VG Düsseldorf, Urteil vom 20.09.2000 - 26 K 3374/00.A
Fundstelle
openJur 2011, 80695
  • Rkr:
Tenor

Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Im Óbrigen wird die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 8. März 1996 zu Ziffer 2 und zu Ziffer 4, soweit dem Kläger die Abschiebung in die Türkei angedroht ist, verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz vorliegen.

Die Kosten des Verfahrens tragen Kläger und Beklagte je zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am xxxxxxxxxxxx 1954 in Savur (Provinz Mardin) geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er verließ sein Heimatland gemeinsam mit seiner Familie, wobei er seinen eigenen Pass benutzte und seinen Nüfus mitführte, im Mai 1995 und gelangte auf dem Luftweg in das Bundesgebiet, wo er seine Anerkennung als Asylberechtigter beantragte. Nach Anhörung im Rahmen der Vorprüfung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte dieses den Asylantrag des Klägers, seiner Ehefrau und ihrer sechs gemeinsamen Kinder mit Bescheid vom 8. März 1996 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz (AuslG) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen, forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik zu verlassen, und drohte ihm seine Abschiebung in die Türkei an.

Gegen diesen ihm am 22. März 1996 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 2. April 1996 Klage im Verfahren 26 (20) K 3830/96.A gemeinsam mir seiner Frau und den gemeinsamen Kindern Klage erhoben, die das erkennende Gericht mit Beschluss vom 31. Mai 2000 abgetrennt hat, soweit sie den Kläger betrifft. Der Kläger hat im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, dass er am 6. Mai 2000 zum Vorsitzenden der „xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx.", deren Vorstand er schon zuvor angehört habe, gewählt worden und als solcher in das Vereinsregister des Amtsgerichts xxxxxxxx eingetragen sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht am 20. September 2000 hat der Kläger seine Klage insoweit zurückgenommen, als sie auf seine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Grundgesetz (GG) gerichtet war; im Übrigen beantragt er,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 8. März 1996 zu verpflichten festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben zu der Frage, ob die „xxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx." von der PKK oder einer anderen extremistischen bzw. terroristischen Organisation, die vom türkischen Staat als vergleichbar militant staatsfeindlich eingestuft wird, dominiert oder beeinflusst anzusehen und Mitglied der HIK („Hareketi Islamiye Kurdistan") ist, durch amtliche Auskünfte des xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx und des xxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxx, die diese Behörden unter dem 6. bzw. 27. Juli 2000 erteilt haben; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf diese Auskünfte, wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen auf die Gerichtsakten einschließlich der des Verfahrens 26 K 3830/96.A, den von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang sowie die Ausländerpersonalakten der Stadt xxxxxx xxx Bezug genommen.

Gründe

Soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.

Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.

Der angefochtene Bescheid ist, soweit er nach der Klagerücknahme noch Gegenstand des Verfahrens ist, rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Herkunftslandes Türkei.

Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Das Verbot des § 51 Abs. 1 AuslG schützt damit - ebenso wie Art. 16 a (GG) - den Personenkreis der politisch Verfolgten. Dementsprechend ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die den unbestimmten Rechtsbegriff des politisch Verfolgten im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F.) ausgefüllt hat, auch für die Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslG heranzuziehen. Dessen Voraussetzungen sind mit den Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG insoweit deckungsgleich, als es um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter der Verfolgung geht.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994 S. 500 (503); Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Dezember 1996 - 3 KO 847/96 -; Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Dezember 1996 - 1 A 12657/96.OVG -.

Auch gilt für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG derselbe Prognosemaßstab wie hinsichtlich des Art. 16 a Abs. 1 GG.

BVerwG, Urteile vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91 S. 150 (154), vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, a.a.O. und vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, InfAuslR 1995 S. 24 (26); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 26. August 1996 - 23 A 296/95.A -.

Nach diesen Maßstäben sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben. Das Gericht lässt dahinstehen, ob der Kläger sein Heimatland vorverfolgt verlassen hat; jedenfalls hat er infolge seiner exilpolitischen Betätigung im Bundesgebiet mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in der Türkei politische Verfolgung zu befürchten. Die Gefährdung des Klägers ergibt sich daraus, dass er Mitglied des Vorstandes der „xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx." ist und in dieser Eigenschaft in das Vereinsregister eingetragen ist. Bei diesem Verein handelt es sich nach der im vorliegenden Verfahren erteilten Auskunft des xxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx vom 27. Juli 2000 um eine Teilorganisation des „Islamischen Bundes Kurdistans" (HIK); er ist damit den Strukturen der PKK zuzurechnen.

Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), der das erkennende Gericht folgt und auf die insoweit zur weiteren Begründung verwiesen wird, ist davon auszugehen, dass ein Verfolgungsinteresse des türkischen Staates bei solchen Mitgliedern von Vorständen eingetragener Vereine besteht, über deren Identität das jedermann zur Einsichtnahme offen stehende Vereinsregister Aufschluss gibt, wenn der Verein als von der PKK dominiert oder beeinflusst gilt. Insoweit ist davon auszugehen, dass die Identität des Betreffenden den zuständigen türkischen Stellen im Rahmen der Überwachung der kurdischen nationalen Opposition im Ausland bekannt wird. Schließlich ist zu erwarten, dass der Betreffende im Falle der Rückkehr in die Türkei im Rahmen der insoweit üblichen Einreisekontrollen als Vorstandsmitglied identifiziert wird und er dementsprechend befragt und vermutlich auch Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt sein wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A - .

In diesem Zusammenhang geht das Gericht in Übereinstimmung mit allen vorliegenden Erkenntnissen ferner davon aus, dass gerade in den ersten Tagen einer Verhaftung auch in den Großstädten der westlichen Türkei Misshandlung und Folter immer wieder vorkommen und dass Häftlinge in der Türkei, denen eine staatsfeindliche, insbesondere linke und prokurdische Gesinnung zugeschrieben wird, im türkischen Polizeigewahrsam häufiger und härter misshandelt werden als sonstige Straftäter.

Vgl. hierzu xxxx, Gutachten vom 11. Juni 1997 an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, S. 2 ff.; xxxxx, Gutachten vom 22. Januar 1997 an das Verwaltungsgericht Bremen, 7 AS 86/92, S. 20 und vom 27. Juli 1997 an das Verwaltungsgericht Berlin, S. 29; im Ergebnis auch Auswärtiges Amt, Lageberichte vom 31. März 1998, S. 13 ff. und vom 7. September 1999, S. 22; in der rechtlichen Bewertung ebenso OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -.

Derartige Misshandlungen im türkischen Polizeigewahrsam reichen von Schlägen und Tritten bis hin zu Elektroschocks und sexuellen Misshandlungen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A - .

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei und der zu erwartenden Befragung nach seinen Aktivitäten für die „xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx" und nach seinen Kontakten zur PKK entgegen dieser weit verbreiteten Praxis derartigen Übergriffen nicht ausgesetzt wäre, sind nicht ersichtlich. Dementsprechend erscheint es jedenfalls beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei nicht nur unerheblichen körperlichen Übergriffen und damit einer politischen Verfolgung im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG ausgesetzt wäre.

Dem Anspruch des Klägers auf Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG steht der Terrorismusvorbehalt des § 51 Abs. 3 AuslG trotz der Aktivitäten des Klägers für die „xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx" nicht entgegen, denn es ist für das Gericht auf der Grundlage der derzeit vorliegenden Erkenntnisse nicht feststellbar, dass sein Verhalten im Bundesgebiet insgesamt terroristisch geprägt ist.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 13. Oktober 1994 - 2 BvR 126/94 -, DVBl. 1995 S. 34 (35).

Zwar ist mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon auszugehen, dass es sich bei der PKK um eine mit terroristischen Mittel agierende Organisation handelt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 1999 - 9 C 23.98 -.

Andererseits fallen dem Kläger selbst keine Gewalttaten zur Last. Anhaltspunkte für entsprechende Aktivitäten des Klägers im Rahmen der „xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx." ergeben sich aus den eingeholten amtlichen Auskünften nicht. Unter diesen Umständen kann seine Vereins- und Vorstandmitgliedschaft nicht als aktive Vorfeldunterstützung des Terrorismus gewertet werden.

Hat der Kläger nach alledem einen Anspruch darauf, dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt wird, erweist sich die entsprechende Ablehnungsentscheidung als rechtswidrig. Da sich aus dem zuvor Ausgeführten auch ergibt, dass zu Gunsten des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorliegen, ist auch die Entscheidung der Beklagten, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen, rechtswidrig. Eine Verpflichtung der Beklagten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG festzustellen, kommt jedoch nicht in Betracht, da der Kläger seinen diesbezüglichen Antrag nur hilfsweise gestellt hat. Im Übrigen wäre eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten nach der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, auch durch § 31 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG ausgeschlossen, da nach dieser Vorschrift von einer Feststellung zu § 53 AuslG abgesehen werden kann, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt worden ist.

Aus den zuvor genannten Gründen erweisen sich schließlich auch die dem Kläger gegenüber ergangene Abschiebungsandrohung und die gesetzte Ausreisefrist als rechtswidrig, sodass der Klage auch insoweit stattzugeben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO, die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG gerichtsgebührenfrei; wegen des Gegenstandswertes wird auf § 83 b Abs. 2 AsylVfG verwiesen.

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