OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29.09.2000 - 19 B 1263/00
Fundstelle
openJur 2011, 79707
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 9 L 1390/00
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.500,-- DM festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist abzulehnen, weil die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der (Ergebnis-) Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegen. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruches gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 14. Juni 2000 im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

Die vom Antragsgegner angeordnete sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnis genügt den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Begründung des Antragsgegners nicht "formelhaft". Der Antragsgegner hat auf den konkreten Einzelfall bezogen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis damit begründet, dass der Antragsteller aufgrund des Konsums von toxischen Mitteln keine Gewähr dafür mehr biete, den hohen Anforderungen im heutigen Straßenverkehr gerecht zu werden und deshalb befürchtet werden müsse, dass er als Kraftfahrer im öffentlichen Straßenverkehr einen erheblichen Risikofaktor darstelle. Seine privaten Interessen an der vorläufigen Beibehaltung der Fahrerlaubnis müssten gegenüber dem überwiegenden öffentlichen Interesse an dem Schutz vor ungeeigneten Kraftfahrern zurücktreten. Ob diese vom Antragsgegner angeführten Gründe die sofortige Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung in der Sache tragen, ist demgegenüber nicht im Rahmen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, der lediglich formelle Anforderungen an die Begründung der sofortigen Vollziehung stellt, sondern im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen Abwägung zu prüfen.

Diese Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung und dem privaten Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung seiner Fahrerlaubnis fällt zu Ungunsten des Antragstellers aus. Die Fahrerlaubnisentziehung ist bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich rechtmäßig.

Die Fahrerlaubnis ist gemäß § 46 Abs. 1 FeV zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gemäß § 46 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber ein von ihm zu Recht gefordertes Gutachten nicht oder nicht fristgerecht beibringt. Letzteres ist hier der Fall. Der Antragsteller ist der Aufforderung des Antragsgegners vom 28. März 2000, ein medizinisch- psychologisches Gutachten bis zum 31. Mai 2000 vorzulegen, nicht nachgekommen und die Anordnung des Antragsgegners vom 28. März 2000 ist rechtmäßig.

Fehl geht die Auffassung des Antragstellers, der Antragsgegner habe das ihm nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV obliegende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, weil er hiervon bei der Anordnung, ein medizinischpsychologisches Gutachten vorzulegen, keinen Gebrauch gemacht habe. Nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV "kann" die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens angeordnet werden, wenn gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und weitere Tatsachen Zweifel an der Eignung begründen.

Es spricht bereits viel dafür, dass der Fahrerlaubnisbehörde mit der Formulierung "kann" in § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV kein Ermessen eingeräumt worden ist. Das folgt aus einer Gegenüberstellung von § 14 Abs. 1 Satz 4 und § 14 Abs. 2 FeV. Während § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV, wie sich aus der Formulierung "vorliegt" ergibt, die Fälle erfasst, in denen ein aktueller gelegentlicher Konsum von Cannabis nachgewiesen ist und weitere Tatsachen hinzutreten, die Zweifel an der Eignung begründen, betrifft § 14 Abs. 2 FeV die Fälle, in denen ein in der Vergangenheit liegender Drogenkonsum nachgewiesen ist und der Fahrerlaubnisinhaber zum Beispiel nunmehr behauptet, nicht mehr abhängig zu sein oder - wie der Antragsteller - nicht mehr Betäubungsmittel, psychoaktiv wirkende Arzneimittel oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe einzunehmen.

So auch Begründung des Bundesrates zu § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, VKBl. 1998, S. 1071 f..

Nach § 14 Abs. 2 FeV "ist" nämlich die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens für die Zwecke nach Abs. 1 anzuordnen, wenn die Fahrerlaubnis aus einem der in Abs. 1 genannten Gründe entzogen war (§ 14 Abs. 2 Nr. 1 FeV) oder zu klären ist, ob der Betroffene noch abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - weiterhin die in Abs. 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 FeV). Aus der Formulierung "ist" folgt eindeutig, dass der Fahrerlaubnisbehörde insoweit kein Ermessensspielraum verbleibt. Ist die Fahrerlaubnisbehörde aber verpflichtet, in den Fällen, in denen feststeht, dass in der Vergangenheit Drogen konsumiert worden sind, die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens anzuordnen, so muss dies erst recht in den von § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV erfassten Fällen des aktuellen Drogenkonsums gelten. Denn es ist kein sachlich rechtfertigender Grund dafür ersichtlich, die Fälle des in der Vergangenheit liegenden und des aktuellen Drogenkonsums unterschiedlich zu behandeln.

Letztlich bedarf es im vorliegenden Verfahren jedoch keiner Entscheidung, ob der Fahrerlaubnisbehörde nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV Ermessen eingeräumt ist. Die vom Antragsgegner angeordnete Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens ist jedenfalls gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV gerechtfertigt. Der Antragsteller hat sowohl im Verwaltungsverfahren wie auch im gerichtlichen Verfahren eingeräumt, in der Vergangenheit zumindest gelegentlich Cannabis konsumiert zu haben. Er bestreitet lediglich, häufig Cannabis konsumiert und "harte" Drogen zu sich genommen zu haben. Unstreitig ist darüber hinaus, dass der Antragsteller am 30. Januar 2000 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führte und damit jedenfalls in der Vergangenheit nicht in der Lage war, zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs zu trennen.

Allerdings folgt aus der Formulierung "zu klären ist" in § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV, dass nach dieser Vorschrift die Anordnung, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, dann nicht gerechtfertigt ist, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Betroffene nicht mehr abhängig ist oder - ohne abhängig zu sein - die in § 14 Abs. 1 FeV genannten Mittel oder Stoffe nicht mehr einnimmt. Der Antragsteller hat jedoch weder hinreichend dargelegt noch belegt, dass sich bei ihm ein stabiler Einstellungswandel,

vgl. zu dieser Anforderung: Begründung des Bundesrates zu § 14 Abs. 1 Satz 2 FeV, VKBl. 1998, S. 1071,

hinsichtlich seiner bisherigen Gewohnheiten vollzogen hat und er damit die Gewähr dafür bietet, nicht erneut unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen.

Für den Nachweis eines stabilen Einstellungswandels genügt nicht die bloße Behauptung des Antragstellers, er konsumiere kein Cannabis mehr. Erklärungen des Betroffenen über seinen Drogenkonsum können im Interesse der Verkehrssicherheit nicht ohne weiteres als wahr unterstellt werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 1996 - 11 B 48.96 -, NZV 1996, 467 (467); OVG NRW, Beschluss vom 14. Juni 1999 - 19 A 1580/99 -, m.w.N.

Hinsichtlich des Antragstellers gilt dies umso mehr, als sein Vortrag in wesentlichen Punkten widersprüchlich ist. Im Verwaltungsverfahren hat er mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 15. Mai 2000 vorgetragen, er habe bereits lange vor Beginn seines Meisterkurses im Oktober 1999 "gänzlich" davon Abstand genommen, Haschisch zu rauchen. Demgegenüber macht er im erstinstanzlichen Verfahren mit der Antragsschrift seiner Prozessbevollmächtigten vom 26. Juni 2000 geltend, der Beginn der Meisterschule im Laufe des Januar 2000 sei für ihn der letzte entscheidende Einschnitt gewesen, Cannabis nicht mehr zu konsumieren.

Darüber hinaus ist der Zeitraum seit dem letzten Cannabiskonsum zu kurz, um eine Änderung der bisherigen Konsumgewohnheiten des Antragstellers feststellen zu können. Er hat - unstreitig - am 30. Januar 2000 nach dem Konsum von Haschisch ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr geführt. Die an diesem Tag entnommene Blutprobe wies nach dem Gutachten von Prof. Dr. D. , Institut für Rechtsmedizin der H. -H. -Universität D. , vom 24. März 2000 Cannabinoide auf, die für einen "mäßigen/gelegentlichen" Konsum von z. B. Haschisch sprächen. Die übrigen Werte (THC, 11-OH-THC, THC-COOH) lagen in einem Konzentrationsverhältnis vor, wie es bei Personen gefunden wird, die "stärkergradig" unter der aktuellen Einwirkung von Cannabisprodukten stehen. Seit dem 30. Januar 2000 hat der Antragsteller sich lediglich einer einmaligen Urinuntersuchung am 28. August 2000 unterzogen, die zwar keinen Nachweis von Drogenkonsum ergab, aber für sich allein kein geeignetes Mittel ist, eine dauerhafte Abkehr von dem bisherigen zumindest gelegentlichen Cannabiskonsum zu belegen. Eine Urinuntersuchung vermag lediglich für einen begrenzten Zeitraum den Nachweis zu führen, dass der Betroffene keine Drogen konsumiert hat. Selbst nach Beendigung eines chronischen Cannabiskonsums ist ein Nachweis nur ein bis zwei Monate möglich.

Vgl. nur OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 1998 - 19 B 1545/98 -, und Urteil vom 25. November 1994 - 19 A 1782/94 -, jeweils m.w.N.

Im Übrigen ist der - vom Antragsteller für die Vergangenheit eingeräumte - gelegentliche Konsum von Cannabis gerade dadurch gekennzeichnet, dass über zeitlich unterschiedlich lange Zeiträume kein Cannabis konsumiert wird. Hinzu kommt, dass der Antragsteller selbst das Drogenscreening in Auftrag gegeben hat und er damit in der Lage war, den Zeitpunkt des Drogenscreenings zu bestimmen. Außerdem ist nur bei einer kontrollierten Urinabgabe sichergestellt, dass die Urinprobe nicht verfälscht worden ist.

Sonstige Umstände, die auf einen stabilen Einstellungswandel beim Antragsteller hindeuten könnten, sind nicht ersichtlich. Sein Vortrag, er habe gegen die polizeiliche Sicherstellung seines Führerscheins keinen "Widerspruch" eingelegt, spricht weder für noch gegen einen fortbestehenden Cannabiskonsum. Ebenso wenig lässt der Umstand, dass der Antragsteller nach dem 30. Januar 2000 nicht wieder "in Erscheinung getreten" ist, eine hinreichend dauerhafte Änderung seiner bisherigen Gewohnheiten verlässlich erkennen.

Vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23. August 1996 - 11 B 48.96 -, aaO., 468: Aus einer bisher unauffälligen Teilnahme am Straßenverkehr kann nicht auf die Unzulässigkeit einer der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dienenden Aufklärungsmaßnahmen geschlossen werden.

Die Anordnung des Antragsgegners, ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, ist auch verhältnismäßig. Bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist ein bloßes Drogenscreening entgegen der Auffassung des Antragstellers kein geeignetes Mittel, seine Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären. Der erforderliche Nachweis eines stabilen Einstellungswandels, der die Gewähr dafür bietet, dass der Antragsteller nicht erneut unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt, setzt voraus, dass er in der Lage ist, entweder auf den für die Vergangenheit eingeräumten zumindest gelegentlichen Cannabiskonsum vollständig und dauerhaft zu verzichten oder, sollte dies nicht der Fall sein, anders als am 30. Januar 2000 nunmehr ausreichend zwischen dem (gelegentlichen) Cannabiskonsum und Führen eines Kraftfahrzeuges zu trennen. Beide Fragen können verlässlich nur durch eine medizinischpsychologische Untersuchung beantwortet werden. Mit der medizinischen Untersuchung kann überprüft werden, ob der Antragsteller in der letzten Zeit vor der Untersuchung Cannabis konsumiert hat. Die psychologische Untersuchung ist darauf angelegt mit den Fragen zu den früheren Konsumgewohnheiten des Antragstellers, seinen früheren und derzeitigen Lebensumständen und der Erforschung seiner inneren Einstellung zum Cannabiskonsum verlässlichen Aufschluss darüber zu geben, ob sich bei ihm ein stabiler Einstellungswandel vollzogen und ob er die erforderlichen Vermeidungsstrategien entwickelt hat, um künftig dauerhaft auf den Konsum von Cannabis verzichten zu können, oder ob er, soweit sich auch für die Zukunft der Konsum von Cannabis nicht ausschließen lässt, die Fähigkeit erworben hat, zwischen dem gelegentlichen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeuges trennen zu können. Durch ein bloßes Drogenscreening können diese Fragen nicht hinreichend geklärt werden.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist ebenfalls verhältnismäßig. Der Antragsteller beruft sich ohne Erfolg darauf, dass durch die Entziehung der Fahrerlaubnis seine berufliche Tätigkeit als Zweiradmechaniker und der weitere Besuch der Meisterschule gefährdet seien. Das private Interesse des Antragstellers an der Beibehaltung seiner Fahrerlaubnis muss mit Rücksicht darauf, dass derzeit nicht geklärt ist, ob er weiterhin Cannabis konsumieren und erneut unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilnehmen wird, hinter dem öffentlichen Interesse an dem Schutz so wichtiger Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer zurücktreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1, § 25 Abs. 2 Satz 3 GKG).