Aspekten mormalerweise nichts passiert sein kann (s. dazu die "Interdisziplinäre Studie 97" von Cstro, Meyer, Weber et. al.; ferner auch Löhle, HWS-Problematik, zfs 97, 441 ff). Von dieser Harmlosigkeitsgrenze gehen zunehmend auch die Gerichte aus (vgl. KG VersR 97, 1416 M OLG Hamburg r + s 98, 63; LG Bielefeld NJWE-VHR 97, 201; OLG Hamm fs 96, 51 = VersR 97, 127; OLG Hamm VersR 99, 990; ferner die in r + s 96, 441 mit Anm. Lemcke sowie die in VersR 97, 1417 veröffentlichten Urteile).
Hier lag die kolllisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung unterhalb der Harmlosigkeitsgrenze. Dies gilt erst recht, wenn man - mit dem interdisziplinären Gutachten v. 11.09.1995 - die ohne weiteres plausible Tatsache berücksichtigt, daß die Halswirbelsäule, anders als beim klassischen Heckaufprall, beim Frontalaufprall - wie hier - widerstandsfähiger reagiert, so daß die Harmlosigkeitsgrenze hier noch höher anzusetzen ist.
Für eine unfallbedingte Kausalität sprechen bei dieser Sachlage letztlich allein der nahe zeitliche Zusammenhang zwischen den Unfall und dem kurz darauf geklagten Beschwerden der Klägerin sowie der von ihr behauptete Umstand, daß sie vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei. Da aber zur Feststellung er Schadenskausalität - wie hier ausgeführt - nicht nur eine "überwiegende", sondern eine mit an Sicherheit grenzend Wahrscheinlichkeit erforderlich ist, erscheint es angesichts der gravierenden Gesichtspunkte, die gegen eine solche Kausalität sprechen, mehr als zweifelhaft, dass die Klägerin dieser Nachweis gelingt. Erforderlich wäre ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewißheit, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie ganz auszuschließen (BGH NJW 93, 935 ff; BGH NW 70, 948). Diesem entscheidenden Gesichtspunkt wird auch durch die Kritik der Klägerin und ihres Radiologen Dr. G am Gutachten des Sachverständigen Prof. M nur unzureichend Rechnung getragen. Prof. M hat - insoweit in Übereinstimmung mit dem Radiologen Dr. G im Arztbrief v. 20.10.1995 - eine nach der Kernspintomographie vom 02.12.1994 durch die Radiologen Dres. N pp. diagnostizierte Verletzung der Ligamentum alare als klare Fehldiagnose qualifiziert Er hat mit ebenfalls überzeugenden Argumenten aber ach der von Dr. G zunächst für möglich gehaltenen "Irritation" des rechten Flügelbandes widersprochen. Auch Dr. G selbst schreibt in seiner Stellungnahme zum Gutachten von Prof. M v 06.04.1999 (Schreiben an die Praxis Dr. S; BeiA/484), es sei letztlich unerheblich, ob eine Irritation des rechten Ligamentum alae stattgefunden habe oder nicht". Man müsse, so heißt es an anderer Stelle weiter , "auch in diesem Fall mit Wahrscheinlichkeiten hantieren...".
Im Ergebnis u Recht hat das Landgericht deshalb die Erfolgsaussicht der Klage auch für den Fall verneint, daß trotz der oben dargestellten Beweisanforderungen eine leichte Hyperflexion der Halswirbelsäule (eine Hyperextension scheidet per se aus oder gar ein - nach den geringen Differenzgeschwindigkeiten allerdings äußerst unwahrscheinliches - Hyperflexionstrauma des Grades II als Unfallfolge für bewiesen angesehen werden würde.
Selbst im letzten Fall wären nach den Ausführungen des Sachverständigen daraus resultierende Beschwerden nach umfassenden klinischen Erfahrungen spätestens innerhalb von 6 Monaten abgeklungen. Die Klägern müßte auf dieser Stufe gemäß § 287 ZPO den Nachweis erbringen, daß für eine unfallbedingte Fortdauer ihrer Beschwerden auch über diesen Zeitpunkt hinaus zumindest eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht. Auch für diesen Nachweis kann unter den gegebenen Umständen eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht angenommen werden. Die Klägerin trägt auch keine Gesichtspunkte vor, die eine Chronifizierung des HWS-Syndroms durch unfallbedingte Ursachen plausibel erklären könnten.
Ausgehend aber von einer - hier unterstellten - unfallbedingten Beeinträchtigung für die Zeit von 6 Monaten wäre das geltend gemachte Schmerzensgeld mit der vorprozessualen Zahlung von 4.800,00 DM hinreichend abgegolten.
Der Feststellungsantrag hätte auch n diesem Falle keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil eben nicht feststellbar wäre, daß eine nicht eben entfernt liegende Möglichkeit künftiger Verwirklichung der Schadensersatzpflicht durch Auftreten weiterer, bisher noch nicht erkennbarer oder voraussehbarer Leiden besteht (BGH RR 89, 1367; OLG Hamm OLGR 94, 227).
Zur Entscheidung über verbleibende über verbleibende materielle Schäden in diesem Zeitraum aber wäre das Landgericht nicht sachlich zuständig, nachdem schon die bis Ende 1995 bezifferten Schäden (Klageantrag zu 2) den Zuständigkeitswert nicht erreichen.
Bei dieser Sachlage konnte die Beschwerde der Klägerin keinen Erfolg haben. Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 127 Abs. 4 ZPO.