OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2000 - 19 B 1177/00
Fundstelle
openJur 2011, 79702
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 4.000,- DM festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Beschwerde ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung gemäß § 146 Abs. 4 iVm § 124 Abs. 2 VwGO nicht erfüllt sind.

Ernstliche Zweifel an der (Ergebnis-) Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 VwGO iVm §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht hat. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Aufnahme in die Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule H. in M. zum Schuljahr 2000/01 hat.

Die aus dem Recht der Antragstellerin als Schülerin auf Erziehung und Bildung (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 LV NRW, Art. 2 Abs. 1, 12 GG) und dem Recht ihrer Eltern, die Erziehung und Bildung ihres Kindes zu bestimmen (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 LV NRW, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) herzuleitende Schulformwahlfreiheit findet ihre Grenze dort, wo die Aufnahme eines weiteren Schülers zu einer Gefährdung des Erziehungs- und Bildungsauftrags der aufnehmenden Schule führt, weil deren Kapazität erschöpft ist.

Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Oktober 1997 - 19 A 6455/96 -, und vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -, m. w. N.

Das ist hier der Fall. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Kapazität der vier Klassen der Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule H. im Schuljahr 2000/01 tatsächlich oder rechtlich noch nicht erschöpft ist.

Der Antragsgegner hat jeweils 30 Schüler in die vier Eingangsklassen aufgenommen. Damit ist die vorhandene Kapazität tatsächlich erschöpft. Nach §§ 3 Abs. 1 Sätze 2 und 4 SchOG NRW, 5 Abs. 1 a SchFG NRW iVm § 5 Abs. 5 Satz 2 b der Verordnung zur Durchführung des § 5 SchFG NRW (VO zu § 5 SchFG NRW) beträgt der Klassenfrequenzhöchstwert in den Jahrgangsstufen der Klassen 5 bis 10 der vierzügigen Gesamtschulen 27 bis 29 Schüler. Diese Bandbreite darf gemäß § 5 Abs. 5 Satz 3 VO zu § 5 SchFG NRW grundsätzlich nur um eine Schülerin oder einen Schüler überschritten werden. Diese Begrenzung der Klassenstärke hat den Zweck, eine erfolgreiche Erziehungs- und Bildungsarbeit der Schule nicht zu gefährden.

Vgl. nur OVG NRW, Beschlüsse vom 1. Oktober 1997 - 19 A 6455/96 -, und vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -, m. w. N.

Ob - wie die Antragstellerin geltend macht - in (einzelnen) Kursen der Jahrgangsstufe 5 der Gesamtschule H. die Zahl von 30 Schülern überschritten wird, kann dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, lässt sich daraus entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht die Befugnis des Antragsgegners herleiten, die nach § 5 Abs. 5 Satz 2 b und Satz 3 VO zu § 5 SchFG NRW vorgesehene Zahl von maximal 30 Schülern je Klasse zu überschreiten. Einzelne Klassen bzw. Kurse einer mehrzügigen Schule dürfen zwar mehr als 30 Schüler umfassen, allerdings - das folgt aus § 5 Abs. 2 Satz 3 VO zu § 5 SchFG NRW - nur, wenn der Durchschnittswert der Jahrgangsstufe insgesamt noch innerhalb der Bandbreite liegt - das ist bei vier Klassen zu 30 oder mehr Schülern nicht der Fall -, oder Ausnahmen nach § 5 Abs. 4 und Abs. 5 VO zu § 5 SchFG NRW zugelassen sind. Auch das ist nicht der Fall.

Soweit - wie hier - die Aufnahmekapazität einer Jahrgangsstufe tatsächlich erschöpft ist, folgt daraus allerdings nicht, dass es nicht (mehr) auf die ermessensfehlerfreie Durchführung des Aufnahmeverfahrens ankommt. Rechtlich ist die Kapazität noch nicht erschöpft, wenn das Aufnahmeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden ist und rechtswidrig Plätze an Schüler vergeben worden sind, die bei der Verteilung nicht oder nicht vor dem abgelehnten Schüler berücksichtigt werden durften, weil der abgelehnte Schüler nach den maßgeblichen Aufnahmekriterien einen Aufnahmeanspruch hat. Ist das der Fall, steht die tatsächliche Ausschöpfung der Kapazität der Aufnahme dieses Schülers aus Rechtsgründen nicht entgegen. Vielmehr ist es Sache des gemäß § 5 Abs. 2 ASchO NRW für die Aufnahmeentscheidung zuständigen Schulleiters, sich Gedanken darüber zu machen, inwieweit von der in § 3 Abs. 1 Satz 2 SchOG NRW ausnahmsweise für Fälle, in denen es sonst zu verfassungsrechtlich unerträglichen Ergebnissen käme, eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht werden kann, die zulässige Klassenstärke von 30 Schülern zu erhöhen.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -, und vom 7. Oktober 1993 - 19 B 2147/93 -.

Die Antragstellerin hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegner das Aufnahmeverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat und sie anstelle eines aufgenommenen Schülers nach den maßgeblichen Aufnahmekriterien hätte aufgenommen werden müssen.

Nach seinem Vortrag in dem Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht am 27. Juni 2000 hat der Antragsgegner die angemeldeten Schüler zunächst in regionale Gruppen aufgeteilt, indem er die Schüler aus den einzelnen Grundschulen zu Gruppen zusammengefasst hat. Im Anschluss daran habe er einen Ausgleich zwischen den einzelnen Gruppen vorgenommen, soweit eine Region überproportional repräsentiert gewesen sei. Die Gruppe der Schüler der Grundschule H. sei allerdings bei der Auswahlentscheidung stärker als die anderen Gruppen berücksichtigt worden, weil die Schüler dieser Grundschule "regelmäßig von ihrem Wohnsitz her" der Gesamtschule H. näher zugeordnet seien als andere Grundschüler. Diese Aufnahmekriterien und Ermessenserwägungen des Antragsgegners sind entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht zu beanstanden. Die Zuordnung nach Grundschulbezirken und das Kriterium "Wohnsitznähe" sind nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich sachgerechte Aufnahmekriterien.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. August 1999 - 19 B 997/99 -, und vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -.

Anhaltspunkte dafür, dass die bevorzugte Berücksichtigung der Schüler der Grundschule H. ermessensfehlerhaft wäre, weil dadurch Schüler anderer Grundschulen nur in unverhältnismäßig geringem oder durch die oben genannten Kriterien nicht gerechtfertigem Ausmaß zum Zuge gekommen sein könnten, sind nicht ersichtlich und auch von der Antragstellerin nicht vorgetragen.

Das Kriterium "Geschwisterkind" ist ebenfalls ein grundsätzlich sachgerechtes Aufnahmekriterium.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. August 1999 - 19 B 997/99 -, und vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -.

Ob es gerechtfertigt ist, Geschwisterkinder ausnahmslos vorrangig aufzunehmen, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner näheren Erörterung. Der Antragsgegner hat entgegen dem Vortrag der Antragstellerin nicht "automatisch" alle Geschwisterkinder aufgenommen. Nach der in dem Erörterungstermin am 27. Juni 2000 erfolgten Aussage von Frau P. , die im Aufnahmeverfahren für die Klasse "zuständig" war, die für die Antragstellerin in Betracht kam, sind auch Geschwisterkinder abgelehnt worden. Dass diese Aussage unrichtig wäre, macht die Antragstellerin nicht substantiiert geltend.

Es ist darüber hinaus nichts dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner überdurchschnittliche Schüler in einem durch das Auswahlkriterium der Leistungsheterogenität nicht gerechtfertigem Ausmaß bevorzugt aufgenommen hätte. Soweit die Antragstellerin vorträgt, der Antragsgegner habe erklärt, dass er mit Blick auf die für die Oberstufe benötigten 45 Schüler überdurchschnittliche Schüler ungerechtfertigt bevorzugt habe, ist der Vortrag der Antragstellerin weder näher begründet noch belegt. Nach den Ausführungen des Antragsgegners in dem Erörterungstermin am 27. Juni 2000 sind vielmehr aus der oberen und der unteren Leistungsgruppe jeweils 60 Schüler aufgenommen worden. Damit ist der Grundsatz der Leistungsheterogenität, der die Gesamtschulen verpflichtet, auf eine ausgewogene Leistungsstruktur der Schüler zu achten, hinreichend berücksichtigt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. August 1994 - 19 B 1459/94 -.

Nicht nachvollziehbar ist die Rüge der Antragstellerin, der Gesichtspunkt der Leistungsheterogenität sei nicht nach den tatsächlichen, sondern nach den üblichen Anmeldungen "getroffen" worden, damit fehle es an der Berücksichtigung des Einzelfalls bezogen auf das jeweilige "Anmeldungsjahr". Die Antragstellerin hat diesen Vortrag nicht näher erläutert und es ist nicht Aufgabe des Senats, den Vortrag der darlegungspflichtigen Antragstellerin näher zu ergründen.

Die Rechtssache weist keine tatsächlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Die von der Antragstellerin für erforderlich gehaltene "aufwendige Prüfung der tatsächlichen Abwägungen der Voraussetzungen jedes einzelnen aufgenommenen Schülers/Schülerin gegenüber den bei der Antragstellerin vorliegenden Voraussetzungen" ist schon deshalb nicht geboten, weil nach den vorstehenden Ausführungen Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Durchführung des Aufnahmeverfahrens nicht hinreichend dargelegt sind. Im Übrigen ist für eine derart "aufwendige Prüfung" im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 14, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).