OLG Hamm, Beschluss vom 02.12.1999 - 3 Ws 710/99
Fundstelle
openJur 2011, 81702
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 28 (50/97)
Tenor

Der Bewährungsbeschluss des Landgerichts Essen vom 30.09.1999 wird aufgehoben.

Die Bewährungszeit aus dem Urteil des Landgerichts Essen vom 28.11.1997, rechtskräftig seit dem 19.08.1998, wird auf 2 Jahre festgesetzt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 07.12.1993 wegen fortgesetzter Urkundenfälschung und fortgesetzter Beleidigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer beschloss am selben Tage, dass die Bewährungszeit drei Jahre beträgt und legte dem Beschwerdeführer darüber hinaus eine Geldbuße von 5.000,00 DM auf Auf die Berufung des Beschwerdeführers erging das Urteil des Landgerichts Essen vom 22.02.1996. Das Berufungsurteil wurde auf die Revision des Beschwerdeführers mit Beschluss des Senats vom 06.02.1997 sowohl im Schuldspruch als auch im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und an eine andere Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen. Daraufhin wurde der Beschwerdeführer nach erneuter Berufungsverhandlung und Revision - zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 18.08.1998 (3 Ss 477/98) hingewiesen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Diese Entscheidung ist seit dem 18.08.1998 rechtskräftig.

Bei der Verkündung des Urteils vom 28.11.1997 ist ein Beschluss über die Ausgestaltung der Strafaussetzung zur Bewährung unterblieben. Das Amtsgericht in Gelsenkirchen-Buer vollstreckte darher zunächst aus dem Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 07.12.1993. Hiergegen richtete sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 19.05.1999. Durch Beschluss der Beschwerdekammer des Landgerichts Essen vom 22.06.1999 würde daraufhin festgestellt, dass der Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 07.12.1993 gegenstandslos ist.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Essen vom 20.07.1999 erließ die 8. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen mit Beschluss vom 30.09.1999 nachträglich einen Bewährungsbeschluss. Darin wurde die Bewährungszeit auf 3 Jahre festgesetzt (Ziffer 1) und dem Verurteilten aufgegeben, sich straffrei zu führen, jeden Wohnungswechsel dem Gericht unverzüglich anzuzeigen (Ziffer 2) und binnen 2 Monaten nach Zustellung 2.000,- DM an den Verein ... zu zahlen (Ziffer 3). Gegen diesen Bewährungsbeschluss richtet sich die Beschwerde des Verurteilten vom 19.10.1999.

II.

Die gemäß §305 a StPO zulässige Beschwerde ist begründet, denn der Bewährungsbeschluss des Landgerichts Essen vom 30.09.1999 ist gesetzeswidrig erlassen worden.

Gemäß §268 a Abs. 1 StPO, §56 a - 56 d StGB hat im Falle der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung das (erkennende) Gericht den Bewährungsbeschluss mit dem Urteil zu verkünden. Das Landgericht Essen hat dies bei der Verkündung des Urteils vom 28.11.1997 unterlassen. Der vom Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer am 07.12.1993 erlassene Bewährungsbeschluss ist, wie das Landgericht Essen in seinem Beschluss vom 22.06.1999 zutreffend festgestellt hat mit dem Erlaß des Berufungsurteils gegenstandslos. Nunmehr war gemäß §268 a Abs. 1 StPO das Berufungsgericht für eine erneute Bewährungsentscheidung zuständig (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Auflage, StPO, §268 a Rdn. 1; OLG Düsseldorf, MDR 82, 1042).

Ob ein Bewährungsbeschluss, der bei Urteilsverkündung, wie hier, versehentlich unterblieben ist, nachgeholt werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Zwar wird in der Literatur und teilweise in der Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die nicht näher begründeten Entscheidungen des Kammergerichtes (NJW 1957, 275 = VRS 11, 357), des Oberlandesgerichts Celle (MDR 1970, 68), des Oberlandesgerichts Koblenz (MDR 81, 423) und des Oberlandesgerichts Köln (JR 91, 473 ff) die Auffassung vertreten, der Bewährungsbeschluss des §268 a StPO könne, falls er in der Hauptverhandlung versehentlich nicht verkündet worden sei, in entsprechender Anwendung des §453 StPO nachträglich erlassen werden. Hierbei wird nach Auffassung des Senats jedoch verkannt, dass gemäß §268 a StPO das erkennende Gericht in der hierfür vorgesehenen Besetzung in der Hauptverhandlung die Entscheidungen nach §§56 a - 56 d StGB zu treffen hat und der Beschluss mit dem Urteil zu verkünden ist. Diese Entscheidungen gründen sich auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse sowie auf den persönlichen Eindruck, den das Gericht von dem Angeklagten gewonnen hat. Die Festsetzung der Bewährungszeit sowie die Anordnung von Weisungen und Auflagen bilden deshalb mit dem Urteil selbst eine notwendige innere Einheit, was sich schon daraus ergibt, dass der Bewährungsbeschluss gegenstandslos wird, wenn das Urteil entfällt (OLG Hamm, 2 Ws 122 u. 123/92, abgedruckt in NStE Nr. 4 zu §268 a StPO). Der innere sachliche Zusammenhang zwischen dem Bewährungsbeschluss und dem Urteil ergibt sich aber vor allem daraus, dass die Frage, ob die Verurteilung als solche im Zusammenwirken mit Weisungen und Auflagen eine günstige Prognose rechtfertigt, oftmals entscheidend dafür ist, ob die Strafaussetzung zur Bewährung überhaupt angeordnet werden kann. In diesem Zusammenhang ist es auch von Bedeutung, wie lang die Bewährungszeit im Verhältnis zur erkannten Strafe festzusetzen und welche Weisungen und Auflagen erforderlich erscheinen, wobei insbesondere hinsichtlich der Weisungen und Auflagen die persönliche und wirtschaftliche Situation des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung maßgebend ist (so auch OLG Frankfurt, Strafverteidiger 83, 24; LG Kempten, NJW 78, 839, 840; LG Osnabrück, NStZ 85, 379; LG Freiburg, MDR 92, 798). An dieser Entscheidungsgrundlage fehlt es jedenfalls dann, wenn der Bewährungsbeschluss nachträglich erlassen wird und im Urteil, wie hier, keine näheren begründeten Ausführungen zu den Modalitäten der Strafaussetzung, etwa zur Dauer der Bewährungszeit sowie zu Art und Umfang von Weisungen und Auflagen, enthalten sind. Dementsprechend scheidet der Erlass eines Bewährungsbeschlusses nach der Hauptverhandlung grundsätzlich aus. Dem steht nicht entgegen, dass nach §56 e StGB Entscheidungen nach den §§56 b bis d StGB nachträglich getroffen, geändert oder aufgehoben werden können. Diese Vorschrift setzt das Bestehen eines Bewährungsbeschlusses voraus. Solche nachträglichen Entscheidungen können nach dem. Sinn des §56 e StGB nämlich nur dann ergehen, wenn sich entweder die objektive Situation geändert hat oder das Gericht von vorher schon bestehenden Umständen erst nachträglich erfahren hat oder sich bekannte Umstände durch neue Einsichten anders darstellen; eine bloße Änderung der Bewertungsmaßstäbe allein reicht nicht aus (Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, §56 e Rdn. 1).

Ein innerer Zusammenhang zwischen Urteil und Bewährungsbeschluss ist nicht gegeben, wenn der Bewährungsbeschluss, wie hier, fast zwei Jahre nach der Urteilsverkündung erlassen wird.

Die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts Essen vom 30.09.1999 hat jedoch nicht zur Folge, dass für den Verurteilten keinerlei Bewährungsfrist läuft. Während nämlich die Erteilung von Weisungen und Auflagen bei einer Verurteilung mit Strafaussetzung zur Bewährung nicht zwingender Natur ist und vom jeweiligen Einzelfall abhängt, ist das Gericht bei der Bestimmung der Bewährungszeit an die strikte Vorschrift des §56 a Abs. 1 Satz 2 StGB gebunden. Zugunsten des Verurteilten ist daher bei Unterlassen einer anderweitigen Bestimmung mit der Urteilsverkündung von einer Mindestbewährungsdauer von zwei Jahren auszugehen (LG Kempten, NJW 1978, 839, 840; LG Freiburg, MDR 82, 798). Ein entsprechender Beschluss mit lediglich den Gesetzeswortlaut wiedergebendem Inhalt stellt nämlich die Umsetzung der in dem Urteil getroffenen Grundentscheidung - Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung - sicher. Dem Verurteilten weitere Weisungen oder gar Auflagen, die einer strafrechtliche Sanktion gleichkommen (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 25. Auflage, §56 b Rdn. 2, Tröndle/Fischer, StGB, 49. Auflage, §56 b, Rdn. 2), aufzuerlegen, ist aus den dargestellten Gründen nicht zulässig und verstößt gegen den eindeutigen Wortlaut des §268 a StPO.

Unter Berücksichtigung des §309 Abs. 2 StPO hat der Senat die Bewährungszeit dementsprechend auf 2 Jahre festgesetzt. Da die Bewährungszeit gemäß §56 a Abs. 2 StGB mit der Rechtskraft beginnt, ist sie hier nach der am 18.09.1998 eingetretenen Rechtskraft noch nicht abgelaufen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §473 StPO.